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Richterausschluss nicht durch verbale Angriffe möglich

Landessozialgericht Rheinland-Pfalz

Az.: L 3 B 126/08 AS

Urteil vom 06.05.2008


Entscheidung:

1. Die Gesuche des Klägers und Antragstellers, die Richterin am Sozialgericht Dr. B… wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, werden zurückgewiesen.

2. Die Selbstanzeigen der Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz, Richterin am Sozialgericht Dr. B…, wegen Besorgnis der Befangenheit werden für unbegründet erklärt.

Gründe:

I.

Vor der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz, deren Vorsitzende Richterin am Sozialgericht Dr. B… ist, sind zehn Klageverfahren und ein Verfahren gerichtet auf einstweiligen Rechtsschutz in Angelegenheiten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) des Klägers und Antragstellers anhängig.

Nachdem die Vorsitzende der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz sämtliche in der 6. Kammer anhängigen Rechtsstreitigkeiten des Klägers und Antragstellers für den 15.04.2008 terminiert hatte, hat dieser in sämtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 14.04.2008 um Terminsverlegung gebeten. Zur Begründung hat er vorgetragen, er wohne nicht in Mainz, sondern sei umgezogen und offensichtlich sei der Nachsendeantrag nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden. Er habe erst verspätet Kenntnis von dem Termin erhalten. Es sei ihm unmöglich, innerhalb der kurzen Zeit den Termin vorzubereiten. Er sei im Übrigen erkältet und es sei ein grippaler Infekt möglich, der die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unmöglich machen könne. Er habe eine Arbeitsstelle, bei der er nun sehr kurzfristig um Urlaub nachsuchen müsste. Wenn ihm die zwei Urlaubstage nicht genehmigt würden, sei ihm sein Erscheinen nicht möglich. Ein Großteil des Beweismaterials finde sich noch im Chaos des Umzugs. Der Termin sei insgesamt derzeit nicht günstig. Sein Vater habe sich vor Kurzem das Leben genommen, so dass eine gewisse familiäre Belastung bestehe. Sein Misstrauensantrag gegen das Sozialgericht Mainz, der durch Beschluss des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz abgelehnt worden ist, sei bisher nicht „sinnig“ bearbeitet worden. Die Tatsache, dass er den Namen des Vorsitzenden Richters nicht habe nennen können, basiere darauf, dass er ihm nicht genannt worden sei. Dies ändere jedoch nichts am grundsätzlich „amtsanarchistischen, grundsätzlich ungesetzlichen Verhalten“ des Gerichtes und damit an der absolut gerechtfertigten Begründung des Misstrauens. „Gesetzwidrig“ sei z. B. das Vorgehen des Gerichts, seinen Eilantrag aus Oktober 2007 nicht zu bearbeiten. Wäre es nach den Interessen des Gerichts gegangen, so wäre er im Januar 2008 obdachlos geworden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung im Verfahren S 6 AS 586/06 hat der Kläger erklärt, er sehe im Gericht und in der Vorsitzenden persönlich einen „Dreck der Gesellschaft“, weil sie Körperschädigungen toleriere und aktiv fördere. Nach den Ausführungen im Protokoll des Termins der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2008 in der Sache S 6 AS 586/06 hat er dem Gericht und der Vorsitzenden die Anwendung körperlicher Gewalt angedroht.

In diesem Termin hat der Kläger und Antragsteller in Bezug auf sämtliche Verfahren, die bei der 6. Kammer anhängig sind, gegen die Richterin am Sozialgericht Dr. B       einen Befangenheitsantrag gestellt.

Die Verfahren S 6 AS 587/06, S 6 AS 588/06, S 6 AS 436/07, S 6 AS 456/07, S 6 AS 583/07, S 6 AS 34/08, S 6 S 35/08, S 6 AS 36/06, S 6 AS 37/08 und S 6 ER 278/07 AS sind daraufhin am 15.04.2008 nicht mehr aufgerufen worden.

In einer dienstlichen Äußerung vom 17.04.2008 hat die Richterin am Sozialgericht Dr. B       ausgeführt, sofort nach Aufruf des ersten Verfahrens habe der Kläger angegeben, dass es sich bei der Vorsitzenden „um einen Dreck der Gesellschaft“ handele. Er habe sich weiterhin mit bereits begangenen Körperverletzungshandlungen gebrüstet und der Vorsitzenden angedroht, ihr den Unterkiefer zu brechen. Im Hinblick auf diese Äußerungen und das Verhalten des Klägers sei es ihr unmöglich, die Verfahren des Klägers unbefangen weiterzuführen. Das Verhalten des Klägers habe das Maß des Hinnehmbaren überschritten.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verfahrensakten. Er ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die Ablehnungsgesuche des Klägers und Antragstellers sind unbegründet.

Gemäß § 60 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen darf, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, ist dagegen nicht Maßstab der Prüfung. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist also nicht erforderlich; es genügt schon der „böse Schein“ der Parteilichkeit, d. h. der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Insbesondere kann das Verhalten des Richters im Prozess die Besorgnis der Befangenheit begründen.

Vorliegend sind in keinem der anhängigen Verfahren Gründe ersichtlich, die die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Dem Kläger und Antragsteller ging es offensichtlich lediglich darum, die für den 15.04.2008 angesetzten Termine zu verhindern. Dies ergibt sich auch aus seinen Ausführungen zur möglichen Bettlägerigkeit und möglicherweise nicht erteiltem Urlaub. Auch das Vorgehen der Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz im Eilverfahren und in den anhängigen Klageverfahren begründet entgegen der Auffassung des Klägers keine Besorgnis der Befangenheit. Soweit der Kläger behauptet, dass das Eilverfahren nicht bearbeitet worden sei, ist dies nicht zutreffend.

Die Selbstanzeigen der Besorgnis der Befangenheit durch die Vorsitzende der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz, sind unbegründet und führen nicht zu ihrem Ausschluss von der weiteren Bearbeitung der Klageverfahren und des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.

Die Voraussetzungen für die Selbstanzeige eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 60 Abs 1 S 1 SGG iVm § 48 ZPO) entsprechen denen bei Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit durch einen Beteiligten. Diese liegen bei der Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht vor.

In der Regel reichen verbale Angriffe eines Beteiligten während eines laufenden Gerichtsverfahrens gegen den amtierenden Richter nicht aus, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Denn  andernfalls hätte es ein Beteiligter in der Hand, auf diese Weise den zuständigen Richter von der Bearbeitung bzw. Mitwirkung an seinem Verfahren auszuschalten (vgl. hierzu OLG Dresden, Beschluss vom 08.08.2001 – 10 Abl 19/01 m. w. N.). Zum Amt des Richters gehört es, mit schwierigen auch gegen ihn gerichteten beleidigenden Äußerungen und ggf. auch Drohungen umzugehen. Mit dem institutionellen Schutz seiner Unabhängigkeit korrespondiert die Verpflichtung, die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit auch dann zu verwirklichen, wenn äußere Einflüsse dies erschweren. Grundsätzlich ist der unabhängige Richter selbst in schwierigen Situationen gefordert, nach den ihm vom Gesetz vorgegebenen Maßstäben seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu erhalten. Dieses Verständnis von der Rolle des Richters im Spannungsfeld der Kritik und der Angriffe auf sein Verhalten gehört auch zum Horizont eines objektiven und vernünftig denkenden Beteiligten (vgl. OLG Dresden, a.a.O.).

Zweifellos liegen beleidigende Äußerungen vor, wenn der Kläger und Antragsteller davon spricht, dass es sich u. a. bei der Richterin „um einen Dreck der Gesellschaft“ handele. Diese richten sich aber letztlich nicht gegen die Person der Richterin am Sozialgericht Dr. B      , sondern sie gelten dem Amt. Auch wenn sie heftig vorgetragen werden, sind sie ähnlich wie die weiteren haltlosen und unbegründeten Anwürfe jedoch nicht derart gravierend, dass sie die Besorgnis begründen, die Richterin werde den Anliegen der Beteiligten nicht mehr unvoreingenommen gegenüberstehen.

Zwar hat der Antragsteller und Kläger seine beleidigenden Äußerungen auch mit Drohungen begleitet. Er hat insoweit körperliche Gewalt angedroht und geäußert, er werde der Vorsitzenden den Unterkiefer brechen. Nach den Gesamtumständen handelt es sich jedoch um Äußerungen mit erheblicher Emotionalität, die sich gegen die Justiz richten, die im Fokus seiner Kritik steht. Nach dem Vermerk der Richterin am Sozialgericht Dr. B       und den Ausführungen im Protokoll über die mündliche Verhandlung in dem Rechtsstreit S 6 AS 586/06 sowie den Gesamtumständen ist davon auszugehen, dass der Kläger eine Drohkulisse aufbauen will, um seine Ziele zu erreichen. Der dienstlichen Äußerung der Richterin am Sozialgericht Dr. B       ist zwar zu entnehmen, dass sie nicht völlig unbeeindruckt von den Äußerungen des Klägers ist, gleichwohl findet sich kein Hinweis, dass sie sich durch die Ausführungen derart eingeschüchtert fühlt, dass sie in der Sache nicht mehr unvoreingenommen entscheiden kann. Ihre Auffassung, das Verhalten des Klägers und Antragstellers habe das Maß des Hinnehmbaren überschritten, ist insoweit zutreffend, als es nach entsprechenden Vorkehrungen zum Schutz der Richterin durch den Dienstherrn verlangt und gegebenenfalls einer strafrechtlichen Prüfung zuzuführen ist. Alleine aus deren Notwendigkeit ergibt sich jedoch kein Anhaltspunkt für eine Voreingenommenheit in der Sachentscheidung; eine solche hat die Richterin auch nicht vorgetragen.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

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