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Schadensersatz nach Flugzeugabsturz

LG Arnsberg – Az.: 2 O 354/15 – Urteil vom 16.02.2018

Voraussetzungen einer vertraglich geschuldeten Luftbeförderung; Schmerzensgeldbemessung bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma eines Kleinstkindes.

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.10.2015 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden aus dem Unfall vom 27.08.2013 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten im Zusammenhang mit dem Absturz eines Flugzeuges am 27.08.2013 in Anspruch.

Der Beklagte ist der Sohn und Alleinerbe des bei dem Absturz verstorbenen Piloten Herrn U X.

Am 26.08.2013 führte Herr V F, der Vater der damals ein Jahr und vier Monate alten Klägerin, ein Telefonat mit Herrn U X. V F wollte den Rücktransport seiner Familie von der Insel Langeoog nach G organisieren, da sich seine Frau W F, die Mutter der Klägerin, die den PKW der Familie fahren sollte, kurz vor Ende des dort zugebrachten Urlaubs verletzt hatte. U X erklärte sich zum Selbstkostenpreis bei minutengenauer Abrechnung – angesetzt waren jedenfalls zunächst 600,00 EUR – u. a. dazu bereit, die Familie des Klägers von der Insel Langeoog abzuholen. Zu diesem Zweck charterte U X ein Flugzeug vom Typ Piper PA 32 R 301 T.

Am 27.08.2013 flog U X zusammen mit V F, der anschließend das Familienfahrzeug zurückfahren sollte, nach Langeoog. Auf Langeoog nahm U X sieben weitere Personen an Bord, wobei vier der Passagiere noch keine zehn Jahre alt waren. Auf dem Rückflug von der Insel Langeoog nach G stürzte das Flugzeug aus streitiger Ursache ab. Bei dem Absturz verstarben neben U X noch die Mutter, der Bruder, die Großmutter und ein Vetter der Klägerin.

Die Klägerin und zwei weitere Kinder überlebten den Unfall. Die Klägerin wurde dabei schwer verletzt. Sie erlitt ein offenes Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades mit multiplen Kalottenfrakturen, Sprengung der großen Fontanelle und Duraperforation (Zerreißung der harten Hirnhaut), eine Trepanation links und rechts, eine beiderseitige Lungenkontusion (Quetschung), eine Knieprellung links und eine Hemiparese (Lähmung) der rechten Körperhälfte. Sie wurde nach dem Unfall ins Universitätsklinikum Münster verbracht und dort operiert. Dabei wurden Frakturfragmente des Schädels entfernt und eine Spiegelbergsonde zur Messung des Hirndrucks angelegt. In der Zeit vom 13.09. bis zum 25.09.2013 musste eine externe Ventrikeldrainage verlegt werden. Am 25.09.2013 wurde zum Ausgleich erhöhten Hirndrucks und zur Ableitung erhöhter Hirnflüssigkeit ein subduroperitoneler Shunt angelegt, den die Klägerin bis heute trägt. Am 29.11.2013 wurde der Klägerin im Rahmen einer weiteren Operation ein eigens angefertigtes, künstliches Schädeldeckenfragment implantiert. Danach musste die Klägerin zunächst rund um die Uhr einen Schutzhelm tragen. Die angestrebte Verwachsung mit den natürlichen Schädelteilen ist jedoch nur teilweise, nämlich nur vorne am Schädel erfolgt.

Im Zuge der Behandlung musste sich die Klägerin mehreren, zum Teil längeren Aufenthalten in diversen Krankenhäusern unterziehen, so jeweils vom 27.08.2013 bis zum 02.10.2013, vom 14.10.2013 bis zum 15.10.2013, vom 12.11.2013 bis zum 16.11.2013 und vom 28.11.2013 bis zum 06.12.2013 in der Universitätsklinik Münster (UKM) und vom 02.10.2013 bis zum 27.11.2013 in der Helios-Rehabilitationsklinik in Holthausen.

Die Spätfolgen, die sich für die Klägerin aus dem Schadensereignis ergeben können, sind angesichts des jungen Alters der Klägerin im Schadenszeitpunkt noch nicht völlig absehbar. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin holte u.a. zu dieser Frage ein Privatgutachten des Arztes L, Universitätsklinikum Münster, vom 22.07.2014 ein. Dem Gutachten zufolge wird die Hemiparese rechts weiterbestehen und sich eventuell nur geringfügig bessern. Den zukünftigen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit schätzt der Privatsachverständige auf 60 – 80 %. Dies sei noch nicht sicher einzuschätzen, hänge von der kognitiven Weiterentwicklung der Klägerin ab und werde nach Einschätzung des Gutachters erst im Zeitpunkt des Abschlusses der Pubertät ersichtlich. Die Feststellung erfordere regelmäßige neurologische Untersuchungen. Weiterhin bestehe ein mindestens zehn Jahre lang erhöhtes Risiko posttraumatischer Epilepsie (Bl. 53 f. d.A.). Am 29.06.2017 hatte die Klägerin in der Folge der Hirnverletzung einen Krampfanfall erlitten (Bl. 109 d.A.).

Es ist aktuell unklar, ob die Klägerin in der Zukunft wird sicher laufen, Fahrrad fahren, Schwimmen lernen oder eine PC-Tastatur bedienen können. Auch die Möglichkeit einer schulischen oder universitären Ausbildung ist zurzeit noch unsicher. Die Klägerin besucht im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Regelkindergarten mit Unterstützung einer Integrationskraft (Bl. 15 f. d.A.).

Die Klägerin macht mit dem Klageantrag zu 1a) Fahrtkosten des Vaters der Klägerin in Höhe von 1.900,50 EUR für Fahrten zum UKM sowie eine Rechnung der Helios-Klinik Wuppertal über 36,46 EUR geltend. Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin in B und dem UKM beträgt 181 km in beide Richtungen. Mit außergerichtlichem Schreiben vom 15.11.2013 unter Fristsetzung bis zum 15.12.2013 wurden diese Ansprüche gegenüber dem Beklagten geltend gemacht.

