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Schadensersatz und Schmerzensgeld nach Rettungswagen-Unfall mit Radfahrer

Schadensersatz nach Fahrradunfall mit Rettungswagen.

Ein Gericht hat entschieden, dass die Betreiber eines Rettungswagens teilweise für die Verletzungen einer Radfahrerin aufkommen müssen, die gestürzt war, als das Fahrzeug sie überholen wollte. Die Betriebsgefahr des Rettungsfahrzeugs habe sich im Unfall ausgewirkt, auch wenn es zu keiner Berührung gekommen sei. Eine Haftung sei auch dann möglich, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Fahrzeug verursacht wurde.

Die 72-jährige Klägerin hatte eine Fraktur des rechten Sprunggelenks und eine nicht dislozierte Fraktur des Mittelfußknochens erlitten. Der Senat bewertete die Betriebsgefahr des Rettungswagens mit 20 % und sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld von 2.400 Euro zu. Zudem wurde ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von 4.200 Euro anerkannt, sodass sich ein Gesamtschaden von 4.327,98 Euro ergab. Bei einer Haftungsquote von 20 % errechnete sich ein Betrag von 860,60 Euro.

Ein Feststellungsanspruch für künftige Schäden konnte nicht zuerkannt werden, da die Verletzungen ausgeheilt seien und mit Dauerfolgen nicht zu rechnen sei. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beliefen sich auf insgesamt 453,87 Euro. Die Zinsforderungen ergaben sich aus gesetzlichen Regelungen.


OLG Oldenburg – Az.: 2 U 20/22 – Urteil vom 17.05.2022

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 02.02.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aurich unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.400,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagten werden weiter verurteilt, an die Klägerin 860,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2021 zu zahlen.

3. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 453,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2021 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 5/6 und die Beklagten zu 1/6 zu tragen.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

II.

Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 253 Abs. 2 BGB, 115 Abs. 1 VVG, 1 S. 1 PflVG zu.

 Schadensersatz und Schmerzensgeld nach Rettungswagen-Unfall
(Symbolfoto: Iam_Anuphone/Shutterstock.com)

Die Beklagten haften hier aufgrund der Betriebsgefahr des Rettungsfahrzeugs. Der Unfall hat sich „beim Betrieb“ des Rettungsfahrzeugs i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG ereignet. Das ist anzunehmen, wenn der Unfall durch die dem Kfz-Betrieb typisch innewohnende Gefährlichkeit adäquat verursacht wurde, sich also die von dem Fahrzeug ausgehenden Gefahren bei seiner Entstehung ausgewirkt haben. Unstreitig wollten die Beklagten mit dem Rettungsfahrzeug die Radfahrer überholen bzw. an ihnen vorbeifahren. Im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit diesem Vorgang ist die Klägerin mit ihrem Fahrrad gestürzt. Im vorliegenden Fall hat sich deshalb hier die Betriebsgefahr des Rettungswagens bei dem Unfallgeschehen ausgewirkt.

Daran ändert der Umstand, dass es nicht zu einer Berührung mit dem RTW gekommen ist, nichts. Eine Haftung kommt grundsätzlich nämlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Zwar reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben. Dieses kann etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt. In einem solchen Fall kann der für eine Haftung erforderliche Zurechnungszusammenhang je nach Lage des Falles zu bejahen sein (vgl. BGH, Urt. vom 21.09.2010 – VI ZR 263/09, juris Rdn. 5; Urt. vom 21.09.). Es ist auch nicht erforderlich, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden (BGH, a.a.O., Rdn. 6). Ein Schaden ist bereits dann „beim Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich die von dem Kfz ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben (BGH, Urt. vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15, juris Rdn. 13). Das ist hier anzunehmen. Aus der Aussage der Zeugin FF ergibt sich sowohl, dass die Klägerin den RTW bemerkt hat und deswegen absteigen wollte, als auch, dass der Weg „sehr eng“ war, so dass die Radfahrer zumindest zur Seite mussten, um den Rettungswagen vorbeizulassen. Wegen dieser Verkehrslage musste das Herankommen des RTW von der Klägerin als gefährlich empfunden werden. Deswegen hat sich ihr Sturz aus einer durch das Auftauchen des RTW mitgeprägten Gefahrenlage entwickelt, auch wenn es nicht zu einer Berührung der Klägerin gekommen ist. Unter diesen Umständen hat sich der Unfall i. S. des § 7 Abs. 1 StVG „bei dem Betrieb” des RTW ereignet. Auch der BGH hat angenommen, dass sich ein Unfall in zurechenbarer Weise durch ein Kfz (mit-) veranlasst wird, wenn der Verkehrsraum durch das Herannahen des Kfz eng zu werden droht und der Fahrradfahrer bei dem Ausweichmanöver stürzt (Urt. vom 22.11.2016, a.a.O., Rd. 20). So liegt der Fall auch hier. Daran ändern auch die Sonderregeln des § 35 StVO nichts. Damit hat sich die Betriebsgefahr des RTW ausgewirkt.

