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Rückabwicklung diverser Faksimilekäufe aus abgetretenem Recht

LG Bielefeld – Az.: 3 O 243/19 – Urteil vom 17.10.2022

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 34.894,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.07.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung folgender Faksimiles zu zahlen:

  • „Dantes Divina Commedia“ Exemplar 89/150,
  • „Die Bibel des Patricius Leo“ Exemplar 322/499,
  • „Leonardo da Vinci Zeichnungen“ Exemplar 71/950,
  • „Das höfische Duett“ Exemplar 514/888,
  • „Wunderbare Tierwelt“ Exemplar 1297/1499,
  • „Die 4 Evangelisten“ Exemplar 79/599,
  • „Mathäus Merian Kupferbibel Biblia 1630 — Neues Testament“ Exemplar 11/999,
  • „Leonardo da Vinci II“ Exemplar 208/950 und
  • „Der Ptolemäische Prachtatlas“ Exemplar 97/250.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.07.2019 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagten gegen die Zedentin Z. aus den Kaufverträgen zu den Auftragsbestätigungen Nr. 56988 und Nr. 56900 vom 29.11.2017 keine Zahlungsansprüche mehr zustehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 17 Prozent und die Beklagte zu 83 Prozent.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Zusammenfassung

Faksimile
(Symbolfoto: Plateresca/Shutterstock.com)

Eine Rentnerin hat von einer gewerblichen Verkäuferin von Faksimiles neun historische Bücher im Wert von 46.890 Euro gekauft. Die Klägerin, welche die Rentnerin unterstützt, behauptet, dass es sich um Wuchergeschäfte handele und die Faksimiles wertlos seien. Die Rentnerin soll von der Verkäuferin, welche sich als Mitarbeiterin des Buchclubs „Der Club“ der D.-Gruppe vorgestellt hat, überfordert worden sein und in einer Überforderungssituation befunden haben. Außerdem sei sie nicht über ihr Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden. Die Klägerin fordert von der Verkäuferin eine Rückzahlung von 44.344 Euro sowie die Rückabwicklung der Kaufverträge. Die Beklagte weist die Vorwürfe zurück und behauptet, dass die Rechtsgeschäfte nicht wegen Wuchers nichtig seien. Außerdem habe die Rentnerin in den Beratungsprotokollen bestätigt, dass sie sich bewusst sei, dass es sich nicht um ein Finanzanlageprodukt handle. Das Gericht hat Beweis erhoben und ein schriftliches Gutachten sowie die Vernehmung einer Zeugin eingeholt.

Das Gericht sprach ihr einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 10.000 Euro zu. Zudem hat die Klägerin auch das Faksimile „Die wunderbare Tierwelt“ erfolgreich widerrufen. Das Gericht geht davon aus, dass der Kundin kein Muster-Widerrufsformular in Papierform ausgehändigt wurde. Die Beklagte kann daher nicht nachweisen, dass die Kundin den Widerruf nicht fristgerecht erklärt hat. Die Kundin muss die Faksimiles zurückgeben, kann aber den Kaufpreis zurückfordern. Die Beklagte kann ein Zurückbehaltungsrecht an dem Kaufpreis ausüben, wenn die Kundin die Faksimiles nicht zurückgibt. Die Klägerin konnte jedoch nicht beweisen, dass sie weitere Zahlungen von insgesamt 9.450 Euro geleistet hat. Daher wurde ihr nur eine Rückzahlung von 10.000 Euro zugesprochen. […]

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung diverser Faksimilekäufe aus abgetretenem Recht in Anspruch.

Die Beklagte handelt gewerblich mit sog. Faksimiles. Dabei handelt es sich um Nachbildungen historischer Schriften und Abbildungen, insbesondere aus dem Mittelalter.

Kaufvertragspartnerin der Beklagten war die Zedentin, Z.. Sie hat etwaige Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin abgetreten.

Am 26.06.2017 erhielt die Zedentin Besuch von der Zeugin U.. Die Einzelheiten des Gesprächs sind streitig. Unstreitig bot die Zeugin U. der Zedentin drei Faksimiles zum Kauf an: „Dantes göttliche Komödie“ („Dantes Divinia Commedia“) zum Preis von 9.999,00 Euro, „Die Bibel des Patricius Leo“ zum Preis von 2.999,00 Euro und „Leonardo da Vinci I“ („Leonardo da Vinci Zeichnungen“) zum Preis von 3.999,00 Euro. Die Zedentin erwarb diese drei Faksimiles über die Zeugin U. von der Beklagten.

Zur Finanzierung des Gesamtkaufpreises von 16.997,00 Euro beantragte die Zeugin U. über das Internetportal K.de für die Zedentin, die weder über einen Computer noch eine Emailadresse verfügte, einen Kredit über 22.000,00 Euro.

Am 28.06.2017 erschien die Zeugin U. erneut bei der Zedentin und bot ihr zwei weitere Faksimiles zum Kauf an: „Das höfische Duett“ zum Preis von 4.899,00 Euro und „Die wunderbare Tierwelt“ zum Preis von 2.998,00 Euro. Auch diese beiden Bücher erwarb die Zedentin daraufhin von der Beklagten.

Bis auf das Werk „Die wunderbare Tierwelt“ wurden alle Faksimiles am 25.08.2017 an die Zedentin ausgeliefert. „Die wunderbare Tierwelt“ erhielt die Zedentin am 29.09.2017.

Die fünf vorgenannten Faksimiles sind vollständig bezahlt.