Schadensersatz nach Flugzeugabsturz
(Symbolfoto: Von Dario Lo Presti/Shutterstock.com)

Mit dem Klageantrag zu 1b) macht die Klägerin Fahrtkosten des Vaters der Klägerin in Höhe von 2.668,00 EUR für Fahrten in die Helios-Klinik in der Zeit vom 02.10.2013 bis zum 27.11.2013 geltend. Die Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin in B und der Helios-Klinik beträgt 160 km in beide Richtungen. Mit außergerichtlichem Schreiben vom 05.05.2014 unter Fristsetzung bis zum 17.05.2014 wurden diese Ansprüche gegenüber dem Beklagten geltend gemacht.

Mit dem Klageantrag zu 1c) macht die Klägerin psychosoziale Betreuungskosten geltend. Der Vater der Klägerin stellte zwei Betreuungspersonen ein, die die Klägerin während der Krankenhausaufenthalte rund um die Uhr betreuen sollten. Dabei handelte es sich um Frau F1 O, die Tante der Klägerin, und Frau L Y, die die Klägerin aus der Kindergruppe kannte. Die beiden Betreuerinnen wurden in der Zeit vom 01.09.2013 bis zum 28.02.2014 abwechselnd täglich jeweils für zwölf Stunden tätig und wurden mit 8,00 EUR die Stunde vergütet. Die gesamten Aufwendungen für Frau O betragen 43.789,60 EUR inklusive Arbeitgeberbeträgen. Die gesamten Aufwendungen für Frau Y betragen in der genannte Zeit 46.449,94 EUR inklusive Arbeitgeberbeträgen. Insgesamt ergibt sich ein Betrag von 90.239,54 EUR. Vom 01.03.2014 bis zum 31.08.2014 war nur noch Frau Y acht Stunden täglich tätig. Die gesamten Aufwendungen für Frau Y betragen in dieser Zeit 23.683,45 EUR inklusive Arbeitgeberbeträgen. Insgesamt ergibt sich somit ein Betrag von 113.922,99 EUR.

Mit dem Klageantrag zu 2) macht die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld geltend. Sie war z.Zt. des Unfalls 1 Jahr und 4 Monate alt. Sie hat schwere Verletzungen erlitten und wird jedenfalls einen Dauerschaden davontragen. Das Schmerzensgeld macht die Klägerin als Teilbetrag geltend, da möglicherweise noch weitere mit Schmerzen, Beeinträchtigungen und Gefahren verbundene Operationen notwendig sein werden.

Mit dem Klageantrag zu 3) begehrt die Klägerin die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich künftiger materieller und immaterieller Schäden aus dem Vorfall vom 27.08.2013, die sich angesichts des noch nicht abgeschlossenen Heilungsverlaufs und der sich aus den bestehenden Verletzungen ergebenden Möglichkeit weiterer Eingriffe ergeben können.

Mit dem Klageantrag zu 4) begehrt die Klägerin Ersatz von Gebühren für das Gutachten von L.

Die Klägerin behauptet, bei den Rettungsmaßnahmen erst etwa eine halbe Stunde nach deren Beginn bemerkt worden zu sein, als sie weinte, da sie unter dem Körper ihrer Mutter vergraben gewesen sei. Ihr Vater habe sie in der Zeit vom 27.08.2013 bis zum 02.10.2013 täglich im UKM besucht. Diese Besuche seien aufgrund der Schwere der körperlichen Verletzungen und der psychischen Beeinträchtigungen, sowie des jungen Alters der Klägerin erforderlich gewesen. Auch die Betreuung rund um die Uhr durch die beiden Betreuungspersonen sei – auch laut einer Bescheinigung des UKM – erforderlich gewesen. Die Klägerin habe durch den Unfall und den Verlust ihrer Mutter ein schweres psychisches Trauma erlitten und lange Weinphasen gehabt. Der Vater der Klägerin habe seine Ansprüche gegen den Beklagten am 13.05.2015 an die Klägerin abgetreten. Mit vorerwähntem außergerichtlichem Schreiben vom 05.05.2014 unter Fristsetzung bis zum 17.05.2014 seien die Ansprüche zu 1b) und 1c) in Höhe von 113.922,99 EUR gegenüber dem Beklagten geltend gemacht worden.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte als Erbe hafte. Der Pilot habe schuldhaft gehandelt, was sich auch aus dem Untersuchungsbericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) vom 15.08.2016 (Anlage K12) ergebe. Da noch nicht alle möglichen Folgen des Unfalls erkennbar seien, lasse sich das Schmerzensgeld nicht abschließend beziffern.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie

a)

1.936,96 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2013 zu zahlen,

b)

weitere 2.668,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.05.2014 zu zahlen,

c)

weitere 119.922,99 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.05.2014 zu zahlen,

2.

den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch den Betrag von 200.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3.

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden aus dem Unfall vom 27.08.2013 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind,

4.

den Beklagten zu verurteilen, an sie 955,70 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz BZS seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, der Pilot U X sei lediglich gefälligkeitshalber tätig gewesen. Er ist darüber hinaus der Auffassung, der Pilot sei nicht Luftfrachtführer i. S. d. Luftverkehrsgesetzes gewesen, da er lediglich auf Geheiß des U F gehandelt habe. Im Übrigen habe der Pilot nicht schuldhaft gehandelt; die gutachterliche Stellungnahme des Privatsachverständigen S vom 10.04.2017 sowie ergänzende Erläuterungen des Privatsachverständigen vom 28.10.2017 exkulpierten ihn. Die Kosten für die eingestellten Betreuungspersonen seien zumindest teilweise nicht erforderlich, so für die Zeit, wenn ein Aufenthalt des Vaters bei der Klägerin stattfand, sowie während der Nachtzeiten. Die Klägerin sei hinsichtlich der Betreuungskosten nicht aktivlegitimiert, da sie die Personen nicht beauftragt habe. Ein Schmerzensgeld in der geltend gemachten Höhe sei überhöht.

