Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Haftungsansprüche im Pflegeheim: Ein richtungsweisender Sturzfall und seine Folgen
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche grundlegenden Sorgfaltspflichten hat ein Pflegeheim zum Schutz vor Stürzen?
- Wann liegt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bei Sturzgefährdung vor?
- Welche Beweise werden für Schadensersatzansprüche nach Sturzunfällen benötigt?
- Wie wird die Höhe des Schmerzensgeldes bei Sturzfolgen im Pflegeheim bemessen?
- Welche Fristen müssen bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beachtet werden?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Lübeck
- Datum: 05.12.2024
- Aktenzeichen: 10 O 208/23
- Verfahrensart: Zivilverfahren wegen Schadensersatzansprüchen aus einem Heimvertrag
- Rechtsbereiche: Zivilrecht, Vertragsrecht, Schadensersatzrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Der Erbe der verstorbenen Mutter, der Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aufgrund von Pflichtverletzungen in der Pflege der Erblasserin geltend macht. Der Kläger argumentiert, dass die Pflegeeinrichtung ihrer Verpflichtung, Sturzprophylaxe zu betreiben, nicht nachgekommen sei, was zu mehreren Stürzen, Schmerzen, Verletzungen und letztlich zum Tod der Erblasserin geführt habe. Er fordert Schmerzensgeld sowie Ersatz für Medikamentenkosten.
- Beklagte: Betreiberin der Pflegeeinrichtung, die die Vorwürfe des Klägers abstreitet. Sie argumentiert, dass regelmäßig Kontrollgänge durchgeführt und der Erblasserin alle erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt worden seien. Sie sieht keine Pflichtverletzung und beantragt die Abweisung der Klage.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Kläger machte als Erbe Schmerzensgeldansprüche geltend, da seine Mutter während ihres Aufenthalts in der Pflegeeinrichtung mehrfach stürzte und Verletzungen erlitt. Der Zustand der Mutter verschlechterte sich bis zu ihrem Tod, was der Kläger ursächlich auf Pflichtverletzungen der Beklagten zurückführte.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, ob die Beklagte ihre aus dem Heimvertrag erwachsenden Obhutspflichten verletzt hat, indem sie nicht angemessene Maßnahmen zur Verhinderung der Stürze der Erblasserin ergriff.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Beklagte wurde verurteilt, 3.000 Euro Schmerzensgeld an den Kläger zu zahlen, während die übrigen Klageforderungen abgewiesen wurden.
- Begründung: Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte ihre Obhutspflichten verletzt hatte, indem sie nicht angemessen auf die Sturzgefahr der Erblasserin reagiert hatte. Es war jedoch nicht ausreichend bewiesen, dass die Pflichtverletzungen der Beklagten direkt zum Tod der Erblasserin führten oder zusätzliche Medikamentenkosten rechtfertigten.
- Folgen: Der Kläger erhält ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 Euro, trägt jedoch 85 % der Verfahrenskosten. Das Gericht legte die Pflicht der Heimbetreiber zur Risikoprophylaxe und Ergreifung notwendiger Maßnahmen im Rahmen eines Pflegevertrags klarer fest. Die weiteren Forderungen des Klägers wurden abgewiesen.
Haftungsansprüche im Pflegeheim: Ein richtungsweisender Sturzfall und seine Folgen
Die Sicherheit und Betreuung von Bewohnern in Pflegeheimen ist ein sensibles Thema, das zunehmend rechtliche Aufmerksamkeit erfährt. Schadensersatzansprüche nach einem Sturzereignis gehören dabei zu den komplexen Rechtsfragen, mit denen Betroffene und Einrichtungen konfrontiert werden können. Der Heimvertrag definiert dabei nicht nur die Leistungen, sondern auch die gegenseitigen Sorgfaltspflichten zwischen Pflegeheim und Bewohner.
Wenn es zu Verletzungen oder Personenschäden durch Unfälle im Heim kommt, stellen sich schnell Fragen nach Haftungsansprüchen und möglichen Schadensersatzforderungen. Die Beweislast und die Klärung der Verantwortlichkeiten erfordern eine sorgfältige rechtliche Prüfung, bei der medizinische Gutachten und die Dokumentation des Unfallhergangs eine entscheidende Rolle spielen. Ein konkreter Gerichtsfall wirft nun ein bezeichnendes Licht auf diese komplexe Rechtematerie.
