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Schadenersatz bei Auffahrunfall mit Vorschaden: 50% Abzug Neu für Alt

Ein Autofahrer forderte nach einem Auffahrunfall die Reparaturkosten für den Stoßfänger, obwohl dieser bereits durch einen Vorschaden lädiert war. Das Bauteil war noch funktionsfähig, doch um eine ungerechtfertigte Bereicherung zu vermeiden, musste das Gericht bei der Schadensberechnung hart durchgreifen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 13 S 115/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landgericht Saarbrücken
  • Datum: 20.03.2025
  • Aktenzeichen: 13 S 115/24
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Schadensersatzrecht, Verkehrsrecht

  • Das Problem: Die Klägerin erlitt einen Auffahrunfall an ihrem Fahrzeug. Das beschädigte Bauteil (Stoßfänger) wies bereits einen unreparierten Vorschaden auf. Die Beklagtenseite lehnte die Zahlung ab, da sie argumentierte, der neue Schaden werde durch den alten Schaden zu 100 Prozent überdeckt.
  • Die Rechtsfrage: Muss ein Unfallverursacher für einen Schaden aufkommen, wenn dieser Schaden ein Autoteil betrifft, das bereits unreparierte Beschädigungen aus einem früheren Unfall aufweist?
  • Die Antwort: Ja. Ein Zweitschaden ist ersatzfähig, sofern der Vorschaden das Bauteil nicht bereits völlig wertlos gemacht hatte. War das Fahrzeug trotz des Vorschadens noch verkehrssicher, liegt eine eigenständige Vermögensminderung vor; zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung muss jedoch ein Abzug „Neu für Alt“ vorgenommen werden (im Urteil: 50 Prozent).
  • Die Bedeutung: Der Anspruch auf Schadenersatz geht nicht verloren, nur weil ein Bauteil bereits beschädigt war. Gerichte müssen jedoch prüfen, ob der Vorschaden das Bauteil technisch entwertet hatte und ob die neue Beschädigung abgrenzbar ist.

Wie wird der Schadenersatz bei einem Auffahrunfall mit Vorschaden berechnet?

Ein unachtsamer Moment im Verkehr, ein Auffahrunfall – und plötzlich steht eine heikle Frage im Raum: Wer zahlt für einen neuen Schaden an einem Autoteil, das bereits eine Delle vom letzten Malheur hat? Ist der neue Schaden überhaupt ersatzfähig oder wird er vom alten quasi „geschluckt“? Mit genau diesem Konflikt musste sich das Landgericht Saarbrücken in seiner Entscheidung vom 20. März 2025 (Az. 13 S 115/24) auseinandersetzen. Das Urteil liefert eine präzise Anleitung zur Berechnung eines Zweitschadens und korrigiert dabei die vorinstanzliche Entscheidung, die einen Ersatzanspruch noch komplett verneint hatte. Es ist eine lehrreiche Geschichte über den Unterschied zwischen einem beschädigten und einem wertlosen Bauteil.

Was war genau geschehen?

Der Heckstoßfänger eines Wagens zeigt deutlich kontrastierend eine ältere Delle neben den frischen, hellen Unfallkratzern.
LG Saarbrücken: Berechnung von Zweitschäden bei Vorschäden nach Auffahrunfällen geregelt. | Symbolbild: KI

Die Geschichte beginnt mit einem Fahrzeug, das bereits eine Vergangenheit hatte. Die Heckverkleidung des Autos der späteren Klägerin wies auf der linken Seite einen unreparierten Anstoßschaden auf. Ein Gutachten aus dem Dezember 2022 hatte diesen ersten Schaden dokumentiert, das Fahrzeug aber ausdrücklich als verkehrssicher eingestuft. Knapp ein Jahr später, am 30. November 2023, kam es zu einem zweiten, unverschuldeten Unfall: Ein anderes Fahrzeug fuhr auf, wodurch nun die rechte Seite der Heckverkleidung beschädigt wurde – durch Kratzer und Eindellungen.

Die Autofahrerin beauftragte daraufhin dasselbe Sachverständigenbüro, das schon den ersten Schaden begutachtet hatte. Der Sachverständige stellte fest, dass die beiden Schäden zwar an derselben Heckverkleidung, aber in klar voneinander abgrenzbaren Zonen lagen – einmal links, einmal rechts. Um beide Schäden fachgerecht zu beheben, sei jedoch ein Austausch der kompletten Verkleidung notwendig. Weil dadurch auch der alte Schaden beseitigt würde, nahm der Gutachter einen Abzug „Neu für Alt“ in Höhe von 50 % auf die Reparaturkosten vor und bezifferte den ersatzfähigen Schaden auf netto 1.724,40 Euro.

