Ruhestand statt Dienst: Beamter wegen Dienstunfähigkeit entlassen
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bestätigte die Versetzung einer Beamtin in den Ruhestand aufgrund von Dienstunfähigkeit. Die Entscheidung beruhte auf umfassenden ärztlichen Gutachten, die eine dauerhafte Dienstunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen belegten. Trotz Widersprüchen und alternativen medizinischen Einschätzungen der Klägerin hielt das Gericht an der Einschätzung der Dienstunfähigkeit fest.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Bestätigung der Ruhestandsversetzung: Die Klägerin, eine Beamtin, wurde aufgrund von Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
- Langjährige Krankengeschichte: Die Klägerin hatte eine lange Historie von Krankheitstagen und psychischen Problemen.
- Umfangreiche medizinische Begutachtung: Mehrere ärztliche Gutachten bestätigten die Dienstunfähigkeit der Klägerin.
- Diagnose schwerer psychischer Störungen: Diagnostiziert wurden unter anderem eine schwere Anpassungsstörung und eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.
- Prognose negativ: Die Ärzte prognostizierten keine Besserung der Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate.
- Widerspruch der Klägerin: Die Klägerin legte Widerspruch ein und präsentierte alternative ärztliche Meinungen.
- Gerichtsentscheidung: Das Gericht wies die Klage ab und bestätigte die Entscheidung zur Ruhestandsversetzung.
- Kosten des Verfahrens: Die Klägerin wurde zur Tragung der Kosten beider Instanzen verpflichtet.
Übersicht:
Ruhestandsversetzung und Dienstunfähigkeit im Öffentlichen Dienst
Die Versetzung in den Ruhestand aufgrund von Dienstunfähigkeit stellt ein signifikantes Thema im Bereich des Beamtenrechts dar. Es berührt grundlegende Fragen der Arbeitsfähigkeit, der medizinischen Beurteilung sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen im öffentlichen Sektor. Bei einer Ruhestandsversetzung müssen komplexe Aspekte wie die Auswertung von ärztlichen Gutachten, die Geltendmachung von Widersprüchen und die Beurteilung von Prognoseentscheidungen durch die zuständigen Behörden und Gerichte sorgfältig abgewogen werden.
Diese Thematik gewinnt besonders an Brisanz, wenn eine Person gegen ihre Ruhestandsversetzung Klage erhebt. Hierbei entstehen oft Diskussionen über die Gültigkeit und Interpretation medizinischer Gutachten und deren Einfluss auf die Entscheidung der Dienstfähigkeit. Der folgende Bericht beleuchtet einen konkreten Fall, der diese Themen in den Mittelpunkt rückt. Erfahren Sie mehr über die Herausforderungen und rechtlichen Feinheiten, die mit der Entscheidung über die Dienstfähigkeit im öffentlichen Dienst einhergehen, und tauchen Sie tief in die Details dieses faszinierenden Rechtsfalles ein.
Der Weg zur Ruhestandsversetzung: Eine komplexe rechtliche Auseinandersetzung
Die Auseinandersetzung um die Ruhestandsversetzung einer Beamtin des öffentlichen Dienstes aufgrund vermuteter Dienstunfähigkeit ist ein exemplarisches Beispiel für die Herausforderungen im Beamtenrecht. Die Beamtin, geboren am 3. September 1964 und zuletzt als Postamtfrau (A 11 BBesO) tätig, wurde nach langjähriger Tätigkeit und zahlreichen Krankheitstagen dauerhaft dienstunfähig erklärt. Über einen Zeitraum von knapp neun Jahren hinweg war sie mehr als 2000 Tage krank, was zu wiederholten Wiedereingliederungsmaßnahmen und Gesprächen über ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) führte.
Medizinische Gutachten als Grundlage der Entscheidung
Die zentrale Rolle in diesem Fall spielten verschiedene medizinische Gutachten. Die erste Einschätzung der Dienstunfähigkeit basierte auf einem Gutachten der Ärztin Dr. S., die sich auf die Befunde des Neurologen und Psychiaters Dr. D. sowie auf die Ergebnisse weiterer medizinischer Untersuchungen stützte. Dr. D. diagnostizierte eine mittelgradige depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung. Ein weiteres, entscheidendes Gutachten wurde von Dr. J., einem Chefarzt der psychiatrischen Institutsambulanz, erstellt. Er diagnostizierte eine schwere Anpassungsstörung in Verbindung mit einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung und schloss eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit aus.
Der Rechtsstreit und die Klage der Beamtin
Die Beamtin erhob Klage gegen ihre Ruhestandsversetzung, unterstützt durch Atteste ihres behandelnden Facharztes, die eine andere Einschätzung ihrer Dienstfähigkeit gaben. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hob zunächst den Bescheid auf, da es das Gutachten von Dr. S. als nicht ausreichend ansah. Die Beklagte legte Berufung ein und argumentierte, dass die Klägerin zu Recht wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden sei.
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und Ausblick
Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen gab der Berufung statt und bestätigte die Ruhestandsversetzung. Es stützte sich auf das fachärztliche Gutachten von Dr. J., das eine umfassende und nachvollziehbare Bewertung der Dienstunfähigkeit lieferte. Die Klägerin wurde nicht nur zur Übernahme der Verfahrenskosten beider Instanzen verpflichtet, sondern das Gericht entschied auch, dass ihre Dienstunfähigkeit im Sinne von § 44 Abs. 1 BBG unwiderlegbar zu vermuten sei. Das Urteil betont die Bedeutung gründlicher und umfassender medizinischer Bewertungen in Fällen der Dienstunfähigkeit und setzt Maßstäbe für zukünftige Fälle ähnlicher Natur.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen unterstreicht die Komplexität von Fällen im Beamtenrecht, insbesondere wenn es um die Beurteilung der Dienstfähigkeit und Ruhestandsversetzung geht. Dieser Fall zeigt deutlich, wie entscheidend die Qualität und Vollständigkeit medizinischer Gutachten sind und welchen Einfluss sie auf die rechtliche Bewertung haben können.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was ist eine Ruhestandsversetzung und unter welchen Umständen kann sie erfolgen?
Eine Ruhestandsversetzung bezeichnet den Übergang einer Person aus dem aktiven Arbeitsleben in den Ruhestand. Dieser Status wird durch das Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erreicht, wobei die Person als Versorgungsempfänger Bezüge erhält.
Es gibt verschiedene Umstände, unter denen eine Ruhestandsversetzung erfolgen kann:
- Regulärer Ruhestand: Dieser tritt ein, wenn eine Person das gesetzlich festgelegte Renteneintrittsalter erreicht hat.
- Vorzeitiger Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit: Wenn ein Beamter aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft dienstunfähig und nicht anderweitig verwendbar ist, kann eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand erfolgen.
- Einstweiliger Ruhestand: Beamte auf Lebenszeit können jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden, wenn sie ein Amt bekleiden, bei dessen Ausübung sie in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen müssen. Der einstweilige Ruhestand endet bei erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, auch bei einem anderen Dienstherrn, wenn den Beamtinnen oder Beamten ein Amt verliehen wird, das derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn angehört wie das frühere Amt und mit mindestens demselben Grundgehalt verbunden ist.
