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Richterablehnung erst nach Einlassung in Verhandlung oder Antragsstellung

OLG Stuttgart – Az.: 23 W 9/21 – Beschluss vom 22.09.2022

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten werden der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 26. Oktober 2020, Az. 3 O 253/20, aufgehoben und das Gesuch der Beklagten auf Ablehnung des Richters am Landgericht [..] wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten in der Hauptsache über Ansprüche wegen eines etwaigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Dieselfahrzeug.

Der zuständige Einzelrichter des Landgerichts ist auch für diverse Parallelverfahren zuständig, in denen die Beklagte wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch genommen werden soll. Am 13. November 2019 führte er einen „Sammeltermin“ zu 21 dieser Verfahren durch (führendes Az.: 3 O 254/18), woraufhin ihn die Beklagte in den betreffenden Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte und der Einzelrichter hierzu im Dezember 2019 eine dienstliche Äußerung abgab. In einem anderen Parallelverfahren, Az.: 3 O 57/20, erklärte ein Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart mit Beschluss vom 1. Juli 2020 ein Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen ihn für begründet (Az.: 16a W 3/20, juris). Der Einzelrichter gab daraufhin am 5. Juli 2020 eine „Erweiterte dienstliche Äußerung iSv. § 44 Abs. 3 ZPO“ zu dem Verfahren 3 O 254/18 sowie den „dazu verbundene[n] Rechtsstreite[n]“ ab.

Im vorliegenden Verfahren ordnete der Einzelrichter mit Verfügung vom 15. Juni 2020 das schriftliche Vorverfahren an.

Sodann lehnte die Beklagte ihn vorliegend mit Schriftsatz vom 10. August 2020 wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund verfahrensübergreifender Ablehnungsgründe ab. Sie hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der abgelehnte Richter habe in 21, teils vor der 3. Zivilkammer und teils vor der 22. Zivilkammer anhängigen Klageverfahren zu einem medienwirksam inszenierten Sammeltermin am 13. November 2019 geladen und trotz im Termin erhobener und wegen zwingender Kammervorlage begründeter Besetzungsrügen in rechtswidriger Weise die Verfahren überraschend zu dem Verfahren 3 O 254/18 verbunden und damit versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen und ihr die gesetzlichen Richter der 22. Zivilkammer, die ihm kritischer gegenüberstünden, zu entziehen.

Der abgelehnte Richter sei zuvor schon von der 22. Zivilkammer in sämtlichen die Volkswagen AG betreffenden Dieselverfahren, weil seine Ehefrau gegen jene eine Klage wegen dieser Thematik führe, für befangen erklärt worden, was er über Monate hinweg nicht habe akzeptieren wollen, und er bezwecke eine mittelbare Einflussnahme auf das Verfahren seiner Ehefrau über die Verfahren gegen die Beklagte; nur dann ergebe das prozessuale Verhalten des abgelehnten Richters Sinn, der vor einer EuGH-Vorlage von Rechtsfragen mit Auswirkung auch auf die Verfahren gegen die Volkswagen AG, namentlich auch zum Nutzungsersatz, in dem Sammeltermin vor zahlreichen Medienvertretern eine 74-seitige Stellungnahme mit seinen persönlichen Auffassungen auch zum nationalen Recht verlesen und den dortigen Parteien auch ausgehändigt habe, wobei er sich inhaltlich als Anwalt der Kläger gesehen und deutlich gemacht habe, nicht zwischen der Volkswagen AG und der Beklagten differenzieren zu wollen.

Ein auf diese Begründungen gestütztes Ablehnungsgesuch habe das Oberlandesgericht zum Verfahren 3 O 57/20 bereits für begründet erklärt.

Richterablehnung erst nach Einlassung in Verhandlung oder Antragsstellung
(Symbolfoto: SOMKID THONGDEE/Shutterstock.com)

Mit seiner prozessual nicht vorgesehenen und falsch als „Erweiterte dienstliche Äußerung“ bezeichneten Gegendarstellung in den 21 verbundenen Verfahren in Reaktion auf diesen Beschluss des Oberlandesgerichts habe der abgelehnte Richter ein besonders schwerwiegendes und untragbares Fehlverhalten gezeigt, da der Gesetzgeber nicht vorgesehen habe, dass ein rechtskräftig abgelehnter Richter eine Gegendarstellung abgebe, um der drohenden Absetzung in gleichgelagerten Parallelverfahren entgegenzuwirken, und es dem abgelehnten Richter zudem nicht um die Darstellung von Tatsachen, sondern einen Angriff gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts gegangen sei; der abgelehnte Richter habe sich zum Richter in eigener Sache aufgeschwungen und zudem seine Gegendarstellung – anders als bei früheren dienstlichen Äußerungen und dies auch noch verschleiert – persönlich per Fax in Unkenntnis der zuständigen Richter direkt an die Parteien übermittelt, da er davon ausgegangen sei, dass seine unzulässige Gegendarstellung anderenfalls nicht verteilt werden würde. Der abgelehnte Richter habe darüber hinaus in seiner Gegendarstellung eine falsche Tatsachenbehauptung über die Anrufung der Kammer vor einer EuGH-Vorlage aufgestellt und auch, zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens unzulässig, in der Sache gegen die Beklagte argumentiert sowie rechtswidrig gerichtsinterne Unterlagen beigefügt.