Die Versicherung des Unfallverursachers weigerte sich jedoch zu zahlen. Ihre Argumentation war radikal: Da die Heckverkleidung bereits aufgrund des ersten Schadens hätte ausgetauscht werden müssen, sei durch den zweiten Unfall kein zusätzlicher wirtschaftlicher Schaden entstanden. Es liege eine vollständige „Schadensüberdeckung“ vor, der Anspruch sei null. Das Amtsgericht Neunkirchen folgte in erster Instanz dieser Sichtweise und wies die Klage der Autofahrerin vollständig ab. Dagegen legte sie Berufung ein.

Welche rechtlichen Prinzipien stehen im Mittelpunkt?

Um die Entscheidung des Landgerichts zu verstehen, muss man drei zentrale Pfeiler des deutschen Schadensersatzrechts kennen.

Das Fundament bildet die sogenannte Differenzhypothese, verankert in § 249 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dieser Grundsatz besagt, dass der Schädiger den Geschädigten finanziell so stellen muss, als wäre das schädigende Ereignis nie eingetreten. Der Geschädigte hat Anspruch auf den Geldbetrag, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist.

Daraus leitet sich zum einen das Wirtschaftlichkeitsgebot ab: Der Geschädigte muss den wirtschaftlich vernünftigsten Weg der Schadensbehebung wählen. Zum anderen gilt das Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung. Ein Geschädigter soll am Schaden nicht verdienen. Führt die Reparatur zu einer Wertsteigerung seines Eigentums – etwa weil ein altes, abgenutztes Teil durch ein fabrikneues ersetzt wird –, muss er sich diesen Vorteil in Form eines Abzugs „Neu für Alt“ anrechnen lassen.

Schließlich schützt das Recht die Dispositionsfreiheit des Geschädigten. Ob und wann jemand den Schadenersatz aus einem früheren Unfall für eine Reparatur einsetzt, ist allein seine Entscheidung. Ein späterer Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Vorschaden noch nicht behoben wurde.

Warum korrigierte das Landgericht die erste Entscheidung so deutlich?

Das Landgericht Saarbrücken hob das Urteil des Amtsgerichts weitgehend auf und sprach der Autofahrerin den Großteil der geforderten Summe zu. Die Richter begründeten ihre Kehrtwende mit einer sorgfältigen Anwendung der genannten Prinzipien und entkräfteten die Argumente der Versicherung und der Vorinstanz Punkt für Punkt.

Waren die Schäden klar voneinander zu trennen?

Zunächst stellte das Gericht als unstrittige Tatsache fest, dass der neue Schaden und der Vorschaden visuell klar abgrenzbar waren. Die Gutachten belegten eindeutig zwei verschiedene Schadenszonen: eine links, eine rechts. Diese physische Trennbarkeit war die Grundvoraussetzung, um überhaupt von einem eigenständigen, potenziell ersatzfähigen Zweitschaden sprechen zu können.

War die Heckverkleidung durch den Vorschaden bereits wertlos?

Dies war der juristische Dreh- und Angelpunkt. Das Amtsgericht hatte argumentiert, dass die Notwendigkeit, das gesamte Bauteil zu tauschen, einen neuen Schaden wirtschaftlich ausschließe. Dieser rein technischen Sichtweise erteilte das Landgericht eine klare Absage. Die entscheidende Frage sei nicht technischer, sondern wirtschaftlicher Natur: Hatte der Vorschaden das Bauteil bereits so entwertet, dass es keinen Restwert mehr besaß?

Die Antwort fand sich im ersten Gutachten: Das Fahrzeug war nach dem Erstschaden als verkehrssicher eingestuft worden. Die Heckverkleidung erfüllte ihre Funktion also weiterhin und hatte lediglich einen optischen Mangel. Sie war beschädigt, aber nicht wertlos. Deshalb konnte der zweite Unfall sehr wohl eine weitere, eigenständige Vermögensminderung verursachen, die nach § 249 BGB ersatzfähig ist. Die Argumentation der Versicherung, das Bauteil hätte ohnehin getauscht werden müssen, verfing nicht, da die Autofahrerin aufgrund ihrer Dispositionsfreiheit nicht zur Reparatur verpflichtet war.

