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Restschuldbefreiung – vorsätzliche unerlaubte Handlung

BGH

Az: IX ZR 151/10

Urteil vom 21.07.2011


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2011 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 28. Juli 2010 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

Der Kläger (fortan auch Schuldner) wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Leipzig vom 6. April 2006 wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Vergewaltigung und wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Mit der Verurteilung wurden ihm die Kosten des Strafverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Nebenklägers auferlegt. Am 30. April 2008 wurde auf den Eigenantrag des Klägers das vereinfachte Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet, in welchem er Restschuldbefreiung beantragte. In diesem Verfahren meldete der beklagte Freistaat die Forderung auf Erstattung der Gerichtskosten des vorangegangenen Strafverfahren einschließlich der aus der Staatskasse verauslagten Rechtsanwaltsvergütung des Nebenklägervertreters in Höhe von insgesamt 63.753,47 € als Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung zur Tabelle an. Der Kläger hat dieser Anmeldung widersprochen, soweit der Forderungsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung geltend gemacht wird.

Die Klage des Schuldners auf Feststellung, dass die angemeldeten Kostenforderungen nicht aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung begründet sind, ist im ersten Rechtszug erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die vom Schuldner begehrte Feststellung getroffen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Abweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZVI 2010, 429 veröffentlicht ist, meint, die von dem Beklagten angemeldeten Gerichtskosten des Strafverfahrens stellten keine auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhenden Verbindlichkeiten dar, die nach § 302 Nr. 1 InsO von einer eventuellen Restschuldbefreiung ausgenommen seien. Durch ihre Entstehung werde kein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut erfasst. Die materiellen Kostenvorschriften der §§ 464 ff StPO, auf denen die Forderungen basierten, seien auch keine Schutzvorschriften im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Mit den von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Kosten des Geschädigten aus der privatrechtlichen Durchsetzung eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung seien die aufgrund der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs entstandenen Kosten nicht vergleichbar. Diese Betrachtungsweise stehe in Einklang mit der herrschenden Meinung zu § 393 BGB, nach der sich das Verbot der Aufrechnung nicht auf Ansprüche erstrecke, die in keinem inneren Zusammenhang mit der unerlaubten Handlung stünden. Gegen eine ausgenommene Forderung spreche zudem, dass der Gesetzgeber in § 302 Nr. 2 InsO zwar Geldstrafen von der Restschuldbefreiung ausgenommen habe, nicht aber die Kosten des Strafverfahrens.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung in vollem Umfang Stand.

1.

Nach § 302 Nr. 1 InsO werden Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hat. Die Vorschrift des § 302 Nr. 1 InsO regelt nicht näher, welche Forderungen als Ansprüche aus Vorsatzdelikt von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden, sondern setzt eine solche Begriffsbestimmung voraus. Auch soweit Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung durch andere Vorschriften privilegiert werden, fehlt jeweils eine nähere Bestimmung der damit erfassten Ansprüche (vgl. § 89 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 InsO, § 850 f Abs. 2 ZPO, § 393 BGB; ferner § 273 Abs. 2, § 1000 Satz 2 BGB). Im Ausgangspunkt besteht im Hinblick auf sämtliche genannten Bestimmungen Einigkeit, dass der Begriff der vorsätzlichen unerlaubten Handlung auf das Deliktsrecht der §§ 823 ff BGB Bezug nimmt (BGH, Urteil vom 6. Dezember 1979 – IX ZR 40/76, LM Nr. 6 zu § 393 BGB; vom 16. November 2010 – VI ZR 17/10, ZInsO 2011, 430 Rn. 7 [zu § 302 Nr. 1 InsO]; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, § 184 Rn. 47; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2008, § 302 Rn. 1a; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl., § 302 Rn. 7; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 302 Rn. 2; HambKomm-InsO/Streck, 3. Aufl., § 302 Rn. 2; Hess, Insolvenzrecht, § 302 InsO Rn. 2; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 2. Aufl., § 302 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl., § 850 f Rn. 14; Staudinger/Gursky, BGB, 2006, § 393 Rn. 5; Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl., § 393 Rn. 1; Erman/Wagner, BGB, 12. Aufl., § 393 Rn. 2). Die Frage, ob über die Deliktstatbestände der §§ 823 ff BGB hinaus auch spezialgesetzlich geregelte Vorschriften des außervertraglichen Schadensersatzrechts zum Recht der unerlaubten Handlungen zählen (so Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850 f Rn. 25; Musielak/Becker, ZPO, 8. Aufl., § 850f Rn. 9; Ahrens in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 850 f Rn. 37; MünchKomm-BGB/Schlüter, 5. Aufl., § 393 Rn. 2; Bamberger/Roth/Dennhardt, BGB, 2. Aufl., § 393 Rn. 5; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 393 Rn. 3; Pfeiffer in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 6. Aufl., § 393 Rn. 3), kann vorliegend dahinstehen, weil der Schuldner eine vorsätzliche unerlaubte Handlung gemäß § 823 Abs. 1 BGB sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 177 Abs. 1 und 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 StGB begangen hat.

