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Richterablehnung – Entscheidungserlass vor Ablauf einer eingeräumten Frist zur Stellungnahme

OLG München, Az.: 19 W 1618/16, Beschluss vom 27.09.2016

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 08.08.2016 , Az. 29 O 9392/16, mitsamt des Nichtabhilfebeschlusses vom 15.09.2016 aufgehoben.

2. Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen Richter … wird für begründet erklärt.

Gründe

I.

Richterablehnung – Entscheidungserlass vor Ablauf einer eingeräumten Frist zur Stellungnahme
Symbolfoto: Von LightField Studios /Shutterstock.com

Mit seiner zum Landgericht München I erhobenen Vollstreckungsgegenklage vom 03.06.2016 wendet sich der Kläger und Beschwerdeführer gegen die Zwangsvollstreckung des Beklagten aus einem Vorbehaltsurteil. Gleichzeitig beantragt der Kläger auch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gemäß § 769 ZPO.

Mit weiterem Antrag im Schriftsatz vom 15.06. 2016 legte der Kläger Klauselerinnerung gemäß § 732 ZPO ein und stellte Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung.

Mit Verfügung vom 16.06.2016 wies das Erstgericht auf Unklarheiten im Vortrag der Klagepartei hinsichtlich einer entscheidungserheblichen Datumsangabe hin und setzte eine Frist zur Stellungnahme von einer Woche.

Mit Schriftsatz vom 29.06.2016 beantragte die Klagepartei eine Verlängerung der Stellungnahmefrist bis 06.07.2016. Diese wurde mit Verfügung der Vorsitzenden vom selben Tage antragsgemäß bewilligt.

Am 05.07.2016 beschloß die 29. Zivilkammer, den Rechtsstreit gemäß § 348 a ZPO zur Entscheidung auf den Einzelrichter zu übertragen und bestimmte Richter … als zuständigen Einzelrichter.

Mit Beschluß noch am selben Tage wies Richter … die beiden Anträge auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurück.

Im Schriftsatz vom 06.07.2016, eingegangen bei Gericht am selben Tage, nahm die Klagepartei zu dem erteilten Hinweis vom 16.06.2016 Stellung.

Mit weiterem Schriftsatz vom 13.07.2016 lehnte die Klagepartei Richter … wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.

In seiner dienstlichen Stellungnahme vom 18.07.2016 gab Richter … an, er habe nicht mehr mit einem weiteren Schriftsatz gerechnet und eine rasche Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz sei ihm angezeigt erschienen.

Mit Beschluß vom 08.08.2016 wies die 29. Zivilkammer des Landgerichts München I das Ablehnungsgesuch der Klagepartei als unbegründet zurück.

Hiergegen wendet sich die Klagepartei mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 02.09.2016. Die 29. Zivilkammer half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor.

II.

Die gemäß §§ 46 II, 567 I ZPO statthafte und zulässige sofortige Beschwerde erweist sich als begründet.

1. Nach § 42 Absatz 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu begründen. Nach gesichertem Erkenntnisstand in der Rechtsprechung und Rechtslehre ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist, wie es auch unerheblich ist, ob er sich für befangen hält oder nicht. Es kommen vielmehr als Gründe, die geeignet sind, Mißtrauen gegen die Parteilichkeit des Richters zu rechtfertigen, nur solche in Betracht, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtungen wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BVerfG, NJW 1993, NJW Jahr 1993 Seite 2230).

2. Zu Recht weist der Beschwerdeführer auf einen Verfahrensmangel hin. Der abgelehnte Richter … erließ eine Entscheidung gegen den Antragsteller, ohne die diesem eingeräumte Frist zur Stellungnahme abzuwarten. Darin liegt eine Verletzung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Parteien ein Recht auf Äußerung, Berücksichtigung und Information in dem Verfahren. Das Recht auf Äußerung ist bereits dann verletzt, wenn das Gericht entscheidet, ohne eine von ihm selbst gesetzte Äußerungsfrist abzuwarten (BVerfG NVwZ 2003, 859).

3. Eine rechtlich, insbesondere verfahrensrechtlich fehlerhafte Sachbehandlung durch den Richter rechtfertigt aber ebenso wie sonstige Rechtsfehler grundsätzlich die Besorgnis der Befangenheit noch nicht.

