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Sachverständigenablehnung wegen mangelnder Sorgfalt

OLG Frankfurt – Az.: 17 W 12/21 – Beschluss vom 18.08.2021

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags, den Sachverständigen A wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Dem Rechtsstreit liegt ein auf einen gesetzlichen Forderungsübergang gestützter vertraglicher und/oder deliktischer Schadensersatzanspruch der Klägerin als Kranken-(Pflege-)Versicherer der Versicherungsnehmerin, Frau B, zugrunde, §§ 116 Abs. 1 SGB X, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB. Die Klägerin verlangt Zahlung der an die Versicherungsnehmerin verauslagten Behandlungs- und Pflegekosten sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung zukünftiger, auf die gegenständliche Behandlung in der von der Beklagten betriebenen Klinik zurückzuführender Schäden.

Der Versicherungsnehmerin der Klägerin wurde durch bei der Beklagten angestellte Ärzte am 9. Januar 2012 eine zementfreie Hüft-TEP links in minimal invasiver Technik implantiert. Nach Verlegung zur Rehabilitation in die Klinik1 in Stadt1 erfolgten Ende Januar 2012 und Mitte Februar jeweils stationäre und im April, Mai und Juli 2012 ambulante Aufenthalte in die Klinik der Beklagten wegen persistierender Beschwerden im linken Oberschenkel. Es schlossen sich wegen fortbestehender Beschwerden der Versicherungsnehmerin ein Aufenthalt in der Medizinischen Klinik X in Stadt2 vom 23. April bis 10. Mai 2013 und ein solcher in der Klinik der Beklagten vom 10. bis 25. Mai 2013 an, während dessen eine Lockerung der Prothesenpfanne diagnostiziert und sodann am 14. Mai 2013 ein Pfannenwechsel der Hüft-TEP vorgenommen wurde. Nach durchlaufener Rehabilitation in Stadt1 kam es Anfang November bis Mitte November 2014 zu einem stationären Aufenthalt der Versicherungsnehmerin der Klägerin in der Y-Klinik Stadt2. Es wurden u. a. ein „Low grade-Infekt“ der Hüfte links mit septischer Lockerung und Zustand nach septischem Pfannenwechsel diagnostiziert und ein zweizeitiger Prothesenwechsel der linken Hüfte bei Rekonstruktion mit temporärer Spacer-Prothese durchgeführt.

Die Klägerin hat den Schadensersatzanspruch u. a. unter Bezugnahme auf ein Gutachten des MDK vom 5. Januar 2016 auf eine unzureichende Aufklärung der Versicherungsnehmerin vor der Implantation der Hüft – TEP Anfang Januar 2012 bei vorhandenem Entscheidungskonflikt gestützt. Darüber hinaus sei die Behandlung in der Klinik der Beklagten durchweg entgegen des zugrunde zu legenden Facharztstandards erfolgt, weil eine fachgerechte prä-, intra- und postoperative antibiotische Behandlung unterblieben und die Befunderhebung mit Blick auf die Thromboseprophylaxe und die Infektion der Hüftprothese und die CRP-Werte sowie den aus den Abstrichen herzuleitenden Ergebnissen (grob) fehlerhaft gewesen sei.

Die Beklagte geht demgegenüber von einer dem fachärztlichen Standard entsprechenden Behandlung aus und verweist wegen des Schadens auf „Sowieso -Kosten“.

Das Landgericht hat gemäß § 358a ZPO Sachverständigenbeweis erhoben zu den Behauptungen der Klägerin und (gegenbeweislich) der Beklagten (Bl. 119 – 122 d. A.) und nach Vorschlag der LÄK Bundesland1 und im Einvernehmen der Parteien A zum Sachverständigen bestellt, der das Gutachten am 17. Dezember 2020 erstellte unter Hinweis darauf, dass ihm das Gutachten des MDK und die Originalkrankenblattunterlagen der Beklagten nicht überlassen worden seien (Bl. 142 – 177 d. A.), er sich gleichwohl zu einer Bewertung in der Lage sehe. Die Krankenblattunterlagen der Beklagten wurden ihm erst nach Gutachtenerstellung übersandt.

Innerhalb der den Parteien durch die Vorsitzende gewährten Frist zur Stellungnahme gemäß § 411 Abs. 4 ZPO hat die Klägerin den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Sachverständige habe einseitig zulasten der Klägerin das Gutachten ohne die Krankenblätter und ohne Kenntnis des Inhalts des Gutachtens des MDK und damit ohne erschöpfende Tatsachengrundlage ohne Not erstellt. Mit Blick auf das Gutachten des MDK sei die Bewertung des Sachverständigen abwertend und nicht sachbezogen. Der Facharztmaßstab sei nicht herausgearbeitet und die Bewertung sei oberflächlich bagatellisierend. Es sei nicht zu erwarten, dass sich der Sachverständige angesichts dessen einer Neubewertung gegenüber unvoreingenommen verhalten werde.

Die Beklagte sieht keinen Grund zur Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag zurückgewiesen. Der Sachverständige habe die Beweisthemen behandelt und sich nicht einseitig zulasten der Klägerin positioniert sowie seine Bewertungsgrundlage offengelegt.

Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin mit der sie die nach ihrer Ansicht eine Besorgnis der Befangenheit tragenden Umstände wiederholt und auf die notwendige Gesamtbetrachtung hinweist.

Die Beklagte trägt um Zurückweisung der sofortigen Beschwerde an und verteidigt die Bewertung in der angefochtenen Entscheidung.

II.