Der Fall vor Gericht
Pflegeheim muss 3.000 Euro Schmerzensgeld für Sturzfolgen zahlen

Das Landgericht Lübeck hat ein Pflegeheim zur Zahlung von 3.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, nachdem eine 97-jährige demente Bewohnerin innerhalb von sieben Wochen mindestens 13 Mal gestürzt war und sich dabei mehrfach Verletzungen zugezogen hatte.
Mehrfache Stürze trotz bekannter Sturzgefährdung
Die an Demenz erkrankte Seniorin wurde im Mai 2019 in das Pflegeheim aufgenommen. Sie hatte Pflegegrad 4, war auf einem Auge blind und hatte auf dem anderen nur noch 20 Prozent Sehkraft. Zwischen dem 26. Mai und 7. Juli 2019 stürzte die Bewohnerin nachweislich mindestens 13 Mal. Bei mehreren Stürzen zog sie sich Platzwunden am Kopf und Hämatome an Kopf und Hüfte zu. Fünfmal musste sie zur Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
Mangelnde Umsetzung von Sicherungsmaßnahmen
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass das Pflegeheim seine Obhutspflichten verletzt hatte. Zwar fanden nach den gehäuften Sturzereignissen Fallbesprechungen statt, die vereinbarten Sicherungsmaßnahmen wurden jedoch nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt. Die Sachverständige stellte fest, dass die Ergebnisse der Fallbesprechungen nicht in den Maßnahmenplan übertragen wurden. Dadurch war nicht sichergestellt, dass alle Mitarbeiter in allen Schichten die notwendigen Informationen hatten.
Pflichten des Heimbetreibers
Das Gericht betonte, dass Heimbetreiber verpflichtet sind, ihre Bewohner vor Selbstschädigung zu schützen. Dazu gehört eine individuelle Risikoprognose, die bei Veränderungen oder konkreten Vorfällen angepasst werden muss. Die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen müssen dann mit vernünftigem Aufwand umgesetzt werden. Dabei sind sowohl die Würde und das Freiheitsrecht der Bewohner als auch der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit zu berücksichtigen.
Bemessung des Schmerzensgeldes
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigte das Gericht neben den körperlichen Verletzungen auch das besondere Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnis zwischen Heimbewohnerin und Pflegeheim. Die wiederholten Krankenhausaufenthalte bedeuteten für die demente Seniorin erheblichen Stress. Weitergehende Schadenersatzansprüche, etwa für Medikamentenkosten oder eine behauptete gesundheitliche Verschlechterung, wies das Gericht mangels Nachweisen zurück.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht die hohen Sorgfaltspflichten von Pflegeeinrichtungen bei sturzgefährdeten Bewohnern. Bei wiederholten Stürzen müssen Pflegeheime angemessene Schutzmaßnahmen ergreifen und diese dokumentieren. Die Beklagte wurde zu einer Schadensersatzzahlung von 3.000 EUR verurteilt, was zeigt, dass Pflegeeinrichtungen bei Verletzung ihrer Pflichten haftbar gemacht werden können, auch wenn der Bewohner bereits verstorben ist.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Als Angehöriger eines Pflegeheimbewohners haben Sie das Recht, bei mangelhafter Betreuung und unzureichenden Schutzmaßnahmen Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Dokumentieren Sie alle Vorfälle sorgfältig und fordern Sie Einsicht in die Pflegedokumentation. Achten Sie besonders auf die Umsetzung von Sturzpräventionsmaßnahmen wie Klingelmatten oder persönliche Betreuung. Bei wiederholten Stürzen sollten Sie das Gespräch mit der Heimleitung suchen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten. Auch nach dem Tod des Angehörigen können Sie als Erbe diese Ansprüche noch durchsetzen.