Der Einzelrichter hat das Ablehnungsgesuch gegen ihn als unzulässig verworfen (LG Stuttgart, Beschluss vom 26. Oktober 2020 – 3 O 253/20, juris). Er hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Entscheidung sei in entsprechender Anwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO als reine Formalentscheidung ausnahmsweise durch ihn selbst zu treffen. Das Gesuch sei unzulässig, weil die Beklagte es nicht unverzüglich angebracht habe. Die regelmäßig durch ihre auch vorliegend tätigen Prozessbevollmächtigten vertretene Beklagte lehne den Einzelrichter systematisch in sämtlichen Fällen im Zusammenhang mit einer Rückabwicklung wegen behaupteter Manipulationen von Dieselaggregaten ab, erstmals am 26. November 2019 in den Verfahren, in denen am 13. November 2019 mündlich verhandelt worden sei. Da sich diese Ablehnungen auf ein Verhalten in anderen Verfahren bezögen, die lange vor Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens datierten, und die nämlichen Ablehnungsgründe seit dem 26. November 2019 laufend geltend gemacht würden, habe die Beklagte bereits bei Eingang der Klage über sämtliche Kenntnisse hinsichtlich der später geltend gemachten Ablehnung verfügt und die Person des Einzelrichters habe sich aus dessen Verfügung ergeben. Die kurze Überlegungsfrist für eine Ablehnung habe daher mit der Aktenvorlage an den handelnden Prozessbevollmächtigten begonnen. In mehreren Parallelverfahren habe die Beklagte ihr entsprechendes Befangenheitsgesuch zusammen mit der Verteidigungsanzeige oder vier Tage danach angebracht.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, die verfassungsrechtlich äußerst engen Voraussetzungen für eine Selbstentscheidung durch den abgelehnten Richter hätten nicht vorgelegen, was jener schon selbst durch seine Begründung deutlich mache, in der er umfangreiche Überlegungen anstelle und auf den Verfahrensgegenstand eingehe; § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO sei nicht analog anwendbar. Das Gesuch sei nicht verspätet; § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO, demgemäß das Ablehnungsgesuch unverzüglich anzubringen sei, sei nicht anwendbar, da sich die Beklagte weder auf das Verfahren eingelassen noch inhaltliche Anträge gestellt gehabt habe.

Die Beklagte lehnte den Einzelrichter zugleich erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der abgelehnte Richter durch die unzulässige und – wegen der nicht hinreichenden Auseinandersetzung mit ihren engen Voraussetzungen und der zu Lasten der Beklagten einseitigen Darstellung und Bewertung der Rechtslage – grob verfahrensfehlerhafte Selbstentscheidung erneut ein Verhalten an den Tag gelegt habe, das bei der Beklagten den Eindruck erwecke, dass ihm jedes Mittel recht sei, um doch noch einen Fall mit Dieselbezug entscheiden zu können.

Der Einzelrichter hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und dazu ausgeführt, er nehme auf die angegriffene Entscheidung Bezug und teile zudem mit, auf die Klage seiner Ehefrau sei die Volkswagen AG zwischenzeitlich vom Oberlandesgericht München verurteilt worden, ohne dass eine Nichtzulassungsbeschwerde möglich sei.

Die Beklagte ist insoweit der Auffassung, selbst wenn jenes Verfahren inzwischen beendet sei, sei dieser Aspekt lediglich zusätzlich heranzuziehen und sei es jedenfalls nicht Befugnis des abgelehnten Richters, zu entscheiden, ob er infolge einer Tatsachenänderung nicht mehr befangen sei.

Der Einzelrichter verwarf zudem das weitere Ablehnungsgesuch gegen ihn ebenfalls als unzulässig und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Beklagte das Ablehnungsgesuch nicht rechtzeitig angebracht habe. Der Gesetzgeber gehe von einer Frist „von 3 bis Tagen“ aus, die Beklagte habe aber die 14-tägige Beschwerdefrist ausgeschöpft, obwohl sie bei Zustellung des Beschlusses alle aus ihrer Sicht erforderlichen Informationen gehabt habe.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, da der Einzelrichter das Ablehnungsgesuch zu Unrecht als unzulässig verworfen hat (1.). Der Senat ist zu einer Entscheidung in der Sache befugt und macht hiervon in Ausübung seines Ermessens Gebrauch (2.). Das Ablehnungsgesuch ist für begründet zu erklären; es liegt ein Grund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen (3.).

1. Der Einzelrichter hat das Ablehnungsgesuch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Eine Verspätung lag nicht vor. Daher kann auch dahinstehen, ob ein verspätetes Gesuch überhaupt als unzulässig zu verwerfen oder vielmehr als unbegründet zurückzuweisen wäre (vgl. dazu z. B. BeckOK-ZPO/Vossler, 45. Ed. 1.7.2022, § 44, Rn. 20, m. w. N. zu beiden Ansichten).

a) Die Beklagte hatte ihr Ablehnungsrecht noch nicht gemäß § 43 ZPO verloren, denn sie hatte sich vor der Ablehnung weder in eine Verhandlung eingelassen noch Anträge gestellt; das Ablehnungsgesuch erfolgte im Rahmen der Klagerwiderung. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO, demgemäß ein Ablehnungsgesuch unverzüglich anzubringen ist, setzt ebenfalls voraus, dass sich die Partei bei dem abgelehnten Richter in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 31. August 2020 – 9 W 21/20, juris, Rn. 17; konkludent und als obiter dictum OLG Hamburg, Beschluss vom 15. April 2020 – 12 UF 27/19, Rn. 8 f., mit wohl zustimmender Besprechung von Kischkel, NZFam 2020, 543; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 43, Rn. 4 a. E., § 44, Rn. 4; BeckOK-ZPO/Vossler, 45. Ed. 1.7.2022, § 44, Rn. 19; ders. a. in MDR 2021, 656, Rn. 4; wohl auch Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 44, Rn. 10 samt Überschrift).