Wie lässt sich eine ungerechtfertigte Bereicherung vermeiden?

Nachdem die Ersatzpflicht für den Zweitschaden feststand, musste das Gericht die Höhe fair bemessen. Eine vollständige Erstattung der Kosten für eine neue Heckverkleidung hätte die Autofahrerin unzulässig bereichert, da damit auch ihr alter Schaden „gratis“ repariert worden wäre. Eine Teillackierung oder eine rein zeitwertgerechte Reparatur war technisch jedoch nicht sinnvoll oder möglich.

Das Gericht löste dieses Dilemma, indem es dem Vorschlag des von der Klägerin beauftragten Sachverständigen folgte. Es ging von den Kosten für eine vollständige, fachgerechte Reparatur aus, nahm davon aber einen Abzug „Neu für Alt“ in Höhe von 50 % vor. Diesen Abzug hielten die Richter für angemessen, um den Vorteil auszugleichen, den die Autofahrerin durch die Beseitigung des Vorschadens erlangt. Der pauschale Einwand der Versicherung, der Abzug müsse 100 % betragen, wurde als unsubstanziiert zurückgewiesen.

Wer hat Anspruch auf die Sachverständigenkosten und ab wann gibt es Zinsen?

Eine prozessuale Besonderheit betraf die Gutachterkosten. Die Autofahrerin hatte ihren Anspruch auf Erstattung dieser Kosten zunächst an das Sachverständigenbüro abgetreten. Erst im Laufe des Berufungsverfahrens wurde dieser Anspruch an sie zurückübertragen. Das Gericht entschied, dass sie ab dem Moment der Rückabtretung wieder anspruchsberechtigt war und die Versicherung die Kosten erstatten muss. Verzugszinsen auf diesen Betrag sprach das Gericht ihr aber erst ab dem Datum der Rückabtretung zu, da sie vorher rechtlich nicht die Gläubigerin des Anspruchs war und die Versicherung ihr gegenüber somit nicht in Verzug geraten konnte.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Die Entscheidung des Landgerichts Saarbrücken verdeutlicht zwei wesentliche Prinzipien, die für jeden Autofahrer relevant sind, der in einen Unfall mit einem bereits vorgeschädigten Fahrzeug verwickelt ist.

Erstens zeigt das Urteil die entscheidende juristische Unterscheidung zwischen einem „beschädigten“ und einem „wertlosen“ Bauteil. Ein Kratzer, eine Delle oder ein optischer Mangel, der die Verkehrssicherheit und die grundlegende Funktion eines Teils nicht beeinträchtigt, macht dieses Teil nicht wertlos. Ein zweiter Schaden an einem solchen Teil stellt eine neue, ersatzpflichtige Vermögensminderung dar. Der Schädiger erhält keinen „Freibrief“, nur weil das Fahrzeug nicht mehr im Neuzustand war. Anders läge der Fall nur, wenn der Vorschaden so gravierend gewesen wäre, dass ein Austausch bereits zwingend erforderlich war und das Bauteil keinerlei wirtschaftlichen Wert mehr besaß.

Zweitens demonstriert der Fall die Funktion des Abzugs „Neu für Alt“ als Instrument der Fairness. Er verhindert eine starre „Alles-oder-Nichts“-Entscheidung. Statt den Anspruch komplett abzulehnen oder die Reparatur voll zu bezahlen, ermöglicht der Abzug eine differenzierte Lösung. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass der zweite Schädiger für den von ihm verursachten Schaden aufkommen muss, der Geschädigte aber gleichzeitig keinen finanziellen Vorteil aus der Reparatur ziehen soll. Die Höhe dieses Abzugs ist eine Frage des Einzelfalls und wird oft, wie hier, durch ein Sachverständigengutachten sachgerecht ermittelt.

Die Urteilslogik

Die Schadensberechnung bei einem bereits vorgeschädigten Bauteil erfordert stets eine differenzierte wirtschaftliche Betrachtung, da ein Zweitschaden eine neue, ersatzfähige Vermögensminderung auslöst.