Am 27.11.2017 suchte die Zeugin U. die Zedentin nochmals auf und bot ihr wiederum Faksimiles zum Kauf an: „Die vier Evangelisten“ zum Preis von 999,00 Euro, die „Bibel des Matthäus Merian“ („Matthäus Merian Kupferbibel Biblia 1630 – Neues Testament“) zum Preis von 2.499,00 Euro, „Leonardo da Vinci II“ zum Preis von 4.499,00 Euro und „Der Ptolemäische Prachtatlas“ zum Preis von 13.999,00 Euro. Auch diese Faksimiles erwarb die Zedentin. Für den Gesamtpreis von 21.996,00 Euro benötigte die Zedentin erneut einen Kredit, der ihr wiederum von der Zeugin U. bei der Postbank Hameln vermittelt wurde. Der Kredit in Höhe von 25.000,00 Euro wurde allerdings nicht an die Zedentin oder die Beklagte ausgezahlt, sondern zur Ablösung des im Juni 2017 über das Portal K.de abgeschlossenen Kredits genutzt.

Die Zedentin zahlte im Anschluss unstreitig einen Betrag in Höhe von insgesamt 10.000,00 Euro in Raten an die Beklagte. Die Klägerin behauptet, dass die Zedentin darüber hinaus auf die zuletzt erworbenen vier Faksimiles weitere Zahlungen in Höhe von insgesamt 11.1500,0 Euro an die Beklagte gezahlt habe und zwar wie folgt: Am 05.12.2017 will sie 1.700,00 Euro und am 07.02.2018 weitere 1.950,00 Euro auf ein von der Zeugin U. genanntes Konto sowie am 13.03.2018 noch einen Barbetrag in Höhe von 5.800,00 Euro an Frau U. zur Anrechnung auf ihre Kaufpreisschuld aus den vier zuletzt erworbenen Faksimiles gezahlt haben. Offen sei demnach nur noch ein Betrag in Höhe von 2.546,00 Euro.

Die Klägerin behauptet, dass es sich bei den von der Zedentin abgeschlossenen Geschäften um Wuchergeschäfte handele. Die erworbenen Faksimiles seien wertlos. Die Zeugin U. habe die Unerfahrenheit und Überforderungssituation der Zedentin ausgenutzt und einer Rentnerin innerhalb von fünf Monaten neun Faksimiles zu einem Preis von 46.890,00 Euro aufgeschwatzt. Das Werk „Leonardo da Vinci II“ habe sie der Zedentin sogar zweimal verkauft. Die Zeugin U. habe sich als Mitarbeiterin des Buchclubs „Der Club“ der D.-Gruppe vorgestellt, dem die Zedentin früher angehörte. Die Zedentin sei also davon ausgegangen, ohnehin zur Abnahme eines Buches verpflichtet zu sein. Die Zeugin U. habe außerdem wahrheitswidrig behauptet, dass es sich um limitierte Auflagen handele, die den Wert der Faksimiles steigern würden. Es handele sich um einen echte Wertanlage und eine sichere Alternative zu Bankanlagegeschäften. Die Bücher seien besonders hochwertig verarbeitet. Auch diese Angaben der Zeugin U. seien unrichtig, was dieser bekannt gewesen sei. Letztlich sei fraglich, ob es sich überhaupt um Neuware handelt, da – bis auf zwei Faksimiles („Bibel Matthäus Merian“ und „Leonardo da Vinci I“) – alle Faksimiles bereits in den 1980er Jahren vom Belser Verlag herausgegeben worden seien.

Über das ihr zustehende Widerrufsrecht sei die Zedentin nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Das Muster-Widerrufsformular sei der Widerrufsbelehrung nicht beigefügt gewesen und der Zedentin auch sonst nicht übergeben worden.

Nachdem die Klägerin, welche die Zedentin in Alltagsangelegenheit unterstützt, die Zedentin auf die behauptete Wertlosigkeit der Faksimiles hingewiesen hatte, hat die Zedentin am 20.09.2018 sämtliche Rechte inklusive aller Gestaltungsrechte aus allen Verträgen mit der Beklagten an die Klägerin abgetreten. Hinsichtlich der Einzelheiten der Abtretung wird auf die Anlage K9 zur Klageschrift Bezug genommen (Bl. 71 der Gerichtsakte).

Mit Anwaltsschreiben vom 27.09.2018 hat die Klägerin der Beklagten gegenüber sämtliche Kaufverträge wegen Wuchers, Eigenschaftsirrtums und arglistiger Täuschung angefochten und außerdem widerrufen und zur Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 44.344,00 Euro binnen zwei Wochen ab Zugang des Schreibens aufgefordert.

Die Beklagte hat etwaige Rückabwicklungsansprüche der Klägerin mit Schreiben vom 26.10.2018 zurückgewiesenen.

Mit ihrer am 25.07.2019 erhobenen Klage beantragt die Klägerin,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 44.344,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.10.2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übertragung des Eigentums an den Faksimiles

  • „Dantes Divina Commedia“ Exemplar 89/150,
  • „Die Bibel des Patricius Leo“ Exemplar 322/499,
  • „Leonardo da Vinci Zeichnungen“ Exemplar 71/950,
  • „Das höfische Duett“, Exemplar 514/888,
  • „Wunderbare Tierwelt“ Exemplar 1297/1499,
  • „Die 4 Evangelisten“ Exemplar 79/599,
  • „Matthäus Merian Kupferbibel Biblia 1630 — Neues Testament“ Exemplar 11/999,
  • „Leonardo da Vinci II“ Exemplar 208/950 und
  • „Der Ptolemäische Prachtatlas“ Exemplar 97/250 zu zahlen.