aa) Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, aber bereits aus der systematischen Stellung der Regelung als zweiter Satz des betreffenden Absatzes. In § 44 Abs. 4 Satz 1 ZPO wird zunächst geregelt, dass bei Ablehnung eines Richters, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, glaubhaft zu machen ist, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden ist. Hierauf folgt die Ergänzung in § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO, dass das Ablehnungsgesuch unverzüglich anzubringen ist. Damit besteht ein unmittelbarer Bezug zu den Voraussetzungen von Satz 1. Eine Regelung, die ein unverzügliches Gesuch für jeden Zeitpunkt des Verfahrens verlangt, fände sich systematisch beispielsweise als § 44 Abs. 1 Satz 2 ZPO oder § 44 Abs. 5 ZPO.

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bb) Dasselbe zeigt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, namentlich die Ausführungen der Bundesregierung in ihrem Entwurf für die neue gesetzliche Regelung. Der Entwurf verweist zunächst darauf, dass die zeitliche Grenze in § 43 ZPO nicht die Geltendmachung von Ablehnungsgründen hindert, die der Partei noch nicht bekannt waren, als sie sich bei dem abgelehnten Richter in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, und führt dann aus (vgl. BT-Drs. 19/13828, S. 17): „Für diese Fälle regelt § 44 Absatz 4 ZPO, dass die Partei in ihrem Ablehnungsgesuch glaubhaft zu machen hat, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden ist. Eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung der Geltendmachung von Ablehnungsgesuchen für diese Fälle sieht das Gesetz bislang nicht vor.“ Die bislang nicht vorgesehene, nunmehr neu eingeführte zeitliche Begrenzung betrifft mithin auch hiernach nur die Fälle bereits erfolgter Einlassung oder Antragstellung.

cc) Schließlich sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift ebenfalls dafür, dass ein unverzügliches Anbringen des Gesuchs nur für diese Fälle gefordert wird. Durch die Regelung soll verhindert werden, dass Ablehnungsgesuche von einer Partei aus taktischen Gründen zur Verfahrensverzögerung erst dann gestellt werden, wenn sich im Verlauf des Verfahrens eine für sie ungünstige Verhandlungsposition ergibt (vgl. BT-Drs. 19/13828, S. 17, und – in etwas anderer Formulierung – S. 14 f.). Hat sich eine Partei indes bislang weder in eine Verhandlung eingelassen noch Anträge gestellt, mag zwar eine gewünschte Verfahrensverzögerung auch bereits in Betracht kommen, wenn beispielsweise im Falle eines Beklagten die Erfüllung des Anspruchs von vornherein ohnehin nur hinausgeschoben werden soll, dies beruht dann aber regelmäßig nicht auf einer sich im Verfahrensverlauf ergebenden ungünstigen Verhandlungsposition, sondern auf einer von Anfang an bestehenden ungünstigen Sach- und Rechtslage. Dies bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber nicht auch eine Verfahrensbeschleunigung bereits zu einem noch früheren Zeitpunkt verlangen könnte, dies hat er aber ausweislich von Systematik und Entstehungsgeschichte nicht getan.

b) Mithin ist der angefochtene Beschluss schon deshalb aufzuheben, weil der Einzelrichter zu Unrecht selbst entschieden hat. Die von ihm angenommene Verspätung als Rechtfertigung für eine Selbstentscheidung lag nicht vor, ebenso wenig ist eine andere Ausnahme von § 45 Abs. 1 ZPO ersichtlich. Daher kann dahinstehen, ob § 26a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO im Zivilprozess überhaupt analog anwendbar ist und der abgelehnte Richter deshalb über eine Verspätung des Ablehnungsgesuchs selbst (mit)entscheiden darf (dafür Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 44, Rn. 11a (Verspätung als gesetzlich geregelter Fall der Verschleppung); Götsche, jurisPR-FamR 19/2020, Anm. 3, unter C. Abs. 1 a. E.; s. a. OLG Hamm, Beschluss vom 9. Juli 2021 – 7 U 14/21, juris, Rn. 1, allerdings zu offensichtlich verfahrensfremden Zwecken im Sinne des § 26a Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 StPO, was als Ausnahme von § 45 Abs. 1 ZPO ohnehin anerkannt ist; a. A. wohl BeckOK-ZPO/Vossler, 45. Ed. 1.7.2022, § 45, Rn. 7 (anders als im Strafverfahren fehle eine gesetzliche Regelung); zum – überwiegend gegen eine Selbstentscheidung plädierenden – Streitstand bezüglich eines Verlusts des Ablehnungsrechts gemäß § 43 ZPO vgl. z. B. die Nachweise bei BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 4 BN 22.17, juris, Rn. 16 f.).

