Das Landgericht München I hat entschieden, dass bei einer gemeinsamen Bergtour keine Haftung des erfahrenen Bergsteigers für die Kosten einer erforderlichen Helikopterbergung besteht, wenn keine formelle Verpflichtung als Bergführer übernommen wurde und die Teilnehmer selbst für ihre Sicherheit und Fähigkeiten verantwortlich sind. Die Eigenverantwortung im Alpinismus hat Vorrang.
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Übersicht:
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Bergrettung: Wer zahlt die Kosten?
- Der Fall vor dem Landgericht München I im Detail
- ✔ FAQ zum Thema: Kostenübernahme Bergrettung
- Wer trägt die Kosten einer Bergrettung?
- Welche rechtlichen Folgen hat die Annahme eines Gefälligkeitsvertrags im Kontext der Bergrettung?
- Inwieweit besteht eine Haftung bei unerlaubter Handlung im Rahmen von Bergtouren?
- Wie wird Eigenverantwortung im Bergsport rechtlich bewertet?
- Wie werden allgemeine Lebensrisiken im Kontext des Bergsports rechtlich behandelt?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht München I
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Kein Gefälligkeitsvertrag zwischen den Parteien geschlossen, da kein Rechtsbindungswille ersichtlich.
- Keine vertraglichen Pflichten des Beklagten gegenüber der Klägerin verletzt.
- Beklagter hatte keine Garantenstellung als faktischer Bergführer inne.
- Beklagter hat keine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zu vertreten.
- Klägerin ist für Eigenverantwortung in den Bergen selbst verantwortlich.
- Allgemeine Lebensrisiken beim Bergwandern sind von jedem selbst zu tragen.
- Kein Verschulden des Beklagten für die Notwendigkeit der Bergrettung nachgewiesen.
- Kosten der Hubschrauberbergung sind von der Klägerin selbst zu tragen.
Bergrettung: Wer zahlt die Kosten?
Bergwandern ist für viele eine beliebte Freizeitaktivität, die den Körper fordert und gleichzeitig eine willkommene Auszeit vom Alltag bietet. Doch die Natur hält auch unvorhersehbare Gefahren bereit, die Wanderer mitunter in Notlagen bringen können. In solchen Fällen springen professionelle Bergrettungsdienste ein, um schnelle Hilfe zu leisten. Allerdings können die Kosten für solche Einsätze beträchtlich sein und im Nachhinein für Diskussionen sorgen.
Ob und in welchem Umfang Wanderer für die Kosten einer Bergrettung aufkommen müssen, ist eine juristische Frage, die stark von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt. Entscheidend sind etwa die Erfahrung und Ausrüstung der Verunglückten, aber auch die Sorgfalt und Verantwortung der Bergführer. Nicht selten landen solche Fälle vor Gericht, wo dann geklärt wird, wer für die Kosten aufzukommen hat.
Im Folgenden wollen wir einen konkreten Fall betrachten, in dem es um Schadensersatz infolge einer Helikopterbergung ging.
Der Fall vor dem Landgericht München I im Detail
Streit um Kostenübernahme nach Helikopterbergung
Im vorliegenden Fall stritten die Klägerin und der Beklagte um die Kosten einer Bergrettung mittels Helikopter, die im Anschluss an eine gemeinsame Bergtour erforderlich geworden war. Die Klägerin, eine Ärztin und Gelegenheitswanderin, und der Beklagte, ein erfahrener Bergsteiger ohne formelle Qualifikation, hatten sich über eine Online-Plattform kennengelernt und zu einer gemeinsamen Wanderung auf die Rappenklammspitze im Karwendelgebirge verabredet. Aufgrund widriger Wetterverhältnisse und der einsetzenden Dunkelheit hatten sie sich verstiegen und sahen sich gezwungen, die Bergwacht zu rufen. Die Kosten für die Hubschrauberbergung beliefen sich auf über 8.400 Euro und wurden zunächst von der Klägerin getragen.
Kein Vertrag, keine Haftung
Die Klägerin argumentierte, der Beklagte habe sich als „persönlicher Bergführer” angeboten und somit die Verantwortung für die Tour übernommen. Sie sah darin einen Gefälligkeitsvertrag, der den Beklagten dazu verpflichtete, die nötige Sorgfalt walten zu lassen. Das Landgericht München I wies die Klage jedoch ab. Nach Ansicht des Gerichts lag kein Rechtsbindungswille des Beklagten vor, der für einen Gefälligkeitsvertrag essentiell ist. Der Chatverlauf zwischen den Parteien war von einem lockeren, flir tenden Ton geprägt, und die Aussage des Beklagten als „persönlicher Bergführer” diente offensichtlich dazu, die gemeinsame Tour attraktiv zu gestalten, nicht aber eine rechtliche Verpflichtung einzugehen.
Eigenverantwortung im Alpinismus
Auch eine Haftung des Beklagten aus unerlaubter Handlung lehnte das Gericht ab. Zwar könne ein erfahrener Bergsteiger in bestimmten Situationen eine Garantenstellung einnehmen, wenn er durch dominantes Verhalten ein Vertrauen in seine Führungsrolle schafft. Hier war dies jedoch nicht der Fall. Die Klägerin trug selbst vor, dass sie die Entscheidung, den Gipfel wegen der eisigen Bedingungen nicht zu besteigen, aktiv mitbestimmt hat, und auch die Idee der Rundtour im Anschluss nicht einfach hingenommen, sondern kritisch hinterfragt hat. Sie hatte somit die Möglichkeit, die Tour abzubrechen oder eine Umkehr zu fordern, entschied sich aber bewusst dafür, den Hinweisen des Beklagten zu folgen. Das Gericht betonte die Eigenverantwortung im Alpinismus und stellte klar, dass jeder Bergsteiger selbst für seine Sicherheit und die Einschätzung seiner Fähigkeiten verantwortlich ist.
Allgemeine Lebensrisiken beim Bergsport
Das Gericht stellte außerdem klar, dass allgemeine Lebensrisiken, die mit dem Bergsport verbunden sind, von jedem selbst zu tragen sind und nicht auf andere abgewälzt werden können. Im vorliegenden Fall war die Klägerin sich der potenziellen Gefahren bewusst, insbesondere im Hinblick auf die Jahreszeit und die damit verbundenen Wetterbedingungen. Dass sie sich dennoch für die Fortsetzung der Tour entschied, fiel in ihren eigenen Verantwortungsbereich. Ein Versteigen oder die Notwendigkeit einer Bergrettung allein begründen keine Haftung desjenigen, der die Navigation übernimmt oder über mehr Erfahrung verfügt.
✔ FAQ zum Thema: Kostenübernahme Bergrettung
Wer trägt die Kosten einer Bergrettung?
In Deutschland übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich nur die Kosten für eine medizinisch notwendige Rettung, nicht aber für eine reine Bergung. Eine Rettung liegt vor, wenn der Verunglückte so schwer verletzt ist, dass ein Transport auf dem Landweg nicht zumutbar ist, weil sich dadurch sein Zustand verschlechtern könnte oder der Transport zu lange dauern würde. Wird der Hubschrauber lediglich eingesetzt, um leicht Verletzte aus einem schwer erreichbaren Gebiet zu holen, handelt es sich um eine Bergung, deren Kosten die Krankenkasse nicht trägt.