Es ist zu beachten, dass bei einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand aufgrund von Dienstunfähigkeit in der Regel Versorgungsabschläge verbunden sind. Allerdings haben Beamte auch nach einer Zwangspensionierung die Chance, gesund ihre alte Position wieder aufzunehmen.
Welche rechtlichen Kriterien definieren Dienstunfähigkeit?
Dienstunfähigkeit ist ein Begriff aus dem deutschen Beamtenrecht und bezieht sich auf den Zustand, in dem ein Beamter aus gesundheitlichen Gründen oder wegen seines körperlichen Zustands dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, seinen Dienst auszuüben. Die rechtlichen Kriterien, die Dienstunfähigkeit definieren, sind im § 44 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) und im § 26 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes festgelegt.
Ein Beamter kann als dienstunfähig angesehen werden, wenn er infolge einer Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst geleistet hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder vollständig hergestellt ist. Die Entscheidung über die Dienstunfähigkeit erfolgt maßgeblich auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens, in der Regel durch einen Amtsarzt.
Es ist zu erwähnen, dass die Dienstunfähigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien bemessen wird. Die Ursache der Dienstunfähigkeit, etwa die Frage, ob die Dienstunfähigkeit auf ein pflichtwidriges Verhalten des Dienstherrn zurückzuführen ist, spielt dabei keine Rolle.
Andere Ursachen für eine unzureichende Pflichterfüllung, wie mangelnde fachliche Qualifikation, mangelnde Bewährung, nicht krankheitsbedingte Minderleistungen, Konflikte am Arbeitsplatz, fehlende Motivation oder dienstliches Fehlverhalten, sind kein Anlass für eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.
Es ist auch wichtig zu beachten, dass eine Dienstunfähigkeit auch vorliegen kann, wenn die Minderung der Arbeitskraft weniger als 50 % beträgt.
In welchen Fällen ist ein Widerspruch gegen die Ruhestandsversetzung rechtlich begründet?
Ein Widerspruch gegen die Ruhestandsversetzung kann in verschiedenen Fällen rechtlich begründet sein:
- Fehlerhafte Beurteilung der Dienstunfähigkeit: Wenn ein Beamter der Ansicht ist, dass die Beurteilung seiner Dienstunfähigkeit fehlerhaft ist, kann er Widerspruch einlegen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn er glaubt, dass das ärztliche Gutachten, das seine Dienstunfähigkeit feststellt, ungenau oder fehlerhaft ist.
- Fehlende Begründung oder Mitteilung: Ein Widerspruch kann auch dann begründet sein, wenn der Dienstherr die Gründe für die Versetzung in den Ruhestand nicht angemessen mitgeteilt hat.
- Fehlende Beteiligung des Personalrats: Wenn der Personalrat nicht ordnungsgemäß an der Entscheidung beteiligt wurde, kann dies ebenfalls einen begründeten Widerspruch darstellen.
- Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Ein Widerspruch kann auch begründet sein, wenn die Versetzung in den Ruhestand gegen das AGG verstößt, beispielsweise wenn sie aufgrund von Altersdiskriminierung erfolgt.
- Fehlerhafte Anwendung von Gesetzen oder Vorschriften: Wenn der Beamte der Ansicht ist, dass die Versetzung in den Ruhestand nicht den geltenden Gesetzen oder Vorschriften entspricht, kann dies ebenfalls einen begründeten Widerspruch darstellen.
Es ist zu betonen, dass ein Widerspruch gegen die Ruhestandsversetzung nicht automatisch zu einer Aufhebung der Entscheidung führt. Der Widerspruch wird von der zuständigen Behörde geprüft und entschieden. Wenn der Widerspruch abgelehnt wird, kann der Beamte Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben.
Das vorliegende Urteil
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 1 A 1385/20 – Urteil vom 14.11.2023
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.
Die am 3. September 1964 geborene Klägerin ist Beamtin im Dienst der Beklagten, zuletzt im Amt einer Postamtfrau (A 11 BBesO) und nach § 4 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 2 PostPersRG dauerhaft beurlaubt. Sie ist mit einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden der P. Deutschland GmbH zugewiesen. Seit dem 31. Januar 2008 war ihr ein Grad der Behinderung von 60 zuerkannt.
Seit April 2016 ist die Klägerin in der Abteilung V1 Fachbetrieb IT/Cloud im Zuge einer Projektabordnung tätig. Ziel des Projekteinsatzes soll es gemäß einer diesbezüglichen Vereinbarung sein, dass die Klägerin „Ihren Fähigkeiten entsprechend Beschäftigung findet, in denen sie gefordert und gefördert wird. Dabei wird im Besonderen auf eine ausgewogene work-life-balance geachtet.“ Zu ihren Aufgaben in der Tätigkeit als Servicemanagerin gehören unter anderem die Betreuung, Darstellung und Zuordnung von Cloudumsätzen für die O., die interne Kommunikation bei Rückfragen zu Projekten und Beschwerden, das Einstellen von Aufträgen, das Auslösen von Bestellungen sowie die Vor- und Verbreitung von Kundenveranstaltungen.
In dem Zeitraum zwischen dem 7. August 2008 und dem 29. Mai 2017 war die Klägerin nach Aktenlage ca. 70 Mal an insgesamt mehr als 2000 Krankentagen erkrankt. Mit der Klägerin wurden infolgedessen mehrfach Wiedereingliederungsmaßnahmen durchgeführt sowie BEM-Gespräche geführt. Seit ca. Herbst 2016 sind die der Klägerin zugewiesenen Aufgaben wieder von anderen Mitarbeitern erfüllt worden.
Seit dem 30. Mai 2017 (bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens) war die Klägerin dauerhaft erkrankt.
Die Erkrankungen der Klägerin (s. o.) nahm die Beklagte zum Anlass, die Klägerin zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer dauerhaften Dienstunfähigkeit dem Ärztlichen Dienst der K. GmbH (U. GmbH), dort der Fachärztin für Arbeitsmedizin Frau Dr. S., für eine Untersuchung vorzustellen.
Der die Klägerin bereits seit dem Jahr 2006 behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Herr D. bescheinigte ihr mit Attest vom 18. Juli 2017 eine mittelgradige depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung und empfahl zur weiteren Behandlung ein engmaschiges psychiatrisches, psychopharmakologisches und psychotherapeutisches Behandlungssetting.
Frau Dr. S. beauftragte Herrn Dr. med. J., Chefarzt der Psychiatrischen Institutsambulanz des Krankenhauses C. in B., die Klägerin zu begutachten.
Nach Untersuchung der Klägerin am 8. August 2023 diagnostizierte Herr Dr. J. in seinem fachärztlichen Gutachten vom 31. August 2017 bei der Klägerin eine schwere Anpassungsstörung (ICD-10: F43.2) bei Bestehen einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Er stellte u. a. fest, die Klägerin habe die feste Überzeugung entwickelt, dass der Arbeitgeber sie ablehne und nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle. Psychodynamisch sei diese Einstellung fixiert und nicht mehr therapierbar. Diese Fehlhaltung lasse eine Dienstfähigkeit im Sinne einer auch nur annähernd kontinuierlichen Dienstfähigkeit nicht mehr zu. Entgegen der Aussagen des die Klägerin behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Herrn D. in seinem Attest vom 18. Juli 2017 sei gerade nicht von einer Wiederherstellung der Dienstfähigkeit bei der Klägerin auszugehen.