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme der in dem Antrag zu Ziffer 1. näher benannten Faksimiles seit dem 26.10.2018 in Annahmeverzug befindet;

3. festzustellen, dass der Beklagten gegen Frau Z. keine Ansprüche aus den Kaufverträgen zur den Auftragsbestätigungen Nr. 56988 und Nr. 56900 vom 29.11.2017 mehr zustehen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wendet sich zunächst gegen die Abtretung und ist der Ansicht, dass ein Austausch des Schuldners im Rahmen eines Schuldverhältnisses ohne Zustimmung des Gläubigers nicht zulässig sei. Darüber hinaus sei das Eigentum an den neun streitgegenständlichen Faksimiles nicht auf die Klägerin übergegangen, so dass sie die Übergabe- und Übereignungsverpflichtung aus einer etwaigen Zug-um-Zug-Verurteilung nicht erfüllen könne.

Die Rechtsgeschäfte seien im Übrigen nicht wegen Wuchers nichtig. Die Internetangebote würden nicht den tatsächlichen Wert der Werke wiedergeben. Die Nachfrage nach geschichtlichen Werken sei grundsätzlich vorhanden. Das Erkennen der Nachfrage nach wissenschaftlich interessanten Faksimiles sei jedoch nur mithilfe eines spezialisierten Vertriebes möglich, der konkrete Kenntnis darüber habe, welchen Personen man diese hochwertigen Faksimiles anbieten könne.

Im Übrigen habe man keine bestehende Schwäche bei der Zedentin ausgenutzt, so dass auch das subjektive Element des Wuchertatbestandes nicht erfüllt sei. In einer Zwangslage habe die Zedentin sich nicht befunden.

Die Zeugin U. habe sich auch nicht als Mitarbeiterin des Buchclubs vorgestellt.

Die Zedentin habe außerdem in den Beratungsprotokollen zu allen streitgegenständlichen Kaufverträgen ausdrücklich bestätigt, dass ihr bewusst sei, dass es sich bei den von ihr erworbenen Artikeln nicht um ein Finanzanlageprodukt handelt und dass die zukünftige Wertentwicklung aus individueller Nachfrage und Angebot resultiere.

Die Widerrufsfrist sei im Übrigen abgelaufen gewesen.

Hinsichtlich des Klageantrags zu Ziffer 3 sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Außerdem stünde aus dem Kaufvertrag bezüglich des Ptolemäischen Prachtatlasses noch ein restlicher Kaufpreisanspruch von 9.499,00 Euro und hinsichtlich der drei weiteren Faksimileerwerbe vom 27.11.2017 ein Restkaufpreis von 2.497,00 Euro offen. Die von der Klägerin behaupteten Überweisungen von 1.700,00 Euro und 1.950,00 Euro auf ein von der Zeugin U. angegebenes Konto und eine Barzahlung von 5.800,00 Euro habe die Beklagte nicht erhalten. Insoweit stünde der Beklagten noch ein restlicher Zahlungsanspruch gegen die Zedentin zu.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S. und die uneidliche Vernehmung der Zeugin U.. Eine Vernehmung der Zedentin als Zeugin war aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr möglich. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 17.02.2021 (Bl. 500 ff. der Gerichtsakte) und das Sitzungsprotokoll vom 22.08.2022 Bezug genommen (Bl. 843 ff. der Gerichtsakte).

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

1.

Die Klägerin hat zunächst die Vertragserklärungen der Zedentin hinsichtlich der vier am 27.11.2017 erworbenen Faksimiles wirksam widerrufen. Ihr steht damit zunächst ein Anspruch auf Rückzahlung des insoweit gezahlten Kaufpreises in Höhe von 10.000,00 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung der vier am 27.11.2017 erworbenen Faksimiles (Die vier Evangelisten, Bibel Matthäus Merian, Leonardo da Vinci II, Der Ptolemäische Prachtatlas) gemäß §§ 312b, 312g, 355, 357 Abs. 1 BGB zu.

Hinsichtlich der Wirksamkeit der Abtretung etwaiger Ansprüche der Zedentin gegen die Beklagte an die Klägerin bestehen keine Bedenken. Es hat insoweit kein Austausch des Schuldners, wie die Beklagte meint, stattgefunden, sondern ein Austausch des Gläubigers. Das Bestehen eines Abtretungsverbots ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Die Klägerin ist insoweit grundsätzlich aktivlegitimiert.

Der Kaufvertrag über diese vier streitgegenständlichen Faksimiles ist am 27.11.2017 in der Wohnung der Zedentin geschlossen worden. Es handelt sich insoweit um ein sog. Haustürgeschäft i. S. d. § 312b Abs. 1 BGB. Der Zedentin stand damit gemäß § 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zu. Die Widerrufsfrist beträgt gemäß § 355 Abs. 2 S. 1 BGB regelmäßig 14 Tage und beginnt gemäß § 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit Erhalt der Ware, allerdings gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder des Art. 246b § 2 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum BGB unterrichtet hat. In letzterem Fall erlischt das Widerrufsrecht spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach Erhalt der Ware, § 356 Abs. 3 S. 2 BGB. Teil der insoweit gesetzlich festgelegten Belehrungspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher ist es, den Verbraucher nicht nur über das Widerrufsrecht zu belehren, sondern ihm die Belehrung und das Muster-Widerrufsformular in Papierform auszuhändigen (vgl. dazu grundlegend BGH, Urteil vom 26.11.2020, Az. I ZR 169/19, insb. Juris-Rn. 67). Die Zedentin ist hier zwar ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt worden; diese Belehrung ist ihr auch von der Zeugin U. ausgehändigt worden. Nicht ausreichend ist jedoch der pauschale Hinweise auf die Homepage der Beklagten in der Widerrufsbelehrung, dass dort ein Muster-Widerrufsformular zum Download zur Verfügung stände.