Die Kosten für einen Hubschraubereinsatz in Deutschland liegen je nach Quelle zwischen 1.800 und 2.700 Euro bei einer durchschnittlichen Einsatzzeit von 30 Minuten. Zusammen mit den Kosten für den Einsatz der ehrenamtlich arbeitenden Bergwacht kann eine Bergung in Deutschland schnell 6.000 bis 7.000 Euro kosten, bei längeren Einsätzen auch deutlich mehr. Im Ausland können die Kosten für eine Bergrettung noch erheblich höher ausfallen. Dort werden in der Regel weder Such- und Bergungskosten noch die Kosten für den Transport von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen.
Um das finanzielle Risiko zu minimieren, empfiehlt sich der Abschluss einer privaten Unfallversicherung oder einer Auslandsreise-Krankenversicherung, die auch Bergungs- und Suchkosten abdeckt. Gute Angebote für Einzelpersonen gibt es bereits für unter 10 Euro. Für Familien bietet beispielsweise die Ergo Direkt mit dem Tarif RD sehr guten Schutz bis 10.000 Euro Bergungs- und Suchkosten.
Welche rechtlichen Folgen hat die Annahme eines Gefälligkeitsvertrags im Kontext der Bergrettung?
Die Annahme eines Gefälligkeitsvertrags im Kontext einer privat organisierten Bergtour kann folgende rechtliche Konsequenzen haben:
Grundsätzlich ist zwischen einem Gefälligkeitsvertrag und einer reinen Gefälligkeit zu unterscheiden. Bei einer reinen Gefälligkeit besteht keine vertragliche Haftung. Ob ein Gefälligkeitsvertrag vorliegt, ist durch Auslegung der abgegebenen Erklärungen gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte zu ermitteln. Maßgebliche Kriterien sind dabei die Art der Tätigkeit, ihr Grund und Zweck, die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, die Interessenlage der Parteien sowie die erkennbare Gefahr für den Begünstigten.
Eine rein private gemeinsame Freizeitveranstaltung wie eine privat durchgeführte Bergtour ist für sich genommen nicht geeignet, eine vertragliche Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu begründen. Im Vordergrund steht hier der soziale Kontakt und nicht der Wille der Beteiligten, sich rechtlich zu binden. Dies wird auch durch den Wortlaut des § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB verdeutlicht, der den vertragsähnlichen Schutz auf geschäftliche Kontakte bezieht und soziale Kontakte gerade nicht mit erfasst.
Wird dennoch im Einzelfall ein Gefälligkeitsvertrag angenommen, ergeben sich daraus Sorgfaltspflichten für den „Gefälligen“. Bei Verletzung dieser Pflichten kommt eine Haftung nach den Regeln der vertraglichen Haftung (§ 280 BGB) in Betracht. Allerdings sieht die Rechtsordnung bei unentgeltlichen Verträgen generell Haftungsprivilegierungen vor, so dass oft nur für grobe Fahrlässigkeit gehaftet wird.
In der Praxis wird es bei privaten Bergtouren meist am rechtsgeschäftlichen Willen fehlen, eine Gesellschaft oder einen Vertrag zu gründen. Daher sind solche Gefahrengemeinschaften in der Regel nicht als haftungsbegründende Verträge zu qualifizieren. Stattdessen kommt bei Bergunfällen eher eine deliktische Haftung nach den allgemeinen Regeln in Betracht.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Annahme eines Gefälligkeitsvertrags bei privaten Bergtouren die Ausnahme darstellt. Nur wenn die Umstände des Einzelfalls auf einen entsprechenden Rechtsbindungswillen schließen lassen, kommen vertragliche Sorgfaltspflichten und Haftungsfolgen in Betracht, die aber gegenüber normalen Verträgen privilegiert sind.
Inwieweit besteht eine Haftung bei unerlaubter Handlung im Rahmen von Bergtouren?
Bei privaten Bergtouren besteht in der Regel keine Haftung aus unerlaubter Handlung für Schäden oder Kosten, die anderen Teilnehmern entstehen. Grundsätzlich gilt bei gemeinsamen Bergtouren das Prinzip der Eigenverantwortung jedes Teilnehmers. Jeder Alpinist hat zunächst für sich selbst zu sorgen.
Auch wenn einem Teilnehmer aufgrund seiner Erfahrung und Leistungsfähigkeit von Anfang an oder in einer Notsituation auf natürliche Weise eine Führungsrolle zuwächst, entsteht daraus nicht ohne weiteres eine Haftung. Es bleibt vielmehr bei einer klassischen Gefahrengemeinschaft, die eine deliktische Haftung des „Führenden“ ausschließt.
Für eine Haftung aus unerlaubter Handlung nach § 823 BGB müssten besondere Umstände hinzutreten, die ein Verschulden in Form von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit begründen. Allein die Tatsache, dass ein Teilnehmer die Navigation übernimmt, macht ihn nicht zum alleinigen Führer und entbindet die anderen nicht von ihrer Eigenverantwortung.
Dass sich die Wegfindung beim Bergsteigen mitunter schwierig gestaltet, ist ein dem Alpinismus immanentes Risiko. Würde ein Versteigen stets die Haftung desjenigen begründen, der die Karte oder das Navigationsgerät bedient, hätte dies eine nicht zu rechtfertigende uferlose Ausdehnung der Haftung zur Folge. Solange keine besonderen Umstände ersichtlich sind, gilt auch im Hinblick auf die Wegfindung, dass sich die Bergkameraden in einer Gefahrengemeinschaft befinden und gemeinsam die Risiken der Tour zu verantworten haben.
Etwas anderes kann gelten, wenn ein Teilnehmer als professioneller Bergführer auftritt und gegen Entgelt die Führung und Sicherung einer Gruppe übernimmt. Dann können sich aus dem Führungsvertrag besondere Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten ergeben, deren schuldhafte Verletzung eine Haftung begründen kann.
Wie wird Eigenverantwortung im Bergsport rechtlich bewertet?
Die Rechtsprechung geht im Bergsport grundsätzlich vom Prinzip der Eigenverantwortung jedes einzelnen Teilnehmers aus. Jeder Alpinist hat zunächst für sich selbst zu sorgen und trägt die Risiken des Alpinismus selbst.
Auch wenn einem Teilnehmer aufgrund seiner Erfahrung eine natürliche Führungsrolle zuwächst, begründet dies allein noch keine vertragliche Haftung gegenüber den anderen. Es bleibt bei einer klassischen Gefahrengemeinschaft, in der die Beteiligten die Risiken gemeinsam zu verantworten haben.
Eine Haftung des „Führenden“ für Schäden anderer Teilnehmer kann sich nur aus besonderen Umständen ergeben, etwa wenn er ein Vertrauensverhältnis geschaffen und die alleinige Entscheidungskompetenz über Routenwahl, Gefahrenbewältigung etc. übernommen hat. Dann können sich aus dieser Übernahme von Schutz- und Sicherungspflichten Haftungsfolgen ergeben.
Allerdings ist die Rechtsprechung hier zurückhaltend. Selbst wenn jemand die Navigation übernimmt, wird ihm daraus noch keine uferlose Haftung für Fehlentscheidungen auferlegt. Die Wegfindung beim Bergsteigen ist ein immanentes Risiko, das grundsätzlich von allen Beteiligten gemeinsam zu tragen ist.