Sorgfaltspflicht im Pflegeheim – Ihre Rechte als Angehöriger
Das Urteil zeigt, wie wichtig die lückenlose Dokumentation und konsequente Umsetzung von Schutzmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen ist. Gerade bei sturzgefährdeten Bewohnern tragen Pflegeheime eine besondere Verantwortung. Vermeiden Sie Unsicherheiten im Umgang mit Ihren Rechten und Pflichten als Angehöriger. Wir unterstützen Sie dabei, die Situation Ihres Angehörigen rechtlich einzuschätzen und Ihre Ansprüche effektiv durchzusetzen, auch im Falle eines bereits eingetretenen Schadens.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche grundlegenden Sorgfaltspflichten hat ein Pflegeheim zum Schutz vor Stürzen?
Rechtliche Grundlagen der Sorgfaltspflicht
Ein Pflegeheim ist aufgrund des Heimvertrags und gesetzlicher Vorgaben verpflichtet, seine Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen. Die Sorgfaltspflicht umfasst dabei eine umfassende Verkehrssicherungspflicht für Räumlichkeiten und Gelände sowie die Pflicht, eine dem aktuellen Stand der pflegerischen Erkenntnisse entsprechende Qualität der Betreuung zu gewährleisten.
Konkrete Schutzmaßnahmen
Das Pflegeheim muss bei der Aufnahme eines Bewohners eine individuelle Risikoeinschätzung durchführen. Dazu gehört die Erhebung der Krankengeschichte und die Dokumentation von Sturzrisiken anhand bestimmter Risikofaktoren. Auf dieser Basis muss ein individueller Pflegeplan erstellt werden, der prophylaktische Maßnahmen und notwendige Hilfsmittel aufführt.
Die Räumlichkeiten müssen so gestaltet sein, dass keine unnötigen Gefahren entstehen. Dazu gehören:
- Rutschfeste Bodenbeläge
- Gut beleuchtete Treppen mit Handläufen
- Beseitigung von Stolperfallen
- Angemessene Beleuchtung
Überwachung und Betreuung
Die Intensität der Überwachung richtet sich nach dem individuellen Sturzrisiko des Bewohners. Eine lückenlose Überwachung ist dabei nur erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine erhöhte Sturzgefahr vorliegen. Bei sturzgefährdeten Bewohnern muss das Personal besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, wie etwa:
- Regelmäßige Kontrollen
- Bereitstellung und Anpassung von Hilfsmitteln
- Unterstützung bei Toilettengängen wenn nötig
- Dokumentation von Sturzereignissen
Grenzen der Sorgfaltspflicht
Die Pflichten des Pflegeheims müssen stets im Einklang mit der Würde und Selbstbestimmung der Bewohner stehen. Freiheitsentziehende Maßnahmen wie Fixierungen oder Bettgitter dürfen nur als letztes Mittel und mit richterlicher Genehmigung eingesetzt werden. Das Pflegeheim muss dabei zwischen Bewegungsfreiheit und Schutzbedürfnis abwägen.
Bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen muss das Pflegeheim auch die Intimsphäre der Bewohner respektieren. Eine permanente Überwachung, etwa beim Toilettengang, ist nur bei nachgewiesenem erheblichem Sturzrisiko gerechtfertigt.
Wann liegt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bei Sturzgefährdung vor?
Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt vor, wenn das Pflegeheim die notwendigen und zumutbaren Schutzmaßnahmen zur Verhinderung von Stürzen unterlässt. Die Bewertung erfolgt dabei stets im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Gefahrenlage.
Grundsätzliche Pflichten des Pflegeheims
Das Pflegeheim muss bei der Aufnahme eine umfassende Erhebung der Krankengeschichte durchführen und Sturzrisiken anhand bestimmter Risikofaktoren ermitteln und dokumentieren. Darauf aufbauend ist ein individueller Pflegeplan zu erstellen, der prophylaktische Maßnahmen und erforderliche Hilfsmittel aufführt.
Konkrete Gefahrensituationen
Eine Pflichtverletzung ist besonders dann anzunehmen, wenn:
- Eine akute Sturzgefährdung vorliegt, etwa durch vorherige Stürze oder körperliche Einschränkungen
- Konkrete Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung bestehen, wie zeitliche und räumliche Desorientierung oder motorische Unruhe
- Das Pflegepersonal bei konkreten Pflegemaßnahmen wie einem begleiteten Toilettengang die erforderliche Sorgfalt missachtet
Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko
Nicht jeder Sturz begründet automatisch eine Pflichtverletzung. Ein Sturzgeschehen im normalen, alltäglichen Gefahrenbereich fällt grundsätzlich in die Risikosphäre des Bewohners. Wenn Sie als Angehöriger einen Schadensersatzanspruch geltend machen möchten, müssen Sie die Pflichtverletzung und deren Kausalität für den Sturz nachweisen.