2.

Liegt eine vorsätzliche unerlaubte Handlung vor, so bestimmt sich der Kreis der gemäß § 89 Abs. 2 Satz 2 Fall 2, § 302 Nr. 1 InsO, § 850 f Abs. 2 ZPO, § 393 BGB privilegierten Forderungen einheitlich danach, welche Rechtsfolgen das materielle Schadensrecht an die begangene unerlaubte Handlung knüpft.

a)

Für einen Verzicht auf gesonderte Bestimmung des Begriffs der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des jeweiligen Privilegierungstatbestandes spricht zunächst der Umstand, dass diese Tatbestände ihren Anwendungsbereich nicht eigenständig regeln, sondern auf das Recht der unerlaubten Handlungen Bezug nehmen. Es erscheint daher nicht angebracht, einem Gläubiger den Genuss des Privilegs von Deliktsforderungen auch dann zuzugestehen, wenn die mit der Forderung geltend gemachte Vermögenseinbuße nach materiellem Schadensrecht nicht ersatzfähig ist, mag auch ein anderweitig begründeter Ersatzanspruch in tatsächlichem Zusammenhang mit dem begangenen Delikt stehen. Gewährt hingegen das Recht der unerlaubten Handlungen Ersatz für eine bestimmte Vermögensposition, so ist kein Sachgrund ersichtlich, die Privilegierung von Ansprüchen aus Delikt demgegenüber enger zu fassen.

b)

Für die Auslegung des Begriffs der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung nach den Maßstäben des Deliktsrechts spricht ferner, dass auf diese Weise eine einheitliche Reichweite dieses Tatbestandsmerkmals im Sinne sämtlicher Privilegierungsvorschriften erreicht werden kann.