Ein Muster-Widerrufsformular in Papierform ist der Zedentin nicht ausgehändigt worden. Die Zeugin U. konnte sich zwar grundsätzlich an die Zedentin und das Verkaufsgespräch noch erinnern. Ob sie der Zedentin am 27.11.2017 auch ein Muster-Widerrufsformular übergeben hat, hat sie jedoch nicht sagen können. Ihre Aussage war in diesem Punkt unergiebig. Die Zeugin U. hat aber eingeräumt, dass es zunächst eine Zeit gegeben habe, wo ein solches Muster-Widerrufsformular nicht übergeben worden sei. Erst später sei von der Beklagten die Anweisung gekommen, auch ein solches Muster-Widerrufsformular an die Kunden zu übergeben. Wann genau dieser Wechsel stattgefunden habe, könne sie jetzt aber aus der Erinnerung nicht mehr sagen.

Das Gericht hat die Zedentin aufgrund der ärztlich attestierten dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit zwar nicht persönlich anhören können. Aufgrund einer Vielzahl vergleichbarer Fälle, die das Gericht bereits verhandelt hat, hält es das Gericht jedoch für ausgeschlossen, dass der Zedentin am 27.11.2017 ein solches Muster-Widerrufsformular übergeben worden ist. Es dürfte sich hinsichtlich der von der Zeugin U. erwähnten neuen Anweisung der Beklagten, ab einem bestimmten, von ihr nicht näher bezeichneten Zeitpunkt auch ein solches Muster-Widerrufsformular zu übergeben, um eine Reaktion auf die Entscheidung des BGH vom 26.11.2020 in dem Verfahren I ZR 169/19 handeln, in welcher erstmals ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass im Rahmen von Haustürgeschäften auch ein solches Muster-Widerrufsformular in Papierform auszuhändigen ist, um die 14tägige Widerrufsfrist beginnen zu lassen. Da in nahezu allen Fällen, die das Gericht bislang in vergleichbaren Faksimilefällen unter Beteiligung der Beklagten verhandelt hat, bei Verkaufsgesprächen vor dem Jahr 2020 die Käufer der Faksimiles angegeben haben, dass sie ein solches Muster-Widerrufsformular nicht erhalten haben, geht das Gericht davon aus, dass ein solches regelmäßig auch nicht übergeben worden ist, da im Allgemeinen davon ausgegangen worden war, dass die Übergabe einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung für den Beginn der Widerrufsfrist ausreichend war. Die Unerweislichkeit des Gegenteils geht zulasten der Beklagten.

Damit gilt im vorliegenden Fall die Höchstfrist von zwölf Monaten und vierzehn Tagen ab Erhalt der Ware, die bei einem Vertragsschluss Ende November 2017 mithin frühestens im Dezember 2018 abgelaufen ist. Die Klägerin hat jedoch bereits mit Anwaltsschreiben vom 27.09.2018 – also jedenfalls vor Ablauf der Höchstfrist des § 356 Abs. 3 S. 2 BGB – die Vertragserklärungen der Zedentin widerrufen. Dazu war sie auch berechtigt, da eine Mitübertragung von Gestaltungsrechten wie dem Widerrufsrecht im Rahmen der Abtretung zulässig ist (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 398 Rn. 20 m. w. N.) und sich der Abtretungsvereinbarung der Zedentin und der Klägerin auch ausdrücklich entnehmen lässt.

Gemäß §§ 355 Abs. 3, 357 Abs. 1 BGB sind die empfangenen Leistungen binnen 14 Tagen zurück zu gewähren. Die Beklagte ist insoweit grundsätzlich zur Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises verpflichtet Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung der vier streitgegenständlichen Faksimiles. Von dem ursprünglich geschuldeten Gesamtkaufpreis von 21.996,00 Euro hat die Klägerin jedoch nur eine Zahlung von 10.000,00 Euro zu beweisen vermocht. Diese Zahlung an die Beklagte ist unstreitig.

Die von der Klägerin behauptete weitere Zahlung von 9.450,00 Euro an die Beklagte steht jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts fest.

Dass die beiden Überweisungen von 1.700,00 Euro und 1.950,00 Euro nicht direkt an die Beklagte, sondern auf ein Konto von der Zeugin U. geflossen sind, ist unstreitig. Die Klägerin hat nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen können, dass diese Zahlungen auf den aus dem Rechtsgeschäft mit der Beklagten vom 27.11.2017 resultierenden Kaufpreis geleistet wurden. Die Zeugin U. hat in diesem Zusammenhang angegeben, dass sie seinerzeit einen Betrag von 3.800,00 Euro „vorgeschossen“ habe, damit ein Kredit der Zedentin bei der X-Bank abgelöst werden könne. Dies sei Voraussetzung für die Finanzierungsfreigabe gewesen. Sie habe dann mit der Zedentin ausgemacht, dass sie das Geld zurückbuchen dürfe, wenn die Zedentin wieder über Geld verfüge. Die Zedentin habe ihr gesagt, dass sie dafür einen Bausparvertrag habe auflösen wollen. Diese Zahlungen seien also keine Zahlungen auf den Kaufpreis gewesen, sondern Rückzahlungen aufgrund des von der Zeugin U. an die Zedentin verliehenen Geldes.