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Die Klageschrift ist dem Beklagten am 27.10.2015 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat jedenfalls in dem tenorierten Umfang Erfolg.

I.

Der Kammer erschien es geboten, vorab über den Grund des Anspruchs nach § 304 Abs. 1 ZPO zu entscheiden. Die Voraussetzungen des Grundurteils liegen vor. Die Klägerin macht mit dem Klageantrag zu 1) bezifferte Zahlungsansprüche geltend, die prinzipiell grundurteilsfähig sind (BGH NJW 1990, 1366). Grund und Betrag des Anspruchs sind allerdings streitig. Der Beklagte bestreitet sowohl eine Verursachung des Unfalls durch U X, als auch die Angemessenheit der Aufwendungen der Klägerin. Der geltend gemachte Anspruch besteht nach Ansicht der Kammer mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest teilweise der Höhe nach (vgl. BGH MDR 2012, 179). Alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, sind geklärt und danach ist es sehr wahrscheinlich, dass die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen zumindest teilweise erstattungsfähig sind. Selbst der Beklagte bestreitet die Notwendigkeit bestimmter Aufwendungen, etwa der Einstellung von Betreuungspersonen, lediglich zum Teil. Eine Gefahr divergierender Entscheidungen (vgl. BGH NJW 2001, 155) besteht nicht, da über sämtliche Ansprüche (zumindest) dem Grunde nach befunden wurde.

II.

Der Beklagte haftet bis zum Erreichen des Betrages von 113.100 Rechnungseinheiten verschuldensunabhängig gemäß §§ 45 Abs. 1, 35 Abs. 2 Satz 1, 49 LuftVG. Die Klägerin ist als Fluggast im Sinne des § 45 Abs. 1 LuftVG bei einem Unfall an Bord eines Luftfahrzeugs körperlich verletzt und gesundheitlich geschädigt worden. Die in dem Verfahren vor dem Landgericht Arnsberg mit dem Az. I-2 O 207/15 zuerkannten Leistungen im Zusammenhang mit den an die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Westfalen zu erbringenden Rentenleistungen fallen nicht unter die der Klägerin maximal zustehenden 113.100 Rechnungseinheiten. Diese Leistungen beruhen auf einer Verletzung der Mutter der Klägerin als weiterem Fluggast i.S.d. § 45 Abs. 2 LuftVG.

1.

Der Absturz am 27.08.2013 ist ein Unfall im Sinne der §§ 44 ff. LuftVG. Dabei handelt es sich um ein auf einer – in Bezug auf den Fluggast – äußeren Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmtes Ereignis (Geigel-Strauch, Der Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 29. Kapitel, Rn. 53). Diese Voraussetzungen liegen unabhängig von der genauen Ursache des Absturzes vor. Es kommt für die Haftung auch nicht darauf an, ob das Ereignis für den Piloten abwendbar war.

2.

Der Vater des Beklagten war Luftfrachtführer (vgl. insbesondere auch OLG Hamm, Beschluss vom 28.01.2016 – I-27 U 115/15).

Als Luftfrachtführer ist derjenige anzusehen, der sich durch Vertrag im eigenen Namen verpflichtet hat, die Beförderung auf dem Luftwege durchzuführen (BGH NJW 1969, 2011; Geigel-Strauch, Der Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 29. Kapitel Rn. 43). Die Haftung aus §§ 44 ff. LuftVG setzt gemäß § 44 LuftVG eine vertraglich geschuldete Luftbeförderung voraus. Erforderlich ist lediglich, dass die Beförderung aufgrund eines Rechtsgeschäfts erfolgt sein muss, wobei unerheblich ist, ob dieses entgeltlich oder unentgeltlich ist (Geigel-Strauch, Der Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 29. Kapitel Rn. 114). Eine Haftung findet lediglich bei außervertraglicher Beförderung oder bei reinen Gefälligkeitsbeförderungen nicht statt (Müller-Rosin, VersR 1979, 596). In Abgrenzung zu einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis muss bei einem rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnis der Wille vorhanden sein, eine Rechtsbindung zu begründen. Abreden, die ausschließlich auf einem außerrechtlichen Geltungsgrund wie Freundschaft, Kollegialität oder Nachbarschaft beruhen, begründen keinen schuldrechtlichen Leistungsanspruch. Entscheidend ist nicht der innere Wille der Beteiligten; vielmehr kommt es darauf an, wie das Verhalten der Beteiligten bei Würdigung aller Umstände aus Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen ist. Die Ablehnung einer Rechtsbindung setzt ein unentgeltliches und uneigennütziges Verhalten des Gefälligen voraus. Zu würdigen sind die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung der Angelegenheit, vor allem für den Begünstigten, ferner Art, Grund und Zweck der Gefälligkeit, sowie die Interessenlage. Eine vertragliche Bindung liegt nahe, wenn der Begünstigte sich erkennbar auf die Zusage verlässt und für ihn erhebliche Werte auf dem Spiel stehen (Palandt, BGB, 76. Auflage, 2017, Einl. 7 vor § 241).

Danach ist hier nicht von einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis auszugehen. So bestanden zwischen V F und dem Piloten vor der Beförderung keine näheren persönlichen Kontakte. Der Transport war für V F aufgrund der familiären Situation von erheblicher Wichtigkeit. Er hatte sich mit dem Vater des Beklagten auf die Durchführung des Transportes zu einem bestimmten Datum geeinigt. Der Vater des Beklagten hatte aufgrund der Vereinbarung eigene wirtschaftlich nicht unerhebliche Dispositionen getroffen; er hatte ein Flugzeug gechartert. Zudem war vereinbart, dass der finanzielle Aufwand des Vaters des Beklagten jedenfalls anteilig von V F übernommen werden sollte.

