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Sachverständiger – Erläuterungspflicht auf Antrag

BGH – Az: VI ZR 150/02 – Urteil vom: 27.01.2004


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2004 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 11. März 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz des Schadens, der ihm aufgrund eines vom Beklagten zu 1 am 13. Februar 1993 verursachten Verkehrsunfalls entstanden ist. Der Kläger verlor beim Ausweichen vor dem seine Vorfahrt mißachtenden PKW des Beklagten zu 1 die Kontrolle über sein Fahrzeug. Dieses geriet nach links in den Straßengraben und überschlug sich. Dabei wurde der Kläger nicht unerheblich verletzt.

Die volle Ersatzpflicht der Beklagten für die Folgen des Unfalls ist bereits 1994 festgestellt worden. 1996 sind die Beklagten zudem verurteilt worden, dem Kläger den bis 31. August 1995 entstandenen Verdienstausfallschaden zu ersetzen. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es insbesondere um den vom Kläger geltend gemachten weiteren Verdienstausfallschaden seit dem 1. September 1995.

Der Kläger hat geltend gemacht, bei dem Unfall im Bereich der Halswirbelsäule derart verletzt worden zu sein, daß ihm eine weitere Berufstätigkeit nicht möglich sei. Die Beklagten sind dem entgegengetreten. Sie haben u.a. darauf verwiesen, daß eine sozialgerichtliche Klage des Klägers auf Gewährung von Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrente vom Sozialgericht abgewiesen und später im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht zurückgenommen wurde.

Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. M-H. weitgehend stattgegeben. Das Berufungsgericht hat nach Einholung weiterer Gutachten die Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht führt in dem angefochtenen Urteil aus, die vom Kläger behaupteten Beschwerden, die letztlich zu seiner Erwerbsunfähigkeit geführt haben sollten, seien nicht auf den Verkehrsunfall zurückzuführen. Aufgrund der Beweisaufnahme sei ein haftungsausfüllender Ursachenzusammenhang nicht festzustellen. Dies ergebe sich insbesondere aus dem umfangreichen, sehr sorgfältig ausgearbeiteten und überzeugenden neurologischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M-V. Dieser habe die entscheidende Frage dahingehend beantwortet, daß der Unfall nicht zu einer Schwäche der Konzentrations- und Merkfähigkeit sowie einer Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinnes bei dem Kläger geführt habe. Die für das vom Landgericht angenommene „cervico-encephale Syndrom“ typischen Beschwerden wie Nacken- und Hinterkopfschmerzen, die mit weiteren verschiedenartigen Beschwerden wie Müdigkeit, Angst, Schlafstörung, Schwindelgefühl, Sehstörung, Tinnitus, Reizbarkeit und Vergeßlichkeit einhergingen, habe er bezogen auf den Zeitraum nach dem Unfallereignis den von ihm ausgewerteten Unterlagen nicht entnehmen können, ebenso keine Anhaltspunkte für eine Hirnfunktionsstörung.

Der Sachverständige Prof. Dr. M-V. weise darauf hin, daß bei dem Kläger keine objektiven klinischen krankhaften neurologischen Befunde, die auf eine Hirnfunktionsstörung hinweisen könnten, ermittelt worden seien. Er mache in seinem Gutachten zutreffend auf die deutlichen Unterschiede in der Art der zu verschiedenen Zeitpunkten geklagten bzw. beschriebenen Störungen aufmerksam. Für den Sachverständigen hätten sich Hinweise darauf ergeben, daß die von dem Kläger dargebotenen Störungen der Bewegungskoordination zumindest zu einem beträchtlichen Teil nicht auf einer organischen Grundlage beruhten, sondern „psychogene Zutaten“ seien.

Mit den Ergebnissen der Vorgutachten habe sich der Sachverständige eingehend auseinandergesetzt. Anlaß zu weiterer Beweiserhebung bestehe nicht. Es sei auch nicht dem Antrag des Klägers auf Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. M-V. nachzugehen. Die zur Begründung dieses Begehrens geäußerten Umstände seien nach der Überzeugung des Senats in dem schriftlichen Gutachten bereits in ausreichender Weise abgehandelt.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht den prozessualen Anspruch des Klägers auf mündliche Befragung des Sachverständigen (§§ 397, 402 ZPO) verletzt hat, indem es davon abgesehen hat, den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. M-V. zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden.