Auf diese grundsätzlich nachvollziehbaren Angaben der Zeugin U. konnte die Klägerseite keine weiteren Angaben machen. Aus den von der Klägerseite mit Schriftsatz vom 22.02.2022 vorgelegten Überweisungsbelegen (Anlage K13 und Anlage K14, Bl. 751 f. der Gerichtsakte) ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse. Daraus ergibt sich die jeweilige Überweisung an die Zeugin U. sowie die Verwendungszwecke „lt. Vereinbarung“ sowie „Lt. Vereinbarung Restzahlung“. Sie stützen insoweit eher die Angaben der Zeugin U..

Auch die von der Klägerin behauptete Barzahlung am 13.03.2018 in Höhe von 5.800,00 Euro hat sie nicht zu beweisen vermocht. Belege, wie Kontoauszüge oder Quittungen, hat die Klägerseite insoweit nicht vorgelegt. Auch die Zeugin U. konnte dazu keine Angaben machen, außer, dass sie keine Barzahlungen von der Zedentin erhalten habe. Sie könne sich allerdings noch erinnern, dass die Zedentin sie gefragt habe, ob der Kreditbetrag noch erhöht werden könne, „weil sie bei einem anderen Kollegen noch Bücher bezahlen müsse“. Die Zeugin U. gab in ihrer Vernehmung auch an, dass die Zedentin ihr erzählt haben soll, dass sie von einem oder mehreren Herren auch vor ihr schon Besuch gehabt und dort Faksimiles erworben habe. Die Klägerin hat sich auch dazu nicht weiter erklären können. Das Gericht kann insoweit nicht ausschließen, dass die Zedentin Zahlungen an andere Personen oder auch andere Faksimile-Vertriebsfirmen geleistet hat und dies mit dem hiesigen Vertragsverhältnis verwechselt. Da die Klägerin die behaupteten Erfüllungshandlungen durch die Zedentin nicht beweisen kann, geht dies zu ihren Lasten.

Soweit die Beklagte jedoch einwendet, dass eine Verurteilung der Beklagten schon deshalb nicht in Betracht käme, weil die Klägerin nicht Eigentümerin der Faksimiles geworden sei, verfängt dies nach Ansicht des Gerichts nicht. Denn es handelt sich insoweit lediglich um eine Verpflichtung der Klägerin, für die Übergabe und Übereignung der vier zuletzt erworbenen Faksimiles zu sorgen. Gelingt ihr dies nicht, steht der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich des zurück zu zahlenden Kaufpreises zu.

2.

Die Klägerin hat darüber hinaus auch die Vertragserklärung der Zedentin vom 28.06.2017 hinsichtlich des Faksimiles „Die wunderbare Tierwelt“ wirksam widerrufen. Auch hier stand der Zedentin ein Widerrufsrecht gemäß § 312g Abs. 1 BGB zu, welches die Klägerin wirksam am 27.09.2018 ausgeübt hat. Die Zedentin hatte am 28.06.2017 ebenfalls einen Kaufvertrag im Rahmen eines Haustürgeschäfts abgeschlossen. Aufgrund der Angaben der Zeugin U. in ihrer Vernehmung geht das Gericht wiederum davon aus, dass der Zedentin seinerzeit ein Muster-Widerrufsformular nicht übergeben worden ist. Insoweit gelten die oben unter 1. gemachten Ausführungen, da die Zeugin U. insoweit keine konkreten Angaben mehr machen konnte. Gemäß § 356 Abs. 2 Nr. 1 a) BGB beginnt die Widerrufsfrist jedoch erst mit Erhalt der Ware. Das Faksimile „Die wunderbare Tierwelt“ hat die Zedentin erst am 29.09.2017 erhalten, so dass die Höchstfrist für den Widerruf am 13.10.2018 abgelaufen ist. Der Widerruf ist bereits am 27.09.2018 und somit noch fristgerecht erfolgt.

Die Parteien sind gemäß §§ 355 Abs. 3, 357 Abs. 1 BGB verpflichtet, die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren, so dass die Beklagte den Kaufpreis von 2.998,00 Euro zurück zu zahlen und die Klägerin für die Rückgabe und Rückübereignung des Faksimiles „Die wunderbare Tierwelt“ zu sorgen hat.

3.

Auch hinsichtlich der am 26.06.2017 erworbenen Faksimiles sowie des am 28.6.2017 erworbenen Faksimiles „Das höfische Duett“ hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückabwicklung, jedoch nicht aufgrund eines wirksamen Widerrufs, sondern wegen arglistiger Täuschung.

Die Widerrufs(höchst)frist für die am 26.06.2017 erworbenen und am 25.08.2017 gelieferten vier Faksimiles war zum Zeitpunkt der Widerrufserklärung am 27.09.2018 bereits abgelaufen (Ablauf am 08.09.2018).

