Verjährte Ansprüche aus Verkehrsunfall nicht durchsetzbar.
Eine Klägerin forderte vor Gericht weitergehende Verdienstausfallansprüche von 6.000 € aufgrund eines Verkehrsunfalls von 1992. Bei dem Unfall, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherung des Verursachers haftet, wurde die Klägerin schwer verletzt und konnte ihren Beruf als Friseurin nicht mehr ausüben. Sie schulte zur Reiseverkehrskauffrau um und übte diesen Beruf in Teilzeit aus. Im Januar 1995 einigten sich beide Parteien auf einen Abfindungsvergleich hinsichtlich des Schmerzensgeldes in Höhe von 45.000 DM, alle anderen Entschädigungsansprüche sollten vorbehalten bleiben. In den Jahren 2006 und 2007 forderte die Klägerin weitere unfallbedingte Verdienstausfall– und Schmerzensgeldansprüche, die die Beklagte jedoch aufgrund des Abfindungsvergleichs ablehnte. Die Klägerin argumentierte, dass die im Jahr 2018/2019 aufgetretenen Schmerzen im Genickbereich und intramuskulären heterotropen Ossifikationen nicht vorhersehbar waren. Das Landgericht wies die Klage ab, weil die Ansprüche verjährt waren. Die Klägerin ging in Berufung, welche jedoch abgewiesen wurde. Die Möglichkeit von durch die Marknagelung ausgelösten Knochenwucherungen und Spätfolgen nach der Verblockung der HWS-Fraktur waren der Klägerin bereits 1994 bekannt, weshalb die Verjährungsfrist von drei Jahren ab diesem Zeitpunkt an zu rechnen war. Die Einrede der Verjährung sei nicht treuwidrig.
Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 90/22 – Beschluss vom 09.08.2022
I. Die Klägerin wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung gegen das angefochtene Urteil offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung aus den nachfolgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen, sofern die Berufung nicht aus Kostengründen innerhalb der genannten Frist zurückgenommen werden sollte.
III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 900 € festzusetzen.
Gründe
I.
Die Klägerin macht im Wege der Teilklage weitergehende Verdienstausfallansprüche von zunächst 6.000 € aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 17.05.1992 auf der Straße zwischen F. und S. ereignet hat. Der Unfallverursacher X war ständig über 100 km/h schnell gefahren und hatte in einer scharfen Rechtskurve die Gewalt über sein Fahrzeug verloren. Dabei wurde die Klägerin als Beifahrerin schwer verletzt. Bei der Beklagten handelt es sich um die zuständige Haftpflichtversicherung des vom Unfallverursacher geführten Fahrzeugs. Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig.
Durch den Unfall erlitt die Klägerin u.a. folgende Verletzungen: HWK 2 Luxationsfraktur, eine Querfortsatzfraktur LWK 5 mit LWK Nervenwurzelprellungssymptomatik und Lähmung im Fußbereich, eine vordere Beckenringfraktur rechts, eine Fraktur des linken Oberschenkels, einen Bruch im Fußgewölbe rechts (Thalusfraktur) sowie eine laterale Bandruptur am oberen Sprunggelenk links. Die Oberschenkelfraktur wurde mittels einer Marknagelung operativ versorgt, die HWK-Fraktur wurde verblockt.
