LG Dessau-Roßlau, Az.: 4 O 615/10
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes geltend.
Dieser befuhr am 13.11.2008 gegen 21.30 Uhr mit seinem Fahrrad in … die Straße …
Nach dem vorliegenden Entlassungsbericht des Krankenhauses … vom 22.11.2008 stellte er sich dort am 14.11.2008 wegen starker Schmerzen vor. Es wurde eine Fraktur des Lendenwirbels L1, eine Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule und eine Prellung des linken Unterschenkels diagnostiziert. Der Zedent wurde operiert und stationär bis 22.11.2008 behandelt. Er stellte sich erneut am 29.11.2008 im Krankenhaus vor, es wurden eine Sepsis und eine Infektion diagnostiziert und die Behandlung bis 13.12.2008 stationär vorgenommen. Danach schlossen sich weitere stationäre Aufenthalte an, wegen der Einzelheiten wird auf die vorliegenden Berichte unter Anlagen K 3 bis K 5 Bezug genommen.
Mit Abtretungsvereinbarung vom 18.06.2009 trat der Zedent die Schadenersatzansprüche an die Klägerin ab.
Die Klägerin behauptet, der Unfall ihres Ehemannes sei mit schweren Verletzungen verbunden gewesen, die auch die Folgeerkrankungen bedingten. Ihr Ehemann sei am 13.11.2008 auf der Straße … mit dem Fahrrad die Rechtskurve durchfahren und dort auf dem vorher nicht sichtbaren Glatteis gestürzt. Er sei auf den Rücken gefallen und zwar mit dem Rücken genau auf die Grabenkante des Birkenweges. Über die fast rechtwinklig ausgebildete Betonkante sei er dann in den Graben gefallen und mit dem Gesicht nach unten dort liegen geblieben. Erst nach dem dritten Versuch sei es ihm gelungen, sich aus dem Graben zu befreien und sich auf das Fahrrad stützend nach Hause zu bewegen. Es sei zuerst das Vorderrad nach links weggerutscht, danach das Hinterrad, so dass ihr Ehemann insgesamt ins Rutschen und damit ins Fallen geraten sei. Sein Fallen/Rutschen sei durch einen dumpfen Stoß seines Rückens auf die Grabenkante gestoppt worden. Im Hinblick auf diese Grabeneinfassung habe die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt. Die Grabeneinfassung stelle eine Gefahrenquelle dar, die bei einem Unfall schwere Verletzungen nach sich ziehen könne, weil die scharfen Kanten und Winkel nicht abgeflacht seien und weil keine Sicherheitsvorkehrungen oder Absperrungen vorhanden seien. Die Herstellung dieser Grabeneinfassung entspreche auch nicht den üblichen Straßeneinfassungen. In jedem Fall sei jedoch ein Sicherungsgeländer anzubringen.
Wegen der erlittenen Verletzungen ihres Ehemannes sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 € angemessen. Daneben seien die Aufwendungen für die beschädigte Kleidung und das Fahrrad mit 95,00 € und 120,00 € zu ersetzen sowie die Fahrtkosten für die Besuche beim Zedenten in den verschiedenen medizinischen Einrichtungen. Insgesamt seien 5414 km zurückgelegt worden, was einen Anspruch von 1625,70 € ergebe.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1745,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit 28.12.2009 zu zahlen,
2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, die Verkehrssicherungspflicht sei nicht verletzt. Der Straßengraben sei ordnungsgemäß hergestellt, um seine Funktion erfüllen zu können, sei die bauliche Gestaltung so erforderlich gewesen. Eine zusätzliche Gefahrenquelle sei damit nicht geschaffen worden. Vor einem möglichen Sturz in einen Straßenseitengraben müsse keine Vorkehrung getroffen werden. Der Ehemann der Klägerin sei auch in Folge eigener Unachtsamkeit gestürzt. Der Seitenstreifen sei auch nicht zur regelmäßigen Benutzung vorgesehen. Er liege außerhalb des Straßenbereiches. Keinesfalls seien Straßenseitengräben durch Schutzplanken oder Geländer zu schützen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben zum Unfallhergang durch Vernehmung des Zeugen … und Durchführung einer Augenscheinseinnahme. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2011 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadenersatz, §§ 253, 823 Abs. 1 BGB.