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist daher zurückzuweisen. Das Landgericht geht zu Recht davon aus, Gründe, die für die Klägerin die Besorgnis der Befangenheit in der Person des Sachverständigen gemäß § 406 Abs. 1 i. v. m. § 42 Abs.2 ZPO hervorrufen könnten, lägen nicht vor.

Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 ZPO innerhalb der Frist zur Stellungnahme zu dem Gutachten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2005 – VI ZB 74/04 -, Rn. 12, juris) gestellt.

Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken. Es ist unerheblich, ob der gerichtlich beauftragte Sachverständige tatsächlich parteilich ist oder ob das Gericht etwa Zweifel an dessen Unparteilichkeit hegt. Es ist allein maßgeblich, ob für die das Ablehnungsgesuch stellende Partei der Anschein einer nicht vollständigen Unvoreingenommenheit und Objektivität besteht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – X ZR 100/05 -, Rn. 5, juris), wobei mehrere Gründe, die für sich genommen eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen vermögen, in ihrer Gesamtheit die notwendige Überzeugung vermitteln können (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. Juli 2005 – 1 W 1010/05 -, Rn. 11, juris; Huber: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., Rn. 4, § 406 ZPO).

In diesem Zusammenhang können Negativäußerungen über eine Prozesspartei die Voreingenommenheit begründen (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1981 – IVa ZR 108/80 -, Rn. 19, juris); ebenso können einzelfallbezogen das Überschreiten des Gutachtenauftrags oder eine parteilastige Beweiswürdigung und das Nichtoffenbaren herangezogener Beweisunterlagen zu einer Voreingenommenheit beitragen (vgl. i. e. Scheuch in: BeckOK ZPO, Stand 1. März 2021, Rn. 24.2 f., § 406 ZPO m. w. N.).

Gemessen daran liegen für die Klägerin in der Person des Sachverständigen keine Gründe vor, die Anlass zur Besorgnis der Befangenheit geben.

Soweit der Sachverständige unter Verweis auf das ihm nicht vorliegende und damit aus der Klageschrift hergeleitete Gutachten des MDK die dort angesprochenen zehn Behandlungsfehler mit einem „(!)“ versieht, handelt es sich um eine wertneutrale Einfügung, die offensichtlich der Tatsache geschuldet ist, dass er keinen Zugriff auf das Gutachten des MDK hatte und sich damit zu einer eigenständigen Bewertung dieser privatgutachterlichen Stellungnahme nicht in der Lage sah. Eine unangemessene Abwertung der Behauptungen der Klägerin oder gar der Bewertung des Gutachters des medizinischen Dienstes ging damit bei sachgerechter Betrachtung nicht einher.

Der Verweis des Sachverständigen auf eine „ex post“ – Betrachtung durch den MDK begegnet bei sachgerechter Einordnung ebenfalls keinen Bedenken, weil selbstredend die gutachterliche Bewertung – sei es durch den vom Gericht oder von den Parteien bestellten Sachverständigen – immer nur ex post erfolgen kann; freilich unter Heranziehung der dem medizinischen Behandler zum Zeitpunkt der Diagnoseerstellung, der Aufklärung und des Eingriffs zur Verfügung stehenden Erkenntnisse, worauf der Sachverständige mit Blick auf die differentialdiagnostische Betrachtung zutreffend hingewiesen hat.

Soweit die Klägerin den Gutachteninhalt als oberflächlich bagatellisierend begreift, weil der Sachverständige die Befundtatsachen nicht erschöpfend herangezogen und den Maßstab für eine Behandlung lege artis nicht herausgearbeitet habe, so dass das Gutachten (jedenfalls in der Gesamtbetrachtung) nicht verwertbar sei und nicht erwartet werden könne, der Sachverständige werde einer Neubewertung offen begegnen, vermögen diese Umstände die Besorgnis der Befangenheit auch in einer Gesamtschau nicht zu begründen.

Die Besorgnis der Befangenheit wird mit Blick darauf auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des Gutachtens haben. Der Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehler können das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich genommen indessen nicht die Besorgnis der Befangenheit bei der Klägerin. Wenn die Klägerin moniert, der Sachverständige habe das Gutachten erstellt, ohne dass ihm die Originale der Krankenblattunterlagen der Beklagten und der Inhalt des Gutachtens des MDK vorgelegen hätten und er habe damit die Tatsachen nicht ausreichend erfasst, so dass er von einem unrichtigen, jedenfalls nicht vollständigen Sachverhalt ausgegangen sei, wirft die Klägerin dem Sachverständigen eine unzureichende Sorgfalt bei der Begutachtung vor. Dieser Vorwurf vermag aber vorliegend nicht die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2005 – VI ZB 74/04 -, Rn. 14, juris). Dem damit erhobenen Vorwurf der mangelnden Sorgfalt sehen sich nämlich beide Prozessparteien in gleicher Weise ausgesetzt. Sowohl dem Gericht als auch den Parteien wird mittels der mündlichen Erläuterung des Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 ZPO oder der Neubegutachtung gemäß § 412 ZPO die Möglichkeit eröffnet, etwaige Mängel in dem Gutachten zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Entscheidungsgrundlage dienen kann (vgl. BGH, aaO).

Der Sachverständige hat im Übrigen beide Parteien und das Gericht nicht darüber im Unklaren gelassen, dass ihm sowohl die Krankenblattunterlagen der Beklagten als auch das Gutachten des MDK nicht vorliegen. Er hat seine Tatsachengrundlage eröffnet und nicht etwa nach außen hin eine vollständige Tatsachenbasis vorgespiegelt oder – vice versa – gar Tatsachen verwertet, über die er die Verfahrensbeteiligten in Unkenntnis ließ.

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