Es ist auch kein Vertrag mit jedem einzelnen der Fluggäste erforderlich, die hier zum Teil noch minderjährig waren. In den Schutzbereich des mit V F geschlossenen Vertrages waren seine Familienmitglieder, zu deren Gunsten er den Vertrag abgeschlossen hatte, einbezogen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Stellung seines Vaters als Luftfrachtführer nicht entgegen, dass der Flug letztlich von V F veranlasst worden ist. Charterer des Flugzeugs war unstreitig der Vater des Beklagten. Für die Frage, ob er auch Luftfrachtführer war, kommt es allein darauf an, ob er sich zu der Beförderung verpflichtet hat (BGH NJW 1983, 2445). Das war hier, wie oben dargelegt, der Fall. Dass ein anderer als der Beförderer die Rahmendaten wie den Umfang und das Ziel sowie die ungefähre Beförderungszeit vorgibt, ist nicht ungewöhnlich. Auch nach dem Vortrag des Beklagten kam es dem Vater der Klägerin in erster Linie auf die Beförderung seiner Familie an. Er wollte nicht über das Flugzeug disponieren, sondern hat es dem Piloten, der sich mit den Formalitäten und der Technik auskannte, überlassen, ein Flugzeug mit der für die zu befördernde Anzahl von Personen richtigen Größe sowie alles weitere für die Beförderung Erforderliche zu organisieren.

Im Übrigen trägt auch der Beklagte vor, dass zwischen V F und dem Piloten ein Auftragsverhältnis und damit eine – haftungsbegründende – vertragliche Beziehung bestanden habe: V F habe dem Piloten den Auftrag erteilt, ein Flugzeug zu chartern und Personen zu fliegen (Bl. 66 d. A.).

3.

Die Klage ist aufgrund der Wirkungen des § 167 ZPO innerhalb der Ausschlussfrist des § 49a LuftVG von zwei Jahren ab dem Tag, an dem das Luftfahrzeug am Bestimmungsort hätte ankommen sollen, erhoben worden. Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt (§ 167 ZPO). Die Wertung „demnächst“ beinhaltet eine zeitliche und eine wertende Komponente. Zum einen darf aus Gründen der Rechtssicherheit die Zustellung zeitlich nicht allzu lange nach dem Eingang der Klage bei Gericht erfolgen; zum anderen ist darauf abzustellen, ob die Verzögerung durch den Kläger oder durch andere (etwa das Gericht) zu verantworten ist (Zöller/Greger, 28. Aufl., 2010, § 167, Rn. 10).

Vorliegend endete die Frist mit Ablauf des 27.08.2015. Die Klage erreichte das Gericht am 20.08.2015, mithin innerhalb der Ausschlussfrist. Das Gericht teilte der Klägerin mit Rechnung vom 21.08.2015 den Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 8.997,00 EUR mit. Am 25.08.2015 wies die Klägerin die Einzahlung des Vorschusses an (Bl. 56 d.A.). Am 27.08.2015, mithin dem letzten Tag der Ausschlussfrist, erfolgte die Wertstellung des Betrages. Die Klägerin hat somit alles Erforderliche für die Zustellung der Klage getan. Die Zustellung der Klage erfolgte erst am 27.10.2015. Die Klägerin hat jedoch rechtzeitig und zügig alles Erforderliche getan, damit die Klage zugestellt wird. Damit beruht die Verzögerung nicht auf ihrem Verschulden. Eine Zustellung zwei Monate nach Einreichung der Klage ist demnach als „demnächst“ anzusehen (BGH, Beschluss vom 09.02.2005, XII ZB 118/04 sogar für „etwas mehr als zwei Monate“).

III.

Soweit die geltend gemachten Ansprüche die für die Gefährdungshaftung gem. § 45 Abs. 2 und 3 LuftVG maßgebliche Grenze von 113.100 Rechnungseinheiten überschreiten, haftet der Beklagte gem. § 45 Abs. 2 LuftVG für vermutetes Verschulden.

Der Beklagte hat bereits nicht ausreichend dargelegt, dass den Piloten kein Verschulden traf. Eine konkrete, vom Verschulden des Piloten unabhängige Ursache für den Absturz hat der Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Da es an einem substantiierten Vortrag fehlt, kam eine Beweisaufnahme nicht in Betracht.

1.

Der Beklagte hat sich in dem Parallelverfahren I-2 O 207/15 zunächst auf das Privatgutachten des Sachverständigen S berufen und sich dessen Feststellungen zu eigen gemacht. Die genannte Akte ist beigezogen worden. Im Rahmen des Rechtsstreits I-2 O 207/15 hat sich die Kammer bereits mit dem Gutachten des Privatsachverständigen S vom 10.04.2017 eingehend beschäftigt. Die Ausführungen in dem Gutachten, welches von dem Beklagten auch in diesen Rechtsstreit eingeführt wurde, reichen nicht aus, ein vermutetes Verschulden des Vaters des Beklagten zu widerlegen. Der Privatsachverständige stellt in dem Gutachten letztlich nur fest:

„Bei diesem Flugunfall kann aus heutiger Sicht lediglich etwas zu möglichen Ursachen gesagt werden“ (Seite 6 des Gutachtens).

„Die tatsächlichen Ursachen für den Unfall sind nicht festgestellt worden. Technische Untersuchungen mit dem Ziel, Komponenten des Flugzeuges auf Mängel zu untersuchen, sind von der BfU nicht voll umfänglich erfolgt und jetzt leider nicht mehr möglich“ (Seite 6 des Gutachtens).

„Unklar bleibt, ob der Pilot eine Sicherheitslandung geplant hatte, und sich eine Notlandung ergeben hatte“ (Seite 9 des Gutachtens).

„Es liegen keine Nachweise vor, die den Piloten als Verursacher identifizieren“ (Seite 20 des Gutachtens).

„Es ist nicht auszuschließen, dass verschiedene Risikofaktoren gleichzeitig auftraten“ (Seite 20 des Gutachtens).

„Möglicherweise liegt eine Verkettung unglücklicher Ereignisse vor, von denen eines allein keinen tödlichen Unfall herbeigeführt hätte“ (Seite 20).

„Es ist keine definitive Ursache des Absturzes festgestellt bzw. festzustellen“ (Seite 21 des Gutachtens).