Besondere Verkehrssicherungspflichten
Die Einrichtung muss räumliche Gefahrenquellen beseitigen, etwa durch:
- Rutschfeste Bodenbeläge
- Ausreichende Beleuchtung
- Vorhandene Handläufe
- Beseitigung von Gefahrenquellen wie nassem Laub
Bei erhöhtem Sturzrisiko sind zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erforderlich, wie engmaschigere Beobachtung oder der Einsatz von Hilfsmitteln. Dabei muss das Pflegeheim stets zwischen der Wahrung der Menschenwürde und Freiheitsrechte einerseits und dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit andererseits abwägen.
Welche Beweise werden für Schadensersatzansprüche nach Sturzunfällen benötigt?
Für die erfolgreiche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach einem Sturzunfall ist eine lückenlose und detaillierte Dokumentation des Vorfalls und seiner Folgen erforderlich.
Unmittelbare Beweissicherung
Nach einem Sturzereignis sollten Sie folgende Beweise sichern:
- Fotodokumentation der Unfallstelle und aller sichtbaren Gefahrenquellen
- Schriftliche Unfallmeldung beim Personal oder der Einrichtungsleitung
- Kontaktdaten möglicher Zeugen
- Ärztliche Dokumentation aller Verletzungen direkt nach dem Sturz
Medizinische Dokumentation
Die medizinische Dokumentation spielt eine zentrale Rolle bei der Beweisführung:
Sammeln Sie sämtliche Unterlagen über Ihre Verletzungen und deren Behandlung:
- Ärztliche Atteste und Befundberichte
- Behandlungsunterlagen und Therapieberichte
- Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
- Fotos der Verletzungen
- Rechnungen für medizinische Behandlungen und Hilfsmittel
Bedeutung der Pflegedokumentation
Bei Sturzunfällen in Pflegeeinrichtungen ist die Pflegedokumentation von besonderer Bedeutung. Sie muss folgende Aspekte nachweisen:
- Durchgeführte Sturzrisikoeinschätzungen
- Geplante und umgesetzte Sturzprophylaxe-Maßnahmen
- Dokumentation des konkreten Sturzhergangs
- Maßnahmen nach dem Sturzereignis
Materielle Schäden
Wenn durch den Sturz Sachschäden entstanden sind, benötigen Sie:
- Belege für beschädigte Gegenstände
- Kostenvoranschläge oder Rechnungen für Reparaturen oder Ersatzbeschaffungen
- Nachweise über Verdienstausfälle
Die Beweislast für die Pflichtverletzung liegt grundsätzlich beim Geschädigten. Allerdings können Dokumentationslücken in der Pflegedokumentation zu Beweiserleichterungen führen. Eine mangelhafte oder lückenhafte Dokumentation wirkt sich zu Ihren Gunsten aus.
Wie wird die Höhe des Schmerzensgeldes bei Sturzfolgen im Pflegeheim bemessen?
Grundsätzliche Bemessungskriterien
Die Höhe des Schmerzensgeldes bei Sturzfolgen im Pflegeheim wird durch eine individuelle Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls ermittelt. Der Bundesgerichtshof lehnt dabei eine schematische Berechnung nach Tagen ausdrücklich ab.
Zentrale Bewertungsfaktoren sind die Schwere der Verletzung, die Intensität der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung. Auch die psychischen und physischen Belastungen durch den Unfall und die anschließende Behandlung fließen in die Bewertung ein.
Besondere Faktoren im Pflegeheimkontext
Im Pflegeheimkontext werden zusätzlich spezifische Aspekte berücksichtigt:
Die Beweislast liegt beim Pflegeheim, wenn sich der Sturz bei konkreten Pflege- oder Betreuungsmaßnahmen ereignet hat. Ein Sturz während eines begleiteten Toilettengangs führt beispielsweise zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten.