  • Ein Bauteil bleibt trotz Vorschaden werthaltig: Ein Altschaden, der die grundlegende Funktion oder die Verkehrssicherheit eines Bauteils nicht beeinträchtigt, macht dieses nicht wertlos; der Verursacher eines Zweitschadens muss die dadurch entstandene neue Vermögensminderung voll ersetzen.
  • Unzulässige Bereicherung muss der Geschädigte ausgleichen: Beseitigt die erforderliche Reparatur des Neuschadens gleichzeitig einen unreparierten Vorschaden, muss der Geschädigte sich den dadurch erlangten Wertvorteil durch einen angemessenen Abzug „Neu für Alt“ anrechnen lassen.
  • Die Reparaturpflicht kann nicht erzwungen werden: Die Dispositionsfreiheit des Geschädigten erlaubt es ihm, einen Altschaden unrepariert zu lassen; ein nachfolgender Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass die vollständige Reparatur des Bauteils technisch bereits vor dem zweiten Unfall notwendig war.

Die faire Schadensregulierung verlangt die strikte Einhaltung der Differenzhypothese, wonach der Geschädigte weder schlechter noch besser gestellt werden darf, als er ohne das schädigende Ereignis stünde.


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Experten Kommentar

Die zentrale Frage bei Vorschäden ist immer: Hat der Erstschaden das Bauteil bereits so entwertet, dass es quasi Schrott war, oder nur beschädigt? Das Landgericht Saarbrücken zieht hier eine klare rote Linie und sagt: Nur weil das Teil schon eine Macke hatte und hätte getauscht werden können, ist es nicht wertlos. Entscheidend ist, ob das Bauteil noch funktionierte. Diese Entscheidung ist essenziell, weil sie verhindert, dass Versicherer bei einem zweiten Unfall den Anspruch pauschal auf null setzen, nur weil das Fahrzeug nicht mehr neu war. Statt einer Totalablehnung bleibt es bei einem fairen Abzug „Neu für Alt“, was die Dispositionsfreiheit des Geschädigten schützt.


Symbolbild für Rechtsfragen (FAQ): Allegorische Justitia mit Waage und Richterhammer.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Zahlt die gegnerische Versicherung den Schaden, wenn mein Auto bereits einen Vorschaden hatte?

Sie müssen keine Angst haben, dass der zweite Unfall ‚umsonst‘ war und die Versicherung die Zahlung komplett verweigert. Ja, Ihr Anspruch auf Schadenersatz bleibt bestehen. Der neue Schaden stellt eine eigenständige Vermögensminderung dar, selbst wenn er dasselbe Bauteil betrifft. Entscheidend ist, dass das Bauteil durch den Vorschaden noch nicht wirtschaftlich wertlos geworden war.

Die Ersatzpflicht hängt primär davon ab, ob der neue Schaden klar vom Vorschaden abgrenzbar ist, beispielsweise wenn der erste Schaden die linke und der zweite die rechte Seite des Stoßfängers betrifft. Der Schädiger kann sich außerdem nicht darauf berufen, dass Sie den Vorschaden nicht repariert haben. Sie genießen die Dispositionsfreiheit, das Ersatzgeld aus dem Erstunfall anderweitig zu verwenden. Der neue Unfallverursacher muss deshalb für den Schaden haften, den er tatsächlich verursacht hat.

Zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung erfolgt jedoch ein notwendiger Abzug. Da durch die Reparatur des Zweitschadens der Vorschaden ‚gratis‘ mitbeseitigt wird, müssen Sie sich den Vorteil ‚Neu für Alt‘ anrechnen lassen. Die Höhe dieses Abzugs muss vom Sachverständigen festgelegt und sachgerecht begründet werden; er ist aber kein Grund für eine komplette Ablehnung der Zahlung.

Beauftragen Sie sofort einen unabhängigen Sachverständigen, der die beiden Schadenszonen visuell klar voneinander abgrenzt und dokumentiert, dass das Bauteil vor dem Zweitunfall noch funktionstüchtig war.


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Wann gilt mein vorgeschädigtes Autoteil als wertlos und verliere ich meinen Schadensersatzanspruch?

Ein vorgeschädigtes Autoteil gilt nur in extremen Ausnahmefällen als juristisch wertlos. Eine kleine Delle oder ein rein optischer Mangel an der Karosserie reicht dafür definitiv nicht aus. Ihren Schadensersatzanspruch verlieren Sie nur, wenn das Bauteil seine Grundfunktion oder die Verkehrssicherheit bereits vor dem Zweitunfall verloren hatte. Entscheidend ist die juristische Prüfung des Restwerts.