Insgesamt zeigt sich, dass die Gerichte im Bergsport ein hohes Maß an Eigenverantwortung eines jeden Teilnehmers erwarten. Eine Haftung für Schäden anderer setzt besondere Umstände voraus, die über die übliche Gefahrengemeinschaft deutlich hinausgehen. Der Grundsatz lautet: Jeder ist zunächst für sich selbst verantwortlich.
Wie werden allgemeine Lebensrisiken im Kontext des Bergsports rechtlich behandelt?
Diese Frage ist relevant, um zu klären, inwieweit Teilnehmer von Bergtouren selbst für Risiken verantwortlich sind, die allgemein mit dieser Aktivität verbunden sind. Es geht darum, zu verstehen, welche Risiken individuell zu tragen sind und unter welchen Umständen andere für diese aufkommen müssen.
Thematischer Zusammenhang: Schadensersatz infolge einer Bergrettung mittels Helikopter.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 280 Abs. 1 BGB (Schuldverhältnisse): Dieser Paragraph regelt die Schadensersatzpflicht wegen Pflichtverletzung innerhalb bestehender Schuldverhältnisse. Im vorliegenden Fall argumentiert die Klägerin, dass durch die Aussagen des Beklagten im Vorfeld ein Gefälligkeitsvertrag mit entsprechenden Pflichten entstanden sei, dessen Verletzung zu ihrem Schaden geführt hat.
- § 241 Abs. 2 BGB (Rücksichtnahmepflicht): Dieser Paragraph verpflichtet Vertragsparteien, die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei zu achten. Im Kontext der Bergtour könnte dies bedeuten, dass der Beklagte die Sicherheit und Gesundheit der Klägerin zu wahren hatte, insbesondere weil er sich als erfahren darstellte.
- § 823 Abs. 1 BGB (Deliktische Haftung): Hierbei geht es um die Haftung für die Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit oder Eigentum durch rechtswidriges und schuldhaftes Handeln. Die Klägerin sieht in den Handlungen des Beklagten eine fahrlässige Körperverletzung, da er trotz seiner Selbstbeschreibung als erfahren die Tour fortsetzte, ohne auf ihre Bedenken angemessen zu reagieren.
- Haftungsrecht im Alpinismus (Allgemein): Im Bergsport ist besonders relevant, welche Sorgfalts- und Fürsorgepflichten erfahrene Bergsteiger gegenüber weniger erfahrenen Begleitern haben, insbesondere wenn sie die Führung übernehmen. Dieser Aspekt betrifft das Maß der Verantwortung, das der Beklagte eventuell zu tragen hatte.
- Versicherungsrechtliche Aspekte (Deutscher Alpenverein und private Versicherungen): Da der Beklagte versuchte, die Kosten über den Deutschen Alpenverein oder private Versicherungen abzurechnen, ist relevant, unter welchen Bedingungen Versicherungsschutz für Bergrettungsaktionen besteht und welche Leistungen in solchen Notfällen üblicherweise gedeckt sind.
➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht München I
LG München I – Az.: 27 O 3674/23 – Urteil vom 24.10.2023
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 8.430,45 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz infolge einer Bergrettung mittels Helikopter.
Die Klägerin und der Beklagte lernten sich auf einer Online-Plattform kennen. Sie trafen sich zunächst einige Male und verabredeten sich sodann zu einer ersten gemeinsamen Bergwandertour am 7.11.2021. Die Klägerin ist Ärztin und bezeichnet sich selbst als eine nicht sehr erfahrene Gelegenheitswanderin. Der Beklagte ist Mitglied des Deutschen Alpenvereins (DAV e.V.). Er bezeichnet sich selbst als Wanderer, Bergsteiger und Skitourengeher, verfügt jedoch über keine qualifizierte Alpinausbildung. Insbesondere verfügt er über keine Ausbildung als Bergführer oder alpiner Fachübungsleiter, was der Klägerin vor Beginn der Tour auch bekannt war.
Im Zuge der Tourenplanung hatte der Beklagte der Klägerin zwei verschiedene Tourenvorschläge übermittelt. Die Wahl fiel sodann auf eine Besteigung der Rappenklammspitze im Karwendelgebirge. Der Beklagte teilte der Klägerin im Vorfeld der Tour mit, er würde fahren. In dem zwischen den Parteien geführten Chat (Anlage K „Chatverlauf“) äußerte der Beklagte u.a. „Bekommst vollen Service:)“. Auf die Frage der Klägerin, was „da noch alles inklusive“ sei, schrieb der Beklagte „Brotzeit, persönlicher Bergführer und diverse Überraschungen:)“. Die Klägerin antwortete „Uuuuuuh das sollte man sich nicht entgehen lassen“.
Ohne besondere Ausrüstung, insbesondere ohne Grödel und ohne Stirnlampe, starteten die Parteien am 7.11.2021 um ca. 11.00 Uhr vormittags ihre Wanderung. Unterhalb des Gipfelaufbaus entschied die Klägerin, den Gipfel wegen der dort herrschenden eisigen Verhältnisse nicht besteigen zu wollen. Die Parteien nahmen daraufhin von dem Plan, den Gipfel zu besteigen, Abstand. Der Beklagte schlug stattdessen vor, eine Rundtour zu unternehmen und auf diesem Weg ins Tal zurückzugehen. Die Klägerin kannte diesen Weg nicht und hatte auch im Vorfeld der Tour nicht die Möglichkeit gehabt, sich über die vom Beklagten vorgeschlagene Rundtour, insbesondere deren Dauer und Wegbeschaffenheit, zu informieren. Der Beklagte hatte die Route lediglich auf seinem Mobiltelefon. Dennoch entschieden sich die Parteien zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt gemeinsam, die Rundtour, die über den Wechselkopf führen sollte, gehen zu wollen.
Die Wegfindung gestaltete sich in der Folge jedoch zunehmend schwierig, insbesondere aufgrund von Schnee und fehlenden Spuren anderer Wanderer. Die Klägerin bekam Bedenken, da sich die Parteien ihrer Auffassung nach nicht mit hinreichender Geschwindigkeit in Richtung Tal bewegten, sondern immer in etwa auf derselben Höhe weitergingen, und die Nacht hereinzubrechen drohte. Dennoch setzte sie die Tour mit dem Beklagten weiter fort, ohne auf eine Umkehr zu drängen.
Als die Parteien einen Punkt an einer Felswand erreichten, die die Klägerin nicht hinabsteigen wollte, entschieden sich die Parteien gemeinsam, die Rettung zu alarmieren. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, es war jedoch noch Tageslicht vorhanden. Da das Handy des Beklagten nur noch über sehr wenig Akku verfügte, verständigte der Beklagte mit dem Mobiltelefon der Klägerin die Bergwacht und beschrieb ihren Standort. Während des Telefonats ging das Handy der Klägerin jedoch aus, sodass zunächst unklar war, ob die Flugrettung kommen würde oder nicht.
Die Klägerin war mit einer Leggins bekleidet und hatte zwar eine Mütze, aber keine warme Jacke dabei. Während die Parteien auf den Hubschrauber warteten, begann sie zu zittern und zu frieren. Die Parteien begannen sodann zu diskutieren, ob sie den Rückweg ins Tal auf der Aufstiegsroute beschreiten könnten, d.h. ob eine Umkehr möglich wäre. Sie warteten jedoch weiter auf den Hubschrauber, der schließlich eintraf.