2. Der Senat ist zu einer Entscheidung in der Sache befugt und macht hiervon in Ausübung seines Ermessens Gebrauch. Der Senat, dem die Beschwerdeentscheidung von der Einzelrichterin gemäß § 568 Satz 2 ZPO übertragen wurde, sieht vorliegend ausnahmsweise davon ab, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, um zunächst den nach § 45 Abs. 1 ZPO zuständigen Richtern eine Entscheidung in erster Instanz über den Befangenheitsantrag zu ermöglichen.

Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache ist vorliegend möglich (a) und nach einer Abwägung der relevanten Gesichtspunkte auch angebracht (b).

a) Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache ist vorliegend möglich, auch wenn das Ablehnungsgesuch vom abgelehnten Einzelrichter selbst als unzulässig verworfen wurde.

aa) Wurde ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfen, muss im Beschwerdeverfahren nicht zwingend an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, sondern kann grundsätzlich auch das Beschwerdegericht in der Sache entscheiden (ebenso OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 1 W 5/11, juris, Rn. 39 ff.; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 46, Rn. 9; BeckOK-ZPO/Vossler, 45. Ed. 1.7.2022, § 46, Rn. 10; wohl auch OLG Schleswig, Beschluss vom 25. Mai 2007 – 16 W 48/07, juris, Rn. 8, das die Sachgerechtheit einer eigenen Entscheidung prüft; a. A. OLG Brandenburg, Beschluss vom 18. März 2009 – 1 W 2/09, juris, Rn. 23 ff.; OLG Naumburg, Beschluss vom 14. Februar 2006 – 10 W 2/06, juris, Rn. 26; OLG Köln, Beschluss vom 9. Februar 2004 – 19 W 61/03, juris, Rn. 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 46, Rn. 20; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 46, Rn. 4).

Es ist nicht ersichtlich, weshalb sich das Beschwerdeverfahren in solchen Fällen generell auf die Prüfung der Zulässigkeit beschränken und das Beschwerdegericht an einer Sachentscheidung gehindert sein sollte; daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der abgelehnte Richter schon von vorneherein nicht befugt gewesen wäre, über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs (mit) zu entscheiden. Das Berufungsgericht hat gemäß § 538 Abs. 1 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden und darf gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 die Sache (nur) zurückverweisen, wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden wurde. Im Beschwerdeverfahren ist das Beschwerdegericht ebenfalls zu einer eigenen Sachentscheidung (gegebenenfalls auch nach Beweiserhebung) und einer Zurückverweisung nach pflichtgemäßem Ermessen befugt, wobei hier dahinstehen kann, ob insoweit eine Bindung an § 538 Abs. 2 ZPO besteht (vgl. z. B. BeckOK-ZPO/Wulf, 45. Ed. 1.7.2022, § 572, Rn. 17 ff., m. w. N.; MüKoZPO/Hamdorf, 6. Aufl. 2020, § 572, Rn. 30 ff.; Musielak/Voit/Ball, 19. Aufl. 2022, § 572, Rn. 16; anders bei einer unwirksamen Erstentscheidung durch den funktionell unzuständigen Rechtspfleger anstelle des Richters, vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2005 – IX ZB 287/03, juris, Rn. 7). Nicht zuletzt handelt es sich gemäß § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO beim Beschwerdeverfahren noch mehr als beim Berufungsverfahren um eine vollwertige Tatsacheninstanz.

bb) Anderes gilt auch nicht zwingend, wenn beim Landgericht nicht die Kammer, sondern allein der abgelehnte Einzelrichter selbst entschieden hat (ebenso BeckOK-ZPO/Vossler, 45. Ed. 1.7.2022, § 46, Rn. 10; insoweit a. A. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 1 W 5/11, juris, Rn. 40, obiter dictum; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 46, Rn. 9, Fn. 37; im Ergebnis beim konkreten Fall auch OLG Schleswig, Beschluss vom 25. Mai 2007 – 16 W 48/07, juris, Rn. 8, nach Prüfung der Sachgerechtheit einer eigenen Entscheidung). Jedenfalls vorliegend steht dies im Ergebnis einer Entscheidung in der Sache nicht entgegen.

Es trifft zwar zu, dass dadurch, dass ein Einzelrichter entschieden hat, die Besetzung des Beschwerdegerichts beeinflusst wird, da dann gemäß § 568 Satz 1 ZPO über die Beschwerde (ebenfalls) der Einzelrichter zu entscheiden hat. Insoweit setzte sich der Verfahrensfehler im Beschwerdeverfahren – sich sogar vertiefend – fort und wäre das Gebot des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG betroffen. Dies ist indes nicht mehr der Fall, wenn das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO auf den Spruchkörper in voller Besetzung übertragen wurde (offengelassen von OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. März 2021 – 8 W 35/21, Rn. 4; s. a. in anderem Zusammenhang KG Berlin, Beschluss vom 4. März 2008 – 2 W 226/07, Rn. 22). So liegt es hier. Die zunächst zuständige Einzelrichterin hat das Beschwerdeverfahren mit Beschluss auf den Senat übertragen.