Unter dem 5. September 2017 erstellte Frau Dr. S. ein Gutachten zum Gesundheitszustand der Klägerin. Sie stützte sich dabei auf das Gutachten des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017, das Attest des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Herrn D. vom 18. Juli 2017 und einen Entlassungsbericht der Klinik für Schmerztherapie des L.-Krankenhauses A. vom 23. Februar 2017. Als Diagnose stellte sie eine schwere sog. Anpassungsstörung bei bestehender ausgeprägter narzisstischer Persönlichkeitsstörung fest. Die Klägerin sei weiterhin dienstunfähig erkrankt und aufgrund dessen weder in vollschichtiger noch in untervollschichtiger Beschäftigung in der Lage, ihren Dienst auszuüben und eine anhaltende Arbeitsleistung zu erbringen. Nach dem bisherigen Verlauf sei auch innerhalb der nächsten sechs Monate nicht mit einer Wiedererlangung der Dienstfähigkeit bzw. auch bei Wiederaufnahme des Dienstes mit erneutem Ausfall der Dienstfähigkeit zu rechnen. Die Gutachterin empfahl eine Reaktivierungsprüfung nach Ablauf von 24 Monaten.
Die Beklagte teilte der Klägerin unter dem 6. September 2017 mit, dass sie beabsichtige, sie nach § 44 i. V. m. § 47 BBG in den Ruhestand zu versetzen.
Mit Schreiben vom 15. September 2017 machte die Klägerin dagegen Einwendungen geltend und legte unter dem 12. Oktober 2017 ein Attest des sie behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Herrn D., vom 12. Oktober 2017 mit der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD-10: F33.1) vor. Darin wurde u. a. ausgeführt, dass eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit und eine Besserung des psychomentalen Leistungsvermögens mittelfristig in Aussicht gestellt werden könne. Die Erkrankung der Patientin sei behandelbar und besserungsfähig. Die Prognose sei grundsätzlich günstig einzuschätzen. Der behandelnde Facharzt schlug zeitgleich eine weitere Wiedereingliederung bis zum 15. Dezember 2017 vor. Ab dem 16. Dezember 2017 bestehe voraussichtlich wieder die volle Dienstfähigkeit.
Frau Dr. S. ergänzte ihr Gutachten unter dem 25. Oktober 2017 dahingehend, dass sie auch angesichts des zwischenzeitlich vorgelegten Wiedereingliederungsplans des Herrn D. vom 12. Oktober 2010 aufgrund des fachärztlichen Gutachtens des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017 vollumfänglich bei ihrer ursprünglichen Prognose bleibe, dass nach bisherigem Verlauf der Erkrankung der Klägerin auch innerhalb der nächsten sechs Monate nicht mit einer Wiedererlangung der Dienstfähigkeit zu rechnen sei.
Mit Bescheid vom 23. November 2017 versetzte die Beklagte die Klägerin nach Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrates gemäß § 44 i. V. m. § 47 BBG in den Ruhestand.
Die Klägerin legte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 8. Dezember 2017 dagegen Widerspruch ein und verwies insbesondere auf den Inhalt des Attests des Herrn D. vom 12. Oktober 2017.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und bezog sich insbesondere auf den Inhalt des Gutachtens der Frau Dr. S. vom 5. September 2017 und dessen Ergänzung vom 25. Oktober 2017.
Am 16. Februar 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat zusammenfassend ausgeführt, dass die Ausführungen in dem Gutachten des Herrn Dr. J. nicht überzeugten, und stattdessen auf die Stellungnahmen des sie seit Jahren behandelnden Arztes Herrn D. verwiesen.
Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 17. Januar 2018 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf den Widerspruchsbescheid sowie die Ausführungen in dem Gutachten der Frau Dr. S. verwiesen.
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2018 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das sozialmedizinische Gutachten der Frau Dr. S. in der Fassung vom 25. Oktober 2017, das die Beklagte ihrer Prognoseentscheidung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG zugrunde gelegt habe, keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Dienstfähigkeit der Klägerin darstelle. Die beauftragte Ärztin habe vorliegend unter pauschaler Bezugnahme auf die Begutachtung des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017, die Bescheinigungen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie D. vom 18. Juli und 12. Oktober 2017 sowie den Entlassungsbericht der Klinik für Schmerztherapie des L.-Krankenhauses A. vom 23. Februar 2017 jegliche Dienstfähigkeit der Klägerin verneint und ihre negativ ausgefallene Prognoseentscheidung allein mit der „o. a. Erkrankung“ der Klägerin begründet.
Zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 29. März 2023 zugelassenen Berufung bekräftigt die Beklagte ihre Auffassung, dass die Klägerin zu Recht wegen dauernder Dienstunfähigkeit gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG in den Ruhestand versetzt worden sei. Auf der Grundlage der ärztlichen Gutachten und Befundberichte sowie im Hinblick auf den Krankheitsverlauf mit längeren Zeiten akuter Dienstunfähigkeit habe sie die Prognose treffen dürfen, dass keine Aussicht bestanden habe, die Klägerin werde innerhalb der nächsten sechs Monate
wieder voll dienstfähig werden. Die Gutachten von Frau Dr. S. vom 5. September 2017 und vom 25. Oktober 2017 genügten insofern den Anforderungen an ärztliche Gutachten zu der Frage der Dienstunfähigkeit. Sie habe bei der Klägerin unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Untersuchung der Klägerin, die vorliegenden Fremdbefunde von Herrn D. vom 18. Juli 2017, von Herrn Dr. J. vom 31. August 2017 sowie in dem Entlassungsbericht des L.-Krankenhauses vom 23. Februar 2017 eine schwere Anpassungsstörung bei bestehender ausgeprägter narzisstischer Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides (hier: 17. Januar 2018) lasse sich den Gutachten der Frau Dr. S. entnehmen, dass die Klägerin mit ihren krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen weder in diesem Zeitpunkt noch in absehbarer Zeit in der Lage sein werde, ihre Dienstaufgaben bezüglich ihres abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen und eine kontinuierliche Arbeitsleistung zu erbringen; zudem komme keine anderweitige Verwendung in Betracht. Hierbei seien sämtliche Feststellungen des Herrn Dr. J., die keinen relevanten Zweifeln unterlägen, Frau Dr. S. zuzurechnen. Hinsichtlich des Gutachtens des Herrn D. bzw. des Entlassungsberichts habe Herr Dr. J. (vgl. Seiten 9-13 seines Gutachtens) erläutert, warum es sich nur um scheinbar widersprüchliche Unterlagen handele. Unabhängig hiervon seien die privatärztlichen Bescheinigungen des Herrn D. bereits inhaltlich nicht ansatzweise geeignet, die ärztlichen Feststellungen von Frau Dr. S. in Zweifel zu ziehen. Vor allem sei es schon nicht nachvollziehbar, wenn zum einen ärztlicherseits festgestellt werde, dass der Gesundheitszustand der Klägerin lediglich auf niedrigem Niveau kompensiert und gebessert sei, zum anderen noch am gleichen Tag eine Stabilisierung und Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin diagnostiziert und eine Wiedereingliederung für „planbar“ gehalten werde. Die Einschätzung des Herrn D. beruhe offensichtlich auf einer Verkennung des Begriffs der Dienstfähigkeit. Eine aktuelle oder künftig zu erwartende Beschwerdefreiheit sei zur Feststellung der Dienstfähigkeit nicht ausreichend. Die zahlreichen Fehlzeiten der Klägerin in der Vergangenheit trotz bereits mehrfach geführter BEM-Gespräche und der wiederholten Durchführung von Wiedereingliederungsmaßnahmen, ferner die ärztlich getroffenen Feststellungen sowie die gravierenden multiplen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen der Klägerin bestünden über den beamtenrechtlich relevanten Zeitraum von sechs Monaten hinaus. Auch die Tatsache, dass eine Reaktivierungsprüfung erst nach Ablauf von 24 Monaten empfohlen werde, könne letztlich nur Folge einer bei der Klägerin vorliegenden nachhaltigen konstitutiven Schwäche der körperlichen/psychischen Verfassung sein. Auch in Zukunft sei daher mit weiteren erheblichen Fehlzeiten der Klägerin auf jeglichem Amtsniveau zu rechnen. Insofern sei schließlich auch unbeachtlich, wenn die Klägerin sich nach eigener subjektiver Einschätzung für dienstfähig halte, da die ärztlich getroffenen Feststellungen diese Einschätzung gerade nicht bestätigten.
Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten fachärztlichen Attests des Herrn D. vom 8. Februar 2018 habe sich der Gesundheitszustand der Klägerin mit Hilfe intensiver therapeutischer Behandlungsbemühungen seit Herbst 2017 stabilisiert und gebessert; eine Arbeitsunfähigkeit bestehe nicht mehr.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass die Zurruhesetzungsverfügung vom 23. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2018 rechtswidrig sei, wie es bereits das Verwaltungsgericht festgestellt habe. Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit sei nicht das von der Beamtin zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn, sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasse alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen die Beamtin amtsangemessen beschäftigt werden könne. Ungeachtet dessen müssten ärztliche Gutachten zu der Frage der Dienst(un)fähigkeit hinreichend und nachvollziehbar begründet sein. Gemessen hieran stelle das das sozialmedizinische Gutachten der Frau Dr. S. vom 25. Oktober 2017 keine tragfähige Grundlage dar. Es dürfe sich seinem Zweck entsprechend nicht auf die bloße Mitteilung einer Diagnose und eines Entscheidungsvorschlags beschränken, sondern müsse die für die Meinungsbildung des Dienstherrn wesentlichen Entscheidungsgrundlagen erkennen lassen. Daran fehle es vorliegend; auch die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründungsschrift könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gutachten der Frau Dr. S. vollkommen unzureichend sei. Dem amtsärztlichen Gutachten komme deshalb (ausnahmsweise) auch nicht der grundsätzliche Vorrang gegenüber den gegenläufigen privatärztlichen Attesten zu. Das Gutachten vom 25. Oktober 2017 leide darüber hinaus unter dem Mangel, dass es sich nicht mit dem vorgelegten fachärztlichen Attest des Herrn D. vom 12. Oktober 2017 auseinandergesetzt habe. Vielmehr fasse die Amtsärztin den Inhalt dieses Attests sehr knapp zusammen und stelle lediglich fest, dass sie an ihren bisherigen Aussagen vollumfänglich festhalte. Entgegen der Auffassung der Beklagten bestünden sehr wohl erhebliche Unterschiede zwischen dem Gutachten der Frau Dr. S. bzw. den Feststellungen des Herrn Dr. J. und dem vorgelegten fachärztlichen Attest. Die jeweiligen Feststellungen seien nicht im Ansatz vergleichbar; bereits die Diagnosen seien vollkommen unterschiedlich. Dass diese Feststellungen des behandelnden Facharztes in die „richtige“ Richtung gingen, ergebe sich auch aus seinem weiteren Attest vom 8. Februar 2018. Hieraus folge, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin mit Hilfe intensiver therapeutischer Behandlungsbemühungen seit dem Herbst 2017 stabilisiert und gebessert habe, weshalb eine Arbeitsunfähigkeit Anfang 2018 nicht mehr bestehe. Deshalb werde die Einholung eines (weiteren) medizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht angeregt.
Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung von 14. November 2023 wird auf den Inhalt des Protokolls der öffentlichen Sitzung des Senats von diesem Tage verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge einschließlich der Personalakte der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Zurruhesetzungsbescheid der Beklagten vom 23. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Versetzung der Klägerin in den Ruhestand findet ihre Rechtsgrundlage in § 44 Abs. 1 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) in der maßgeblichen (aktuellen) Fassung vom 6. März 2015 (BGBl. I S. 250 ff.). Für die Rechtmäßigkeit einer Versetzung in den Ruhestand kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung – hier des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2018 – an.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Mai 2013 – 2 C 68.11 –, juris, Rn. 11, m. w. N., und vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7.97 –, juris, Rn. 16; OVG NRW, Urteile vom 21. November 2022 – 1 A 1314/19 –, juris, Rn. 40, und vom 9. Mai 2011 – 1 A 440/10 –, juris, Rn. 85, jeweils m. w. N.
Ausgehend hiervon hat die Beklagte die Klägerin im Januar 2018 rechtmäßig wegen Dienstunfähigkeit (zu den allgemeinen Maßstäben I.) in den Ruhestand versetzt (zu den einzelfallbezogenen Gründen II.).
I. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist.
1. Dienstunfähigkeit liegt nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG vor, wenn der Beamte in dem Vermögen beschränkt ist, seine Dienstpflichten gemessen an den Anforderungen seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen. Diese Einschränkung muss ursächlich auf körperlichen oder gesundheitlichen Ursachen beruhen. Mit dem Merkmal „dauernd“ tritt ein zukunftsbezogenes zeitliches Element hinzu. Die Entscheidung, ob ein Beamter wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden soll, setzt somit beim Dienstherrn neben der Feststellung der Leistungsanforderungen des abstrakt-funktionellen Amtes und des tatsächlichen Leistungsvermögens des Beamten (in der Regel medizinischen Sachverstand erfordernde) Erkenntnisse des Dienstherrn über die gegenwärtige körperliche bzw. gesundheitliche Verfassung sowie eine Prognose über die weitere Entwicklung des Leistungsvermögens voraus. § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG enthält demgegenüber keinen eigenständigen Begriff der Dienstunfähigkeit. Die an eine bestimmte
Dauer krankheitsbedingter Abwesenheit vom Dienst anknüpfende unwiderlegbare Vermutung entlastet den Dienstherrn lediglich von der Feststellung der maßgeblichen Amtsanforderungen, der konkreten gesundheitlichen bzw. körperlichen Leistungseinschränkungen, des gegenwärtigen Leistungsvermögens des Beamten sowie des erforderlichen Kausalzusammenhangs.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020 – 2 B 5.19 –, juris, Rn. 13 f.; OVG NRW, Urteil vom 21. November 2022 – 1 A 1314/19 –, juris, Rn. 45; siehe auch Koch, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2023, BBG 2009, § 44 Rn. 15 ff., 42.
