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Schadenersatzanspruch wegen Glätteunfalls – Beweislast des Verletzten

AG Pfaffenhofen – Az.: 1 C 27/12 – Urteil vom 14.09.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadensersatz geltend.

Der Beklagte ist die Hausverwaltung für das Objekt X vollständig übertragen worden.

Der Kläger ist Patient der Praxis Y.

Schadenersatzanspruch wegen Glätteunfalls - Beweislast des Verletzten
Symbolfoto: Von Astrid Gast /Shutterstock.com

Streitgegenständlich ist dabei folgender Vorfall: Am 23.12.2010 hatte der Kläger die Praxis Y aufgesucht, um sich ärztlich behandeln zu lassen. Der Kläger hatte ca. 3 Wochen vorher eine Operation an der rechten Schulter und trug deshalb eine Stützvorrichtung am rechten Arm, mit der sein Arm ruhig gestellt wurde. Vom Praxisein- bzw. Ausgang führt ein geteerter Weg zum Gehsteig vor dem Anwesen X. Der Kläger hatte sein Fahrzeug einige Meter vom Ein- bzw. Ausgang entfernt geparkt. Auf dem Rückweg von der Praxis zu seinem Fahrzeug stürzte der Kläger auf dem Gehsteig.

Der Beklagte hatte die Räum- und Streupflicht auf den Hausmeisterdienst Z übertragen.

Der Kläger trägt vor, dass er in Folge Schnee- und Eisglätte auf den Gehweg nach seinem Praxisbesuch gestürzt sei. Dabei sei der Gehsteig nach dem Vortrag des Klägers leicht schneebedeckt, rutschig und nicht geräumt und gestreut gewesen. Darüber hinaus erklärt der Kläger, dass er sich bei dem Sturz erheblich verletzt habe. Er habe sich eine Rotatorenmanschettenruptur der Schulter rechts, einen offenen Muskel-Sehnen-Transfer des Muskulus latissimus dorsi tenodese zugezogen. Dies führt nach der Einlassung des Klägers zu einer erheblichen Einschränkung der Bewegungsfreiheit seines rechten Armes, ein Heben des rechten Armes sei nur mit Handunterstützung über Kopfhöhe möglich. Im Arm selbst sei keinerlei Kraftentfaltung mehr gegeben. Außerdem trägt der Kläger vor, dass beim Einschlafen auf der rechten Seite nach ca. 30 Minuten mehr Schmerzen auftreten würden. Ein Ausstrecken des rechten Armes beispielsweise beim Autofahren zum Steuer nur schwer und unter Schmerzen möglich sei und er deshalb seine bisherige Beschäftigung im Schlüsselnotdienst nicht mehr ausführen könne. Der Kläger vertritt insoweit die Ansicht, dass der Beklagte gegen seine Verkehrssicherungspflicht verstoßen habe und deshalb für den Vorfall hafte. Darüber hinaus ist der Kläger der Meinung, dass der Beklagte den Hausmeisterservice nicht ausreichend kontrolliert habe, so dass der Beklagte für den Vorfall vollumfänglich hafte.

Der Beklagte beantragt zuletzt, der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.000,00 € nebst 5 Prozent Zinsen hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt zuletzt, Klageabweisung.

Der Beklagte trägt vor, dass der streitgegenständliche Bereich durch den Hausmeisterservice Z geräumt und gestreut gewesen sei, darüber hinaus kurz vor dem streitgegenständlichen Vorfall keine Glätte vorgelegen habe, im Übrigen keine Situation bestanden habe, die eine Kontrolle in kürzen Zeitintervallen erforderlich gemacht hätte. Der Beklagte vertritt insoweit die Auffassung, dass sie keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht treffe, zumal sich nach Meinung des Beklagten sämtliche Verkehrsteilnehmer bei winterlichen Witterungsverhältnissen auf Glätte einzustellen hätten. Im Übrigen erklärt der Beklagte, dass das geltend gemachte Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € deutlich übersetzt sei. Außerdem bezweifelt der Beklagte die Verletzungen und Verletzungsfolgen.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie die Protokolle vom 04.07.2012 und 22.08.2012 sowie die dort erfolgte Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch.