Würde der Kreis der Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung im Sinne dieser Privilegierungstatbestände jeweils eigenständig ausgelegt, so folgte daraus, dass die Rechtskraft eines zu einer dieser Bestimmungen ergangenen Feststellungsurteils keine Wirkung für die Parallelvorschriften entfaltete, weil dann wegen der fehlenden Übereinstimmung des festgestellten Rechtsverhältnisses ein anderer Streitgegenstand vorläge. Ein Gläubiger, der beispielsweise aufgrund des Widerspruchs des Schuldners gegen die rechtliche Qualifikation der zur Tabelle angemeldeten Forderung die Feststellung erstritten hat, dass dieser Anspruch aus Vorsatzdelikt begründet sei, könnte sich dann nicht auf die Rechtskraft dieses Feststellungsurteils berufen, wenn er die Herabsetzung des Pfändungsfreibetrags nach § 850 f Abs. 2 ZPO beantragte. Die vom Bundesgerichtshof bereits in der Vergangenheit erstrebte einheitliche Auslegung der Privilegierungsvorschriften für Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2010 – VI ZR 17/10, ZInsO 2011, 430 Rn. 8 f; vom 18. November 2010 – IX ZR 67/10, ZInsO 2011, 102 Rn. 16 f; Beschluss vom 10. März 2011 – VII ZB 70/08, WM 2011, 944 Rn. 15 f) erscheint daher auch geboten, um die in der Sache nahe liegende Identität des festzustellenden Rechtsverhältnisses im Sinne der jeweiligen Tatbestände herzustellen und mehrfache Feststellungsklagen entbehrlich zu machen. In diesem Sinne hat der Senat in der Vergangenheit in solchen Fällen, in welchen der Gläubiger nach einem Widerspruch des Schuldners die Feststellung begehrte, dass die zur Tabelle angemeldete Forderung aus Vorsatzdelikt begründet sei, eine Urteilsformel gebilligt, durch welche die Eigenschaft als Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung festgestellt wird, ohne dies im Tenor ausdrücklich auf die Ausnahme von der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Nr. 1 InsO zu beschränken (BGH, Urteil vom 18. Mai 2006 – IX ZR 187/04, ZInsO 2006, 704 Rn. 3, 12; vom 18. Januar 2007 – IX ZR 176/05, ZInsO 2007, 265 Rn. 2, 7 ff; vom 12. Juni 2008 – IX ZR 100/07, ZInsO 2008, 809 Rn. 2, 4 ff; vom 18. Dezember 2008 – IX ZR 124/08, ZInsO 2009, 278 Rn. 2, 5 ff; vom 5. November 2009 – IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77 Rn. 2; vom 2. Dezember 2010 – IX ZR 247/09, ZInsO 2011, 41 Rn. 3).

3.

Nach materiellem Schadensrecht stellt die vom beklagten Freistaat zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung keine Verbindlichkeit aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung dar, weil dem Kläger zwar ein Vorsatzdelikt anzulasten ist, der Kostenerstattungsanspruch des Beklagten jedoch nicht aus Deliktsrecht begründet ist.

a)

Wie der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, stellt der Anspruch der Staatskasse gegen einen verurteilten Straftäter auf Ersatz der Kosten des Strafverfahrens gemäß § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO keine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung dar (BGH, Urteil vom 16. November 2010 – VI ZR 17/10, ZInsO 2011, 430 Rn. 7). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Ein Anspruch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung setzt nicht nur voraus, dass der Schuldner eine unerlaubte Handlung begangen hat, sondern auch, dass der Gläubiger seine Forderung gerade aus dem Recht der unerlaubten Handlungen herleiten kann. Die Staatskasse ist aber nicht allein aus dem Grund Geschädigter einer unerlaubten Handlung, weil diese zugleich einen Straftatbestand erfüllt hat. Richten sich Straftaten gegen Rechtsgüter im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, so stehen diese dem Staat nur in Ausnahmefällen wie etwa dem Diebstahl von Staatseigentum zu. Die materiellen Strafgesetze und die strafprozessualen Kostenerstattungsvorschriften stellen auch keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zur Verschonung der Staatskasse vor der Belastung mit den Kosten des Strafverfahrens dar, weil nur auf den Schutz von Individualinteressen zugeschnittene Bestimmungen Schutzgesetzcharakter haben können (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1987 – VI ZR 32/86, BGHZ 100, 13, 14 f, st.Rspr.). Die Schaffung von Strafgesetzen dient auch nicht dem Schutz der Allgemeinheit vor der Belastung mit den Kosten des Strafverfahrens, sondern zieht diese Kosten erst nach sich.

b)

Nichts anderes gilt im Ergebnis für den Anspruch auf Erstattung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers gegen einen verurteilten Straftäter, welchem diese Kosten gemäß § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO auferlegt worden sind. Auch dieser Anspruch ist nicht aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung begründet, weil die Nebenklagekosten außerhalb des Schutzbereichs der Deliktstatbestände liegen und daher schadensrechtlich nicht erstattungsfähig sind (ebenso LG Hannover, RPfleger 1982, 232 [zu § 850 f Abs. 2 ZPO]; MünchKomm-InsO/Stephan, 2. Aufl. § 302 Rn. 8; FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl. § 302 Rn. 11; HambKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 302 Rn. 7; Wieczorek/ Schütze/Lüke, aaO, § 850 f Rn. 26; Brei, Entschuldung Straffälliger, 2005, S. 117 ff, 137; Kolbe, Deliktische Forderungen und Restschuldbefreiung, 2009, S. 43; a.A. Hess, InsO, § 302 Rn. 4; Kiesbye in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 302 Rn. 7; MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl. § 850 f Rn. 14).

