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Rotlichtverstoß – Absehen vom Fahrverbot

OLG Hamm

Az: 1 Ss OWi 362/01

Beschluss vom: 08.05.2001


Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 12. Februar 2001 gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 8. Februar 2001 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 08.05.2001 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 37 Abs. 2 StVO zu einer Geldbuße in Höhe von 800,00 DM verurteilt. Es hat dazu unter anderem folgende Feststellungen getroffen:

„Der Betroffene befuhr am 19.10.2000, einem Donnerstag, mit seinem Pkw der Marke Daimler Benz Vito mit dem amtlichen Kennzeichen SI-XX in Siegen die Berliner Straße aus Richtung Bahnhof kommend in Richtung HTS, Abfahrt City. Um 06.54 Uhr wollte er an der Einmündung der Berliner Straße in die Berliner Straße/Abfahrt City-Galerie zunächst an der dort befindlichen Ampelanlage nach rechts zur HTS-Auffahrt abbiegen. Er ordnete sich an der Ampelanlage, die zwei Lichtzeichenanlagen für den rechten abbiegenden und für den links abbiegenden Verkehr hat, auf der rechten Fahrspur ein, um rechts abzubiegen. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Ampelanlage Grünlicht für den rechts abbiegenden Verkehr und Rotlicht für den links abbiegenden Verkehr. Der Betroffene wechselte unmittelbar vor der Ampelanlage auf die linke Fahrspur und fuhr in den Einmündungsbereich ein, um nach links in Richtung Berliner Straße/Kochs-Ecke abzubiegen. Dabei beachtete der Betroffene das für den links abbiegenden Verkehr anzeigende Rotlicht der Lichtzeichenanlage nicht. Die Ampelanlage hatte bereits einige Sekunden Rotlicht für den Betroffenen gezeigt, als dieser mit seinem Pkw die Haltelinie vor der Ampelanlage überquerte. Als der Betroffene in den Einmündungsbereich einfuhr, waren gerade die Fahrzeuge des Querverkehrs angefahren und mussten abrupt anhalten, um eine Kollision mit dem Fahrzeug des Betroffenen zu vermeiden.“

Das Amtsgericht hat dieses Verhalten als qualifizierten Rotlichtverstoß mit Straßenverkehrsgefährdung gemäß §§ 1 Abs. 2, 37 Abs. 2 StVO gewertet und dazu ausgeführt, dass der bundeseinheitliche Bußgeldkatalog „für ein Rotlichtverstoß, bei dem die Rotphase bereits länger als eine Sekunde angezeigt war und mit Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer“ verbunden sei eine Regelgeldbuße von 400,00 DM und einen Monat Fahrverbot vorsehe. Das Amtsgericht hat sodann mit folgenden Erwägungen von der Verhängung eines Fahrverbots unter Erhöhung der Regelgeldbuße auf 800,00 DM abgesehen und dazu folgendes ausgeführt:

„Von diesem indizierten Fahrverbot kann jedoch dann abgesehen werden, wenn in der Tat oder in der Person des Täters Besonderheiten vorliegen, wenn sich im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht ergibt, dass das Gesamtbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maße abweicht, dass das Fahrverbot eine unverhältnismäßige Reaktion wäre. So liegt es hier vor. Der Betroffene hat sich unwiderlegt dahingehend eingelassen, dass er aus Verwirrung die für ihn maßgeblich Rotlicht zeigende Ampelanlage übersehen habe. Gemäß OLG Hamm, NZV 1995, 82, ist dann von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen, wenn der Betroffen grundsätzlich gewillt war, sich den Verkehrsvorschriften entsprechend zu verhalten und der Rotlichtverstoß auf eine Augenblickversagen zurückzuführen ist. Der Betroffene hat das Rotlicht der Lichtzeichenanlage nur deshalb missachtet, weil er die für den rechts abbiegenden Straßenverkehr maßgebliche Ampelanlage mit der Ampelanlage verwechselte, die für den links abbiegenden Verkehr galt.“

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er unter näheren Ausführungen beantragt, auf „eine Geldbuße von nicht mehr als 400,00 DM“ zu erkennen.

Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sowie zur Zurückverweisung an das Amtsgericht. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen eine Erhöhung der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Geldbuße nicht. Haben nämlich die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Fahrverbotes nicht vorgelegen, weil dem Betroffenen gegebenenfalls leichte Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, so kommt auch eine Erhöhung der Geldbuße zum Ausgleich für das Unterbleiben der Nebenfolge nicht in Betracht.