In dem von der Flugrettung ausgefüllten Unfallprotokoll (Anlage K2) ist festgehalten:
„Erstdiagnose(n) am NFO: Hauptdiagnose Unterkühlung“. Diese Diagnose wurde von einem Arzt erstellt, der sich nach Eintreffen der Parteien im Tal mit der Klägerin unterhielt und aufgrund des Inhalts des Gesprächs eine Unterkühlung diagnostizierte.
In einem der Sicherheitsforschung dienenden Formular des DAV machte der Beklagte im Nachgang zu der Bergung zum Hergang des Notfalls folgende Angaben (Anlage K7): „Notlage aufgrund Blockierung, Verhältnisse: Schnee und Eis. Einbrechende Dunkelheit. Ich war faktischer Führer in dem Moment und habe Notruf gewählt. Auch weil Handys fast keinen Akku hatten.“
Gegenüber der Klägerin äußerte der Beklagte nach der Bergung (vgl. Chatverlauf zwischen den Parteien, Anlage K3): „Mich ärgert das nur weil ich es vor der Tour und während der Tour besser einschätzen hätte müssen! Weil ich eig schon relativ viel in den Bergen unterwegs bin. Und es ausgerechnet dieses mal zu sehr auf die leichte Schulter genommen habe (ohne erste hilfe set/grödel/stirnlampe z.b.) und dich und uns somit bei einer eig leichten tour unnötig in Gefahr gebracht habe!“.
Mit Rechnung vom 9.11.2021 (Anlage K4) forderte die ARA Flugrettung gGmbH die Klägerin auf, die Kosten für die Hubschrauberbergung für die Person der Klägerin in Höhe von 8.430,45 EUR zu begleichen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nach.
Der Beklagte versuchte daraufhin, die der Klägerin entstandenen Kosten vom DAV, von seiner privaten Haftpflichtversicherung und seiner Auslandskrankenversicherung ersetzt zu bekommen. Eine private Haftpflichtversicherung des Beklagten bestand jedoch nicht. Die beiden anderen Rechtsträger verweigerten die Übernahme der Kosten.
Mit WhatsApp-Nachricht vom 17.1.2022 (Anlage K10) teilte der Beklagte der Klägerin mit: „Wenn dann könnte ich dir das Geld erst Ende des Monats geben.“
Mit WhatsApp-Nachricht vom 24.1.2022 (Anlage K11) teilte er sodann mit: „ich werde dich leider nicht finanziell unterstützen können..“
Die Klägerin forderte den Beklagten daraufhin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.3.2022 (Anlage K5) auf, die Kosten für die Flugrettung bis spätestens 15.4.2022 zu bezahlen und die Klägerin von den vorgerichtlichen Anwaltskosten freizustellen. Hierauf reagierte der Beklagte nicht.
Die Klägerin behauptet, sie habe dem Beklagten die Wahl des Tourenziels überlassen, das dieser sodann ausgesucht habe. Am Tag der gemeinsamen Bergtour seien sie und der Beklagte unter Führung des Beklagten unterwegs gewesen. Sie hätten sich westlich des Wechselkopfs verstiegen und den Weg verloren. Sie hätten sich auf einem felsigen, vereisten und verschneiten Terrain befunden und die Dunkelheit sei hereingebrochen. Der Beklagte habe trotz mehrmaligem verängstigtem Nachfragen der Klägerin, ob der Beklagte noch wisse, wo er sich befinde, ob das wirklich der richtige Weg sei und ob man nicht lieber umkehren wolle, wahrheitswidrig geantwortet, er wisse, wo er sei und könne den Weg identifizieren. Er habe dazu geraten, die Rundtour, wie von ihm geplant, fortzusetzen und abzuschließen. Aufgrund der Entscheidungen und Aussagen des Beklagten sei die Klägerin ihm gefolgt, nicht zuletzt aufgrund seiner Stellung als der Erfahrenere von beiden. Irgendwann habe der Beklagte jedoch zugegeben, dass er sich verstiegen habe und nicht mehr weiter oder zurückkommen werde.
Die Klägerin habe eine Unterkühlung erlitten und Angstzustände gehabt.
Die Klägerin ist der Meinung, der Beklagte hafte aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Zwischen den Parteien sei ein Gefälligkeitsvertrag zustande gekommen, der zumindest Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB begründe. Der hierfür erforderliche Rechtsbindungswille ergebe sich aus dem Umstand, dass für beide Parteien nicht nur erhebliche Rechtsgüter wie die Gesundheit auf dem Spiel gestanden habe, sondern – wie die Höhe der Rechnung für die Flugrettung zeige – die Führung der Wanderung für die Klägerin auch erhebliche wirtschaftliche Bedeutung gehabt habe. Der Beklagte habe nicht ausreichend bedacht, dass im November mit schlechten Witterungsverhältnissen und einer kürzeren Tageslichtphase zu rechnen gewesen sei. Zudem habe er die Unerfahrenheit der Klägerin nicht hinreichend berücksichtigt. Die Klägerin habe sich auf die Fähigkeiten und Erfahrungen des Beklagten als Bergführer verlassen. Der Beklagte sei aufgrund seiner Mitgliedschaft im DAV zwar gegen die finanziellen Risiken einer Bergrettung versichert, dennoch hätte die Angelegenheit auch für ihn erhebliche wirtschaftliche Bedeutung gehabt. Hieraus ergebe sich der für den Gefälligkeitsvertrag erforderliche Rechtsbindungswille. Im Übrigen habe der Beklagte im Nachgang zur Rettung selbst eingesehen, für den Vorfall verantwortlich zu sein und für den entstandenen Schaden aufkommen zu müssen.
Der Beklagte habe die aus dem Gefälligkeitsvertrag resultierenden Pflichten in grob fahrlässiger Weise verletzt. Er habe die Tour unkoordiniert geführt und mehrfach den Weg verloren. Schließlich habe er die Klägerin in eine Situation gebracht, in der beide nicht weitergekommen seien und aufgrund der hereinbrechenden Dunkelheit und mangels entsprechender Ausrüstung ein Abstieg ins Tal oder an einen sonstigen sicheren Ort nicht mehr möglich gewesen sei.
Die grobe Fahrlässigkeit ergebe sich daraus, dass der Beklagte nicht einmal ein Mindestmaß an Bergausrüstung mit sich geführt habe. Zudem habe er sich allein auf sein Mobiltelefon verlassen, dass er zum Navigieren benutzt habe. Dies stelle einen Verstoß gegen elementarste Sorgfaltspflichten dar. Der Beklagte hätte im Vorfeld erkennen müssen, dass die Laufzeit eines Akkus bei Kälte und dauerhafter Ortung deutlich gemindert ist.
Ein gesonderter Handlungsunwert ergebe sich – unabhängig von den unterschiedlichen Vorkenntnissen der Klägerin einerseits und dem Beklagten andererseits – aus dem Umstand, dass der Beklagte trotzt entsprechender Nachfragen der Klägerin sein Versagen zunächst nicht eingestanden habe. Zu diesem Zeitpunkt wäre es noch möglich gewesen, umzukehren. Der Beklagte sei mit einer Rettung jedoch erst einverstanden gewesen, nachdem er sich in derartig unwegsames Gelände vorgewagt habe, dass er nicht mehr vor und nicht mehr zurückgekommen sei.