aa)

Der Umstand, dass ein aufgrund einer Kostenentscheidung bestehender Erstattungsanspruch prozessrechtlicher Natur ist, hindert dessen Qualifikation als Anspruch aus Vorsatzdelikt nicht, wenn daneben ein Erstattungsanspruch nach materiellem Schadensrecht besteht.

(1)

Ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch kann zugleich aus materiellem Recht begründet sein. Nach materiellem Schadensrecht erfasst der Schadensersatzanspruch aus §§ 823 ff, §§ 249 ff BGB auch die den Umständen nach erforderlichen Kosten der Rechtsverfolgung (BGH, Urteil vom 8. November 1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 mwN). Dieser materiellrechtliche Anspruch auf Erstattung von Rechtsverfolgungskosten wird überlagert, wenn der Geschädigte im Prozess obsiegt und hierdurch einen durchsetzbaren prozessualen Erstattungsanspruch erlangt (BGH, Urteil vom 9. März 1976 – VI ZR 98/75, BGHZ 66, 112, 124; Staudinger/Schiemann, BGB, 2005, § 251 Rn. 115). Der Geschädigte kann seinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung der aufgewandten Prozesskosten dann regelmäßig wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses nicht im Wege einer Leistungsklage geltend machen, weil ihm mit dem Kostenfestsetzungsverfahren ein schnellerer und einfacherer Weg zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 6. November 1979 – VI ZR 254/77, BGHZ 75, 230, 235). Ein gleichermaßen prozessual wie materiellrechtlich begründeter Kostenerstattungsanspruch besitzt damit eine Doppelnatur (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1990 – VI ZR 110/89, BGHZ 111, 168, 178; MünchKomm-ZPO/Giebel, 3. Aufl., Vor §§ 91 ff Rn. 14, 16).

(2)

Ist der prozessuale Erstattungsanspruch zugleich aus materiellem Recht begründet, so muss er auch die Qualifikation als Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung teilen (vgl. Brei, Entschuldung Straffälliger, 2005, S. 104 f; Kolbe, Deliktische Forderungen und Restschuldbefreiung, 2009, S. 43). Der Anspruch auf Erstattung der zur Verfolgung von Ansprüchen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung aufgewandten Prozesskosten unterfällt daher ebenfalls denjenigen Bestimmungen, welche Forderungen aus Vorsatzdelikt privilegieren (BGH, Urteil vom 18. November 2011 – IX ZR 67/10, ZInsO 2011, 102 Rn. 15 ff [zu § 302 Nr. 1 InsO]; Beschluss vom 10. März 2011 – VII ZB 70/08, WM 2011, 944 Rn. 14 ff [zu § 850 f Abs. 2 ZPO]).

bb)

Der strafprozessuale Anspruch auf Erstattung der Kosten einer erhobenen Nebenklage gemäß § 472 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO ist hingegen allein prozessualer Natur und nicht auch aus materiellem Recht begründet.