2. Die Prognose nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG, ob die Dienstfähigkeit innerhalb weiterer sechs Monate nicht wiederhergestellt sein wird, ist dagegen nicht Gegenstand einer Vermutung. Für sie gelten der Sache nach vielmehr dieselben Anforderungen wie für die Prognose nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG, ob der Beamte „dauernd“ dienstunfähig ist.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. November 2022 – 1 A 1314/19 –, juris, Rn. 47; siehe auch Koch, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: Oktober 2023, BBG 2009, § 44 Rn. 46.
Der Dienstherr muss in beiden Fällen die Frage beantworten, wie wahrscheinlich es nach den ihm im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln ist, dass der bestehende Zustand der Dienstunfähigkeit im Prognosezeitraum anhalten wird. Da die Wahrscheinlichkeitsaussage die aktuelle Situation in die Zukunft fortschreibt, bedarf sie (im Fall der „vermuteten“ Dienstunfähigkeit ggf. erstmals) fundierter, plausibler und nachvollziehbarer Anknüpfungstatsachen zum gegenwärtigen Leistungsvermögen und damit zu den konkreten gesundheitlichen oder körperlichen Beeinträchtigungen des Beamten, und setzt ebenfalls in aller Regel besondere medizinische Sachkenntnis voraus, über die nur ein Arzt verfügt, vgl. auch § 47 Abs. 1 Satz 1 BBG.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. November 2022 – 1 A 1314/19 –, juris, Rn. 49; siehe auch Koch, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: Oktober 2023, BBG 2009, § 44 Rn. 39 ff.
3. Bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit ist nicht allein auf die Person des Beamten abzustellen. Vielmehr sind die Auswirkungen seiner körperlichen Gebrechen oder der Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf seine
Fähigkeit, die ihm in seinem konkreten Amt obliegenden Dienstpflichten zu erfüllen, und damit auch die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb entscheidend. Es kommt dabei nicht allein und ausschlaggebend – jedenfalls nicht in allen Fällen – auf Art und Ausmaß der einzelnen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die objektiven ärztlichen Befunde und deren medizinische Qualifikation als solche an, sondern vielmehr darauf, ob der Beamte auf Grund seiner gesamten Konstitution zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Die maßgeblichen Dienstpflichten bestimmen sich in diesem Zusammenhang nach den Anforderungen des Amtes im abstrakt-funktionellen Sinne, allerdings begrenzt auf die Behörde, der der Beamte angehört.
Ständige Rspr. des BVerwG, vgl. etwa Urteile vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 –, juris, Rn. 14, vom 23. September 2004 – 2 C 27.03 –, juris, Rn. 12, vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7.97 –, juris, Rn. 15, und vom 28. Juni 1990 – 2 C 18.89 –, juris, Rn. 17; OVG NRW, Urteile vom 18. April 2013 – 1 A 1707/11 –, juris, Rn. 45, vom 9. Mai 2011 – 1 A 440/10 –, juris, Rn. 87, vom 17. September 2003 – 1 A 1069/01 –, juris, Rn. 42, und vom 28. Mai 2003 – 1 A 2150/00 –, juris, Rn. 98 f., dort zugleich m. w. N.; ferner Senatsbeschluss vom 31. Januar 2018 – 1 B 1131/17 –, juris, Rn. 14.
Nicht erforderlich ist, dass die Fähigkeit zur Dienstleistung schlechthin verloren gegangen ist. Vielmehr liegt Dienstunfähigkeit bereits dann vor, wenn etwa durch eine Vielzahl in relativ kurzen Zeitabständen immer wieder auftretender – sei es gleicher oder zum Teil auch unterschiedlicher – Erkrankungen von längerer
Dauer, die auf eine Schwäche der Gesamtkonstitution und eine damit verbundene Anfälligkeit des Beamten schließen lassen, der Dienstbetrieb empfindlich und unzumutbar beeinträchtigt wird und eine nachhaltige mittelfristig absehbare Besserung nicht zu erwarten ist.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Mai 2011 – 1 A 440/10 –, juris, Rn. 88, m. w. N.
4. Bei der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Diese sind nicht an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 –, juris, Rn. 17, und vom 27. Juni 2013
– 2 C 67.11 –, juris, Rn. 11., jeweils m. w. N.
5. Die Dienstunfähigkeit des Beamten ist zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand. Von einer Versetzung des Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit soll nach § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG abgesehen werden, wenn er anderweitig verwendbar ist.
Damit hat der Gesetzgeber dem Dienstherrn die Verpflichtung auferlegt, für dienstunfähige Beamte nach anderweitigen, ihnen gesundheitlich möglichen und zumutbaren Verwendungen zu suchen. Erst wenn feststeht, dass der in seiner Beschäftigungsbehörde dienstunfähige Beamte auch nicht anderweitig von seinem Dienstherrn eingesetzt werden kann, darf er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzt werden.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. März 2015 – 2 C 37.13 –, juris, Rn. 15, vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 –, juris, Rn. 12, und vom 26. März 2009 – 2 C 73.08 –, juris, Rn. 25 ff.; OVG NRW, Urteil vom 21. November 2022 – 1 A 1314/19 –, juris, Rn. 90 f. m. w. N.
Der Dienstherr ist allerdings von der Suchpflicht entbunden, wenn deren Zweck von vornherein nicht erreicht werden kann. Das ist der Fall, wenn feststeht, dass der Beamte aus gesundheitlichen Gründen nach jeder Betrachtungsweise generell nicht mehr oder nur mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Lage sein wird, Dienst zu leisten, weil ihm überhaupt ein (Rest-) Leistungsvermögen für eine Verwendung im Bereich seines abstrakt-generellen Amtes oder auch eines anderen Amtes fehlt.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 –, juris, Rn. 26 f. und 34 f.; OVG NRW, Urteil vom 21. November 2022 – 1 A 1314/19 –, juris, Rn. 92 f., sowie Beschluss vom 28. August 2018 – 1 A 2092/16 –, juris, Rn. 16 f., jeweils m. w. N.; Koch, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: Oktober 2023, BBG 2009, § 44 BBG Rn. 51, wiederum m. w. N.
II. In Anwendung dieser Grundsätze lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BBG im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 17. Januar 2018 vor. Die Dienstunfähigkeit der Klägerin zu diesem Zeitpunkt war unwiderlegbar zu vermuten, da sie damals bereits über sieben Monate durchgehend dienstunfähig erkrankt war. Des Weiteren war (auch) zu diesem Zeitpunkt prognostisch davon auszugehen, dass sie mindestens für einen Zeitraum von sechs weiteren Monaten nicht wieder die volle Dienstfähigkeit erlangen würde.