Die entscheidende Frage ist stets wirtschaftlicher Natur. Obwohl ein Gutachter möglicherweise feststellt, dass ein Austausch des Teils zur fachgerechten Reparatur nötig wäre, bedeutet dies nicht automatisch seinen Verlust der wirtschaftlichen Funktion. Solange Ihr Fahrzeug trotz des Vorschadens als verkehrssicher galt, hat das Bauteil seinen Zweck erfüllt und besaß einen Restwert. Die Gerichte beurteilen den Zustand nach dem Prinzip, dass der Vorschaden das Bauteil nicht bereits vollständig entwertet haben durfte.

Nur wenn der Vorschaden so gravierend war, dass die Reparatur zu 100 Prozent erforderlich war und keinerlei Restnutzen mehr bestand, wäre der Anspruch ausgeschlossen. Nehmen wir an: Die Stoßstange hatte vor dem Unfall lediglich einen optischen Mangel. Der zweite Schädiger verursacht dann eine neue, abgrenzbare Vermögensminderung. Diese zweite Beschädigung muss die gegnerische Versicherung ersetzen, weil der Vorschaden die Reparatur nicht vorweggenommen hat.

Legen Sie dem Gutachter unbedingt alle Unterlagen des ersten Unfalls vor, die die damalige Einstufung der Verkehrssicherheit belegen.


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Wie wird der Abzug ‚Neu für Alt‘ korrekt berechnet, wenn Alt- und Neuschaden am selben Bauteil liegen?

Der Abzug „Neu für Alt“ dient dazu, das Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung einzuhalten. Wenn durch die Reparatur des neuen Schadens automatisch auch ein alter Schaden beseitigt wird, erhalten Sie einen nicht ersatzfähigen Wertvorteil. Die Berechnung erfolgt auf Basis der Kosten für die Gesamtreparatur des Bauteils und muss sachgerecht ermittelt werden. Die Festsetzung der genauen Höhe ist eine klare Sachverständigenfrage.

Dieser Abzug ist notwendig, weil der Einbau eines fabrikneuen Ersatzteils anstelle eines bereits vorgeschädigten Elements eine messbare Wertsteigerung darstellt. Gerichte lehnen es ab, wenn Versicherungen den Abzug willkürlich oder pauschal zu hoch ansetzen, um den Anspruch komplett abzulehnen. Statt den Anspruch vollständig zu verneinen, verrechnet der Abzug lediglich den finanziellen Vorteil, den Sie durch die Beseitigung des Altschadens erlangen. Die Höhe soll präzise den Umfang der Reparatur des Vorschadens widerspiegeln.

Konkret muss der Sachverständige die Angemessenheit des Abzugs detailliert begründen, wenn Alt- und Neuschaden klar voneinander abgrenzbar sind. Die Rechtsprechung akzeptiert oft einen pauschalen 50%-Abzug auf die Materialkosten als faire Lösung, die den Vorteil angemessen ausgleicht. Versicherungen argumentieren zwar häufig, der Abzug müsse 100 % betragen, da das Bauteil ohnehin getauscht werden müsse. Solche Behauptungen sind jedoch juristisch haltlos, wenn das Teil vor dem Zweitunfall noch einen wirtschaftlichen Restwert besaß.

Weisen Sie Ihren unabhängigen Sachverständigen an, die konkrete Höhe des ‚Neu für Alt‘-Abzugs in seinem Gutachten klar zu belegen und zu erklären, warum dieser Satz in Ihrem Fall angemessen ist.


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Was tun, wenn die Versicherung die Zahlung wegen vollständiger Schadensüberdeckung komplett ablehnt?

Die pauschale Ablehnung der Zahlung aufgrund einer vollständigen Schadensüberdeckung ist in vielen Fällen juristisch fehlerhaft. Weisen Sie die Argumentation des Versicherers entschieden zurück. Ihr Anspruch auf Schadensersatz bleibt bestehen, solange das vorgeschädigte Bauteil vor dem zweiten Unfall nicht bereits wirtschaftlich wertlos war. Verlangen Sie eine Begründung, warum die Versicherung den Restwert des Teils auf exakt Null festsetzt.