(1)

Der Geschädigte einer unerlaubten Handlung kann diese Kosten nach allgemeiner Auffassung nicht im Zivilrechtswege geltend machen, wenn ihm nach den strafprozessrechtlichen Kostenvorschriften kein Erstattungsanspruch zugesprochen worden ist. Wird der Angeklagte im Strafprozess freigesprochen, so mag der Geschädigte zwar aufgrund desselben Tatvorwurfs im Zivilprozess eine Verurteilung auf Schadensersatz erreichen, die im Strafprozess angefallenen Nebenklagekosten kann er dabei aber nicht als Schaden beanspruchen (BGH, Urteil vom 17. Mai 1957 – VI ZR 63/56, BGHZ 24, 263, 266 ff; vom 18. Mai 1966 – I ZR 73/64, BGHZ 45, 251, 257). Dasselbe gilt, wenn das Strafverfahren eingestellt wird und das Strafgericht im Rahmen einer Ermessenentscheidung (vgl. § 472 Abs. 2 StPO) davon absieht, dem Angeklagten die Kosten der Nebenklage aufzuerlegen (BGH, Urteil vom 24. September 1957 – VI ZR 300/56, NJW 1957, 1878; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Mai 1958 – VI ZR 127/57, NJW 1958, 1044). Im Ergebnis kann der Geschädigte einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung damit die Erstattung der Kosten seiner im Strafverfahren erhobenen Nebenklage nur aus einem prozessualen Kostenerstattungsanspruch nach Maßgabe der Strafprozessordnung verlangen.

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(2)

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie trifft zu.

(a)

Ein materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch des Geschädigten einer unerlaubten Handlung auf Ersatz der Vergütung des Nebenklagevertreters scheidet von vornherein aus, soweit der Geschädigte selbst seinem anwaltlichen Vertreter keine Vergütung schuldet.

Wird zur Vertretung des Nebenklägers ein Rechtsanwalt gemäß § 397a Abs. 1 StPO bestellt oder gemäß § 397a Abs. 2 StPO im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet, so kann dieser seine Vergütung gemäß § 45 Abs. 1 RVG gegenüber der Staatskasse abrechnen. Aus § 53 Abs. 2 Satz 1 RVG, § 126 ZPO steht dem Nebenklägervertreter zudem ein Anspruch gegen den Verurteilten zu, welchem die Auslagen des Nebenklägers auferlegt worden sind (AnwK-RVG/Schneider, 5. Aufl., § 53 Rn. 7; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 19. Aufl., § 53 Rn. 10; Hartung in Hartung/Schons/Enders, RVG, § 53 Rn. 14, 21). Der Nebenkläger selbst haftet hingegen gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 RVG, § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO in Verbindung mit § 397a Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht für die Vergütung seines gerichtlich bestellten oder beigeordneten anwaltlichen Vertreters (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Teil C § 53 RVG Rn. 2 f; Hartung in Hartung/Schons/Enders, aaO, § 53 Rn. 9 f, 17). Ein materiell-rechtlicher Ersatzanspruch kann daher hier im Hinblick auf die Kosten der Nebenklage schon deshalb nicht bestehen, weil der Nebenkläger insoweit keinen Schaden erlitten hat. Soweit die Staatskasse für die aufgewandte Rechtsanwaltsvergütung beim Verurteilten Regress nimmt, wenn diesem die Kosten der Nebenklage auferlegt worden sind (§ 472 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 59 RVG) oder der Nebenklägervertreter seine Vergütung unmittelbar vom Verurteilten fordert, sind diese Erstattungsansprüche rein prozessualer Natur, weil die Staatskasse und der Nebenklägervertreter nicht Geschädigte der unerlaubten Handlung sind (vgl. zur Prozesskostenhilfe Brei, Entschuldung Straffälliger, 2005, S. 114 f).

(b)

Auch soweit der Nebenkläger selbst die Vergütung seines anwaltlichen Vertreters schuldet, ist dessen Kostenerstattungsanspruch gegen den Verurteilten aus § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht zugleich aus materiellem Recht begründet.