Im Übrigen hafte der Beklagte aufgrund der sorgfaltswidrigen Bergführung auch aus § 823 Abs. 1 BGB. Als faktischer Bergführer habe der Beklagte eine Garantenstellung innegehabt. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als die Klägerin den Beklagten gefragt habe, ob eine Umkehr nicht die sicherere Alternative sei, er dies verneint und dazu geraten habe, die Rundtour fortzusetzen, habe der Beklagte aufgrund seines dominierenden Verhaltens einen Vertrauenstatbestand in seine Führerrolle und seine Schutz- und Hilfsfunktion geschaffen. Er sei verpflichtet gewesen, die Rechtsgüter der Klägerin vor Gefahren zu schützen, was er jedoch nicht getan habe. Das Verhalten des Beklagten sei rechtswidrig gewesen, die Klägerin habe in die Gesundheitsschädigung nicht eingewilligt. Sie sei vielmehr aufgrund der Angaben des Beklagten hinsichtlich seiner Kenntnisse und Erfahrung davon ausgegangen, sich auf ihn verlassen zu können.
Die Klägerin hat zunächst beantragt:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.430,45 EUR zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.04.2022 zu zahlen.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 887,03 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.04.2022 zu zahlen.
Mit Schriftsatz vom 21.7.2023 (Bl. 36/41 d.A.) hat die Klägerin ihren Antrag hinsichtlich Ziff. I erweitert.
Die Klägerin beantragt zuletzt:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.430,45 EUR zzgl-Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.01.2022 zu zahlen.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 887,03 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.04.2022 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, Klagabweisung.
Der Beklagte behauptet, das Tourenziel sei gemeinsam aus mehreren zunächst zur Debatte stehenden Tourenzielen ausgewählt worden. Die Parteien hätten sich auch nicht verstiegen. Vielmehr hätten sie sich entsprechend ihrer ursprünglichen Planung auf dem richtigen Weg befunden. Der Punkt, an dem die Parteien von der Bergrettung aufgegriffen worden seien, befinde sich im Bereich des geplanten Weges.
Der Beklagte ist der Meinung, aus einer Mitgliedschaft im Deutschen Alpenverein könnten keine Schlussfolgerungen in Bezug auf seine alpinistische Qualifikation gezogen werden, da diese Mitgliedschaft von jedermann und ohne jeden Qualifikationsnachweis erworben werden könne. Für eine Mitgliedschaft sei es nicht einmal erforderlich, dass man überhaupt in die Berge gehe.
Ein Gefälligkeitsvertrag sei nicht geschlossen worden. Es sei aufgrund des Vortrags der Klägerin schon nicht klar, welche rechtsverbindlichen Erklärungen mit Rechtsbindungswillen von wem und wann abgegeben worden sein sollen. Ausdrückliche wechselseitige Erklärungen mit dem Ziel, einen Vertragsabschluss mit einem – unbekannten – konkreten Vertragsinhalt herbeizuführen, seien weder vorgetragen noch hätten diese stattgefunden. Ein Ableiten des Rechtsbindungswillens allein aus den Rahmenbedingungen der Tour sei nicht möglich. Die Annahme eines konkludenten Vertragsschlusses im vorliegenden Fall laufe auf eine rechtliche Fiktion hinaus, die in keiner Weise der Realität entspreche. Der Abschluss eines Gefälligkeitsvertrags setze zumindest voraus, dass den Beteiligten bewusst sei, eine rechtlich relevante Erklärung abzugeben. Daran fehle es vorliegend. Die Klägerin sei weder im Rahmen der Tourenplanung noch bei Antritt der Tour davon ausgegangen, einen einklagbaren Anspruch auf Durchführung einer Bergtour mit dem Beklagten vereinbart zu haben.
Auch aus dem Verhalten des Beklagten im Nachgang zur Bergung lasse sich kein Anspruch der Klägerin begründen. Er habe lediglich auf Gefälligkeitsbasis die nach seiner Auffassung in Betracht kommenden Möglichkeiten, die Kosten der Bergrettung der Klägerin erstattet zu bekommen, geprüft. Eine rechtsgeschäftliche Erklärung dahingehend, dass er gegenüber der Klägerin zur Erstattung der Kosten verpflichtet sei, habe er nicht abgegeben. Auch aus dem als Anlage K10 vorgelegten Chat-Verlauf ergebe sich nichts anderes. Der Beklagte habe lediglich die Möglichkeit einer freiwilligen Zahlung angedeutet. All dies sei jedoch nach der Bergung geschehen.
Ein Rückschluss hieraus auf einen Rechtsbindungswillen des Beklagten zum Zeitpunkt des Antritts der Tour sei unzulässig.
Im Übrigen liege eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Klägerin vor, die zu einem Haftungsausschluss führe. Nach ihrem eigenen Vortrag habe der Beklagte während der Tour mehrfach den Weg verloren. Die Klägerin habe gewusst, dass die Navigation ausschließlich über das Mobiltelefon des Beklagten erfolge. Sie selbst habe, nachdem die Weg- und Wetterverhältnisse ihrer Auffassung nach gefährliche Züge angenommen hätten, nachgefragt, ob ein Rückweg nicht die sicherere Variante sei. Der Beklagte habe jedoch dazu geraten, die Rundtour fortzusetzen. Aus diesem Vortrag der Klägerin ergebe sich bereits, dass die Klägerin sehr wohl in der Lage gewesen sei, eine sachgerechte Gefahreneinschätzung vorzunehmen. Ihre Entscheidung, die Rundtour fortzusetzen, habe nicht auf einer führungstechnischen Anweisung des Beklagten beruht, sondern auf einer rechtlich unverbindlichen Empfehlung. Es habe jedoch für die Klägerin auch nach ihrem eigenen Vortrag durchaus die Möglichkeit bestanden, eine Umkehr, d.h. einen Rückweg entlang der Aufstiegsroute, aktiv einzufordern und eine Fortsetzung der Rundtour abzulehnen. Dies habe sie jedoch unterlassen und damit die evidenten Warnsignale in Bezug auf die fehlenden Fähigkeiten des Beklagten sehenden Auges ignoriert. Sie habe die Tour somit eigenverantwortlich fortgesetzt. Ein mögliches Fremdverschulden des Beklagten trete dahinter zurück. Aus diesem Grund scheide auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB aus.
Eine Haftung des § 823 Abs. 1 BGB scheide aber auch aus einem anderen Grund aus. Es stehe nicht mit Sicherheit fest, ob die Klägerin tatsächlich eine Unterkühlung erlitten habe. Sollte dem tatsächlich so sein, so hätte die Klägerin den Beklagten bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf ihren Zustand hinweisen müssen. Eine Unterkühlung sei kein plötzlich auftretendes Ereignis, sondern beruhe auf einem länger anhaltenden Prozess. Die Klägerin als medizinisch geschulte Fachkraft hätte dies erkennen und dem Beklagten mitteilen müssen; in diesem Fall wäre es nicht zu der streitgegenständlichen Bergungssituation gekommen. Jedenfalls fehle es im Fall einer Unterkühlung an einem Schaden. In diesem Fall habe die Klägerin nämlich gegenüber ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Flugrettung, weil dann ein medizinischer Notfall vorgelegen habe. Es sei nicht bekannt, ob die Klägerin den streitgegenständlichen Anspruch gegenüber ihrer Krankenkasse geltend gemacht habe. Sollte dies unterblieben sein, so handele es sich um einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht i.S.v. § 254 BGB, der eine Einstandspflicht des Beklagten ausschließe. Sollte keine Unterkühlung vorgelegen haben, so fehle es an einer Rechtsgutsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB.