„Eine definitive Verursachung des Absturzes durch den Piloten kann nicht erkannt werden“ (Seite 21 des Gutachtens).

„Der vorliegende Untersuchungsbericht der BfU trifft keinerlei gesicherte Aussagen über die tatsächlichen Ursachen des Unfalls“ (Seite 21 des Gutachtens).

„Die Besichtigung des verunfallten Flugzeuges, bzw. Teile oder Komponenten, ist nicht mehr möglich. Das Wrack wurde bereits wenige Tage nach dem Unfall zur Verschrottung freigegeben und entsorgt. Somit ist es leider nicht möglich, Annahmen des BFU-Unfallberichts zu verifizieren.“ (Seite 24 des Gutachtens).

Danach ist die Unfallursache unklar und kann in Folge der Entsorgung des Wracks auch nicht mehr aufgeklärt werden. Dies geht zu Lasten des Beklagten.

2.

Der Privatsachverständige führt zwar auch aus:

„Nach den von mir getroffenen Untersuchungen und Feststellungen ist der Unfall höchstwahrscheinlich auf einen technischen Defekt des Flugzeuges zurückzuführen. Eine Verursachung durch den Piloten, insbesondere eines Fehlers desselben, scheidet erkennbar aus“ (Seite 20).

Diese Schlussfolgerung widerspricht aber den vorstehend zitierten Feststellungen, wonach eine gesicherte Feststellung der Unfallursache gerade nicht mehr möglich ist, und ist damit unbeachtlich. Im Übrigen ist die Schlussfolgerung aber auch nicht nachvollziehbar: Ein technischer Defekt konnte gerade nicht festgestellt werden und ist auch nicht mehr feststellbar. Im Übrigen mögen die empfohlenen Betriebszeiten von technischen Komponenten zwar überschritten gewesen sein. Noch am 29.07.2013 ist aber die Lufttüchtigkeit bescheinigt worden (Anlage 16 des Privatgutachtens). Auch in dem Hinweis der LTB-B GmbH vom 29.07.2013 (Seite 13 des Privatgutachtens) wird ausdrücklich festgehalten, dass „soweit feststellbar, keine technischen Mängel“ festgestellt worden sind. Im Übrigen sind mit dem Flugzeug noch unmittelbar vor dem letzten Flug weitere Flüge offensichtlich unauffällig zurückgelegt worden.

3.

Der Beklagte hat die Ausführungen der Kammer im Urteil im Parallelverfahren zum Anlass genommen, den Sachverständigen S zu einer ergänzenden Stellungnahme zu veranlassen. Auch die ergänzende Stellungnahme, die sich der Beklagte als Sachvortrag zu eigen macht, vermag die Vermutung eines Verschuldens des Vaters des Beklagten nicht zu widerlegen. Eine konkrete, vom Verschulden des Piloten unabhängige Ursache für den Absturz wird auch in den ergänzenden Erläuterungen nicht substantiiert vorgetragen.

Der Privatsachverständige S fasst als Grundaussage seines Gutachtens, der Pilot U X habe weder den Unfall verschuldet, noch sei ihm fahrlässiges Handeln und Unterlassen bei seiner Pilotentätigkeit vorzuwerfen (S. 2 der Ergänzenden Erläuterungen; im Folgenden: EE). Diese Aussage kann der Privatsachverständige nicht durch die konkreten Ausführungen in den ergänzenden Erläuterungen untermauern. Auch die Feststellungen des Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme bleiben vage. Wesentliche Umstände, die zur Unfallentstehung beigetragen haben können, bleiben nach den Angaben des Sachverständigen S ungeklärt und sind auch nicht mehr aufklärbar:

„Da der Motor aber zunächst wohl stotterte, konnte der Pilot davon ausgehen, dass der Motor nicht zwingend stehen bleibt“ (S. 5 der EE).

„Das heißt aber auch, dass bis zum Schluss mindestens eine geringe Menge Treibstoff zu Motor gelangt sein muss, was für einen Defekt der Main-Fuel-Pump oder des Triebwerkes spricht, die aber beide ja von der BfU nicht untersucht wurden, und jetzt nicht mehr untersucht werden können“ (S. 5 der EE).

„Ob hier ein Totalausfall des Triebwerks angenommen werden kann, und damit eine Notlandung zweifelsfrei bevorsteht, ist nicht sicher“ (S. 5 der EE).

„Nicht geklärt ist, ob es tatsächlich zu einem Total-Ausfall gekommen ist“ (S. 5 der EE).

„Wann genau der Pilot U X in dieser ungewöhnlich stressigen Situation sich entschieden hat, dass eine oder andere Procedere auszuführen, kann nicht genau gesagt werden. Es liegen keine gesicherten Erkenntnisse über den Status des Triebwerks in dieser Phase vor.“ (S. 6 der EE)

„Es soll im Ergebnis nochmals betont sein: Niemand war bei diesem Flug dabei, der heute gesicherte Auskunft über die letzten Minuten bzw. Sekunden geben könnte. Nach allem aber, was eine exakte Betrachtung erlaubt, ist das ein tragischer Unfall, bedingt durch irgendeine technische Störung des Flugzeuges, dessen Absturz der Pilot bestmöglich zu verhindern suchte.“ (S. 8 der EE)