Der Kläger hat schriftsätzlich mehrfach die mündliche Befragung dieses Sachverständigen zu bestimmt formulierten Fragen beantragt. Auch wenn das Berufungsgericht aufgrund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. M-V. die Frage der fehlenden Unfallursächlichkeit der Beschwerden des Klägers selbst für ausreichend geklärt hielt, konnte der Kläger verlangen, daß dem Sachverständigen die Fragen, die er zur Aufklärung der Sache für erforderlich hielt, zur mündlichen Beantwortung vorgelegt wurden (st.Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 7. Oktober 1997 – VI ZR 252/96 – VersR 1998, 342; vom 17. Dezember 1996 – VI ZR 50/96 – VersR 1997, 509; vom 22. Mai 2001 – VI ZR 268/00 – VersR 2002, 120, 121 f.; jew. m.w.N.). Die in dem angefochtenen Urteil für die Ablehnung der Anhörung gegebene Begründung, die beabsichtigten Fragen seien in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M-V. bereits in ausreichender Weise abgehandelt worden, erweist sich mithin als verfahrensfehlerhaft.

Daß die Anträge verspätet oder rechtsmißbräuchlich gestellt worden seien, nimmt das Berufungsgericht nicht an. Dafür spricht auch nichts. Die schriftsätzlich formulierten Fragen bezogen sich teilweise auf eine kritische Stellungnahme des Privatgutachters Dr. M-K. zu dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M-V.; die Fragestellung war durchaus mit sachlicher Kritik und insbesondere mit dem Hinweis darauf verbunden, daß die Unfallursächlichkeit in den bisherigen ärztlichen Stellungnahmen weitgehend bejaht worden war.

Auch wenn das Berufungsgericht die Beurteilung durch den Sachverständigen M-V. für maßgeblich hielt, weil er im Gegensatz zu den anderen Gutachtern die Krankengeschichte des Klägers vollständig ausgewertet habe, hätte es diesem doch Gelegenheit geben müssen, selbst Fragen an den Sachverständigen zu richten. Hierzu bestand um so mehr Anlaß, als es um Beschwerden des Klägers nach dem Unfall ging, über die dieser selbst dem Sachverständigen hätte Auskunft geben können. Dann wäre auch vermieden worden, daß das Berufungsgericht dem Sachverständigen zu weitgehend die Feststellung von Tatsachen anhand der Krankenunterlagen überließ, anstatt sie selbst festzustellen (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. Juni 1979 – VI ZR 91/78 – VersR 1979, 939, 940 f.). Ob dem Berufungsgericht, wie die Revision meint, auch in diesem Punkt ein durchgreifender Verfahrensfehler im Sinne eines Verstoßes gegen § 404a ZPO unterlaufen ist, kann dahinstehen, weil das Berufungsurteil ohnehin der Aufhebung unterliegt.

2. Dies gilt auch für die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe gegen die Verpflichtung des Tatrichters verstoßen, das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen sorgfältig und kritisch zu würdigen (vgl. dazu etwa Senatsurteile vom 19. Januar 1993 – VI ZR 60/92 – VersR 1993, 835 f. und vom 6. Januar 2001 – VI ZR 408/99 – VersR 2001, 783 f.), und sich insbesondere auch mit den vom Kläger vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen (Senatsurteile vom 14. Dezember 1993 – VI ZR 67/93 – VersR 1994, 480, 482 und vom 9. Januar 1996 – VI ZR 70/95 – VersR 1996, 647, 648 f.).

Die Revision macht geltend, das Berufungsgericht hätte die Beurteilung durch den Sachverständigen M-V. aufgrund der vollständigen Krankenunterlagen nicht für maßgeblich halten dürfen, ohne diese Unterlagen den anderen Gutachtern – die einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Beschwerden des Klägers bejaht haben – zwecks Überprüfung ihrer Auffassung zur Stellungnahme zuzuleiten. Auch sei die Beurteilung durch den Sachverständigen M-V. entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keineswegs vollständig. Diesen Einwänden wird das Berufungsgericht nachzugehen haben. Ob es einer weiteren Beweisaufnahme bedarf – etwa zu den vom Kläger behaupteten Schwindelgefühlen – und ob die haftungsrechtliche Relevanz der vom Sachverständigen M-V. angenommenen „psychogenen Zutaten“ zu prüfen ist, kann beim derzeitigen Verfahrensstand nicht abschließend beurteilt werden.

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