1. Das Verwaltungsgericht hat allerdings zu Recht festgestellt, dass die Beklagte die Prognose nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG nicht auf die amtsärztlichen Gutachten der Frau Dr. S. vom 5. September 2017 und (ergänzend) vom 25. Oktober 2017 stützen durfte.
a) Welche Anforderungen an ärztliche Gutachten im Verfahren auf Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zu stellen sind, ergibt sich aus § 48 Abs. 2 Satz 1 BBG (in der hier maßgeblichen Fassung vom 5. Februar 2009, BGBl. I S. 160 ff.)). Nach dieser Vorschrift teilt die Ärztin oder der Arzt der Behörde auf Anforderung im Einzelfall die tragenden Gründe des Gutachtens mit, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die von ihr zu treffende Entscheidung erforderlich ist. Daraus folgt, dass ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes (amtsärztliches) Gutachten sich nicht auf die Mitteilung des Untersuchungsergebnisses beschränken darf, sondern auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe mitteilen muss. Das Gutachten muss danach sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d. h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde, enthalten als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, sein abstrakt-funktionelles Amt weiter auszuüben.
Vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 16. November 2017 – 2 A 5.16 –, juris, Rn. 23, vom 31. August 2017 – 2 A 6.15 –, juris, Rn. 63, und vom 19. März 2015 – 2 C 37.13 –, juris, Rn. 12, sowie Beschlüsse vom 13. März 2014 – 2 B 49.12 –, juris, Rn. 8 f., und vom 20. Januar 2011 – 2 B 2.10 –, juris, Rn. 5, 15; OVG NRW, Beschlüsse vom 21. März 2022 – 1 A 1982/20 –, juris, Rn. 19, vom 29. Juli 2021 – 1 B 465/21 –, juris, Rn. 15, vom 11. Juni 2021 – 1 A 4946/18 –, juris, Rn. 30, und vom 4. September 2014 – 1 B 807/14 –, juris, Rn. 22; auch Bodanowitz, in: Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Aufl. 2020, § 5 Ruhestand, Rn. 56 (m. w. N. in Fn. 153); s. auch Koch, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: Oktober 2023, § 48, Rn. 52 f.
Den Gesundheitszustand des Beamten feststellen und medizinisch bewerten muss der Arzt, die Schlussfolgerungen hieraus für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen ist dagegen Aufgabe der Behörde und ggf. des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Die Behörde muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen inhaltlich nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (können).
Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. März 2015 – 2 C 37.13 –, juris, Rn. 12, und vom 5. Juni 2014 – 2 C 22.13 –, juris, Rn. 18, sowie Beschluss vom 6. März 2012 – 2 A 5.10 –, juris; Rn. 2.
b) Diesen Anforderungen genügt das von der Beklagten ihrer Prognose zugrunde gelegte Gutachten vom 5. September 2017 nebst ergänzender Stellungnahme vom 25. Oktober 2017 ersichtlich nicht. Es stellt für die Feststellung einer dauernden Dienstunfähigkeit (für sich genommen) keine tragfähige Grundlage dar, weil es sich im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses beschränkt und mit Ausnahme einer Wiedergabe der Diagnose sowie der Prognose, mit einer Wiedererlangung der Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate sei nicht zu rechnen, keine medizinischen Ausführungen enthält, die die Beklagte in die Lage hätten versetzen können, die Entscheidung über die Dienstunfähigkeit der Klägerin und damit zugleich über ihre Zurruhesetzung sachgerecht zu treffen.
Etwas anderes gilt hier auch nicht mit Blick auf den Inhalt des in dem Gutachten der Frau Dr. S. und der ergänzenden Stellungnahme verwerteten und weitere Einzelheiten enthaltenden fachärztlichen Gutachtens des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017. Dieses Gutachten lag der Beklagten zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht vor und konnte daher nicht in die damalige Prognoseentscheidung einfließen. Es wurde – auf ihre Bitte hin – erst im erstinstanzlichen Klageverfahren von der Klägerin übersandt.
2. Der Senat hat indes ungeachtet dessen die Überzeugung erlangt, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides keine Aussicht bestand, die Dienstfähigkeit der Klägerin werde innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll hergestellt sein. Diese Prognose stützt sich (unmittelbar) auf die Ausführungen in dem fachärztlichen Gutachten des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017.
a) Bleibt das von der Behörde zugrunde gelegte Gutachten hinter den dargestellten Anforderungen zurück, hat im Streitfall das Verwaltungsgericht die Frage der Dienstunfähigkeit (in Bezug auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch) im Rahmen der Amtsermittlung zu klären.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. November 2020 – 1 A 205/17 –, juris, Rn. 19; Bodanowitz, in: Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Aufl. 2020, § 5 Ruhestand, Fn. 153 zu Rn. 56 m. w. N.
Die Vorschrift des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmt, dass das Verwaltungsgericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat. Fehlt dem Verwaltungsgericht die hierfür erforderliche Sachkunde, muss es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen. Kommt es maßgeblich auf den Gesundheitszustand eines Menschen an, ist daher regelmäßig die Inanspruchnahme ärztlicher Fachkunde erforderlich. Für die hier entscheidungserheblichen medizinischen Fachfragen gibt es keine eigene, nicht durch entsprechende medizinische Auskünfte und Sachverständigengutachten vermittelte Sachkunde des Richters.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2014 – 2 B 24.12 –, juris, Rn. 10 m. w. N.
Das Verwaltungsgericht kann seine Überzeugung dabei auch auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen stützen, die im vorausgehenden Verwaltungsverfahren vorgelegt oder von der zuständigen Behörde eingeholt worden sind.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Dezember 2019 – 1 A 1815/17 –, juris, Rn. 13 f., und vom 15. November 2017 – 1 A 2597/16 –, juris, Rn. 27 f., jeweils m. w. N.
Dasselbe gilt für das – wie hier – Berufungsverfahren.
b) Das im Verwaltungsverfahren von der Amtsärztin eingeholte fachärztliche Gutachten des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017, stützt die o. a. Prognose. Es ist geeignet, dem Senat die erforderliche Sachkunde zu vermitteln.
aa) Der Gutachter ist aufgrund der persönlichen Begutachtung der Klägerin sowie unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen zu dem überzeugenden Ergebnis gelangt (dazu Seiten 13 f. des fachärztlichen Gutachtens), dass die diagnostizierte Anpassungsstörung, die bei der Klägerin bestehende narzisstische Persönlichkeitsstörung und der festgestellte Prozess der inneren Kündigung „eine für jedwede Tätigkeit notwendige, selbst eingeschränkte Dienstfähigkeit mittel-, aber auch langfristig nicht mehr erwarten“ ließen. Die Klägerin werde „bei Aufnahme ihrer Diensttätigkeiten (selbst in reduziertem Umfang) rasch aufgrund der beschriebenen Störungen für ihre Diensttätigkeit ausfallen“. Die von ihr beschriebene Arbeitsmotivation reiche „für die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit nicht aus, um die fixierten psychodynamischen und eher bewussten Anteile entsprechend zu kompensieren“. Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht seien „keine Maßnahmen vorstellbar, welche die Dienstfähigkeit mittelfristig wieder herstellen“ könnten.