Auf das geforderte Schmerzensgeld zahlte die Beklagte zunächst einen Betrag in Höhe von 25.000 DM. Unfallbedingt konnte die Klägerin ihren Beruf (Ausbildung zur Friseurin) nicht weiter ausüben und absolvierte in der Folgezeit eine Umschulung zur Reiseverkehrsfrau; diesen Beruf übte sie bis zuletzt in Teilzeit aus. Nach dem Unfall war die Klägerin zunächst zwei Monate stationär behandelt worden. Kurz vor Weihnachten 1992 wurde sie nochmals am Halswirbel operiert (Materialentfernung). Im Juli 1994 wurde der Marknagel im Oberschenkel entfernt. Dabei wurde festgestellt, dass sich eine 4 cm große Verkalkung am Knochen gebildet hatte, sodass sich die Klägerin – wie sich aus ihrem PKH-Antrag beim Landgericht Flensburg vom 17.11.1994 ergibt (vgl. Anlage K2 Bl. 12 GA) – einer neuerlichen Operation unterziehen musste. Nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das beantragte weitergehende Schmerzensgeld von 25.000 DM (Beschluss Landgericht Flensburg vom 14.12.1994, …, Bl. 13 GA) erhob die Klägerin durch ihren damaligen Prozessbevollmächtigten (Rechtsanwalt Dr. Y aus E.) am 03.01.1995 vor dem Landgericht Flensburg Klage auf Zahlung eines weitergehenden Schmerzensgeldes in Höhe von 20.000 DM (die Beklagte hatte inzwischen weitere 5.000 DM, mithin insgesamt 30.000 DM gezahlt) sowie auf Feststellung zum Ersatz aller künftigen materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 17.05.1992 (Anlage K4, Bl. 14 und 15 GA). Im Rahmen eines Telefonats mit dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten vom 19.01.1995 einigten sich der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin und die Beklagten auf einen Abfindungsvergleich hinsichtlich des Schmerzensgeldes in Höhe von 45.000 DM. Alle anderen Entschädigungsansprüche sollten vorbehalten bleiben. Die Klägerin unterzeichnete daraufhin – entsprechend dem Rat ihres Anwalts- am 25.01.1995 auf einem Formular der Beklagten eine entsprechende Abfindungserklärung (Anlage K1).
In den Jahren 2006 und 2007 beauftragte die Klägerin ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten, wegen einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes weiteren unfallbedingten Verdienstausfall und Schmerzensgeld gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Die Beklagte lehnte die Ansprüche unter Hinweis auf die Abfindungserklärung vom 25.01.1995 ab. In den Jahren 2018/2019 traten bei der Klägerin gutartige Knochenwucherungen (intramuskuläre heterotrope Ossifikation der linken Glutealmuskulatur) auf. Aus dem Ambulanzbericht der Z-Klinik vom 20.03.2018 (Anlage K8, Bl. 43 und 44 d. A.) ergibt sich folgende Diagnose: „Rezidiv einer intramuskulären periartikulären Ossifikation M.glutaeus minimus/Musculus glutaeus medius linkes Hüftgelenk nach Marknagelosteosynthese 1992 und erstmaliger Resektion einer periartikulären Ossifikation 1994“. Trotz Hinweises auf ein hohes Risiko für eine erneute Rezidivbildung wünschte die Klägerin eine operative Resektion, die am 05.04.2018 in der Z-Klinik durchgeführt wurde (OP-Bericht, Bl. 45 und 46 d. A.).
Die Klägerin hat behauptet, dass aufgrund der unfallbedingten Verblockung der HWS (Wirbelkörper 2 und 3 mit einem Beckenkammspan) in den Jahren 2018 bzw. 2019 erhebliche Schmerzen im Genickbereich aufgetreten seien. Weil diese Schmerzen so stark gewesen seien, sei sie inzwischen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 19.04.2020 die Klage abgewiesen, weil die Ansprüche gemäß §§ 7 Abs. 1, 14 StVG a. F. bzw. § 823 BGB gemäß § 852 BGB a. F. bei Klageinreichung im Februar 2020 bereits verjährt gewesen seien. Die zwischen den Parteien geführten Regulierungsverhandlungen seien spätestens mit der im Januar 1998 zuletzt geleisteten Schadenersatzzahlung der Beklagten beendet worden. Ein titelersetzendes Anerkenntnis mit der Folge einer 30-jährigen Verjährungsfrist läge nicht vor. Die Einrede der Verjährung sei auch nicht treuwidrig.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie behauptet, die in den Jahren 2018/2019 erstmals aufgetretenen Spätschäden seien nicht vorhersehbar gewesen. Die Abfindungsvereinbarung vom 25.01.1995 habe die Fortsetzung des Prozesskostenhilfeverfahrens und der Feststellungsklage vor dem Landgericht Flensburg entbehrlich machen sollen, weshalb die Berufung auf die Einrede der Verjährung durch die Beklagte treuwidrig sei.