Allerdings kann nicht festgestellt werden, dass den Beklagten zu 3) ein Verschulden trifft, weil er das Martinshorn schuldhaft zu spät eingeschaltet und dadurch die Klägerin erschreckt hat. Das Landgericht hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellt, dass das Martinshorn bereits frühzeitig eingeschaltet worden war. An diese Feststellung ist der Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, da konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der getroffenen Feststellung begründen könnten, nicht ersichtlich sind und mit der Berufung auch nicht aufgezeigt werden. Neben der Aussage der Zeugin FF spricht dafür auch die eindeutige Aussage des Schwagers der Klägerin, der davon sprach, dass das Martinshorn „2 Minuten“ vor dem Unfall zu hören gewesen sei.

Die Betriebsgefahr des RTW bewertet der Senat mit 20 %. Bei dem Unfall hat die zum Unfallzeitpunkt 72-jährige Klägerin nach den vorgelegten Arztberichten eine Fraktur des rechten Sprunggelenks sowie eine nicht dislozierte Fraktur des Mittelfußknochens erster Strahl rechts erlitten. Sie musste in den ersten zwei Wochen nach dem Unfall einen Gipsverband und im Anschluss sechs Wochen lang einen speziellen Stiefel tragen. Danach weitere 10 Wochen einen speziellen Strumpf, der an den Seiten verstärkt ist. Sie wurde physiotherapeutisch behandelt. Der Senat hält angesichts der plausibel dargelegten und belegten Verletzungen und unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 20 % ein Schmerzensgeld von 2.400,- € für angemessen.

Darüber hinaus hat sie einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von insgesamt 4.200,- € nachvollziehbar dargelegt. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf Seiten 12-14 der Klageschrift. Hinzu kommen Auslagenpauschale von 25,- € sowie Attestkosten von 77,98 €. Es bleibt ein Gesamtschaden von 4.327,98 €. Bei einer Haftungsquote von 20 % errechnet sich ein Betrag von 860,60 €.

Ein Feststellungsanspruch für künftige Schäden konnte dagegen nicht zuerkannt werden. Denn aus dem Arztbericht des GG vom 14.01.2021 (Bl. 18 d.A.) ergibt sich, dass die Verletzungen ausgeheilt sind, die Klägerin „klinisch und subjektiv“ beschwerdefrei war und mit Dauerfolgen nicht zu rechnen ist.

Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnen sich nach einem Gebührenstreitwert bis zu 4.000,- € und belaufen sich auf insgesamt 453,87 €. Die Zinsforderungen ergeben sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Es bestand keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind in diesem Urteil relevant:

  • Straßenverkehrsrecht (StVG, StVO): Das Straßenverkehrsrecht ist in diesem Fall von zentraler Bedeutung, da es um einen Unfall im Straßenverkehr geht. Im Urteil wird auf verschiedene Paragraphen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und der Straßenverkehrsordnung (StVO) Bezug genommen, insbesondere auf die Betriebsgefahr gemäß § 7 Abs. 1 StVG. Die Betriebsgefahr des Rettungsfahrzeugs ist der Hauptgrund für die Haftung der Beklagten, da der Unfall „beim Betrieb“ des Fahrzeugs stattgefunden hat und sich dessen Gefahren ausgewirkt haben.
  • Schadensersatz- und Schmerzensgeldrecht (BGB, VVG, PflVG): Der Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld ergibt sich aus verschiedenen Gesetzen, insbesondere aus den §§ 253 Abs. 2 BGB (Schmerzensgeld), 115 Abs. 1 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) und 1 S. 1 PflVG (Pflichtversicherungsgesetz). Die Haftungsquote und die Höhe des Schmerzensgeldes und Schadensersatzes werden im Urteil festgelegt.
  • Zivilprozessrecht (ZPO): Das Zivilprozessrecht kommt in dem Urteil zur Anwendung, weil es sich um ein zivilrechtliches Verfahren handelt. Dabei wird unter anderem auf die Beweisaufnahme und die Bindung des Senats an die Feststellung des Landgerichts gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen. Auch die Kostenentscheidung, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Ablehnung der Revision beziehen sich auf Regelungen der Zivilprozessordnung (§§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO).

Die 5 wichtigsten Aussagen in diesem Urteil:

  1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 253 Abs. 2 BGB, 115 Abs. 1 VVG, 1 S. 1 PflVG, da sich der Unfall „beim Betrieb“ des Rettungsfahrzeugs ereignet hat und die Betriebsgefahr des Rettungsfahrzeugs zum Sturz der Klägerin beigetragen hat.
  2. Eine Haftung der Beklagten kommt auch ohne direkte Berührung mit dem Rettungsfahrzeug in Betracht, da das Fahrzeug durch seine Fahrweise und die daraus resultierende Verkehrssituation zur Entstehung des Schadens beigetragen hat.
  3. Die Betriebsgefahr des Rettungsfahrzeugs wird vom Senat mit 20 % bewertet. Unter Berücksichtigung dieser Haftungsquote beträgt das angemessene Schmerzensgeld 2.400,- €, und der Gesamtschaden beläuft sich auf 4.327,98 €, von denen 860,60 € zuerkannt werden.
  4. Ein Feststellungsanspruch für künftige Schäden wird nicht zuerkannt, da aus dem Arztbericht hervorgeht, dass die Verletzungen der Klägerin ausgeheilt sind, sie beschwerdefrei ist und mit Dauerfolgen nicht zu rechnen ist.
  5. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten betragen 453,87 €, und die Zinsforderungen ergeben sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

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