cc) Des Weiteren bestehen vorliegend auch nicht deshalb Bedenken, weil bei einer eigenen Sachentscheidung des Beschwerdegerichts eine Entscheidung der zunächst zuständigen Kammer entfällt. Im Rahmen eines Ablehnungsverfahrens erhält diese Frage zwar eine besondere Bedeutung. Hätte der – bislang noch gar nicht mit der Sache befasste – gemäß § 45 Abs. 1 ZPO zuständige Spruchkörper des Landgerichts das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt, fände gemäß § 46 Abs. 2 Var. 1 ZPO gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel statt und hätte das Beschwerdegericht überhaupt nicht mit der Sache befasst werden können (dies zu Recht bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigend OLG Schleswig, Beschluss vom 25. Mai 2007 – 16 W 48/07, juris, Rn. 8). In einem solchen Fall könnte mithin durch eine Sachentscheidung des Beschwerdegerichts die von einem Beschwerdeverfahren unabhängige Möglichkeit entfallen, dass eine Ablehnung bereits in erster Instanz erfolgreich ist; hiergegen bestünden zumindest erhebliche Bedenken, da dem Ablehnenden eine vollwertige Instanz mit einer durch eine höhere Instanz nicht mehr überprüfbaren Entscheidung genommen würde. Hält hingegen das Beschwerdegericht – wie hier (s. u.) – eine Besorgnis der Befangenheit für begründet, stellt sich dieses Problem nicht.

dd) Einer Sachentscheidung durch den Senat stehen schließlich vorliegend keine verfassungsrechtlichen Hindernisse entgegen.

Zwar kann es mit Blick auf das Gebot des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar sein, wenn ein Rechtsmittelgericht bei einem willkürlich unter Mitwirkung des abgelehnten Richters als unzulässig verworfenen Ablehnungsgesuch lediglich – dort jeweils verneinend – prüft, ob das Ablehnungsgesuch in der Sache erfolgreich gewesen wäre; das Rechtsmittelgericht hat gegebenenfalls in solchen Fällen nicht über die hypothetische Begründetheit des Ablehnungsgesuchs zu entscheiden, sondern die angegriffene Entscheidung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit in der richtigen Besetzung über das Ablehnungsgesuch entschieden wird (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 2. Juni 2005 – 2 BvR 625/01, juris, Rn. 73, zum strafrechtlichen Revisionsverfahren; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. November 2007 – 2 BvR 1849/07, juris, Rn. 30, zum zivilrechtlichen Beschwerdeverfahren nach einer Selbstentscheidung durch den Rechtspfleger; abweichend zum zivilrechtlichen Berufungsverfahren BGH, Beschluss vom 17. März 2008 – II ZR 313/06, juris).

Nach Auffassung des Senats kann offenbleiben, ob dies generell regelmäßig für das zivilrechtliche Beschwerdeverfahren anzunehmen ist (insoweit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Sonderfallentscheidung betrachtend OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 1 W 5/11, juris, Rn. 38; kritisch zur Übertragung der verfassungsrechtlichen Grundsätze für das Strafverfahren auf das Beschwerdeverfahren VerfGH-NRW, Beschluss vom 11. Februar 2020 – 32/19.VB-3, juris, Rn. 28 ff.), da sich der vorliegende Fall maßgeblich von den Konstellationen unterscheidet, die als verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar anzusehen waren. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Einwände waren fachgerichtliche Entscheidungen, aufgrund derer Ablehnungsgesuche im Ergebnis erfolglos blieben, weil das jeweilige Rechtsmittelgericht eine fehlerhafte angefochtene Entscheidung aufrechterhielt. Dies ist aber nicht mit der Situation vergleichbar, wenn – wie hier (s. u.) – das Beschwerdegericht eine Besorgnis der Befangenheit für begründet hält (s. o.).

b) Der Senat hält es bei der Ausübung seines Ermessens hier für angebracht, selbst eine Entscheidung in der bereits entscheidungsreifen Sache zu treffen. Eine Zurückverweisung zöge eine Verlängerung des Verfahrens nach sich; zunächst müsste die zuständige Kammer des Landgerichts über das Ablehnungsgesuch befinden, und im Anschluss könnte es darüber hinaus zu einem erneuten Beschwerdeverfahren kommen, zumal die zuständige Kammer des Landgerichts jedenfalls bislang eine Besorgnis der Befangenheit in Parallelverfahren für unbegründet erklärt hat. Dass eine weitere Tatsacheninstanz entfällt, spielt vorliegend keine erhebliche Rolle, da eine über den bisherigen Akteninhalt hinausgehend erforderliche Sachaufklärung nicht ersichtlich (und auch in den Parallelverfahren nicht erfolgt) ist. Schließlich hat der Senat bereits Entscheidungen in mehreren hinsichtlich einer Besorgnis der Befangenheit gleichgelagerten Fällen getroffen (vgl. z. B. Senat, Beschluss vom 2. August 2022 – 23 W 18/21, juris), und wird der ablehnenden Partei auch nicht die Möglichkeit genommen, unabhängig voneinander in zwei Instanzen eine ihr vorteilhafte Entscheidung erreichen zu können, da der Senat eine Besorgnis der Befangenheit bejaht (dazu sogleich).