Ihre Rechte stützen sich auf die juristische Differenzhypothese nach § 249 BGB. Sie müssen finanziell so gestellt werden, als wäre der Zweitunfall nie passiert – was bei einem Bauteil mit Restwert immer einen Anspruch bedeutet. Das Amtsgericht Neunkirchen hatte diese Sichtweise in erster Instanz noch unterstützt, wurde jedoch vom Landgericht Saarbrücken (Az. 13 S 115/24) in der Berufung korrigiert. Die Richter stellten klar, dass das Vorliegen eines Vorschadens keine Schadensüberdeckung begründet.

Oft beruft sich die Versicherung auf die rein technische Notwendigkeit, das Bauteil ohnehin komplett auszutauschen. Diese Argumentation ignoriert Ihre Dispositionsfreiheit, da Sie nicht zur Reparatur des Altschadens verpflichtet waren. Fordern Sie die Versicherung daher auf, den notwendigen Abzug ‚Neu für Alt‘ zu akzeptieren, anstatt den Anspruch gänzlich abzulehnen. Ein Schaden an einem Teil, das noch verkehrssicher war, stellt immer eine eigenständige Vermögensminderung dar.

Kontaktieren Sie dringend einen Fachanwalt und zitieren Sie ihm explizit die Entscheidung des LG Saarbrücken vom 20. März 2025, um die Strategie des Versicherers juristisch zu widerlegen.


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Bin ich verpflichtet, den Vorschaden sofort zu reparieren, um meine Rechte bei einem Zweitunfall zu sichern?

Nein, Sie müssen einen Vorschaden nicht sofort beheben, um Ihre Ansprüche bei einem späteren Unfall zu sichern. Das deutsche Schadensersatzrecht garantiert Ihnen die sogenannte Dispositionsfreiheit. Sie entscheiden selbst, ob und wann Sie das Geld aus dem Erstschaden für eine Reparatur verwenden. Ihre Rechte bleiben vollständig erhalten, solange das vorgeschädigte Bauteil noch funktionsfähig und verkehrssicher war.

Die Regel schützt Ihre finanzielle Unabhängigkeit. Obwohl Sie Anspruch auf Ersatz der Wiederherstellungskosten hatten, sind Sie nicht gezwungen, das Geld tatsächlich für eine Reparatur einzusetzen. Ein späterer Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Vorschaden noch unrepariert ist. Er muss nach der Differenzhypothese für den Schaden haften, den er tatsächlich verursacht hat – nämlich die weitere Minderung des wirtschaftlichen Wertes Ihres Bauteils.

Diese Freiheit hat allerdings eine wichtige finanzielle Konsequenz, wenn eine Gesamtreparatur nötig wird. Wird das beschädigte Teil im Zuge der Zweitreparatur gegen ein Neuteil ausgetauscht, entfällt automatisch auch der alte Schaden. Um eine ungerechtfertigte Bereicherung zu vermeiden, müssen Sie sich den Abzug ‚Neu für Alt‘ anrechnen lassen. Dieser Abzug gleicht den Vorteil aus, den Sie dadurch erhalten, dass der unreparierte Altschaden „kostenlos“ beseitigt wird.

Dokumentieren Sie sofort den Zweitschaden, um die physische Abgrenzbarkeit zu den alten Schäden gegenüber dem Versicherer eindeutig zu beweisen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Juristisches Glossar: Symbolbild der Justitia mit Waage und Richterhammer.

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Abzug „Neu für Alt“

Der Abzug „Neu für Alt“ ist ein notwendiger Korrekturmechanismus im Schadensersatzrecht, der verhindert, dass der Geschädigte durch die Reparatur einen finanziellen Vorteil erlangt.
Wenn bei der Instandsetzung eines Schadens ein abgenutztes oder altes Bauteil durch ein fabrikneues Element ersetzt wird, steigert dies den Wert des Eigentums, weshalb der Geschädigte sich diesen geldwerten Vorteil anrechnen lassen muss. Das Gesetz verlangt diesen Abzug, um dem Grundsatz des Verbots der ungerechtfertigten Bereicherung gerecht zu werden.

Beispiel: Das Landgericht Saarbrücken sah im vorliegenden Fall einen Abzug „Neu für Alt“ in Höhe von 50 Prozent als angemessen an, weil durch den notwendigen Austausch der gesamten Heckverkleidung der unreparierte Vorschaden automatisch mitbeseitigt wurde.

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Differenzhypothese

Die Differenzhypothese bildet das grundlegende Fundament im deutschen Schadensersatzrecht und beschreibt, dass der Geschädigte finanziell so zu stellen ist, als wäre das schädigende Ereignis nie eingetreten.
Dieser juristische Grundsatz, verankert in § 249 BGB, verlangt vom Schädiger, den Geldbetrag zu leisten, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist. Er gewährleistet somit, dass der tatsächliche Vermögensschaden exakt ausgeglichen wird.