Nach diesen Ausführungen ist die konkrete Ursache des Absturzes unklar. Worin genau ein etwaiger Defekt bestand, wann dieser Defekt erstmals auftrat, wann und in welcher Weise der Vater des Beklagten auf diesen Defekt reagiert und wie er sich allgemein in den letzten Minuten des Fluges verhalten hat, kann angesichts der erfolgten Entsorgung des Wracks und des Fehlens genauer Aufzeichnungen (etwa Flugschreiber, Protokolle über Störungsabläufe und ähnliches) nicht aufgeklärt werden. Der Privatsachverständigen S spricht selbst von „irgendeinem“ Defekt. Dies erfüllt nicht die erforderlichen Substantiierungsanforderungen an eine konkrete Ursache des Absturzes. Insoweit sind die Angaben des Privatsachverständigen, die der Beklagte sich als Vortrag zu eigen macht, der Pilot habe „alles […] beachtet und richtig gemacht“ (S. 7 der EE) bzw. den Absturz „bestmöglich“ zu verhindern versucht (S. 8 der EE), nach dem eigenen Vortrag des Beklagten nicht überprüfbar. Die Ausführungen des Privatsachverständigen sind zudem teils widersprüchlich. So führt er aus, der Pilot musste sich aufgrund mangelnden Vortriebes und schlechten Gleitwinkels auf eine unmittelbare Notlandung einstellen (S. 6 der EE). Zuvor hieß es jedoch, ob eine Notlandung zweifelsfrei bevorstehe, sei nicht sicher (S. 5 der EE, s.o.). Diese Unklarheit, Widersprüchlichkeit und damit fehlende Substantiierung des Vortrags des Beklagten gehen zu seinen Lasten.

Entscheidende Parameter, die geeignet waren, den Unfallhergang zu beeinflussen, sind nach den Ausführungen des Sachverständigen S nicht geklärt und nicht mehr aufklärbar.

a)

Es ist zunächst nach dem Vortrag des Beklagten ungeklärt, worauf die Treibwerksprobleme beruhten. Es bleibt offen, wie diese Probleme das Flugverhalten des Flugzeugs beeinflusst haben. Es ist nach den Ausführungen des Sachverständige S nicht geklärt, ob es zu einem Totalausfall gekommen ist oder der Pilot davon ausgehen konnte, dass der Motor nicht zwingend stehen blieb. Auch nach den Angaben des Sachverständigen S gibt es keine gesicherten Erkenntnisse über den Status des Triebwerks in der letzten Phase des Fluges.

b)

Die Art und Weise des vom Vater des Beklagten in der Endphase des Fluges durchgeführten Flugmanövers bleiben auch nach der Darstellung des Beklagten in wesentlichen Punkten ungeklärt. Der Sachverständige S führt einerseits aus, dass sich der Pilot „offensichtlich“ auf eine bevorstehende Notlandung eingerichtet habe, führt aber andererseits aus, dass nicht sicher sei, ob eine Notlandung bevorgestanden habe. Der Sachverständige führt aus, dass sich nicht genau sagen lasse, wann sich der Pilot für ein bestimmtes Procedere entschieden habe. Ob der Pilot in der Endphase tatsächlich nicht versucht hat, die Flugbahn zu beeinflussen, bleibt letztlich ebenfalls offen. Der Sachverständige führt lediglich aus, dass jede Kursänderung um mehr als wenige Grad sich verboten habe, da sie unter Beibehaltung des Gleitweges zu einem riskanten Geschwindigkeitsverlust geführt hätte.

Soweit der Beklagte vorträgt, in den letzten Sekunden vor der Landung, als der Pilot die Geschwindigkeit auf die minimale Landegeschwindigkeit gedrosselt habe, sei aufgrund der durch einen Sensor gemessenen Unterschreitung einer Mindestgeschwindigkeit das automatische Fahrwerk ausgefahren und sei das Flugzeug nur deshalb mit den Bäumen kollidiert, so ist dieser Vortrag zunächst nicht substantiiert. So ist nicht klar, in welchem Zeitpunkt das Fahrwerk ausgefahren sein soll und ob dies tatsächlich durch die automatische Einrichtung geschah, was nicht mehr überprüfbar ist. Weiterhin stellt das automatische Ausfahren des Fahrwerks nicht den alleinigen und nicht den primären Grund des Absturzes dar, wenn der Pilot bereits zu einem früheren Zeitpunkt Anlass zum Handeln hatte.

c)

Letztlich sind die zeitlichen Zusammenhänge ungeklärt. Der Sachverständige S geht davon aus, dass vom Auftreten des Fehlers bis zum Bodenkontakt lediglich ein Zeitraum von 47 Sekunden zur Verfügung stand. Die vom Sachverständigen berechnete Zeitspanne basiert allerdings darauf, dass er davon ausgeht, dass die Flughöhe lediglich noch 600 ft betrug, als der Motor anfing zu stottern und dass der Pilot unmittelbar auf das Stottern des Motors reagierte. Hierbei handelt es sich lediglich um eine Annahme. Dem BFU-Bericht, auf den sich der Sachverständige S stützt, lässt sich lediglich entnehmen, dass „in dieser Phase“ mehrere Zeugen am Boden auf Motoraussetzer aufmerksam wurden. Es ist nicht ersichtlich, wie lange entsprechende Motoraussetzer andauerten und ob der Pilot tatsächlich unmittelbar auf entsprechende Triebwerksprobleme reagiert hat. Im Zeitpunkt des Funkspruchs hatte der Pilot die Triebwerksprobleme bereits entdeckt und reagiert. Im Übrigen muss der Zeitpunkt des Funkspruchs des Piloten nicht zwingend mit der ersten Entdeckung der Motorprobleme zusammenfallen. Auch nach den Ausführungen des Sachverständigen S bedurfte der Pilot einer gewissen Zeitspanne, um auf die Triebwerksprobleme zu reagieren. Der Sachverständige geht hier von einer Zeitspanne von 15 Sekunden aus. Ob der Pilot hier tatsächlich innerhalb dieser Frist reagiert hat, ist nicht geklärt.

Im Übrigen ist ungeklärt, ob sich die Triebwerksprobleme erst im unmittelbaren Anflug zeigten. Auch nach der Darstellung des Beklagten bleibt offen, worauf die Triebwerksprobleme zurückzuführen waren und wie sich diese geäußert haben. Da die Ursache der Triebwerksprobleme nicht mehr geklärt werden kann, bleibt offen, ob sich diese nicht bereits im Vorfeld bestanden oder sich zumindest angedeutet haben und den Piloten zu einer deutlich früheren Reaktion hätten veranlassen müssen. Dem BFU-Bericht ist zu entnehmen, dass der Pilot um 16:56:07 Uhr entsprechende Motorprobleme gemeldet hat. Zuvor hatte der Pilot um 16:52:14 Uhr Kontakt über Funk aufgenommen und gemeldet, dass er sich drei Minuten nördlich des Platzes befinde. Wann zwischen diesen Funksprüchen die Motorprobleme aufgetreten sind, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht einmal auszuschließen, dass Motorprobleme bereits bei der Kontaktaufnahme um 16:52:14 Uhr bestanden. Es ist auch nicht aufklärbar, ob etwaige Probleme vom Piloten unmittelbar erkannt und zutreffend gewertet wurden.

4.

Die Kammer hatte keinen Anlass, einen Sachverständigen zu bestellen oder die vom Beklagten benannten Zeugen zu hören. Der Vortrag des Beklagten ist bereits nicht erheblich, um die Verschuldensvermutung zu entkräften, insoweit der Beklagte keine konkrete Ursache des Absturzes vorträgt. Ein Defekt an wesentlichen Teilen des Flugzeugs, der zum Absturz geführt haben könnte, kann angesichts der erfolgten Entsorgung des Wracks nicht mehr festgestellt werden.

V.

Der Klägerin steht wegen der Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit ein Anspruch auf Ersatz ihres bisher entstandenen und für die Zukunft absehbar entstehenden immateriellen Schadens (angemessenes Schmerzensgeld) in Höhe von 200.000,00 EUR gem. § 253 Abs. 2 BGB zu.

1.

Die Kammer hat zur Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes wesentlich das Maß der erlittenen Verletzungen und der damit verbundenen physischen und psychischen Schmerzen, die Invasivität der erforderlichen Behandlungen und Dauer der Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalte, Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung, das Alter der Klägerin und die bereits jetzt absehbaren Folgeschäden aus dem Schadensereignis berücksichtigt. Im vorliegenden Fall stand die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes gegenüber dessen Genugtuungsfunktion im Vordergrund. Nach der Bewertung anhand dieser Kriterien musste der Klägerin jedoch eine erhebliche Schmerzensgeldsumme zuerkannt werden.

Unstreitig hat die Klägerin, die im Unfallzeitpunkt mit einem Jahr und vier Monaten ein Kleinstkind war, schwerste Verletzungen erlitten. Sie hat ein schweres, komplexes Schädel-Hirn-Trauma, eine beiderseitige Lungenkontusion und eine Knieprellung erlitten. Das Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades machte eine Operation zur Entfernung von Knochenfragmenten, sowie einige Zeit später eine operative Rekonstruktion der Schädeldecke aus teils künstlichen Schädelteilen erforderlich, da eine Rekonstruktion aus natürlichen Teilen nicht mehr möglich war. Ferner waren die Anlage einer externen Ventrikeldrainage, eines subduroperitonelen Shunts, sowie das Tragen eines Helms rund um die Uhr nach der Rekonstruktion des Schädels erforderlich. Dies war für die Klägerin mit erheblichen physischen und psychischen Schmerzen verbunden und beeinträchtigte sie massiv in ihrer Lebensgestaltung. Den subduroperitonelen Shunt trägt die Klägerin bis heute.

Die Klägerin musste insgesamt knapp zwei Monate zur stationären Behandlung im Krankenhaus und weitere knapp zwei Monate in der Rehabilitationsklinik, jeweils nicht an ihrem Wohnort verbringen.

Besondere Berücksichtigung findet auch die Tatsache, dass die Klägerin bereits im Alter von einem Jahr und vier Monaten lebenslang andauernde Folgeschäden davongetragen hat. So sind ihre kognitive und motorische Entwicklung beeinträchtigt. Sie hat nach den überzeugenden und insoweit auch nicht angegriffenen Feststellungen des Privatsachverständigen L ein zehn Jahre lang erhöhtes Risiko posttraumatischer Epilepsie. So hat die Klägerin am 29.06.2017 einen hirnposttraumatischen Anfall erlitten. Ferner besteht bei der Klägerin weiterhin eine einseitige Körperlähmung, die sich zwar gebessert hat, nach den Feststellungen des Privatsachverständigen aber lebenslang bestehen wird.

2.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände und – angesichts der praktischen Schwierigkeit der Festlegung angemessener Geldbeträge für immaterielle Schäden – im Einklang mit der sog. Vergleichsrechtsprechung für Schädelhirntraumata mit erheblichen Folgeschäden hält die Kammer einen Betrag des Schmerzensgeldes in Höhe von 200.000,00 EUR für angemessen. Die Kammer zieht insbesondere die Entscheidungen OLG Celle, Urteil vom 13. Februar 2003, Az. 14 U 11/01, OLG Hamm v. 24.01.2002, 6 U 169/01, OLG Oldenburg vom 07.01.2014, Az.: 12 U 130/13 und LG Dortmund, Urt. v. 30.06.1999, 21 O 82/98 als Maßstab heran.

In dem OLG Celle, Urteil vom 13. Februar 2003, Az. 14 U 11/01 zugrundeliegenden Fall wurde dem fünfjährigen Kläger, der bei einem Autounfall verletzt wurde, ein Schmerzensgeld in Höhe von 250.000,00 EUR zugesprochen. Er erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit offener Keilbeinfraktur rechts. In der Folge des Unfalls erlitt er eine einseitige Lähmung – insoweit mit diesem Fall vergleichbar – und konnte weder sprechen noch laufen, was von der Schwere der Folgen noch über den hiesigen Fall hinausgeht. Der dortige Kläger lag zudem drei Wochen lang im Koma, befand sich insg. zweieinhalb Monate im Krankenhaus und zehn Monate in der Rehabilitation. Anschließend besuchte er einen Kindergarten der Lebenshilfe.