3. Es liegt ein Grund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen.

a) Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Nicht erforderlich ist, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt, vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der betroffenen Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters aufkommen lassen, während rein subjektive Vorstellungen oder Gedankengänge des Ablehnenden als Ablehnungsgründe ausscheiden (vgl. insgesamt z. B. BGH, Beschluss vom 25. März 2021 – III ZB 57/20, juris, Rn. 7; BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – VI ZR 24/20, juris, Rn. 9).

b) Nach diesen Grundsätzen ist hier ein Misstrauen der Beklagten gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters gerechtfertigt. Dies begründet sich jedenfalls durch seine Äußerung vom 5. Juli 2020.

aa) Mit seiner „Erweiterten dienstlichen Äußerung“ im Verfahren 3 O 254/18 nahm der abgelehnte Richter Stellung zu einem abgeschlossenen Befangenheitsverfahren im Verfahren 3 O 57/20, in dem er rechtskräftig abgelehnt war. Gemäß § 44 Abs. 3 ZPO hat sich der abgelehnte Richter über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern. Eine ausdrückliche zeitliche Vorgabe für diese Äußerung ist nicht gegeben. Indes besteht offenkundig kein Anlass, eine solche Äußerung abzugeben, wenn das Verfahren zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch abgeschlossen ist. Sinn der dienstlichen Äußerung ist die Klärung des Sachverhalts (vgl. Musielak/Veit/Heinrich, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 44, Rn. 9). Mit ihr soll dem Ablehnenden erleichtert werden, die von ihm behaupteten Tatsachen glaubhaft zu machen (vgl. MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 44, Rn. 10). Umgekehrt kann die dienstliche Äußerung dazu dienen, eine etwaige Besorgnis der Befangenheit zu entkräften. Sie dient als Grundlage für die Entscheidung der Richter (auch des Beschwerdegerichts), die über das Ablehnungsgesuch zu befinden haben (vgl. BGH, Dienstgericht des Bundes, Urteil vom 18. April 1980 – RiZ (R) 1/80, juris, Rn. 11). Hierzu ist sie indes ersichtlich nur so lange geeignet, bis diese Entscheidung abschließend getroffen ist. Wird das Gesuch für begründet erklärt, findet gegen diesen Beschluss gemäß § 46 Abs. 2 Hs. 1 ZPO kein Rechtsmittel statt. Unanfechtbar sind damit sowohl dem Ablehnungsgesuch stattgebende Entscheidungen der ersten Instanz wie auch – so hier – des Beschwerdegerichts. Mithin bestand nach der stattgebenden Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 1. Juli 2020 kein Anlass mehr für eine weitere dienstliche Äußerung in jenem Verfahren.

bb) Allerdings hat der abgelehnte Richter seine „Erweitere dienstliche Äußerung“ nicht in dem Verfahren 3 O 57/20 abgegeben, zu dem das Oberlandesgericht das Ablehnungsgesuch abschließend beschieden hatte, sondern in dem Verfahren 3 O 254/18 (einschließlich zu diesem verbundener Verfahren). In diesem Verfahren war über das Ablehnungsgesuch gegen den dort ebenfalls abgelehnten Richter bei Abfassung und Übersendung der Äußerung am 5. Juli 2020 noch nicht abschließend entschieden worden; die Akte zum Ablehnungsverfahren war damals – so die Ausführungen in der „Erweiterten dienstlichen Äußerung“ – noch nicht einmal an das Beschwerdegericht vorgelegt worden, weil über die Ablehnung eines anderen Richters der Kammer noch nicht entschieden war. Mithin konnte eine dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters in diesem Ablehnungsverfahren grundsätzlich noch geeignet sein, den Sachverhalt zu klären und als Grundlage für die Entscheidung zu dienen.

Der abgelehnte Richter hatte indes in dem betreffenden Verfahren bereits im Dezember 2019 eine dienstliche Äußerung abgegeben. Sein weiteres Vorgehen mit einer „Erweiterten dienstlichen Äußerung“ konnte daher aus Sicht der Parteien, namentlich auch der dort ebenfalls beteiligten Beklagten, berechtigterweise die Frage aufwerfen, wodurch nach Verstreichen von mehr als einem halben Jahr eine etwaige Ergänzung dieser dienstlichen Äußerung veranlasst und was mit ihr bezweckt war. Dies gilt zumal deshalb, weil eine ergänzende Äußerung weder von den Parteien verlangt noch von den zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufenen Richtern angefordert worden war.

Eine spätere Ergänzung einer dienstlichen Äußerung ist nicht ausdrücklich vorgesehen, begegnet grundsätzlich aber auch keinen Bedenken, da hierdurch beispielsweise unvollständige Angaben ergänzt oder unklare Angaben klargestellt werden können. Es kann daher durchaus sinnvoll sein, eine dienstliche Äußerung noch im weiteren Verlauf des Ablehnungsverfahrens nachzureichen oder eine bereits erfolgte später mit einer weiteren zu ergänzen.

cc) Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die weitere Äußerung des abgelehnten Richters als Reaktion auf die Entscheidung des Beschwerdegerichts in einem ihn betreffenden Ablehnungsverfahren erfolgte. Mithin äußerte sich der abgelehnte Richter zu einer Entscheidung, mit der rechtskräftig seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt worden war. Zwar erfolgte die Äußerung im Rahmen eines anderen Ablehnungsverfahrens, allerdings handelte es sich sowohl bei den zugrunde liegenden Klageverfahren um Parallelverfahren mit gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüchen wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen als auch bei den Ablehnungsverfahren um gleichgelagerte Streitigkeiten aufgrund von Ablehnungsgesuchen der Beklagten gegen den abgelehnten Richter. Dies war insbesondere auch dem abgelehnten Richter bewusst, der die Ablehnungsverfahren in dem Rechtsstreit 3 O 57/20, in dem die Entscheidung des Beschwerdegerichts erging, und dem Rechtsstreit 3 O 254/18, in dem er seine „Erweiterte dienstliche Äußerung“ abgab, für gleichgelagert hielt; in seiner dienstlichen Äußerung zu ersterem verwies er auf seine dienstliche Äußerung zu letzterem (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Juli 2020 – 16a W 3/20, juris, Rn. 9). Mithin war dem abgelehnten Richter klar, dass in dem noch zu bescheidenden Ablehnungsverfahren zu 3 O 254/18 mit einer gleichlautenden Entscheidung zu rechnen war; hierauf geht er auch in seiner „Erweiterten dienstlichen Äußerung“ ein, wo er ausführt, die Entscheidung des Oberlandesgerichts gehe „vom Vorliegen verfahrensübergreifender Ablehnungsgründe aus, die auch die vorliegenden Verfahren beträfen“.