Der Bundesgerichtshof hat einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs des Nebenklägers nach einem Freispruch im Strafverfahren zwar im Wesentlichen mit der Spezialität der strafprozessualen Kostenerstattungsvorschriften begründet, zugleich aber auch auf den unterschiedlichen Schutzzweck des Strafverfahrens gegenüber dem auf Wiedergutmachung zielenden Zivilprozess hingewiesen (BGH, Urteil vom 17. Mai 1957 – VI ZR 63/56, BGHZ 24, 263, 267). Anknüpfend an diese zuletzt genannte Erwägung wird in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum überwiegend angenommen, Nebenklagekosten seien deshalb nicht als Schadensersatz aus unerlaubter Handlung ersatzfähig, weil diese außerhalb des Schutzbereichs der verletzten Deliktsnorm lägen (OLG Schleswig, VersR 1994, 831; LG Frankfurt/Main, VersR 1975, 1111, 1112; LG Wuppertal, Urteil vom 25. August 1976 – 8 S 154/76, […]; LG Aachen, Urteil vom 17. Oktober 1989 – 3 S 231/80, […]; LG Münster, NJW-RR 1989, 1369; MünchKomm-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rn. 182; Bamberger/Roth/Schubert, BGB, 2. Aufl., § 249 Rn. 78; Jauernig/Teichmann, BGB, 13. Aufl., Vor §§ 249-254 Rn. 32; Brei, Entschuldung Straffälliger, 2005, S. 125 ff; differenzierend Staudinger/Schiemann, BGB, 2005, § 251 Rn. 119; a.A. LG Augsburg, NJW-RR 1988, 1434 f). Diese Auffassung trifft zu. Der Verletzte einer Straftat kann keinen Ersatz für die Auslagen verlangen, welche durch die Einleitung des Strafverfahrens gegen den Straftäter entstanden sind. So erstreckt sich etwa der Eigentumsschutz des Verletzten eines Diebstahls nicht auf die Verwirklichung des Strafanspruchs; der Ersatzanspruch wird durch die Aufgabe der verletzten Haftungsnorm begrenzt (BGH, Urteil vom 6. November 1979 – VI ZR 254/77, BGHZ 75, 230, 235). Liegt das Interesse des Geschädigten an der Bestrafung des Schädigers damit außerhalb des Schutzbereichs der zivilrechtlichen Haftungsnorm, so ist der Kostenerstattungsanspruch des als Nebenkläger aufgetretenen Geschädigten nach den Regelungen der Strafprozessordnung allein prozessualer Natur und nicht zugleich aus materiellem Recht begründet.

c)

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass der Anspruch auf Erstattung der Kosten der Nebenklage auch dann keine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung darstellt, wenn der anwaltliche Vertreter des Nebenklägers für diesen im Strafprozess zugleich einen Schadensersatzanspruch im Wege des Adhäsionsverfahrens gemäß § 403 ff StPO geltend gemacht hat. Zwar liegen nach materiellem Recht ersatzfähige Rechtsverfolgungskosten vor, soweit die Aufwendungen für das Adhäsionsverfahren zur Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlich waren. Dem Kostenerstattungsanspruch des Geschädigten aus § 472a Abs. 1 StPO kommt damit ebenso wie einem zivilprozessualen Kostenerstattungsanspruch eine Doppelnatur zu, so dass dieser Anspruch die Qualifikation des Schadensersatzanspruchs als Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung teilt. Diese rechtliche Qualifikation beschränkt sich jedoch stets auf die Kosten des Adhäsionsverfahrens (vgl. dazu Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., Teil C, Nr. 4143 VV RVG Rn. 13 ff) und erstreckt sich nicht auf den Anspruch aus § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO auf Erstattung der Nebenklagekosten. Von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen (§ 302 Nr. 1 InsO) wären in einem solchen Fall nur die durch das Adhäsionsverfahren verursachten Kosten. Auch in diesem Fall sind die Strafverfolgungskosten der Befriedigung des persönlichen Strafbedürfnisses des Opfers zuzuordnen und fallen deshalb nicht in den Anwendungsbereich des § 302 Nr. 1 InsO. Eine Lücke hinsichtlich des Schutzes des Geschädigten bei der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche entsteht deshalb nicht. Das Interesse an der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Schadensverursacher reicht auch in diesem Sonderfall nicht aus, um zu einer Aufwertung der Forderung hinsichtlich der Auslagen des Geschädigten im Strafverfahren zu gelangen.

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