Der Kläger konnte eine Verkehrssicherungspflichtsverletzung des Beklagten nicht nachweisen.

Der Kläger hat indessen den ihm obliegenden Beweis einer Verletzung der betreffenden Räumungs- und Streupflichten durch den Beklagten nicht geführt.

„Ein entsprechender Anscheinsbeweis streitet nicht zugunsten des Klägers. Allein die Tatsache, daß jemand gestürzt ist, begründet noch nicht den Beweis des ersten Anscheins für die Verletzung der Streupflicht durch den Streupflichtigen, denn nach der Lebenserfahrung sind Unfälle infolge Winterglätte auch auf gestreuten bzw. von Schnee geräumten Wegen nicht auszuschließen (vgl. Geigel, 22. Aufl., Kap. 14, Rn. 147 m.w.N.). Der Anscheinsbeweis zugunsten des Geschädigten wird regelmäßig nur für den Kausalitätsnachweis herangezogen, daß eine bereits festgestellte Verletzung der Streupflicht für einen an der betreffenden Stelle infolge der Glätte eingetretenen Unfall ursächlich geworden ist (vgl. BGH, VersR 1984, 40; OLG Frankfurt/M., VersR 1980, 50).“ (OLG Hamm, Urteil vom 04.08.1999, Az. 13 U 41/99, VersR 2000, 219)

Nach höchstrichterlicher Rechtssprechung, zuletzt durch Urteil des BGH vom 12.06.2012, Az.: VI ZR 138/11 (VersR 2012, 1050), gilt diesbezüglich daher folgendes: „Nach allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung muss der Verletzte alle Umstände beweisen, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muss deshalb den Sachverhalt dartun und gegebenenfalls beweisen, aus dem sich ergibt, dass zur Zeit des Unfalls aufgrund der Wetter-, Straßen- oder Wegelage bereits oder noch eine Streupflicht bestand und diese schuldhaft verletzt worden ist (vgl. Senatsurteile vom 29. September 1970 – VI ZR 51/69, VersR 1970, 1130, 1131; vom 27. November 1984 – VI ZR 49/83, VersR 1985, 243, 245; Senatsbeschluss vom 7. Juni 2005 – VI ZR 219/04, NZV 2005, 578).

Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, d.h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1982 – III ZR 80/81, VersR 1982, 299, 300; vom 26. Februar 2009 – III ZR 225/08, NJW 2009, 3302 Rn. 4 mwN; OLG Jena NZV 2009, 599, 600 mwN; Carl, VersR 2012, 414, 415; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 14 Rn. 147; Staudinger/Hager, BGB [2009], §823 Rn. E 128). Ist eine Streupflicht gegeben, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls (Senatsurteile vom 29. September 1970 – VI ZR 51/69, aaO; vom 2. Oktober 1984 – VI ZR 125/83, NJW 1985, 270; BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 – III ZR 217/89, BGHZ 112, 74, 75; Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94, VersR 1995,721, 722). Bei öffentlichen Straßen und Gehwegen sind dabei Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die Räum- und Streupflicht besteht also nicht uneingeschränkt. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 – III ZR 217/89, aaO, 75 f. mwN; vom 15. Januar 1998 – III ZR 124/97, VersR 1998, 1373, 1374 f.; Beschluss vom 20. Oktober 1994 – III ZR 60/94, aaO).

Nach diesen Grundsätzen bestehen Räum- und Streupflichten regelmäßig für die Zeit des normalen Tagesverkehrs, d.h. an Sonn- und Feiertagen ab 9.00 Uhr (vgl. OLG Köln, VersR 1997, 506, 507; OLG Jena, aaO; LG Berlin, Grundeigentum 2010, 272). Bei Auftreten von Glätte im Laufe des Tages ist allerdings dem Streupflichtigen ein angemessener Zeitraum zuzubilligen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte zu treffen (vgl. Senatsurteil vom 27. November 1984 – VI ZR 49/83, aaO; BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1984 – III ZR 54/84, VersR 1985, 189; vom 27. April 1987 – III ZR 123/86, VersR 1987, 989).“

Streitgegenständlich liegt ein Vorfall werktags zu den üblichen Geschäftszeiten vor. Insoweit ist zu ergänzen, dass hierbei eine regelmäßige Räum- und Streupflicht jedenfalls nicht vor 6 Uhr besteht.