Auch hieraus folgt für sich noch nicht zwingend, dass aus Sicht der Beklagten der Gedanke aufkommen musste, der abgelehnte Richter wolle sich mit der von ihr erstrittenen Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht abfinden. Eine – auch unaufgeforderte – Ergänzung der dienstlichen Äußerung konnte in einer solchen Situation dennoch sinnvoll und angebracht sein, wenn sie nämlich weitere für das Ablehnungsverfahren wesentliche Tatsachen ergänzte oder klarstellte, die (aus Sicht des abgelehnten Richters) vom Beschwerdegericht übersehen oder missverstanden oder vom abgelehnten Richter bislang – weil nicht für entscheidungserheblich gehalten – nicht mitgeteilt worden waren.

dd) Hierauf beschränkte sich die „Erweiterte dienstliche Äußerung“ indes nicht.

Die dienstliche Äußerung hat sich auf die Tatsachen zu beziehen, die der Ablehnende zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs vorgetragen hat. (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2011 – II ZB 2/10, juris, Rn. 17). Ausführungen zur Begründetheit des Ablehnungsgesuchs – also zur Frage, ob die vorgetragenen Tatsachen die Besorgnis der Befangenheit begründen – haben zu unterbleiben (vgl. BGH, a. a. O.), von einer Würdigung des Ablehnungsgesuchs hat der abgelehnte Richter zumindest grundsätzlich Abstand zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – V ZR 8/10, juris, Rn. 11).

Soweit der abgelehnte Richter in seiner „Erweiterten dienstlichen Äußerung“ wiederholt allgemeine rechtliche Ausführungen macht, mag dies demnach möglicherweise unangebracht sein, rechtfertigt für sich aber auch noch keine Besorgnis der Befangenheit. Indes ging der abgelehnte Richter darüber noch hinaus. Nach dem Hinweis, das Oberlandesgericht habe im Verfahren 3 O 57/20 die Besorgnis seiner Befangenheit für begründet erklärt und die Ablehnungsgründe aus seinen Handlungen im Verfahren 3 O 254/18 abgeleitet, führt der abgelehnte Richter aus:

„Den Parteien des hiesigen Sammelverfahrens wird mitgeteilt, dass dem 16A-Senat bis heute keine einzige Verfahrensakte aus den unter den o.g. Aktenzeichen Rechtsstreiten vorgelegen hat.“

Dabei handelt es sich zwar um eine Tatsache, allerdings ist diese ersichtlich nicht geeignet, dem Beschwerdegericht als Entscheidungsgrundlage zu dienen, da jenes den Umfang der ihm vorliegenden Akten gekannt (und – zutreffend oder nicht – als ausreichend bewertet) hat. Auch kann damit weder der Beklagten erleichtert werden, die von ihr als Ablehnungsgrund vorgebrachten Tatsachen glaubhaft zu machen, noch kann dies dazu dienen, eine etwaige Besorgnis der Befangenheit zu entkräften. Welche Akten das Beschwerdegericht in einem Ablehnungsverfahren zur Kenntnis genommen hat, spielt für die Entscheidung eines anderen – selbst gleichgelagerten – Ablehnungsverfahrens – selbst im Falle anderer zuständiger Richter – keine Rolle. Die Äußerung legt vielmehr den Gedanken nahe, dass dem Beschwerdegericht vorgeworfen werden soll, es habe nicht ordnungsgemäß gearbeitet.

Nach dem Hinweis auf eine E-Mail des Berichterstatters des Beschwerdegerichts an den Vorsitzenden der Kammer des abgelehnten Richters mit der Bitte um Übersendung der dienstlichen Stellungnahme im Verfahren 3 O 254/18, da ihm diese Akte nicht vorliege, führt der abgelehnte Richter weiter aus:

„Soweit der 16A-Senat von einer Verletzung des Beibringungsgrundsatzes ausgeht, d. h. der Grundsatz der Parteiverantwortlichkeit für den Tatsachenstoff, steht aufgrund der E-Mail vom 19. Juni 2020 fest, dass die dort handelnden Personen nie die Akten samt teils individuellen Hinweisverfügungen gesehen geschweige denn studiert haben. Eine Prüfung der behaupteten Verletzung des Beibringungsgrundsatzes hat es durch den Senat nicht gegeben.“

Der abgelehnte Richter beschränkt sich mithin nicht auf die Tatsachenebene (oder wenigstens deren rechtliche Bewertung), sondern verlässt spätestens hierbei eine sachliche und tatsachenbezogene Befassung mit dem Ablehnungsgesuch. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an der Formulierung „geschweige denn“. Schließlich wirft der abgelehnte Richter dem Beschwerdegericht ausdrücklich vor, es habe die Begründung einer Verletzung des Beibringungsgrundsatzes, mit der es die Besorgnis der Befangenheit bejaht habe, nicht ordnungsgemäß geprüft. Insoweit spielt keine Rolle, was der abgelehnte Richter tatsächlich mit seinen Äußerungen bezweckt hat; maßgeblich ist allein die Sicht eines objektiven Betrachters an der Stelle der Beklagten.