Beispiel: Die Anwendung der Differenzhypothese führte in diesem Fall zur Ersatzpflicht des zweiten Schädigers, da der Unfall eine zusätzliche Vermögensminderung am Fahrzeug der Klägerin verursachte.

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Dispositionsfreiheit

Unter der Dispositionsfreiheit versteht man das uneingeschränkte Recht des Geschädigten, selbst zu entscheiden, ob, wann und in welcher Form er das ihm zustehende Schadenersatzgeld für eine Reparatur verwenden möchte.
Dieses Prinzip schützt die Entscheidungsfreiheit des Eigentümers; ein späterer Schädiger oder dessen Versicherung kann sich nicht darauf berufen, dass der Vorschaden noch nicht behoben wurde, um die Zahlung zu verweigern.

Beispiel: Aufgrund ihrer Dispositionsfreiheit war die Autofahrerin nicht verpflichtet, den ersten Schaden an der linken Seite der Heckverkleidung sofort reparieren zu lassen, weshalb ihr Anspruch auf Ersatz des Zweitschadens bestehen blieb.

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Schadensüberdeckung

Juristen sprechen von Schadensüberdeckung, wenn der zweite Schaden an einem Bauteil angeblich keine zusätzliche Minderung des wirtschaftlichen Werts mehr verursacht, weil das Teil bereits durch einen Vorschaden hätte ausgetauscht werden müssen.
Diesen Einwand bringen Versicherungen häufig vor, um eine Zahlung komplett zu verweigern; das Gericht muss prüfen, ob das Bauteil tatsächlich durch den Erstschaden bereits wirtschaftlich wertlos war.

Beispiel: Die Versicherung des Unfallverursachers lehnte die Zahlung zunächst unter Berufung auf eine vollständige Schadensüberdeckung ab und behauptete, durch den zweiten Unfall sei kein weiterer wirtschaftlicher Schaden entstanden.

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Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung

Das Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung ist ein zentraler zivilrechtlicher Grundsatz, der sicherstellt, dass niemand durch den Eintritt eines Schadensfalls oder dessen Behebung finanziell bessergestellt wird.
Daraus folgt die Notwendigkeit, einen Ausgleich zu schaffen, wenn die Wiederherstellung des Zustands eine nicht ersatzfähige Wertsteigerung mit sich bringt, wie es beim Ersatz eines alten Teils durch ein neues der Fall ist.

Beispiel: Das Gericht musste die Höhe des Schadenersatzes sorgfältig berechnen, um das Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung zu beachten und die Klägerin am Ende nicht unzulässig besserzustellen.

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Wirtschaftlich wertlos

Ein Bauteil gilt als wirtschaftlich wertlos, wenn es aufgrund eines Vorschadens seine primäre Funktion oder die Verkehrssicherheit verloren hat und es keinen messbaren Restwert mehr besitzt.
Dieser Zustand ist die entscheidende Schwelle im Konflikt um Vorschäden; nur wenn das Teil bereits wertlos ist, kann ein zweiter Schaden keine neue, ersatzfähige Vermögensminderung mehr verursachen.

Beispiel: Da die Heckverkleidung trotz des ersten Anstoßschadens weiterhin funktionstüchtig und verkehrssicher war, verneinte das Landgericht die Annahme der Versicherung, das Bauteil sei bereits wirtschaftlich wertlos gewesen.

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Wirtschaftlichkeitsgebot

Das Wirtschaftlichkeitsgebot verpflichtet den Geschädigten dazu, bei der Behebung eines Unfallschadens stets den vernünftigsten und kostengünstigsten Weg zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zu wählen.
Dieser Grundsatz schützt den Schädiger davor, für unverhältnismäßig teure oder unnötige Maßnahmen aufkommen zu müssen, solange gleichwertige, günstigere Reparaturmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Beispiel: Das Landgericht stellte fest, dass die Klägerin das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht verletzt hatte, da der vollständige Austausch der Heckverkleidung die einzig fachgerechte Methode zur Behebung beider Schäden darstellte.

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Das vorliegende Urteil


LG Saarbrücken – Az.: 13 S 115/24 – Urteil vom 20.03.2025


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