Auch nach dem Inkrafttreten der Bußgeldkatalogverordnung vom 4. Juli 1989 (Bundesgesetz Bl. I Seite 1305 i.V.m. Seite 1447) ist § 25 StVG die alleinige Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrverbotes wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (BGHSt 38, 125, 127). Nach dieser Vorschrift kann ein Fahrverbot unter anderem dann verhängt werden, wenn der Betroffene eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG unter grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugsführers begangen hat. Die Annahme einer groben Pflichtverletzung setzt zunächst voraus, dass der Zuwiderhandlung in objektiver Hinsicht Gewicht zukommt. Hinzu kommen muss aber auch, dass der Täter in subjektiver Hinsicht besonders Verantwortungslos handelt. Eine grobe Pflichtverletzung kann ihm deshalb nur dann vorgehalten werden, wenn seine wegen ihrer Gefährlichkeit objektiv schwerwiegendere Zuwiderhandlung subjektiv auf groben Leichtsinn, grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit zurück geht (BVerfG DAR 96, 196). Diese Einschränkung folgt schon aus dem Begriff der groben Pflichtverletzung, der verglichen mit dem der Fahrlässigkeit – die für die Verhängung eines Bußgeldes ausreicht – ein gesteigertes Maß an Verantwortlichkeit auch in subjektiver Hinsicht enthält. Nur dann bedarf es auch des Fahrverbots als in „eindringliches Erziehungsmittel“ und „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme“. Das ist nicht der Fall, wenn ein Verkehrsteilnehmer infolge eines Augenblickversagens fahrlässig eine – objektiv schwerwiegende – Verkehrsordnungswidrigkeit begeht, die nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft. In diesem Fall sind weitere „Denkzettel- und Besinnungsmaßnahmen“ nicht angezeigt. In diesem Fall gebietet es das verfassungsrechtliche Übermaßverbot und der Schuldgrundsatz, den Begriff der groben Fahrlässigkeit nur auf solche Verhaltensweisen zu erstrecken, die auch subjektiv als besonders verantwortungslos gewertet werden können.

Liegen aber danach die gemäß § 25 StVG erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes nicht vor, so kommt auch eine Erhöhung der Geldbuße nicht in Betracht, auch wenn die Zuwiderhandlung objektiv schwerwiegend war (vgl. Senatsbeschluss vom 13. August 1998 – 1 Ss OWi 754/98 OLG Hamm; OLG Jena, DAR 95, 209; Hentschel, NZV 97, 527). Das Amtsgericht hätte deshalb – wenn es eine grobe Pflichtverletzung in subjektiver Hinsicht nicht gegeben ansieht. Von einer Erhöhung der in der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehenen Geldbuße von 400,00 DM absehen müssen. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben.

Dem Senat war eine eigene Entscheidung in der Sache indes verwehrt, da die Feststellungen des Amtsgerichts die Annahme von leichter Fahrlässigkeit (Augenblicksversagen) bislang nicht hinreichend tragen.

Auch hinsichtlich des subjektiven Elements der groben Pflichtverletzung enthalten die Regelbeispiele der Bußgeldkatalogverordnung durchweg eine gewichtige – nur ausnahmsweise auszuräumende – Indizwirkung. Der Amtsrichter darf deshalb nur dann eine grobe Pflichtverletzung verneinen, wenn er aufgrund besonderer Umstände diese Indizwirkung als erschüttert angesehen hat. In der Regel ist davon auszugehen, dass eine ordnungsgemäß aufgestellte Lichtzeichenanlage von dem Betroffenen Verkehrsteilnehmern auch wahrgenommen wird. Das gilt ersichtlich auch für die Anlage, deren Rotlicht der Betroffene missachtet hat. Wenn aber ein ortsunkundig Betroffener erst kurz vor dem Einmündungsbereich erkennt, dass er sich fehlerhaft eingeordnet hat, so ergeben sich daraus auch besondere Sorgfaltspflichten, die der Betroffene im Falle einer spontanen Änderung der Fahrtrichtung zu beachten hat. Keinesfalls ergibt sich daraus eine Berechtigung, ohne weitere Beachtung verkehrsregelnder Lichtzeichen in den Kreuzungsbereich einzufahren. Nach alledem bedarf es hier weiterer Feststellungen, um die Annahme eines „Augenblicksversagens“ zu rechtfertigen. Zwar kommt die Anordnung eines Fahrverbotes aufgrund des Verschlechterungsverbotes nicht mehr in Betracht, verneint das Amtsgericht jedoch das Vorliegen nur leichter Fahrlässigkeit, so sind grundsätzlich die Voraussetzungen des § 25 StVG erfüllt, so dass auch dann eine Erhöhung der Geldbuße in Betracht kommt. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

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