Dabei wird nicht verkannt, dass es grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, wenn ein Gericht die Entscheidungen anderer Gerichte kritisiert; die Meinung anderer kritisch zu hinterfragen, ist geradezu eine der wichtigsten Aufgaben eines unabhängigen Gerichts. Dies gilt nicht zuletzt auch bezüglich im Instanzenzug übergeordneter Gerichte, da dies einer Überprüfung, Fortentwicklung und Neuausrichtung der Rechtsprechung dienen kann. Selbst wenn im konkreten Fall eine Bindungswirkung besteht, ist ein Gericht nicht gehalten, die Entscheidung des übergeordneten Gerichts inhaltlich gutzuheißen.

Hierum geht es indes nicht und dies ändert daher nichts an der Beurteilung des vorliegenden Falles. Eine dienstliche Äußerung eines Richters zu einem Ablehnungsgesuch ist zwar zum engeren Bereich der richterlichen Tätigkeit zu rechnen (vgl. BGH, Dienstgericht des Bundes, Urteil vom 18. April 1980 – RiZ (R) 1/80, juris, Rn. 11), aber dennoch insoweit nicht mit einer richterlichen Entscheidung zu vergleichen. Sinn der dienstlichen Äußerung ist die Klärung des Sachverhalts und nicht die rechtliche Würdigung des Ablehnungsgesuchs (s. o.), insbesondere nicht eine Kritik anderweitiger Rechtsprechung; dies gilt zumal, wenn in der kritisierten Entscheidung die Besorgnis der Befangenheit eben des sich äußernden Richters für begründet erklärt wurde und jener sich darüber hinaus nicht nur mit der Beantwortung abstrakter Rechtsfragen, sondern mit der konkreten Sachbehandlung des gegen ihn gerichteten Befangenheitsgesuchs befasst. Die Sachlage wäre hier im Übrigen nicht anders, wenn statt des Beschwerdegerichts die zur Entscheidung über das Befangenheitsgesuch berufene Kammer des Landgerichts die Besorgnis der Befangenheit bejaht und der abgelehnte Richter sich hierzu in entsprechender Weise geäußert hätte.

ee) Zusammenfassend ist festzuhalten: Der abgelehnte Richter hat in einem von der Beklagten angestrengten Ablehnungsverfahren seine bereits erfolgte dienstliche Stellungnahme viele Monate später unaufgefordert ergänzt, darin Stellung zu einem Beschluss genommen, mit dem in einem Parallelverfahren gegen die Beklagte aufgrund eines gleichgelagerten Ablehnungsgesuchs der Beklagten abschließend die Besorgnis seiner Befangenheit für begründet erklärt worden war und sich dabei nicht auf eine Klarstellung von aus seiner Sicht falsch verstandenen Tatsachen oder seine rechtliche Einschätzung beschränkt. Er hat darüber hinaus eine Tatsache mitgeteilt, die ersichtlich nicht geeignet war, als Grundlage für die Entscheidung über das (noch nicht beschiedene) Ablehnungsgesuch zu dienen, und hat sich zudem, die Grenzen einer sachlichen und tatsachenbezogenen Befassung mit dem Ablehnungsgesuch überschreitend, zu der Ordnungsgemäßheit der Prüfung des Befangenheitsgesuchs geäußert.

Angesichts dessen war aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Betrachters an Stelle der Beklagten aufgrund der Äußerung vom 5. Juli 2020 – zu deren Zeitpunkt sie den abgelehnten Richter in einem Parallelverfahren mit einem gleichgelagerten Befangenheitsgesuch erfolgreich abgelehnt hatte, weil ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters aus der Sicht der Beklagten gerechtfertigt sei – bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass zu berechtigten Zweifeln an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des abgelehnten Richters gegeben. Ob diese Äußerung aus Sicht der Beklagten die Sorge begründen kann, der abgelehnte Richter stehe ihr per se – als juristischer Person – voreingenommen gegenüber, ist hier unerheblich; jedenfalls ist eine solche Sorge für Verfahren, die wie das vorliegende ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Gegenstand haben, nicht unbegründet, da die dortige – erfolgreiche und vom abgelehnten Richter angegriffene – Ablehnung seitens der Beklagten (auch) einen allgemeinen Bezug zu den „Dieselverfahren“ gegen die Beklagte insgesamt gehabt hatte und gerade insoweit auch erfolgreich gewesen war.

ff) Auf die Umstände der Übersendung der Äußerung an die Parteien kommt es daher nicht mehr an. Dasselbe gilt für die übrigen von der Beklagten geltend gemachten Ablehnungsgründe, wobei die Beklagte den Beschluss des Einzelrichters, mit dem ihr auf die Selbstentscheidung gestütztes Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen wurde, bereits nicht angefochten hat.

III.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Bei einer – wie hier – erfolgreichen Beschwerde handelt es sich bei den Kosten der Beschwerde um solche des Rechtsstreits (vgl. MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, § 46, Rn. 14, m. w. N.).

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