1.
Die Klägerin ist durch Abtretung vom 18.06.2009 zur Geltendmachung der Schadenersatzansprüche nach dem streitgegenständlichen Unfallereignis aktiv legitimiert.
2.
Die Beklagte hat das von der Klägerin geschilderte Unfallgeschehen des Zedenten zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts zunächst fest, dass der Zedent am 13.11.2008 im Bereich der Straße … in … einen Unfall erlitten hat.
Die Beweisaufnahme hat das Unfallgeschehen bestätigt, denn der Zedent führte aus, dass er am 13. November 2008 auf dem Rückweg von einer Veranstaltung der Schützengilde mit seinem Fahrrad dort entlang gefahren und im Bereich der Straßenmitte unmittelbar nach der Rechtskurve gestürzt sei. Er bekundete, dass er mit dem Fahrrad plötzlich weggerutscht und bis in den Graben gerutscht sei. Daraus gewinnt das Gericht die Überzeugung, dass sich der Unfall an diesem Tag ereignet hat.
Offen bleibt jedoch auch nach der Beweisaufnahme, wie es zu der vom Zeugen geschilderten Situation des Wegrutschens mit dem Fahrrad kommen konnte und wie es sein konnte, dass der Zedent bis in den Graben gelangen konnte. Hierzu waren die Aussagen des Zeugen sehr ungenau und stellten eher Vermutungen dar. Dies gilt insbesondere für seine Annahme, es habe im Bereich, ausgehend vom Scheitelpunkt der Kurve in der Fahrbahnmitte zum Straßeneinlauf hin, lokal begrenzt Glatteis geherrscht. Für eine solche eng begrenzte Feuchtigkeitseinwirkung z. B. durch Nebel oder einen Wasserlauf und dadurch bedingte Glatteisbildung liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor. Dies gilt aber auch dafür, dass der Zeuge nicht plausibel erklären konnte, wie er derart weit und ohne jede Abwehrreaktion bis in den Graben rutschen und dort mit dem Rücken aufschlagend liegen bleiben konnte. So wie der Zeuge den Sachverhalt schilderte, nämlich, dass zunächst das Hinterrad und dann das Vorderrad weggerutscht seien, erscheint es nicht ganz nachvollziehbar, wie er dann mit dem Rücken aufschlagend in den Graben rutschen könnte. Nachvollziehbar erschiene vielmehr, dass er seitlich in den Graben gerutscht sein könnte.
Jedenfalls bleibt auch im Ergebnis der Vernehmung des Zeugen offen, aufgrund welcher konkreten Ursache der Zedent in den Straßengraben gerutscht ist.
Gleichwohl steht fest, dass es den Unfall gegeben hat.
3.
Die Beklagte haftet für die bei dem Unfall erlittenen Schäden jedoch nicht, denn eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht liegt nicht vor.
Grundsätzlich erstreckt sich die Verkehrssicherungspflicht nicht nur auf den Straßenkörper, sondern auch auf Seitenstreifen und Bankette und auch auf Entwässerungsgräben, wenn auch für diese Bereiche nur in eingeschränkten Umfang (vgl. Palandt/Sprau, § 823 Rn. 221). Dabei müssen in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise nach den Verhältnissen im Einzelfall, insbesondere ausgehend von Verkehrsart, Verkehrsaufkommen und Verkehrsgeschwindigkeit alle, aber auch wiederum nur diejenigen Gefahren ausgeräumt werden, die für den sorgfältigen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag. Es werden die Vorkehrungen geschuldet, für die ein echtes Sicherungsbedürfnis besteht.