Denn die Richterablehnung dient nicht der Fehlerkontrolle und ist deshalb kein Rechtsbehelf gegen unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters. Um solche Rechtsauffassungen überprüfen zu lassen, müssen sich die Betroffenen vielmehr der dafür vorgesehenen Rechtsbehelfe bedienen (vgl. BFH, B.v. 16.4.1993 – I B 155/92 – juris Rn. 16; BGH, B.v. 14.5.2002 – XI ZR 388/01 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 3.11.2014 – 22 CS 14.2157 – juris Rn. 16). Die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen Rechts- und Verfahrensfehler daher lediglich ausnahmsweise dann, wenn Gründe dargelegt werden, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem betroffenen Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl. BFH, B.v. 16.4.1993 – I B 155/92 – juris Rn. 16; B.v. 15.9.2000 – IV B 59/00 – juris Rn. 19). Die Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH, B.v. 16.4.1993 – I B 155/92 – juris Rn. 16). Dies kommt etwa in Betracht, wenn der betreffende Richter die seiner richterlichen Tätigkeit gesetzten Grenzen mißachtet oder wenn in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wurde, daß sich bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (vgl. BFH, B.v. 16.4.1993 – I B 155/92 – juris Rn. 17).

Selbst ein Verfahrensfehler, wie ihn die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellt, läßt nicht ohne weiteres auf die Voreingenommenheit des Richters schließen, dem er unterlaufen ist, und begründet damit auch nicht per se die Besorgnis der Befangenheit (vgl. BFH, B.v. 22.3.1984 – IV B 5/84 – juris Rn. 7).

4. Nach diesen Maßstäben liegt hier aber eine Besorgnis der Befangenheit wegen des Übergehens der Stellungnahme der Klagepartei vor.

Insbesondere die von Richter … in seiner dienstlichen Stellungnahme angeführten Gründe rechtfertigen bei vernünftiger Betrachtungsweise Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters. Wenngleich der Senat keinen Zweifel daran hat, daß Richter … auch in dieser Sache ohne Beeinflussung persönlicher Umstände urteilen würde, stellt sich dies aus Sicht der Beteiligten anders dar.

Aus seiner dienstlichen Stellungnahme ergibt sich, daß dem Richter bei seiner Entscheidung durchaus bewußt war, daß noch eine Stellungnahme der Klagepartei ausstand und die hierfür gesetzte Frist noch nicht abgelaufen war. Da Fristen meist ausgeschöpft werden, konnte er auch am vorletzten Tag des Fristlaufs nicht davon ausgehen, daß eine Stellungnahme nicht mehr erfolgen würde. Zwar ist eine rasche Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren durchaus geboten, doch haben sich zunächst die gesetzten Stellungnahmefristen an diesem Gebot zu orientieren. Zudem ist in erster Linie der Rechtsschutz suchenden Partei an einer raschen positiven Entscheidung gelegen. Eine den vorläufigen Rechtsschutz ablehnende Entscheidung steht demgegenüber nicht unter einem derartigen Dringlichkeitsgebot.

Durch das Vorgehen von Richter … ist der Kläger in der Ausübung seiner prozessualen Rechte, insbesondere des verfassungsrechtlich garantierten Rechtes auf Gewährung rechtlichen Gehörs, derart gravierend behindert worden, daß er den Eindruck sachwidriger Voreingenommenheit gewinnen konnte. Wenn ausdrücklich rechtliches Gehör gewährt werden soll, widerspricht es dem Gebot eines fairen Verfahrens grundlegend, einer Partei, ohne sie darauf auch nur hinzuweisen, die dergestalt eingeräumte Äußerungsmöglichkeit wieder zu entziehen und entgegen der eigenen Ankündigung unter Zugrundelegung des bisherigen Vortrags zu entscheiden.

Das zum Nachteil des Antragstellers von dem gebotenen Verfahren bei dem Erlaß einer einstweiligen Verfügung gravierend abweichende Vorgehen des Abgelehnten stellt aus dessen Sicht auch bei verständiger Betrachtungsweise einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß in Form der Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., Rdnr. 24 m. w. N.). Aus der Sicht der Partei ergibt sich der Eindruck, daß der abgelehnte Richter nicht bereit ist, auf Argumente in der ausstehenden Stellungnahme einzugehen sondern sich bereits vorzeitig endgültig festgelegt hat.

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