Konkrete Bemessung
Die Schmerzensgeldhöhe orientiert sich an vergleichbaren Fällen der Rechtsprechung. Bei einem Oberschenkelhalsbruch werden typischerweise Beträge zwischen 12.000 und 15.000 Euro zugesprochen. Bei schweren Kopfverletzungen können die Beträge auf 25.000 bis 40.000 Euro steigen.
Ein Mitverschulden des Pflegeheims liegt vor, wenn:
- Erkennbare Sturzrisiken nicht ausreichend berücksichtigt wurden
- Notwendige Sicherungsmaßnahmen unterlassen wurden
- Die Verkehrssicherungspflichten verletzt wurden
Die Höhe kann sich reduzieren, wenn das Pflegeheim nachweisen kann, dass alle erforderlichen Sicherungsmaßnahmen getroffen wurden.
Welche Fristen müssen bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beachtet werden?
Regelmäßige Verjährungsfrist
Bei Schadensersatzansprüchen aus einem Heimvertrag gilt grundsätzlich die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Diese Frist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und Sie von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt haben.
Wenn Sie beispielsweise am 15. Oktober 2024 einen Sturz im Pflegeheim erleiden und noch im selben Jahr davon und vom Verantwortlichen Kenntnis erlangen, beginnt die Verjährungsfrist am 31.12.2024 und endet am 31.12.2027.
Besondere Verjährungsfristen bei Körperverletzung
Bei Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit gilt eine absolute Höchstfrist von 30 Jahren. Diese Frist beginnt mit dem Tag der schädigenden Handlung, unabhängig von Ihrer Kenntnis.
Ausschlussfristen beachten
Neben den gesetzlichen Verjährungsfristen können vertragliche Ausschlussfristen bestehen. Bei einem Sturz im Pflegeheim sollten Sie folgende Schritte zeitnah einleiten:
- Sofortige Dokumentation des Unfallhergangs und der Verletzungen
- Unverzügliche ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Verletzungen
- Zeitnahe Meldung des Schadensfalls an den Heimbetreiber
Hemmung der Verjährung
Die Verjährung kann durch bestimmte Ereignisse gehemmt werden. Eine Hemmung tritt ein bei:
- Verhandlungen zwischen Ihnen und dem Heimbetreiber über den Schadensersatzanspruch
- Einreichung einer Klage
- Beantragung eines Mahnbescheids
Während der Hemmung läuft die Verjährungsfrist nicht weiter. Nach Ende der Hemmung läuft die restliche Verjährungsfrist weiter.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Heimvertrag
Ein Heimvertrag ist ein schriftlicher Vertrag zwischen einem Pflegeheim und dessen Bewohnern, der die gegenseitigen Rechte und Pflichten regelt. Er muss vor dem Einzug abgeschlossen werden und enthält wesentliche Vereinbarungen über Unterkunft, Verpflegung, Betreuung und Pflege. Die rechtliche Grundlage bildet das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG). Der Vertrag legt auch Qualitätsstandards und Sorgfaltspflichten fest. Beispielsweise muss geregelt sein, welche konkreten Pflegeleistungen erbracht werden und wie die Sicherheit der Bewohner gewährleistet wird.
Obhutspflicht
Die Obhutspflicht beschreibt die rechtliche Verpflichtung des Pflegeheims, seine Bewohner vor Schäden zu schützen. Dies umfasst sowohl die Verhütung von Unfällen als auch den Schutz vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Pflicht basiert auf § 823 BGB sowie dem Heimvertrag. Das Heim muss dabei eine Balance zwischen Schutzmaßnahmen und der persönlichen Freiheit der Bewohner finden. Ein typisches Beispiel ist die Sturzprävention durch angemessene Überwachung und Hilfsmittel, ohne die Bewegungsfreiheit übermäßig einzuschränken.
Personenschaden
Ein Personenschaden bezeichnet die Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit einer Person. Im Pflegeheimkontext können dies beispielsweise Verletzungen durch Stürze oder fehlerhafte Pflege sein. Rechtlich ist der Personenschaden in § 823 Abs. 1 BGB verankert und umfasst sowohl körperliche als auch psychische Beeinträchtigungen. Die Folgen können von vorübergehenden Verletzungen bis hin zu dauerhaften Gesundheitsschäden reichen. Typische Beispiele sind Knochenbrüche, Platzwunden oder traumatische Erlebnisse.