bb) Diesen Schlussfolgerungen für das verbliebene Leistungsvermögen der Klägerin legt der Gutachter nachvollziehbar und in sich schlüssig die folgenden Diagnosen zugrunde, deren Auswirkungen auf die negative Beurteilung der Dienstfähigkeit er in seinem Gutachten (dort Seiten 12 f.) näher beschreibt: Die bei der Klägerin diagnostizierte schwere sog. Anpassungsstörung (ICD-10: F43.2) bei bestehender narzisstischer Persönlichkeitsstörung erlaube es ihr nicht, veränderte Strukturen (psychosozial, gesundheitlich, beruflich etc.) wohltuend in die eigene Psyche zu integrieren. Stattdessen komme es zu einer Vielzahl von psychischen Symptomen aus unterschiedlichen psychiatrischen Bereichen, wie z. B. Depressionen und somatoformen Schmerzen. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung mache es ihr nahezu unmöglich, die gesamte Dimension der Anpassungsstörung zu realisieren; sie selbst werde dabei bleiben, dass „die Arbeit“ die Ursache ihrer Probleme sei. Dem liege die feste psychodynamische Überzeugung der Klägerin zugrunde (hierzu näher Seite 8 des fachärztlichen Gutachtens), dass man sie „rausdrücken“ bzw. nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle und sie aufgrund ihrer Veränderung ablehne. Diese Einstellung sei psychodynamisch „sicherlich fixiert und nicht mehr therapierbar“. Die eher unbewussten psychodynamischen Faktoren von empfundener Kränkung, mangelnder Wertschätzung und Ablehnung seien so massiv fixiert und ausschließlich auf die Arbeit, die Kollegen und den Arbeitgeber bezogen, dass allein schon dies keine mittelfristige Wiederherstellung der Dienstfähigkeit mehr zulasse (hierzu Seite 11 des fachärztlichen Gutachtens).
Darüber hinaus bestünden sehr bewusstseinsnahe Anteile, welche die kontinuierliche Dienstfähigkeit für einen geregelten Dienstbetrieb schon für sich genommen mittelfristig nicht mehr herstellen oder auch nur in Ansätzen erwarten ließen (hierzu Seiten 9 und 13 des fachärztlichen Gutachtens). Der in den Äußerungen der Klägerin, sie werde das „noch 2 Jahre durchziehen“, zum Ausdruck kommende Prozess der inneren Kündigung sei bei der Klägerin nicht mehr aufzuhalten.
cc) Der Gutachter setzt sich auch argumentativ überzeugend mit vermeintlich widersprechenden medizinischen Feststellungen auseinander.
(1) Dies gilt zunächst (vgl. Seiten 9 f. des fachärztlichen Gutachtens) für den (vorläufigen) Entlassungsbericht des Prof. Dr. F., Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des L.-Krankenhauses in A. vom 23. Februar 2017. Soweit während des dortigen stationären Aufenthalts in der psychologischen Beurteilung (vgl. Seite 3 f. des Berichts) die emotionalen Reaktionen der Klägerin nicht vorrangig in einer niedergeschlagenen oder traurigen Stimmung gesehen worden seien, sondern sich ausgeglichen und adäquat gezeigt hätten, habe dies nach Angabe des Herrn Dr. J. dem unauffälligen bzw. als nicht depressiv zu beurteilenden Befund bei seiner eigenen persönlichen Begutachtung der Klägerin entsprochen. Bei den Feststellungen habe offenbar die bewusstseinsnahe Komponente im Vordergrund gestanden, wohingegen die psychodynamische Komponente im Rahmen des Krankenhausaufenthalts nicht gesehen worden sei.
(2) Darüber hinaus setzt sich der Gutachter (vgl. Seiten 10 f. des fachärztlichen Gutachtens) mit dem Attest des behandelnden Facharztes Herrn D. vom 18. Juli 2017 auseinander. Soweit dieser eine mittelgradige depressive Episode (bei rezidivierender depressiver Störung) beschreibe und insoweit ein engmaschiges (psychiatrisches, psychopharmakologisches und psychotherapeutisches) Behandlungssetting empfehle, habe er offenbar auch das eher unbewusste, psychodynamisch bedingte Beschwerdebild der Klägerin erkannt. In diesem Zusammenhang sei es wissenschaftlich nachgewiesen, dass die beschriebenen bewussten und unbewussten Anteile teils gemischt aufträten, teils aber auch einzeln im Vordergrund stehend erscheinen könnten. Der jeweils andere Teil könne in diesen Fällen nur bei sorgfältiger Exploration erkannt werden. Demzufolge handele es sich nur scheinbar um widersprüchliche Unterlagen; im Prinzip seien in den vorhandenen Unterlagen beide Anteile der Patientin, die im Gutachten herausgearbeitet worden seien, beschrieben und stünden je nach Unterlage deutlich im Vordergrund. Dass der behandelnde Arzt Herr D. die Prognose einer mittelfristig wiederherstellbaren Dienstfähigkeit als günstig einschätze, überzeuge hingegen nicht (dazu Seite 11 des Gutachtens). Weder berücksichtige Herr D. die sehr bewussten Anteile einer inneren Kündigung noch habe er in den Blick genommen, dass sich für die Klägerin nach ihrem Outing nicht nur ihre Arbeitsplatzsituation verändert habe, sondern zugleich ihre gesamten psychosozialen Strukturen außerhalb der Arbeit, darunter insbesondere auch die Beziehung zu ihrer Frau. Die Klägerin wirke insoweit wenig introspektionsfähig und diesbezüglichen Fragen gegenüber eher ablehnend.
3. Der Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens bedurfte es vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen und Feststellungen des Herrn Dr. J. zum Gesundheitszustand der Klägerin im maßgeblichen Entscheidungs- sowie Prognosezeitpunkt nicht.
a) Liegt – wie hier – bereits ein inhaltlich verwertbares Gutachten vor, so steht es nach § 98 VwGO, §§ 404 Abs. 1, 412 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Verwaltungsgerichts, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt. Das Gericht ist nur verpflichtet, ein weiteres Gutachten einzuholen, wenn sich ihm auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung eine weitere Sachaufklärung aufdrängen muss, d. h. wenn das vorhandene Gutachten nicht (hinreichend) geeignet ist, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Dies ist der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare (grobe) Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters gibt. Die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren Gutachtens folgt hingegen nicht schon daraus, dass ein Beteiligter das vorliegende Gutachten als Erkenntnisquelle für unzureichend hält.
Ständige Rspr. des BVerwG, etwa Beschlüsse vom 6. November 2020 – 6 B 31.20 –, juris, Rn. 19, vom 16. Mai 2018 – 2 B 12.18 –, juris, Rn. 9, und vom 3. Februar 2010 – 2 B 73.09 –, juris, Rn. 9; aus der ebenfalls ständigen Rspr. des Senats vgl. die Beschlüsse vom 22. April 2022 – 1 E 39/22 –, juris, Rn. 11 f., vom 11. Dezember 2019 – 1 A 1815/17 –, juris, Rn. 13 f., und vom 15. November 2017 – 1 A 2597/16 –, juris, Rn. 27 f., jeweils m. w. N.
b) Gemessen hieran war der Senat nicht gehalten, ein weiteres fachärztliches Gutachten zu der Frage der – bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchbescheides – künftigen Dienstunfähigkeit der Klägerin einzuholen. Das fachärztliche Gutachten des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017 ist nicht nur geeignet, dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen bezogen auf die Voraussetzungen der Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit zu vermitteln, sondern ermöglicht zudem eine substantiierte Auseinandersetzung mit anderen, vermeintlich widersprechenden ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen. Auf die vorstehenden Ausführungen wird verwiesen. Einen über diese Informationen hinausgehenden Aufklärungsbedarf hat der Senat nicht, auch nicht aufgrund des Vorbringens der Beteiligten im Berufungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung, feststellen können.
Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der von der Klägerin angeführten Feststellungen des Herrn D. in seinen fachärztlichen Attesten vom 12. Oktober 2017 (dazu aa)) und vom 8. Februar 2018 (dazu bb)).
aa) Die beiden Atteste des Herrn D. vom 12. Oktober 2017 enthalten keine Ausführungen, die geeignet wären, die Feststellungen aus dem fachärztlichen Gutachten des Herrn Dr. J. vom 31. August 2017 in Zweifel zu ziehen.
Zunächst wird in dem – mit Ausnahme des Datums mit dem Attest vom 18. Juli 2017 (s. o.) wortgleichen – Attest vom 12. Oktober 2017 lediglich die frühere
Diagnose „Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode {F33.1}“ wiederholt; diese verlange ein engmaschiges Behandlungssetting. Mit den Ausführungen des Herrn Dr. J., dieses eher unbewusste, psychodynamisch bedingte Beschwerdebild der Klägerin mache nur einen Teil des gesamten Krankheitsbildes aus, setzt sich Herr D. dagegen nicht auseinander. Stattdessen stellt er lediglich erneut fest, dass der Krankheitsverlauf „einen schwerwiegenden, therapeutisch nur mit Mühe beeinflussbaren Zustand“ zeige, die Klägerin sei inzwischen auf niedrigem Niveau kompensiert und verbessert und eine Wiederherstellung der Dienstfähigkeit sowie Besserung des psychomentalen Leistungsvermögens könne mittelfristig in Aussicht gestellt werden. Dass Herr D. mit weiterem Attest vom 12. Oktober 2017 – also zeitgleich – einen stabilisierten und gebesserten Gesundheitszustand der Klägerin bescheinigt, der es sogar erlaube, ihre Rückkehr in den Arbeitsalltag und eine stufenweise Wiedereingliederung – beginnend bereits ab dem 7. November 2017 mit Abschluss zum 16. Dezember 2017 – zu planen, ist damit nicht vereinbar und in sich widersprüchlich. Der behandelnde Arzt erläutert insbesondere nicht im Ansatz, wie sich ein lediglich auf niedrigem Niveau kompensierter Gesundheitszustand mit vager Prognose einer zeitlich nicht näher eingegrenzten mittelfristigen Wiederherstellung der Dienstfähigkeit mit dem sehr zeitnahen Wiedereingliederungsplan ab dem darauffolgenden Kalendermonat verträgt. Ungeachtet dessen verhält sich Herr D. auch nicht zu der Einschätzung des Herrn Dr. J., er als behandelnder Facharzt habe die bewussten Anteile des Beschwerdebildes nicht erkannt und seinen Annahmen zugrunde gelegt.
bb) Entsprechendes gilt im Ergebnis auch für das weitere fachärztliche Attest des Herrn D. vom 8. Februar 2018. Es kommt nicht darauf an, dass die dortigen Erkenntnisse erst zu einem Zeitpunkt nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2018 gewonnen wurden und daher für die Prognoseentscheidung außer Betracht bleiben mussten. Unabhängig hiervon bestätigen sie entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, dass eine fortwährende oder wiederkehrende Dienstunfähigkeit im Falle der Dienstaufnahme nicht mehr zu erwarten sei. In dem äußerst knappen fachärztlichen Attest heißt es lediglich, dass sich ihr Gesundheitszustand „mit Hilfe intensiver therapeutischer Behandlungsbemühungen seit dem Herbst 2017 stabilisiert und gebessert habe“. Eine Arbeitsunfähigkeit bestehe nicht mehr. In der inzwischen mehrjährigen ambulanten Behandlungs- und Beobachtungszeit sei es immer auch zu deutlichen Besserungen der psychischen Gesundheit der Klägerin gekommen, was auch aktuell gelungen sei. Die Ausführungen des Gutachters Dr. J. werden auch hierdurch nicht in Frage gestellt. Ihnen lässt sich als wesentliche Ursache der psychischen Belastung der Klägerin eine starke zu erwartende Wechselwirkung des Gesundheitszustands bei Dienstaufnahme und während der Diensttätigkeit entnehmen, an der es im Jahr 2017 und bis zum Zeitpunkt des fachärztlichen Attests vom 8. Februar 2018 gerade fehlt. Ob sich der Gesundheitszustand der Klägerin – was durch Herrn D. lediglich bescheinigt wird – ohne diese belastenden Elemente verbessern und stabilisieren konnte, ist für die prognostische Entscheidung über die Dienstfähigkeit aber unerheblich. Eine aktuelle oder künftig zu erwartende Beschwerdefreiheit ohne Diensttätigkeit ist nicht geeignet, eine Dienstfähigkeit verlässlich zu begründen. Die ärztlichen Feststellungen des Herrn D. befassen sich insoweit auch nicht mit der für die Feststellung der Dienstfähigkeit im Vordergrund stehenden Frage der Anforderungen des abstrakt-funktionellen Amtes sowie den Auswirkungen auf den Dienstbetrieb aufgrund künftiger wiederholter Fehlzeiten. Aufgrund der festgestellten multiplen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen der Klägerin und wegen ihrer nachhaltigen konstitutiven Schwäche der körperlichen/psychischen Verfassung ist auf Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme des Herrn Dr. J. vielmehr anzunehmen, dass bei Wiederaufnahme der Diensttätigkeit (erneut) eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands und hierdurch weitere erhebliche Fehlzeiten eintreten werden.
Dass sich die Klägerin schließlich nach eigener subjektiver Einschätzung für dienstfähig hält, ist vor diesem Hintergrund ebenfalls unerheblich.
4. In Anbetracht der vorgenannten medizinischen Feststellungen, die sich nicht auf eine bestimmte Arbeitstätigkeit beziehen, sondern die Diensterfüllung im Gesamten betreffen, war die Beklagte – anders als die Klägerin meint – auch nicht gehalten, weitere Dienstposten in die Prüfung miteinzubeziehen, die im Rahmen einer anderweitigen Verwendung (§ 44 Abs. 1 Satz 3 BBG) oder gemäß § 44 Abs. 3 BBG zur Vermeidung der Versetzung in den Ruhestand in Betracht kommen könnten. Nach dem Ergebnis der gutachterlichen Stellungnahme des Herrn Dr. J. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nach jeder Betrachtungsweise generell nicht mehr oder nur mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Lage sein wird, Dienst zu leisten. Davon ist auch die Beklagte ausgegangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 BRRG nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung.