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Rote Ampel „überfahren“ aufgrund eines neuen Autos

Bayerisches Oberstes Landesgericht

Az.: 1 ObOWi 501/00

Beschluss vom 27.10.2000


BESCHLUSS

Der 1.Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat in dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit nach Anhörung des Betroffenen am 27.Oktober 2000 b e s c h l o s s e n:

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 17.April 2000 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht München zurückverwiesen.

G r ü n d e

I.

Am 17.4.2000 hat das Amtsgericht München den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage zu einer Geldbuße von 500 DM verurteilt, nachdem der Betroffene seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 29.10.1999, in dem wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes eine Geldbuße von 250 DM sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats festgesetzt worden waren, in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte. Das Amtsgericht hat ausgeführt, durch die wirksame Einspruchsbeschränkung stehe rechtskräftig fest, daß der Betroffene „am 24.9.1999 gegen 17.30 Uhr als Führer des Pkw’s BMW mit dem amtlichen Kennzeichen fahrlässig ein Rotlicht übersehen und gleichzeitig einen anderen geschädigt hat.“

Das Absehen von einem Fahrverbot hat das Amtsgericht wie folgt begründet: „Der Betroffene wendet sich insbesondere gegen das Fahrverbot. Er habe bei Rotlicht angehalten. Sein Pkw sei mit einer Automatikschaltung ausgestattet gewesen. Er sei ganz langsam über die Haltelinie gerollt und habe diese zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes etwa einen Meter bis 1,50 Meter überfahren gehabt. Es habe sich um einen Pkw von der Mietwagenfirma S gehandelt, der ihm nicht so vertraut gewesen sei.

Die Zeugin L bestätigte die Angaben des Betroffenen. Sie sei von der linken Spur nach links abgebogen und habe ihr Fahrzeug nach links hinübergelenkt. Der Pkw des Betroffenen sei nicht sehr weit über die Haltelinie hin übergefahren gewesen. Sie sei nicht so wie auf der Skizze, Blatt 15 der Akten eingezeichnet, gefahren.

Der Zeuge S , der als Polizeibeamter am Unfallort war, konnte zur Zusammenstoßstelle keine Angaben machen. Die Fahrzeuge seien bereits entfernt gewesen. Bei dieser Sachlage kann das Verschulden des Betroffenen als geringfügiger angesehen werden. Grundsätzlich hat er das Rotlicht beachten wollen. Zur Einwirkung auf den Betroffenen ist deshalb die Verhängung eines Fahrverbots nicht erforderlich. Die Verdoppelung der Geldbuße auf einen Betrag von 500 DM reicht hier aus.“

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit welcher sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und die Nichtanordnung eines Fahrverbots beanstandet.

II.

Das statthafte (§ 79 Abs.1 Satz 1 Nr.3 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Amtsgericht zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist, wie die vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, 44.Aufl., § 352 Rn.4). Den Feststellungen zufolge hat der Betroffene geltend gemacht, daß er mit dem von ihm gesteuerten Mietwagen nicht so vertraut gewesen sei, was bedeutet, daß der Betroffene auch die Schuld und den Schuldumfang angegriffen hat. In einem solchen Fall darf eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung nicht angenommen werden (BGHSt 29, 359/365; 33, 59; BGH NStZ 1994, 130).

Infolge der unwirksamen Einspruchsbeschränkung hätte das Amtsgericht auch den Schuldspruch im vollem Umfang nachprüfen und eindeutige Feststellungen insbesondere dazu treffen müssen, mit welchen Fahrzeugen der Betroffene vertraut ist und aus welchem Grund der Betroffene mit dem von ihm gesteuerten Mietwagen trotz Rotlicht über die Haltlinie rollte. Das hat das Amtsgericht versäumt.

2. Aber auch der Rechtsfolgenausspruch konnte nicht bestehen bleiben, weil gegen die Annahme des Amtsgerichts, das Verschulden des Betroffenen sei unter den geschilderten Umständen „als geringfügiger“ anzusehen, weshalb zur Einwirkung auf den Betroffenen die Verhängung eines Fahrverbots nicht erforderlich sei, durchgreifende Bedenken bestehen.

Die Verhängung eines Fahrverbots als Regelfolge nach § 2 Abs.1 Satz 1 Nr.4 BKatV war, wie auch das Amtsgericht zutreffend gesehen hat, hier in Betracht zu ziehen. Die Erfüllung eines der Tatbestände des § 2 Abs.1 Satz 1 Nr.1 bis 4 BKatV indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinn von § 25 Abs.1 Satz 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, daß es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (BGHSt 38, 125/134). Nur in Einzelfällen kann von einem Fahrverbot abgesehen werden, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, daß der Einzelfall als Ausnahmefall zu werten ist. Zwar steht dabei dem Tatrichter ein gewisser, der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogener Wertungsspielraum zu, jedoch sind diesem wegen der erforderlichen Gleichbehandlung und Rechtssicherheit sowie im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit enge Grenzen gesetzt (zum Ganzen BayObLGSt 1994, 56/58).

Bei einem Rotlichtverstoß ist deshalb stets zu prüfen, ob der konkrete Fall Besonderheiten in objektiver oder subjektiver Hinsicht aufweist, die ihn gemessen an den vom Verordnungsgeber ins Auge gefaßten typischen Begehungsweisen als Ausnahme erscheinen lassen, so daß es nicht angezeigt ist, mit einem Fahrverbot auf den Fahrzeugführer einzuwirken (BayObLGSt 1998, 194/195).

Soweit das Amtsgericht von einem solchen Ausnahmefall in subjektiver Hinsicht ausgeht, der ein Abweichen vom Regelfahrverbot rechtfertige, fehlt es dafür an ausreichend geeigneten Feststellungen, die das Verhalten des Betroffenen als erhebliche Abweichung vom Normalfall kennzeichnen. Weder daß der Betroffene mit einem Mietwagen unterwegs war, noch daß der Betroffene nur langsam in den Kreuzungsbereich eingefahren ist und zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes die Haltlinie etwa ein bis 1,5 Meter überfahren hatte, rechtfertigen es von der Anordnung eines Fahrverbots abzusehen.

Maßgeblich für das Vorliegen eines Ausnahmefalls in subjektiver Hinsicht ist, in welchem Umfang dem Betroffenen das Mißachten des Rotlichts zum Vorwurf gemacht werden kann. Zwar hat der Betroffene durch das Anhalten seinen Willen dokumentiert, dem Rotlicht Folge zu leisten. Allerdings war er nicht in der Lage, den von ihm gesteuerten Pkw sofort zum Stillstand abzubremsen, als er sich langsam über die Haltlinie in Bewegung setzte. Dies aber war eine Folge der groben Pflichtwidrigkeit, die vorlag, als sich der Betroffene entschloß, im Großstadtverkehr von München mit seinen erhöhten Anforderungen – gerade auch mit Blick auf die Beherrschung des gesteuerten Fahrzeugs – einen Pkw zu führen, der ihm „nicht vertraut“ war (grundlegend zur fahrlässigen Tätigkeitsübernahme – LK-Schroeder, 11.Aufl., § 16 Rn.140 ff.). Zu welchen Folgen es bei mangelnder Beherrschung des geführten Pkw’s kommen kann, zeigt der vom Betroffenen verursachte Unfall mit nicht unerheblichen Sachschaden.

3. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nicht selbst über den Rechtsfolgenausspruch entscheiden. Im vorliegenden Fall kann nicht ausgeschlossen werden, daß weitere Feststellungen getroffen werden können, die ein Fahrverbot als außergewöhnliche Härte erscheinen ließen, welche auch nicht durch zumutbare Maßnahmen des Betroffenen, z.B. durch Inanspruchnahme von Urlaub, vermindert werden könnte. Solche weitere Feststellungen hat das Amtsgericht ersichtlich deshalb unterlassen, weil es nicht von einem Regelfahrverbot ausgegangen ist und damit auch nicht von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist hiernach das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs.3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO).

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht München zurückverwiesen (§ 79 Abs.6 OWiG).

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