Die Zedentin ist jedoch von der Zeugin U. arglistig getäuscht und dadurch zum Kauf der Faksimiles veranlasst worden. Das Gericht ist zwar nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Zeugin U. – wie in der Klageschrift behauptet – der Zedentin ausdrücklich gesagt hat, dass der Wert der Faksimiles steigen und es sich um eine echte Wertanlage und sichere Alternative zu Bankanlagegeschäften handeln würde. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass die Zeugin U. der Zedentin suggeriert hat, dass die Faksimiles ihren Wert in Höhe des von der Zedentin zu zahlenden Kaufpreises halten würden, obwohl ihr bekannt war, dass es sich um bereits mehr als 30 Jahre alte Bücher handelte, die die Beklagte vom D-Verlag aufgekauft und lediglich in einer neue Schatulle verpackt hatte. Allein der Umstand, dass die Zeugin U. die Zedentin nicht darauf hingewiesen hat, dass die beworbenen Faksimiles nicht (aufwendig) neu hergestellt, sondern bereits mehrere Jahrzehnte alt waren, genügt nach Ansicht des Gerichts, um der Zedentin ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung zuzugestehen. Denn diesen Umstand hält das Gericht jedenfalls für aufklärungspflichtig. In diesem Fall ist auch eine Täuschung durch Unterlassen möglich (BeckOGK/Rehberg, 1.9.2022, BGB § 123 Rn. 11-15.1). Das Gericht geht jedoch noch weitergehend davon aus, dass die Zeugin U. mit Wissen und Wollen der Beklagten den Irrtum der Zedentin (wie auch diverser weiterer Kunden) über die Werthaltigkeit und Herkunft der Faksimiles gezielt ausnutzte, um diese zum Abschluss hochpreisiger, für die Kunden aber nahezu wertloser Kaufverträge zu bewegen. So suggerierte die Zeugin U. der Zedentin, dass diese neuwertige, exklusive Nachbildungen mittelalterlicher Bücher erwerben und diese zumindest ihren Wert halten würden. Weder von der Zeugin U. noch in den von der Beklagten stammenden Vertragsunterlagen oder Auftragsbestätigungen wird an irgendeiner Stelle auch nur andeutungsweise darauf hingewiesen, dass die Faksimiles bereits in den 1980er Jahren hergestellt worden sind. Im Gegenteil, auch die Zeugin U. hat angegeben, über das Alter der Faksimiles keine Angabe der Zedentin gegenüber gemacht zu haben, obwohl ihr bekannt ist, dass die Beklagte alte Restbestände beim D-Verlag aufgekauft hat. Auch die Beklagte weist darauf in ihrem Informationsblatt „Die Bedeutung eines Faksimiles“ (Anlage B7 zur Klageerwiderung vom 25.09.2019, Bl. 139 der Gerichtsakte) nicht hin.

Darüber hinaus suggerierte die Zeugin U. der Zedentin jedoch weitergehend, dass die von ihr zu erwerbenden Faksimiles jedenfalls ihren Wert erhalten würden, obwohl – wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S. eindrucksvoll ergibt – die Faksimiles auf dem Sekundärmarkt allenfalls noch für einen Bruchteil des Kaufpreises – wenn überhaupt – veräußerbar sind. So gibt der Sachverständige für die für 9.999,00 Euro an die Zedentin verkaufte „Dantes göttliche Komödie“ an, dass dieses Werk im Jahr 2010 (also weit vor dem hier geschlossenen Kaufvertrag und somit für die Beklagte und die Zeugin U. erkennbar) für lediglich 2.400,00 Euro auf einer Auktion den Zuschlag erhielt.

Das für 4.899,00 Euro an die Zedentin veräußerte „Höfische Duett“ erhielt im Mai 2017 lediglich einen Zuschlag von 440,00 Euro.

„Leonardo da Vinci I“ – an die Zedentin für 3.999,00 Euro verkauft – erzielte im Auktionshaus Franke lediglich 240,00 Euro, im Auktionshaus Dorotheum wurde das Werk gar nicht zugeschlagen.

„Die Bibel des Patricius Leo“ wird bei Ebay für 994,00 Euro angeboten; an die Zedentin wurde sie für 2.999,00 Euro verkauft.

Dies begründet zwar – an dieser Ansicht hält das Gericht grundsätzlich weiter fest, da dafür die Preise des Primärmarktes entscheidend sind (die mangels anderweitiger Anhaltspunkte denen der Beklagten vergleichbar waren) – keinen Wucher im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB. Es stellt aber eine arglistige Täuschung dar. Denn sowohl die Zeugin U. als erfahrene Handelsvertreterin der Beklagten und selbst – dies ist dem Gericht aus anderen Vernehmungen der Zeugin U. bekannt – Eigentümerin von Faksimiles als auch die Beklagte verfügten im Vergleich zur Zedentin über überlegendes Wissen. Im Gegensatz zu der seinerzeit 79-jährigen Zedentin war der Zeugin U. bekannt, dass die von ihr vermittelten Faksimiles keinesfalls wieder zu dem Preis veräußerbar waren, für den sie verkauft wurden. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass dies der Zedentin in keiner Weise bekannt oder bewusst war. Diese ging davon aus, „exklusive“ Werke zu erwerben, wie es ihr auch von der Zeugin U. gesagt worden ist. Die Beklagte weist in ihrem bereits erwähnten Dokument „Die Bedeutung von Faksimiles“, welches die Zedentin auch unstreitig unterzeichnet hat, zwar darauf hin, dass Angebot und Nachfrage den Preis regelten und der Kauf eines limitierten Faksimiles zur Kapitalmaximierung/Anlage nicht zu empfehlen sei. Dieser ganz am Ende des Dokuments erfolgende Hinweis folgt aber auf eine vergleichsweise umfangreiche Beschreibung der großen Bedeutung von Faksimiles für Museen und die menschliche Kultur und beispielsweise nach Sätzen wie:

„Faksimile-Editionen unterliegen nicht immer einer Auflagenbeschränkung, der überwiegende Teil der von uns vertriebenen ist jedoch limitiert und nummeriert. Eine Limitierung verleiht dem Produkt in besonderem Maße Preiswürdigkeit und Wert.“