In der Entscheidung OLG Hamm v. 24.01.2002, 6 U 169/01 wurde dem knapp neunjährigen Kläger, der von einem Pkw erfasst wurde, unter Berücksichtigung einer Mitverantwortlichkeit von einem Drittel ein Schmerzensgeld in Höhe von 380.000,00 DM zuerkannt. Der Kläger erlitt ein schweres axiales Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades. In der Folge litt der dortige Kläger an einer ausgeprägten linksbetonten Tetraspastik, einer Hemiataxie (Bewegungsstörung) rechts, einer Sensibilitätsstörung, und einer Sprachstörung. Sein intellektuelles und allgemeines Leistungsvermögen waren beschränkt. Er besaß im Alter von etwa 13 Jahren einen Intelligenzquotienten von 65, eine kognitive Leistungsfähigkeit, die jener eines sechs- bis achtjährigen Kindes entsprach und war für alle alltäglichen Aktivitäten nicht selbsthilfefähig. Angesichts der größeren Schwere der Folgeschäden war das Schmerzensgeld unter Herausrechnung des Mitverursachungsanteils höher, als im hiesigen Fall. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass die hiesige Klägerin im Unfallzeitpunkt jünger war.

Im Fall OLG Oldenburg vom 07.01.2014, Az.: 12 U 130/13 wurde dem volljährigen Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von ebenfalls 200.000,00 EUR zuerkannt. Der dortige Kläger erlitt in Folge eines vorsätzlichen Angriffs ein Schädel-Hirn-Trauma, ein traumatisches Hirnödem und unterschiedliche Frakturen. In der Folge litt er dauerhaft an einer Sprachstörung, einer aufgehobenen Feinmotorik der rechten Hand, einer deutlichen Spastik des rechten Beines, Störungen der Gedächtnisfunktion und der affektiven Kontrolle. In dem genannten Fall begründet angesichts eines vorsätzlichen Angriffs die Genugtuungsfunktion maßgeblich die Höhe des Schmerzensgeldes. Dagegen führen im vorliegenden Fall das Alter der Klägerin, sowie die Schwere und Komplexität der Hirnverletzungen maßgeblich zu der Bestimmung der Schmerzensgeldsumme.

Im LG Dortmund, Urt. v. 30.06.1999, 21 O 82/98 zugrundeliegenden Fall wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 225.000,00 DM zugesprochen. Der volljährige Kläger wurde im Rahmen eines Verkehrsunfalls verletzt, bei dem der Gegner alkoholisiert war. Er erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, eine Hirnstammkontusion, organische Hirnschädigung und Hirnblutungen. Er lag nach der Operation zwei Wochen lang im Koma, hielt sich insgesamt einen Monat im Krankenhaus und vier Monate in der Rehabilitationsklinik auf. Danach zeigte er eine Vielzahl an Ausfallerscheinungen physischer und psychischer Art, darunter Kopfschmerzen, eine Steigerung der Muskeleigenreflexe, eine Sprechstörung und erhöhte Schweißabsonderung, ferner Mängel der Konzentration, Psychomotorik, Kognition, Wesensveränderungen, Affektstörungen, eine Distanz- und Kritikminderung, sowie Angstzustände. Sein berufliches Fortkommen wurde erheblich beeinträchtigt. Im vorliegenden Fall gibt insbesondere das junge Alter der Klägerin den Ausschlag zu einer gegenüber dem genannten Fall erhöhten Schmerzensgeldsumme. Zudem ist eine erhebliche Inflation seit dem Jahr 1999 zu berücksichtigen.

3.

Die Entscheidung über einen Teil des Schmerzensgeldes als offene Teilklage ist vorliegend zulässig. Bei einer zulässigen offenen Schmerzensgeldteilklage müssen für die Bemessung des auszuurteilenden Schmerzensgelds sämtliche bis zur letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz bereits eingetretenen Schadensfolgen berücksichtigt werden, wobei diese – sofern es sich um Dauerschäden handelt – zugleich umfassend für die gesamte weitere Lebensdauer des Geschädigten gewichtet werden müssen, soweit die zukünftige Entwicklung hinreichend sicher absehbar ist. Es bleiben lediglich ungewisse Verschlechterungen ausgeklammert, die zwar als aus medizinischer Sicht möglich erscheinen, aber in der Frage ihres Eintritts und ihrer Auswirkungen noch nicht hinreichend sicher bewertet werden können (OLG Celle 16.9.09, 14 U 71/06). Vorliegend kommt aufgrund der Schädelverletzungen der Klägerin, die durch das erstmalige Einsetzen einer künstlichen Schädeldecke nicht restlos behoben werden können, zumindest eine weitere derartige, mit Schmerzen und Einschränkungen verbundene Operation in Betracht, deren Notwendigkeit aktuell nicht sicher ist. Weiterhin können insbesondere die Ausbildungs-, Erwerbs- und kognitiven Entwicklungschancen der Klägerin aufgrund ihres jungen Alters und ihrer fortlaufenden Entwicklung nicht festgestellt werden.

VI.

Der Klageantrag zu 3) hat als Feststellungsantrag Erfolg. Die medizinische Behandlung der Klägerin ist noch nicht abgeschlossen. So führte das Implantieren der künstlichen Schädeldecke nur zu teilweisem Erfolg. Es ist möglich, dass in der Zukunft ein weiteres Implantat erforderlich sein wird, um ein Verwachsen der künstlichen Schädeldecke auch mit den hinteren natürlichen Bereichen zu gewährleisten. Diese Operation wäre mit weiteren Schmerzen, Beeinträchtigungen und Gefahren verbunden. Ferner ist aufgrund des jungen Alters der Klägerin ihre physische und psychische Entwicklung noch nicht völlig absehbar. Auch ihre Ausbildungs-, Erwerbs- und persönlichen Entwicklungschancen sind zum Teil noch nicht absehbar. Aus diesen Gründen hat die Klägerin ein rechtliches Interesse an der Feststellung einer Einstandspflicht des Beklagten aufgrund des Unfalls vom 27.08.2013 gem. § 256 Abs. 1 ZPO.

VII.

Die Bezifferung der Zahlungsansprüche aus den Klageanträgen zu 1) und zu 4) bleibt dem Endurteil vorbehalten.

VIII.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Der Streitwert wird auf bis zu 410.000,00 EUR festgesetzt.

 

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