AG Hanau – Az.: 39 C 340/20 – Urteil vom 30.08.2021
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des jeweiligen Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil insgesamt von dem jeweiligen Beklagten gegen ihn vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der jeweilige Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Schadensersatz aufgrund einer Aufsichtspflichtverletzung.
Die Beklagten sind die aufsichtspflichtigen Eltern ihres Kindes (Name2), geboren am XX.XX.XXXX. Am XX.XX.XXXX fand im Haus des Klägers eine Familienfeier statt, an der auch die Beklagten mit ihrem Kind teilnahmen. Es wurde im Garten gegrillt. Die Beklagte zu 2) bat ihr Kind, das in einer Sprühflasche befindliche Sonnenschutzspray aus ihrer Wickeltasche im Haus des Klägers zu holen. Das Kind der Beklagten war ein normal entwickeltes Kind, das sich seinem Alter entsprechend kindgerecht verhielt. Es trat in der Vergangenheit nicht aggressiv auf und fiel auch nicht durch die Beschädigung fremden Eigentums auf.
Das Kind der Beklagten nahm das Sonnenschutzspray, ging mit diesem aber nicht sofort zu der Beklagten zu 2) zurück, sondern besprühte mit dem Sonnenschutzspray das Treppenhaus des Klägers. Der Kläger, der sich gerade in dem Haus befand, bemerkte dies, nahm dem Kind der Beklagten die Sprühflasche weg und schimpfte mit dem Kind, woraufhin das Kind weinend nach draußen zu den Beklagten lief.
Der Kläger holte hinsichtlich der Schäden in dem Treppenhaus den Kostenvoranschlag der Firma (Name3) vom 27.07.2020 (Bl. 17 f. d. A.) ein, der Instandsetzungskosten von 3.894,70 € brutto auswies. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten lehnte die Regulierung dem Grunde und der Höhe nach ab.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagten müssten für den Schaden in seinem Treppenhaus aufgrund einer Verletzung ihrer Aufsichtspflicht über ihr Kind umfassend haften. Der Kläger behauptet, die Beaufsichtigung der Beklagten hinsichtlich ihrem Kind sei in der konkreten Situation nicht ausreichend gewesen. Als ihr Kind nicht sofort oder innerhalb der nächsten zwei Minuten mit dem Spray zurückgekehrt sei, hätten die Beklagten dies bemerken und sich fragen müssen, wo ihr Kind bleibe und was es mit dem Sonnenschutzspray mache. Sie hätten aber nicht einmal bemerkt, dass ihr Kind von dem Auftrag nicht zurückgekommen sei. Das Kind der Beklagten habe das ganze Treppenhaus des Klägers über zwei Etagen wie auf den Lichtbildern Bl. 5 ff. u. 37 ff. d. A. ersichtlich besprüht. Die aus dem Kostenvoranschlag ersichtlichen Kosten seien zur ordnungsgemäßen Schadensbeseitigung erforderlich.
Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn Schadensersatz in Höhe von 3.894,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, sie müssten für den Vorfall nicht haften, weil sie ihrer Aufsichtspflicht umfassend nachgekommen seien. Die Klage sei unschlüssig, weil sich bereits aus dem eigenen Vortrag des Klägers keine Verletzung der Aufsichtspflicht ergebe. Schließlich seien der Umfang der Schäden und die Schadenshöhe nicht umfassend plausibel.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger kann von den Beklagten keine Zahlung von Schadensersatz aufgrund des Vorfalls vom XX.XX.XXXX verlangen. Ein solcher Anspruch steht ihm insbesondere nicht gemäß § 832 Abs. 1 BGB zu. Hiernach ist, wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt, wobei die Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. Die Beklagten haben ihre Aufsichtspflichten nicht verletzt.
§ 832 Abs. 1 BGB begründet zwei Vermutungen, nämlich, dass der Aufsichtspflichtige seine Aufsichtspflicht schuldhaft verletzt hat, indem er die im konkreten Fall erforderlichen Handlungen ganz oder teilweise unterlassen hat, und, dass zwischen der Verletzung der Aufsichtspflicht und dem entstandenen Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Gegen beide Vermutungen steht der Entlastungsbeweis offen (Palandt, BGB, 80. Aufl., § 832 Rn. 1).
Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist. Entscheidend ist also nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat, sondern vielmehr, ob dies im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist (BGH, Urteil vom 24. März 2009 – VI ZR 51/08, juris Rn. 8). Es muss einerseits berücksichtigt werden, dass Kinder je nach Alter erfahrungsgemäß dazu neigen, Vorschriften und Anordnungen nicht zu beachten und sich unbesonnen zu verhalten. Andererseits das Ziel, sie zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu erziehen und ihnen die Erprobung und das Entdecken von Neuland angemessen zu ermöglichen (Palandt, BGB, 80. Aufl., § 832 Rn. 10). Ein Kind im Alter von 5 1/2 Jahren muss grundsätzlich in regelmäßigen Abständen von höchstens 30 Minuten kontrolliert werden (BGH, Urteil vom 24. März 2009 – VI ZR 51/08, juris Rn. 16).
Nach diesen Maßstäben haben die Beklagten den von ihrem Kind am XX.XX.XXXX im Haus des Klägers durch das Sonnenschutzspray etwaig verursachten Schaden nicht zu vertreten. Die Vermutung der Verletzung ihrer Aufsichtspflicht ist durch den unstreitigen Sachverhalt widerlegt.
In der Person des Kindes der Beklagten lagen keine Umstände begründet, die erhöhte Anforderungen an die Aufsichtspflichtigen gestellt haben, denn es handelte sich um ein normal entwickeltes Kind, das sich seinem Alter entsprechend kindgerecht verhielt und bislang nicht durch Aggressivität oder die Beschädigung fremden Eigentums aufgefallen war. Auch die äußere Situation, in die die zweckentfremdende Benutzung des Sonnenschutzsprays eingebettet war, begründete kein besonderes Gefahrenpotential. Das Sonnenschutzspray war im allgemeinen ein ungefährlicher Gegenstand, von dem keine besondere, spezifische Gefahr ausging. Die Beklagte zu 2) hat ihrem Kind einen einfachen, leicht verständlichen Auftrag erteilt, der geeignet war, die Entwicklung seiner Selbständigkeit und seines Verantwortungsbewusstseins zu fördern. Auch wenn Kinder zwischen 5 und 6 Jahren zu der Nichtbeachtung von Anordnungen und zu Unbesonnenheit neigen, führte dies nicht zu spezifischen Hinweispflichten der Beklagten zu 2) an ihr Kind bei der Erteilung des Auftrages. Ausgangspunkt dieser Annahme ist, dass Sonnenschutzspray kein nach seinen Eigenschaften gefährlicher Gegenstand ist. Es würde die Aufsichtspflichten überspannen, gleichwohl umfassende Hinweise zu verlangen, welche denkbaren ungewollten Verwendungsmöglichkeiten zu unterlassen sind. Zum einen können ausufernde Erklärungen zu einem einfachen Auftrag die Aufnahmefähigkeit einer/eines Fünfjährigen überfordern, zum anderen ist zu befürchten, dass die Aufzählung von verschiedenen denkbaren verbotenen Verwendungsmöglichkeiten ohne konkreten Anlass erst den Entschluss auslöst, eine der verbotenen Handlungen auszuprobieren. Schließlich veranlasste auch die Dauer, die das Kind der Beklagten zur Ausführung des Auftrages brauchte, keine Pflicht, ihm nachzugehen und nachzusehen, was es machte. Es ist nicht dargelegt, dass es ab der Erteilung des Auftrages länger als 30 Minuten dauerte, bis das Kind der Beklagten mit dem Besprühen des Treppenhauses begann. Unerheblich ist, ob es länger abwesend war, als zur Ausführung des Auftrages notwendig gewesen wäre. Die naheliegendste Erklärung hierfür bei einem bis dahin unauffälligen fünfjährigen Kind ist nämlich, dass es den Auftrag schlicht vergessen oder abgebrochen hat, um etwas anderes zu tun, insbesondere um zu spielen. Allein die Tatsache einer Pflichtverletzung des Kindes der Beklagten, die zu einem Schaden führte, bedeutet nicht zugleich, dass die Beklagten für die Folgen einzustehen haben. Maßgeblich ist das Vorliegen einer Aufsichtspflichtverletzung, die vorliegend zu verneinen ist.
Die weiteren, zwischen den Parteien streitigen Umstände können dahinstehen, insbesondere der dem Kläger der Höhe nach entstandene Schaden.
Mangels Bestehens der Hauptforderung besteht auch kein Anspruch hinsichtlich der Nebenforderungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.