Die Klägerin beantragt – unter Vorbehalt einer Erweiterung des Berufungsantrags -, das angefochtene Urteil zu ändern und
die Beklagte zu verurteilen, an sie 900 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.08.2019 zu zahlen.
Mit dem eingeschränkten Berufungsantrag macht die Klägerin zunächst erstrangige 15 % des in erster Instanz geforderten Betrages von 6.000 € geltend.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
II.
Die Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung wird vollumfänglich Bezug genommen. Die Ausführungen aus der Berufungsbegründung vom 30.06.2022 rechtfertigen keine andere Entscheidung. Zu Recht hat das Landgericht ausgeführt, dass die geltend gemachten, weitergehenden Verdienstausfallansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 17.05.1992 verjährt sind. Der Direktanspruch der Klägerin nach § 3 Nr. 1 PflVG a. F. unterliegt der gleichen Verjährung wie deliktische Schadensersatzansprüche gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer. Diese Schadenersatzansprüche ergeben sich aus §§ 7, 14 StVG a. F. und § 823 BGB. Solche Ansprüche verjähren gemäß § 852 Abs. 1 BGB a. F. (in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung) in 3 Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt. Die Zahlung aufgrund eines Abfindungsvergleichs stellt ein deklaratorisches Anerkenntnis i.S.v. § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB dar mit der Folge des Neubeginns der 3-jährigen Verjährung. Damit tritt grundsätzlich spätestens 3 Jahre nach Abschluss des Vergleichs bzw. der Auszahlung des Betrages (zuletzt sollen im Januar 1998 Schadenersatzzahlungen durch die Beklagte erfolgt sein) eine Verjährung der Ansprüche ein (Verjährung mithin hier spätestens am 31.01.2001).
1. Die Klägerin hatte bereits im Jahr 1994 entsprechende „Kenntnis“ i.S.v. § 852 BGB a.F..Ob Verletzungsfolgen erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffs durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, d. h. nach Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (vgl. OLG München, Urteil vom 07.10.2020, 10 U 1813/20, juris Rn. 15 m.w.N.). Maßgebend ist, ob sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Verletzungsfolge als derart naheliegend darstellte, dass sie schon damals im Rahmen der Erhebung einer Feststellungsklage hätte berücksichtigt werden können.
Bei der im Jahre 2018 diagnostizierten „heterotropen Ossifikation der linken Glutealmuskulatur“ handelte es sich um eine Verletzungsfolge, mit der die Klägerin bereits im Jahre 1994 hätte rechnen können und müssen. Entsprechende Umstände ergeben sich bereits aus ihrem eigenen Prozesskostenhilfeantrag vom 17.11.1994 (Anlage K 2) sowie aus der Klagschrift vom 03.01.1995 (Anlage K4). Schon zu diesem Zeitpunkt war der Klägerin nämlich bekannt, dass sich nach der operativen Entfernung des Marknagels im linken Oberschenkel (Juli 1994) eine heterotrope Ossifikation im Bereich der Glutealmuskulatur gebildet hatte, die offenbar schon 1994 zu einer erstmaligen Resektion geführt hat. Im Zuge ihrer ambulanten Untersuchung vom 20.03.2018 (vgl. Ambulanzbericht Anlage K8 Bl. 43 ff. GA) wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass ein „hohes Risiko für eine Rezidivbildung“ bestehe und es im Rahmen der Resektion von heterotropen Ossifikationen zu Muskelschädigungen mit postoperativer Muskelschwächung kommen könne. Es handelte sich mithin – wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat (vgl. S. 8 und 9 des angefochtenen Urteils) – insoweit gerade nicht um eine nicht zu erwartende, völlig fernliegende Unfallfolge. Die Möglichkeit von durch die Marknagelung ausgelösten Knochenwucherungen war der Klägerin bereits im Jahre 1994 bekannt.