Derartige Formulierungen vermitteln dem unerfahrenen Kunden wie der Zedentin den Eindruck, dass jedenfalls der Wert der Faksimiles in Höhe des vom Kunden aufzubringenden Kaufpreises erhalten bliebe, lediglich eine Werterhöhung fraglich sei. Dass die Faksimiles jedoch allenfalls einen geringen Bruchteil ihres Kaufpreises bei einer Weiterveräußerung erbringen würden, ergibt sich daraus in keiner Weise. Über dieses Risiko hätte die Zeugin U. die Zedentin jedoch aufklären müssen. Denn für die Zedentin stellte der Erwerb der Faksimiles fraglos eine erhebliche Investition dar, für die sie sogar einen Kredit aufnehmen musste. Auch hier war die Zeugin U. behilflich und spätestens hier hätte diese auf die Risiken des Geschäfts hinweisen müssen. Denn im Rahmen der Antragstellung für den Kredit sind der Zeugin U. die relativ bescheidenen finanziellen Verhältnisse der Zedentin offenbart worden. Ausweislich der als Anlage K1 zur Klageschrift gereichten Kreditunterlagen verfügte die Zedentin lediglich über ein Renteneinkommen von 1.878,00 Euro. Sie schloss dann einen Kreditvertrag mit einer monatlichen Zahlungsverpflichtung von 296 Euro – das entspricht gut 15 Prozent ihres Einkommens – für die Dauer von 84 Monaten – dann wäre die Zedentin bei der Schlussrate 86 Jahre alt gewesen. Der Abschluss eines solchen Kreditvertrages war insoweit besonders riskant, da die mit den Kreditmitteln finanzierten Faksimiles im Falle der Weiterveräußerung – für die Zeugin U. bekanntermaßen – nicht annähernd den Kreditbetrag hätten abdecken können.

Dem Gericht ist dieses Vorgehen der Beklagten und ihrer Handelsvertreter aus einer zahlreichen Reihe vergleichbarer Verfahren bekannt. Es werden regelmäßig ehemaligen Kunden des früheren D.-Buchclubs kontaktiert und aufgesucht, wobei es sich nahezu ausnahmslos um Personen im Rentenalter handelt. Diesen werden die von der Beklagten vertriebenen Faksimiles als hochwertige, exklusive Bücher zu Preisen zwischen 999,00 Euro und 13.999,00 Euro das Stück verkauft. Allein der Umstand, dass die Werke zu hohen Preisen an ältere Herrschaften veräußert werden, begründet für sich noch keine arglistige Täuschung oder ein anderes Anfechtungsrecht oder einen Nichtigkeitsgrund. Grundsätzlich ist auch in derartigen Geschäftszweigen zu beachten, dass der Grundsatz der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit gerade nicht davor schützt, einen wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abzuschließen. Insoweit gilt im Grundsatz, dass jeder Marktteilnehmer für sein Tun selbst verantwortlich ist und auch nicht vor jedem persönlichen Irrtum, der sich dann als für ihn nachteilig herausstellt, geschützt wird.

Die Grenze ist jedoch überschritten, wenn eine Seite ihr überlegenes Wissen in einem Ausmaß ausnutzt, dass es jedenfalls in der Gesamtschau nicht mehr hinzunehmen ist. So liegt der Fall hier. Die Zeugin U. hat der Zedentin hier im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vier hochpreisige Faksimiles, die bereits mehr als dreißig Jahre alt waren, bewusst mit der falschen Vorstellung verkauft, dass sie diese aufgrund deren angeblicher Werthaltigkeit trotz ihres relativ hohen Lebensalters noch über sieben Jahre finanzieren kann. Tatsächlich wären die Faksimiles nur für einen Bruchteil wieder veräußerbar gewesen und stellten damit keine Sicherheit für den Kredit dar. Dies war der Zeugin U. bewusst, der Zedentin jedoch nicht. Die finanziellen Mittel standen der Zedentin nicht zur Verfügung, was die Zeugin U. ebenfalls wusste. Die Zeugin U. hat die Zedentin weder über das Alter der Faksimiles noch über deren Wertverfall nach Kauf aufgeklärt. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand einer arglistigen Täuschung durch Unterlassen, was der Beklagten auch zuzurechnen ist. Sie hat ihr Vertriebssystem so ausgelegt, dass die Kunden derartigen Irrtümern unterliegen können. Es ist dem Gericht auch aus anderen Verfahren bekannt, dass die Beklagte insbesondere auch bei der Kreditvermittlung über die Handelsvertreter behilflich ist, so dass ihr auch dieser Umstand zuzurechnen ist.

Die Zedentin hat ihre Ansprüche einschließlich etwaiger Anfechtungsrechte an die Klägerin abgetreten, die die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung eine Woche nach der Abtretung der Beklagten gegenüber erklärt hat. Aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 27.09.2018 geht hervor, dass der Zedentin erst kurz zuvor die Umstände, die zur Anfechtung berechtigen, bekannt geworden sind, so dass die Jahresfrist gemäß § 124 Abs. 1 BGB gewahrt sein dürfte.

Gemäß § 142 BGB sind damit die Kaufverträge betreffend „Dantes göttliche Komödie“, „Die Bibel des Patricius Leo“, „Leonardo da Vinci I“ und „Das höfische Duett“ als von Anfang nichtig anzusehen. Die Zedentin/Klägerin ist damit so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn sie die Verträge nicht geschlossen hätte. Insoweit sind die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren, d. h. die Klägerin hat Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten 21.896,00 Euro und die Beklagte auf Rückgabe und Rückübereignung der vier vorgenannten Faksimiles.

4.

Insgesamt ist damit das gesamte streitgegenständliche Vertragsverhältnis rückabzuwickeln. Die Klägerin hat insoweit Anspruch auf Rückzahlung von 34.894,00 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung der neun streitgegenständlichen Faksimiles.