Der Beklagte hat zum Beweis der Tatsache, dass sich die Parteien zum Zeitpunkt des Eintreffens des Hubschraubers auf dem richtigen Weg befanden, die Erholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.7.2023 (Bl. 42/46 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
Zu entscheiden war über den zuletzt gestellten Antrag. Bei der Erhöhung der Zinsforderung, begründet durch einen nach Auffassung der Klägerin früheren Verzugsbeginn, handelt es sich um eine zulässige Klageänderung i.S.v. § 264 Nr. 2 ZPO.
II.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadenersatzanspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Der Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Es fehlt an der gem. § 280 Abs. 1 BGB erforderlichen Sonderverbindung zwischen den Parteien.
a) Ein ausdrücklicher Vertragsschluss über das Ob und Wie der Durchführung der Wanderung wurde bereits nicht vorgetragen.
b) Aber auch ein konkludent geschlossener Vertrag in Form eines sog. Gefälligkeitsvertrags scheidet vorliegend aus. Es fehlt an dem insofern erforderlichen Rechtsbindungswillen des Beklagten.
Der Gefälligkeitsvertrag ist von der reinen Gefälligkeit zu unterscheiden, bei der eine vertragliche Haftung ausscheidet. Entscheidend für die Abgrenzung ist die Auslegung der abgegebenen Erklärungen gem. §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte (vgl. BGH NJW 2015, 2880). Maßgebliche Abgrenzungskriterien sind dabei die Art der Tätigkeit, ihr Grund und Zweck sowie die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, die der in Rede stehenden Tätigkeit zukommt, die Interessenlage der Parteien, das erkennbare Interesse des Begünstigten sowie die dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die der Begünstigte durch eine fehlerhafte Leistung geraten kann (vgl. BGH NJW 2015, 2880; MüKoBGB-Schäfer, 9. Aufl. 2023, § 662 Rn. 30 m.w.N.).
Entscheidend ist also vorliegend, ob die Erklärung des Beklagten, mit der Klägerin gemeinsam auf die Rappenklammspitze wandern zu wollen, eine Willenserklärung i.S.d. §§ 145 ff. BGB darstellt, d.h. eine Erklärung, die auf den Eintritt privatrechtlicher Rechtsfolgen gerichtet ist. Dies ist zu verneinen. Eine rein private gemeinsame Freizeitveranstaltung wie eine privat durchgeführte gemeinsame Bergtour ist für sich genommen nicht geeignet, eine vertragliche Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu begründen. Im Vordergrund steht vielmehr der soziale Kontakt und nicht etwa der Wille der Beteiligten, sich rechtlich zu binden (vgl. hierzu Grüneberg-Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Einl v § 241 Rn. 7). Dies wird auch durch den Wortlaut des § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB verdeutlicht, der den vertragsähnlichen Schutz auf geschäftliche Kontakte bezieht und soziale Kontakte gerade nicht mit erfasst (vgl. Grüneberg-Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Einl v § 241 Rn. 7). Für die Bejahung eines Gefälligkeitsvertrages müssten daher weitere besondere Umstände hinzutreten, an denen es vorliegend jedoch fehlt.
aa) Allein die Mitgliedschaft des Beklagten beim DAV genügt hierfür nicht, da – wie der Beklagtenvertreter zutreffend ausführt – eine derartige Mitgliedschaft ähnlich wie eine ADAC-Mitgliedschaft qualifikations- und voraussetzunglos erworben werden kann. Auch wenn der Beklagte wie von der Klägerin behauptet und insoweit jedenfalls nicht dezidiert bestritten über einen gewissen Erfahrungsvorsprung verfügte, genügt dies allein nicht für die Annahme eines Rechtsbindungswillens i.S.v. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Ein derartiges Erfahrungsgefälle wird bei alpinen Unternehmungen sehr häufig anzutreffen sein, da es selten sein dürfte, dass zwei Bergsteiger exakt über denselben Erfahrungsschatz und identische alpine Kompetenzen verfügen. Würde man ein bloßes Erfahrungsgefälle genügen lassen, um einen Rechtsbindungswillen zu bejahen, so unterfielen nahezu alle Bergwanderungen im privaten Bereich, die ohne kommerziellen Zweck unternommen werden und lediglich der Freizeitgestaltung dienen, dem Regime der §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Dies würde den Gefälligkeitsvertrag zum Standardfall werden lassen und die Abgrenzung zwischen reiner Gefälligkeit und Gefälligkeitsvertrag obsolet machen.
Die Bereitschaft des Beklagten, die Tourenplanung zu übernehmen, ist in Ansehung des Umstands, dass es sich nicht um eine kommerziell geführte Tour handelte, sondern um einen Ausflug zweier jedenfalls freundschaftlich miteinander verbundener Personen, daher als eine übliche Gefälligkeit des täglichen Lebens zu qualifizieren.
bb) Dass bei der Durchführung der gemeinsamen Bergwanderung auch finanzielle Interessen (bspw. in Form von Kosten für eine Flugrettung) im Spiel standen, steht dem nicht entgegen. Denn dies war zum Zeitpunkt der Verabredung zur Wanderung nicht in concreto absehbar. Allein die Tatsache, dass bei einer gemeinsamen Unternehmung zumindest theoretisch Rechtsgüter von erheblicher Bedeutung oder wirtschaftliche Interessen betroffen sein können , genügt für sich genommen nicht, um eine Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu begründen.
cc) Richtig ist zwar, dass der Beklagte sich gegenüber der Klägerin im Vorfeld der Tour als ihr „persönlicher Bergführer“ bezeichnet hat (vgl. den als Anlage K in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Chat-Verlauf). Diese Aussage ist nach §§ 133, 157 BGB jedoch nicht dahingehend zu interpretieren, dass der Beklagte sich gegenüber der Klägerin nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB einem Bergführer gleich verpflichten wollte. Der zwischen den Parteien geführte Chat war offensichtlich im Ton eines Flirts gehalten. Aus den Antworten der Klägerin im Rahmen des Chats lässt sich entnehmen, dass sie sich des werbenden Tonfalls des Beklagten durchaus bewusst war. Ein Missverständnis an dieser Stelle ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Dem Beklagten ging es bei der Aussage, als persönlicher Bergführer der Klägerin zu fungieren, also nicht um die Abgabe eines Angebots auf Abschluss eines Gefälligkeitsvertrags, sondern darum, der Klägerin die gemeinsame Tour schmackhaft zu machen und zu signalisieren, dass er sich in besonders aufmerksamer Weise um sie kümmern werde. Eine Absicht des Beklagten, sich unter Verzicht auf eine ansonsten übliche Vergütung tatsächlich wie ein Bergführer gegenüber der Klägerin verpflichten zu wollen, lässt sich daraus nicht entnehmen, zumal der Beklagte nicht über die Qualifikation eines Bergführers verfügt, was der Klägerin auch bereits vor Antritt der Tour bekannt war. Aus der Aussage im Chat auf einen Rechtsbindungswillen zu schließen, käme einer rechtlichen Fiktion gleich.