Insoweit hat die Beklagte bei der Errichtung des Entwässerungsgrabens die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht erfüllt. Die Baumaßnahme wurde ausweislich des vorliegenden Protokolls ohne Mängel durchgeführt und abgenommen. Die bauliche Gestaltung des Seitengrabens, einschließlich seiner Einfassung mit Rasengittersteinen, vermag, wie auch die Befestigung des Streifens neben der asphaltierten Fahrbahn mit Rasengittersteinen keinen Vorwurf gegen die Beklagte zu begründen. Die bauliche Gestaltung musste so erfolgen, dass der Graben seinen Zweck erfüllen kann. Das heißt, er muss hinreichend stabil und dauerhaft befestigt sein, um seine Funktion wahrnehmen zu können. Da zwischen der asphaltierten Fahrbahn und dem Graben aus Platzgründen nur ein schmaler Streifen vorhanden ist, musste auch dieser Streifen, ebenso wie auch die Grabenwand, hinreichend stabil befestigt werden, um ein Absacken des Bereiches neben der Straße bzw. die Gefahr, dass Fahrzeuge bei einem Ausweichen auf diesen Seitenbereich in den Graben rutschen oder dessen Abrutschen hervorrufen könnten, zu vermeiden. Eine solche Befestigung kann durch die Rasengittersteine erreicht werden. Zur Sicherung der Stabilität des Grabens als auch des Banketts und des Seitenstreifens war eine stabile Befestigung geboten, wie sie mit den Rasengittersteinen erfolgt ist. Eine zusätzliche Gefahrenquelle für die Verkehrsteilnehmer, insbesondere für Fahrradfahrer wurde dadurch nicht eröffnet. Insbesondere kann der Verkehrsteilnehmer, auch der Radfahrer, nicht erwarten, dass der Graben und sein Randbereich so hergerichtet werden, dass keinerlei Risiko besteht, sich zu verletzen. Der Bereich, in dem auch der Zeuge stürzte, befindet sich neben der Straße und schließt an den befestigten Teil der Straße an, ehe er dann rechtwinklig nach unten geführt und als Graben ausgebaut ist und ebenso zum Feld hin wieder aufgebaut wird. Dieser Abschnitt, auf dem sich bereits Rasengittersteine befinden, ist ersichtlich zur Benutzung für die Verkehrsteilnehmer, also auch für Fahrradfahrer nicht mehr vorgesehen, denn auf diesen Rasengittersteinen ist ein ungehindertes Fahren oder Laufen ohnehin nicht möglich und es befinden sich in diesem Abschnitt ohnehin auch bereits die Leitpfosten, was ebenfalls darauf schließen lässt, dass dieser Bereich gerade für den Verkehr nicht mehr eröffnet ist.
Die Verkehrsteilnehmer haben keinerlei Anspruch darauf, wenn sie in einen Bereich neben der Straße geraten, der zur Benutzung nicht mehr vorgesehen ist, vor jeglicher Verletzungsgefahr geschützt zu werden. Insoweit genügt die bauliche Gestaltung, von der sich das Gericht bei der Augenscheinseinnahme auch selbst einen Eindruck verschaffte, den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin vorgelegten Rechtsprechung. Insbesondere das von der Klägerin zitierte Urteil des OLG Zweibrücken vom 09.06.1999 (1 U 94/98) ist auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar, weil eine andere örtliche Situation gegeben war.
Auch dringt die Klägerin mit ihrem Vortrag und dem Verweis auf die Einheitlichkeit der Rechtsordnung insoweit nicht durch, dass nicht erwartet werden kann, dass zur Sicherung derartiger Straßengräben Schutzplanken, Geländer oder ähnliche Sicherungseinrichtungen anzubringen sind. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich zwar um eine befestigte Straße, jedoch ausschließlich um eine Anliegerstraße handelt, die ganz überwiegend nur eingeschränkt vom Anwohnerverkehr benutzt wird. Auch das schraubt die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht zurück.
Hinzutritt, dass sich aus der Vernehmung des Zeugen ergeben hat, dass dieser die Örtlichkeiten kennt, also ihm auch das Vorhandensein der scharfkantigen Rasenkanteneinfassung bekannt ist und er im Rahmen seiner Vernehmung auch erklärte, dass er mittig die Straße und Kurve durchfahren habe. Insoweit kann auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass auch das Fahrverhalten des Klägers für den Unfall jedenfalls mit ursächlich gewesen sein kann.
Dass die Verletzungsfolgen durch eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht seitens der Beklagten hervorgerufen worden sind, ist hinsichtlich der haftungsbegründenden Sachverhalte nicht festzustellen. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liegt nach Auffassung des Gerichts nicht vor.
4.
Somit können Erörterungen über die von der Klägerin geltend gemachten Höhe der Ansprüche dahingestellt bleiben.
5.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 ZPO, § 709 ZPO.
Beschluss: Der Streitwert des Verfahrens wird auf 16.745,70 € festgesetzt.