Auch wenn es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr von Belang ist, weist das Gericht darauf hin, dass sich der Vorwurf der Klägerseite, dass der Zedentin zweimal das gleiche Faksimile (Leonardo da Vinci II) verkauft worden sein soll, nicht als richtig erwiesen hat. Aus den in den Anlagen K2 (Bl. 30 der Gerichtsakte) und K6 (Bl. 44 der Gerichtsakte) aufgeführten Auftragsbestätigungen der Beklagten ergibt sich zwar, dass die Zedentin sowohl im Juni als auch im November 2017 das Faksimile „Leonardo da Vinci II“ mit der Art.Nr. 1724 bestellt haben soll, einmal zum Preis von 3.999,00 Euro und einmal zum Preis von 4.499,00 Euro. Allerdings weist schon die Rechnung Nr. 152288 vom 11.01.2018 (Anlage K7, Bl. 50 der Gerichtsakte) eine andere Artikelnummer (Art.Nr. 1719) und einen anderen Titel (Leonardo da Vinci) auf. Auch aus den von der Zeugin U. ausgefüllten Bestellunterlagen (Anlage B1, Bl. 121 der Gerichtsakte, und B4, Bl. 130 der Gerichtsakte) ergibt sich, dass die Zedentin zunächst Band I und dann Band II bestellt hat. Letztlich hat auch die Zeugin U. insoweit nachvollziehbar und glaubhaft angegeben, dass sie der Zedentin zwei unterschiedliche Werke verkauft hat. Das Gericht geht davon aus, dass es sich bei der in den Auftragsbestätigungen aufgeführten Doppelung um ein Versehen handelt. Denn auch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S. ergibt sich, dass es sich um zwei unterschiedliche Werke aus verschiedenen Erscheinungsjahren (1984 und 2017) handelt. Insoweit wird auf die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten, dort auf Seite 4 (Bl. 502 der Gerichtsakte), unter Ziff. 1 und 4, Bezug genommen.

5.

Der Rückzahlungsanspruch ist im Hinblick auf die doch erhebliche vorgerichtliche Zuvielforderung erst ab Rechtshängigkeit gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB zu verzinsen.

II.

Ein Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte sich mit der Rücknahme der streitgegenständlichen Faksimiles im Annahmeverzug befindet, besteht nicht, weder seit dem 26.10.2018 noch seit Rechtshängigkeit. Bei einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung gerät der Gläubiger zwar grundsätzlich in Verzug, wenn der Schuldner ihm die geschuldete Leistung wörtlich anbietet. Ein solches Angebot liegt regelmäßig in dem entsprechenden Klageantrag auf Zug-um-Zug-Verurteilung. Allerdings kommt der Gläubiger auch dann nicht in Annahmeverzug, wenn der Schuldner zu viel verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 20.4.2021 – VI ZR 521/19). So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat mit ihrer Klage Rückzahlung von 44.344,00 Euro geltend gemacht, aber – wie oben aufgezeigt – nur einen Anspruch auf Rückzahlung von 34.894,00 Euro. Die Zuvielforderung ist erheblich, so dass die Beklagte nicht in Annahmeverzug geraten ist.

III.

Aus den obigen Ausführungen (Ziff. I.) ergibt sich jedoch, dass der Beklagten gegen die Zedentin keinerlei Zahlungsansprüche mehr zustehen, so dass der Feststellungsantrag zu Ziff. 3 begründet ist. Der insoweit missverständlich formulierte Antrag unter Ziff. 3 zu Beginn der Klageschrift ist im Lichte der Ausführungen auf Seite 21 der Klageschrift (Bl. 22 der Gerichtsakte) so auszulegen, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass der Beklagten gegen die Zedentin keine Zahlungsansprüche mehr aus den Kaufverträgen zu den Auftragsbestätigungen Nr. 56988 und Nr. 56900 vom 29.11.2017 zustehen. Ansprüche stehen der Beklagten im Übrigen jedenfalls noch auf Rückgabe und Rückübereignung der Faksimiles Zug um Zug gegen Rückzahlung der 10.000,00 Euro zu.

IV.

Der Klägerin steht letztlich gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus § 280 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte hat jedenfalls ihre Nebenpflichten aus dem Vertragsverhältnis mit der Zedentin verletzt, indem sie die Klägerin arglistig täuschte und so zum Vertragsschluss motivierte. Die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Durchsetzung der Ansprüche war angemessen. Da die Beklagte sich jedenfalls vorgerichtlich auf den Standpunkt gestellt hat, dass die Zedentin ihr aus den widerrufenen Kaufverträgen noch einen Betrag von 11.996,00 Euro schulde, dürfte der von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin in Ansatz gebrachte Gegenstandswert von 44.344,00 Euro nicht zu hoch sein. Wenn die hier zu erstattende Kaufsumme von 34.894,00 Euro und der für den Feststellungsantrag zu Ziff. 3 zugrunde zu legende Forderungsbetrag der Beklagten von 11.996,00 Euro addiert wird, kommt man auf einen Gegenstandswert von 45.890,00 Euro.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO.

C.

Der Streitwert wird auf 56.340,00 Euro festgesetzt.

Das Gericht hat dabei entsprechend des Klageantrags zu Ziff. 1 einen Betrag von 44.344,00 Euro und für den Feststellungsantrag zu Ziff. 3 entsprechend der Ausführungen der Beklagten, die sich noch eines restlichen Zahlungsanspruchs gegen die Zedentin in Höhe von 11.996,00 Euro berühmte, jenen Forderungsbetrag zugrunde gelegt. Die Beträge waren zu addieren; die Anträge zu Ziff. 2 und 4 waren bei der Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen.

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