Gleiches gilt für die unfallbedingt erfolgte Verblockung der HWS-Fraktur. Auch insoweit musste die Klägerin mit Spätfolgen (z.B. Arthrose) rechnen.
2. Die Einrede der Verjährung ist – trotz der Abfindungsvereinbarung vom 25.01.1995 (Anlage K1) – nicht gemäß § 242 BGB treuwidrig. Der vereinbarte Vorbehalt aus der Abfindungsvereinbarung vom 25.01.1995 (Anlage K1) für alle materiell-rechtlichen Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 17.05.1992 hat für die Verjährung der Ansprüche keine Bedeutung. Erforderlich ist vielmehr, dass der Spätschadenvorbehalt mit einem entsprechenden Verjährungsverzicht verbunden wird. Allein die Aufnahme eines Vorbehalts bedeutet noch keine konstitutive Befreiung von der Verjährungseinrede, selbst wenn damit zu rechnen ist, dass weitere Unfallfolgen erst nach mehr als 3 Jahren auftreten werden (BGH, Urteil vom 26.05.1992, VI ZR 253/91, juris Rn. 9, NJW 1992, 228 bis 229). Die bei der Abfindungsvereinbarung anwaltlich vertretene Klägerin hätte deshalb entweder ihre Feststellungsklage weiter verfolgen müssen oder aber die Beklagte zur Abgabe einer eindeutigen Anerkenntniserklärung bzw. zu einem noch bis zur Klagerhebung wirkenden Verzicht auf die Einrede der Verjährung veranlassen müssen. Der Rechtsanwalt des Geschädigten muss daher – auch zur Vermeidung einer eigenen Haftung – dafür Sorge tragen, dass künftige Ansprüche des Geschädigten nicht in die Verjährungsfalle laufen. Dazu kann er entweder einen Verjährungsverzicht oder aber ein sogenanntes „titelersetzendes Anerkenntnis“ in den Abfindungsvergleich aufnehmen lassen. Bei letzterem handelt es sich um eine Formulierung, die zumindest die verjährungsrechtlichen Wirkungen eines Feststellungsurteils sicherstellen soll. Anders als beim Verjährungsverzicht werden bei einem titelersetzenden Anerkenntnis die Ansprüche zwar 30 Jahre lang offen gehalten, der weitere Schaden ist allerdings spätestens 3 Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem der Geschädigte Kenntnis davon erlangt hat, geltend zu machen (vgl. Röttger, Der Abfindungsvergleich bei Personenschäden im Verkehrsunfallprozess, SchlHA 2019, 289 ff., 292).
Unstreitig hat die 1994/1995 anwaltlich vertretene Klägerin bei der Beklagten weder einen entsprechenden Verjährungsverzicht noch ein „titelersetzendes Anerkenntnis“ erwirkt, obwohl wegen der Schwere der unfallbedingten Verletzungen mit künftigen Spätfolgen zu rechnen war. Das Berufen der Beklagten auf die Einrede der Verjährung ist nicht treuwidrig. Der Klägerin war nach der operativen Entfernung des Marknagels im Juli 1994 das Risiko einer intramuskulären heterotropen Ossifikation der linken Glutealmuskulatur bereits bekannt (vgl. Anlagen K2 und Ambulanzbericht vom 20.03.2018, K8). Eine erstmalige operative Resektion dieser Ossifikation fand nämlich bereits im Jahr 1994 statt. Schon zu diesem Zeitpunkt bestand offenbar ein hohes Risiko für eine Rezidivbildung (vgl. Ambulanzbericht vom 20.03.2018, Anlage K8, Bl. 44 GA). Die Beklagte hat keinen entsprechenden Vertrauenstatbestand geschaffen, durch den die Klägerin von der rechtzeitigen Klagerhebung (Feststellungsklage) abgehalten worden wäre.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin offensichtlich unbegründet.