Beweislast
Die Beweislast bezeichnet die rechtliche Verpflichtung einer Partei, bestimmte Tatsachen zu beweisen. Im Schadensersatzrecht muss grundsätzlich der Geschädigte den Schaden, die Pflichtverletzung und den ursächlichen Zusammenhang nachweisen. Bei Pflegeheimfällen gibt es aber oft Beweiserleichterungen zugunsten der Bewohner, basierend auf § 630h BGB. Beispielsweise muss das Heim bei dokumentationspflichtigen Vorfällen beweisen, dass Sicherungsmaßnahmen ordnungsgemäß durchgeführt wurden.
Schmerzensgeld
Schmerzensgeld ist eine finanzielle Entschädigung für erlittene Schmerzen und Beeinträchtigungen. Es wird als Ausgleich für immaterielle Schäden gewährt und ist in § 253 BGB geregelt. Die Höhe richtet sich nach Art, Schwere und Dauer der Verletzungen sowie nach dem Grad des Verschuldens. Auch besondere Umstände wie das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Geschädigtem und Schädiger werden berücksichtigt. Im Pflegeheimkontext werden beispielsweise wiederholte Krankenhausaufenthalte und psychische Belastungen in die Bemessung einbezogen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 611a BGB – Pflegevertrag: Dieser Paragraph regelt die vertraglichen Verpflichtungen zwischen Pflegebedürftigen und Pflegeeinrichtungen. Er legt fest, welche Pflege- und Betreuungsleistungen die Einrichtung erbringen muss und welche Rechte die Pflegebedürftigen haben.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger einen Vertrag mit der Pflegeeinrichtung geschlossen. Die genaue Einhaltung der vertraglich vereinbarten Pflegeleistungen ist daher entscheidend für die Schadensersatzansprüche.
- § 280 BGB – Schadensersatz wegen Pflichtverletzung: Nach diesem Gesetz ist eine Partei verpflichtet, Schadensersatz zu leisten, wenn sie ihre vertraglichen Pflichten verletzt und dem anderen dadurch ein Schaden entsteht.
Der Kläger behauptet, dass die Pflegeeinrichtung ihre Pflichten verletzt hat, beispielsweise durch mangelhafte Pflege oder unzureichende Sicherheitsmaßnahmen, was zu den Sturzereignissen und dem daraus resultierenden Schaden führte.
- § 823 BGB – Schadensersatzpflicht: Dieser Paragraph betrifft die Haftung für unerlaubte Handlungen, bei denen jemand vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen verletzt.
Die wiederholten Stürze der Erblasserin in der Pflegeeinrichtung könnten als Verletzung der Sorgfaltspflicht des Pflegepersonals gewertet werden, wodurch der Kläger einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 BGB geltend machen kann.
- SGB XI – Soziale Pflegeversicherung: Das Sozialgesetzbuch XI regelt die soziale Pflegeversicherung und stellt Anforderungen an die Qualität der Pflegeleistungen in Einrichtungen. Es definiert auch die Rechte der Pflegebedürftigen hinsichtlich der Pflegequalität und -sicherheit.
Im Fall der Erblasserin sind die dokumentierten Pflegefehler und Sturzereignisse ein Verstoß gegen die Qualitätsanforderungen des SGB XI, was den Schadensersatzanspruch des Klägers untermauert.
- § 249 BGB – Art und Umfang des Schadensersatzes: Dieser Paragraph bestimmt, dass der Geschädigte so gestellt werden muss, als ob der Schaden nicht eingetreten wäre. Dies umfasst die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands oder den Ausgleich des erlittenen Schadens.
Der Kläger fordert die Zahlung von EUR 3.000,00 als Schadensersatz, um den durch die Pflichtverletzungen der Pflegeeinrichtung entstandenen finanziellen Schaden auszugleichen.
Das vorliegende Urteil
LG Lübeck – Az.: 10 O 208/23 – Urteil vom 05.12.2024
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