dd) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sich der Beklagte im Nachgang zur Rettung selbst als „faktischer Bergführer“ bezeichnet hat. Für die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB kommt es grundsätzlich auf die Willensrichtung des Erklärenden zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung an. Zwar kann auch späteres Verhalten der Parteien als Indiz für die Auslegung von Bedeutung sein (vgl. Grüneberg-Ellenberger, 82. Aufl. 2022, § 133 Rn. 17). Der Wortlaut der Erklärung „ich war faktischer Bergführer in dem Moment“ lässt jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass sich der Beklagte bereits ab Beginn der Tour gegenüber der Klägerin rechtlich verpflichten wollte. Dies zum einen deswegen, weil der Wortlaut „faktisch“ den Willen des Beklagten zum Ausdruck bringt, gerade kein „echter“, d.h. rechtlich verpflichteter Bergführer zu sein. Zum anderen hat der Beklagte durch die Wortwahl „in dem Moment“ zum Ausdruck gebracht, dass seine Eigenschaft als „faktischer Bergführer“ nach seiner Auffassung jedenfalls nicht von Anfang an bestand. Ein etwaiger Rechtsbindungswille, der Voraussetzung für eine Haftung nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wäre, müsste aber bereits bei Abschluss des Gefälligkeitsvertrages vorgelegen haben. Bei den Ausführungen des Beklagten handelt es sich nach §§ 133, 157 BGB lediglich um eine Selbsteinschätzung des Beklagten hinsichtlich seiner Rolle in der Situation der Rettung; die Verlautbarung dieser Selbsteinschätzung im Nachgang zur Rettung ist nicht geeignet, den von der Klägerin behaupteten Rechtsbindungswillen des Beklagten bei Beginn der Tour zu begründen.
ee) Ein Rechtsbindungswille des Beklagten ist auch nicht deswegen zu bejahen, weil dieser im Nachhinein gegenüber der Klägerin äußerte, er hätte die Tour zu sehr auf die leichte Schulter genommen, und sich bemühte, die Kosten der Klägerin auf einen ihm bekannten Rechtsträger abzuwälzen. Diese sichtlich von Bedauern und Reue geprägten Äußerungen bzw. Bestrebungen sind nicht geeignet, rückwirkend einen Rechtsbindungswillen zu begründen. Der Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt geäußert, er sei der Auffassung, für den entstandenen Schaden der Klägerin rechtlich bindend verantwortlich zu sein. Die als Anlage K3 vorgelegte WhatsApp-Nachricht ist nach §§ 133, 157 BGB nicht so zu verstehen, dass die Parteien der Meinung waren, bereits zu Beginn der Tour einen (konkludenten) Vertrag dahingehend geschlossen zu haben, dass der Beklagte der Klägerin zum Schutz ihrer Rechtsgüter nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sein sollte. Die Äußerung, die Unternehmung zu sehr auf die leichte Schulter genommen zu haben, ist vielmehr geprägt von – rechtlich nicht relevantem – persönlichem Bedauern und einem vom Beklagten gezogenen Gesamtresümé. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der als Anlage K10 vorgelegten WhatsApp-Nachricht des Beklagten vom 17.1.2022. Die Äußerung „Wenn dann könnte ich dir das Geld erst Ende des Monats geben..“ beinhaltet einen Konditional, formuliert also gerade keinen unbedingten Einstandswillen des Beklagten. Auf die Voraussetzungen des § 781 BGB kommt es daher nicht weiter an.
2. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auch nicht aus § 823 Abs. 1 BGB zu.
Es kann dabei dahinstehen, ob die Klägerin zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rettung alarmiert wurde, bereits eine Rechtsgutsverletzung in Form einer Unterkühlung erlitten hatte, ob diese erst im Zuge des Wartens auf den Hubschrauber eintrat oder ob die Klägerin möglicherweise überhaupt nicht unterkühlt war. Denn auch bei unterstellter Rechtsgutsverletzung fehlt es jedenfalls an einer zurechenbaren Verletzungshandlung des Beklagten i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB.
Der Umstand, dass der Beklagte die Rundtour über den Wechselkopf vorgeschlagen und mit der Klägerin angetreten hat ist ebensowenig als Verletzungshandlung zu qualifizieren, wie der spätere Ratschlag, die Tour weiter fortzusetzen anstatt umzukehren. Auch das Unterlassen der Umkehr ist kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 1 BGB.
Wie auch sonst im Leben ist im Alpinismus zunächst von der Eigenverantwortung des Einzelnen auszugehen. Im Regelfall hat jeder Alpinist zunächst für sich selbst zu sorgen. Auch wenn einem Teilnehmer aufgrund seiner Erfahrung und seiner Leistungsfähigkeit von Anfang an oder in einer Notsituation auf natürliche Weise das Gesetz des Handelns zuwächst, entsteht daraus nicht ohne weiteres eine Partie, die einer geführten Gruppe gleichsteht. Es bleibt eine klassische Gefahrengemeinschaft mit stärkeren oder schwächeren Mitgliedern (Recht im alpinen Bereich, 1. Aufl. München 2018, Rn. 477 m.w.N.). Etwas anderes kann sich zwar daraus ergeben, dass der alpinistisch Stärkere auf Grund seines dominierenden Verhaltens ein Vertrauen in seine Führerrolle und seine Schutz- und Hilfsfunktion geweckt und in Anspruch genommen hat. In Betracht kommt dies vor allem, wenn die Entscheidungen über Ziel, Route und Abbruch der Tour oder über die Art und Weise der Bewältigung von Gefahrenstellen, namentlich die Sicherung, nicht (mehr) gemeinschaftlich getroffen werden, sondern die Entscheidungskompetenz nach dem Verständnis der Gruppe bzw. des weiteren Teilnehmers einem Einzelnen, vor allem wegen dessen alpiner Erfahrung, allein zugefallen ist (Recht im alpinen Bereich, 1. Aufl. München 2018, Rn. 478 m.w.N.). Derartige Umstände lassen sich dem Vortrag der Klägerin jedoch nicht entnehmen.
Die Klägerin hatte bereits unterhalb des Gipfels klargestellt, dass sie den Gipfel wegen der dort herrschenden Verhältnisse nicht erklimmen wollte, obwohl dies der ursprüngliche Plan der Parteien gewesen war. Diese Entscheidung zeigt, dass sie in der Lage war, ihre eigenen Fähigkeiten richtig einzuschätzen, dies gegenüber dem Beklagten zu artikulieren und eine gemeinsame Entscheidung hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Tour herbeizuführen.