Ausgehend von diesen Grundsätzen konnte der Kläger keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten des Beklagten nachweisen.

A. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme sowie aufgrund der Einlassung beider Seiten konnte eine allgemeine Glättebildung durch die Klagepartei nicht nachgewiesen werden.

So hatte der Kläger auf dem Weg zu den Praxisräumen den streitgegenständlichen Bereich bereits einmal passiert, ohne dass es dabei zu einem Sturz des Klägers gekommen war. Der Sturz war erst auf dem Rückweg von der Praxis erfolgt. Dies macht deutlich, dass die Gefahrenlage nur im Bereich des streitgegenständlichen Vorfalls gelegen war. Dies zeigt außerdem, dass bereits nach dem Vorbringen des Klägers keine erkennbaren Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr vorlagen, die eine Streupflicht des Beklagten hätte begründen können.

Aber auch die durchgeführte Beweisaufnahme ergab hier keine gegenteiligen Anhaltspunkte.

So haben die Zeugen die Aussagen des Hausmeisterservices Z bestätigt, dass dieser bereits um 6 Uhr den streitgegenständlichen Bereich geräumt hatte. Zweifel an den Angaben der Zeugen bestanden nicht und wurden auch nicht von Seiten des Klägers geltend gemacht. Die Angaben der Zeugen waren in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Damit waren die Äußerungen der Zeugen glaubhaft. Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu zweifeln, sind ebenfalls nicht erkennbar geworden.

Die Zeugin hatte angegeben, dass sie den Hausmeisterservice Z bereits um 6 Uhr beim Räumen angetroffen hatte. Beim Verlassen des Hauses um 7 Uhr sei der Zeugin darüber hinaus ebenfalls keine Glätte aufgefallen. Diese sei von der Zeugin erstmals bei der Rückkehr gegen 8 Uhr bemerkt worden.

Auch der Zeuge hatte angegeben, dass er um 7:15 Uhr in die Praxis mit nicht wintertauglichen Schuhen (Praxisschlappen) gegangen wäre und hierbei keine Glätte festgestellt habe.

B. Darüber hinaus hatten die Zeugen übereinstimmend angegeben, dass der streitgegenständliche Bereich geräumt gewesen war und somit weder eine leichte Schneedecke vorhanden war, noch der Bereich rutschig oder nicht geräumt oder gestreut gewesen war, wie dies der Kläger vorgetragen hatte.

Des Weiteren war für den Beginn einer Streupflicht dem Beklagten eine angemessene Zeit für die Vornahme evtl. Streumaßnahmen zuzubilligen. Dies richtet sich insoweit nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Für den Beginn der Streupflicht ist dabei vor allem von Bedeutung, in welchem Maße die erkennbare Wetterlage und die Eigenheiten des Gehweges Anlass zur Vorsorge geben (vgl. Senat vom 29.09.1970, Az.: VI ZR 51/69, Versicherungsrecht 1970, 1130).

Auch vor diesem Hintergrund lag keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Form der Verletzung der Streupflicht durch den Beklagten vor.

Aufgrund der hier im konkreten Einzelfall festgestellten Kontrolldichte (= Räumen durch den Hausmeisterservice um 6 Uhr, das durch die Zeugin beobachtet wurde, Begehung durch die Zeugin um 7 Uhr, Begehung durch den Zeugen um 7:15 Uhr, Hinweg des Klägers gegen 7:30 Uhr) machen deutlich, dass die Glätte an der streitgegenständlichen Stelle vorher nicht erkennbar gewesen war. Bereits gegen 8 Uhr wurde die streitgegenständliche Stelle durch die Zeugin festgestellt und erneut gestreut.

Insoweit konnte dem Beklagten keine Verkehrssicherungspflichtverletzung nachgewiesen werden.

Mangels Vorliegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung durch den Beklagten war die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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