Als der Beklagte vorschlug, den Abstieg im Wege einer Rundtour in Angriff zu nehmen, widersetzte sich die Klägerin diesem Vorschlag nicht, obwohl sie selbst weder den Weg noch die dort herrschenden Verhältnisse kannte und obwohl ihr klar war, dass der Beklagte die Navigation lediglich mithilfe seines Mobiltelefons durchführen würde. Es ist auch nicht vorgetragen, dass sich die Klägerin der Tageszeit nicht bewusst war oder keine Kenntnis davon hatte, wann in etwa die Dunkelheit hereinbrechen würde. Auch als sich der Weiterweg nicht so gestaltete, wie die Klägerin ies für angemessen gehalten hätte – geringer Höhenverlust, fortgeschrittene Tageszeit, Wegfindungsschwierigkeiten in Folge von Schnee und fehlenden Spuren – hat sie laut eigenem Vortrag weiterhin die erforderliche Verantwortung für ihr Tun übernommen und beim Beklagten kritisch nachgefragt, ob sie sich noch auf dem richtigen Weg befänden. Sie hat ihrem eigenen Vortrag zufolge auch eine Umkehr ins Spiel gebracht, ist dann aber doch dem Rat des Beklagten, den Rundweg fortzusetzen, gefolgt. Zwar hat die Klägerin vorgetragen, der Beklagte habe aufgrund seines dominierenden Verhaltens einen Vertrauenstatbestand in seine Führerrolle und seine Schutz- und Hilfsfunktion geschaffen. Sie sei aufgrund der Angaben des Beklagten hinsichtlich seiner Kenntnisse und Erfahrung davon ausgegangen, sich auf ihn verlassen zu können. Auch das Vertrauen der Klägerin in das Wissen und die Erfahrung des Beklagten entbindet sie im Rahmen einer gemeinsamen alpinen Unternehmung jedoch nicht von der Verantwortung, die eigenen Fähigkeiten und Kräfte zu jedem Zeitpunkt der Tour kritisch zu hinterfragen und eigenverantwortlich zu entscheiden, ob und wie die Tour fortgesetzt werden soll. Dass die Klägerin hierzu in der Lage war, hat sie bewiesen, indem sie sich zunächst weigerte, auf den Gipfel zu klettern, da ihr dies zu schwierig erschien. Es ist nicht ersichtlich, dass sie nicht auch die Möglichkeit gehabt hätte, die vom Beklagten vorgeschlagene Rundtour über den Wechselkopf abzulehnen und ggf. eine Umkehr einzufordern bzw. eigenständig den Rückweg über die Aufstiegsroute anzutreten. Die bloße Behauptung, der Beklagte habe ein dominierendes Verhalten an den Tag gelegt, genügt nicht. Aus dem Vortrag der Klägerin lassen sich keine Umstände entnehmen, wonach der Beklagte sie angewiesen hat, die Rundtour fortzusetzen bzw. der alleinige Entscheidungsträger gewesen oder im Lauf der Tour geworden ist. Ein führungsartiges Verhalten des Beklagten ist gerade nicht ersichtlich. Denn er hat nach dem Vortrag der Klägerin lediglich vorgeschlagen, die Rundtour fortzusetzen.
Das Fehlen eines dominierenden, führungsartigen Verhaltens wird auch belegt durch den Umstand, dass die Parteien sich gemeinsam entschieden, die Flugrettung zu alarmieren. Es war also gerade nicht so, dass die Entscheidungskompetenz hinsichtlich der Routenwahl und hinsichtlich des „Ob“ und „Wann“ des Abbruchs allein dem Beklagten zugefallen ist. Vielmehr war die Klägerin zu jedem Zeitpunkt der Tour in der Lage und auch verpflichtet, für den Schutz ihrer eigenen Rechtsgüter Verantwortung zu übernehmen und entsprechend zu handeln (vgl. dazu auch OLG Karlsruhe NJW 1978, 705).
Auf die Frage, ob sich die Parteien zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich entschieden, die Bergwacht zu alarmieren, noch auf dem richtigen Weg befanden, wie es der Beklagte vorgetragen hat, oder ob sie sich verstiegen hatten, wie die Klägerin behauptet, kommt es hierbei nicht an. Die Erholung des vom Beklagten angebotenen Sachverständigengutachtens war daher nicht erforderlich. Denn allein die Tatsache, dass der Beklagte die Navigation mittels Mobiltelefon steuerte, macht ihn nicht zum alleinigen Führer und entbindet die Klägerin nicht von ihrer Verantwortung, ebenfalls auf den Weg zu achten. Dass sie dieser Verantwortung nachgekommen ist, hat sie selbst auch vorgetragen, indem sie behauptet hat, den Beklagten gefragt zu haben, ob sie sich noch auf dem richtigen Weg befänden. Dies habe der Beklagte, so ihr Vortrag, bejaht. Allein der Umstand, dass der Klägerin diese Information genügte, ohne dass sie sich selbst von der Richtigkeit der Routenwahl überzeugte, vermag den Beklagten jedoch nicht in die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB zu drängen, da die sonstigen Voraussetzungen für eine Alleinverantwortung des Beklagten wie gezeigt nicht vorlagen und auch keine Umstände vorgetragen wurden, nach denen es für die Klägerin alternativlos war, dem Beklagten auf dem von diesem eingeschlagenen Weg hinterherzulaufen. Dass sich die Wegfindung beim Bergsteigen mitunter schwierig gestaltet, ist ein dem Alpinismus immanentes Risiko. Würde ein Versteigen stets die Haftung desjenigen begründen, der die Landkarte in den Händen hält bzw. das Navigationsgerät bedient, hätte dies eine nicht zu rechtfertigende uferlose und lebensfremde Ausdehnung der Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB im Bergsport zur Folge. Solange keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die eine andere Beurteilung rechtfertigen, gilt auch im Hinblick auf die Wegfindung, dass sich die Bergkameraden in einer Gefahrengemeinschaft befinden und gemeinsam die Risiken der Tour zu verantworten haben.
Das OLG Karlsruhe (NJW 1978, 705) führt insoweit zutreffend aus:
„Jeder Teilnehmer nimmt die sich aus dem Weg unmittelbar ergebenden, d.h. die mit der Route untrennbar verbundenen, aus dem Charakter dieser Wanderung folgenden Gefahren (z.B. Weglänge, Höhenunterschied, Steilheit, Absturzgefahr usw.) bewußt in Kauf und kann keinen Kameraden in Anspruch nehmen, wenn sich diese Gefahr ohne unmittelbare Einwirkung eines Dritten gerade bei ihm realisiert. Dasselbe muß aber für von allen Teilnehmern bewußt auf sich genommene zusätzliche Gefahren gelten, die sich etwa aus der Wetterlage, einer Nachtbesteigung oder der Wahl eines anderen als des zunächst vorgesehenen Weges ergeben, und zwar auch dann, wenn gemeinsame Verstöße gegen Sorgfaltspflichten vorliegen, das Verhalten aller also als fahrlässig zu beurteilen ist. In einem solchen Fall muß sich jeder Bergsteiger und -wanderer an der objektiven Typizität seines Handelns festhalten lassen, so daß er sich insoweit mit einem später dennoch erhobenen Schadensersatzanspruch in rechtlich unzulässigen Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setzen würde (vgl. BGHZ 63, 140 [143] = NJW 1975, 109).“
Dem schließt sich das Gericht uneingeschränkt an. Eine andere Bewertung rechtfertigt sich vorliegend auch nicht deswegen, weil der Beklagte der Klägerin gegenüber auf deren Nachfrage hin wahrheitswidrig behauptet hat, sie befänden sich auf dem richtigen Weg, obwohl er wusste, dass dem nicht so war. Dies hat die Klägerin zwar behauptet, der Beklagte hat den Vortrag der Klägerin jedoch bestritten. Die insoweit beweisbelastete Klägerin hat keinen Beweis angeboten. Es kann daher dahinstehen, ob eine derartige wahrheitswidrige Behauptung geeignet wäre, dem Beklagten die Alleinverantwortung für die Wegfindung zuzuschreiben.
Die Äußerung des Beklagten im Nachgang der Rettung, „faktischer Bergführer“ gewesen zu sein, ändert an diesem Ergebnis nichts. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB vorliegen, beurteilt sich nicht nach der ex-post-Perspektive des Beklagten, sondern ist objektiv zu beantworten. Die objektive Prüfung führt jedoch – wie gezeigt – nicht zu einer Bejahung der Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB.
3. Aus den unter Ziff. II. 2. genannten Gründen scheidet auch ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB aus.
III.
In Ermangelung eines Schadensersatzanspruchs hat die Klägerin gegen den Beklagten auch keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
V.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 ZPO.