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Schadensminderungspflicht – zumutbare Erwerbstätigkeit

BGH

Az: VI ZR 124/05

Urteil vom 26.09.2006


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2006 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Mai 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Das klagende Land (Kläger) begehrt im Wege des Schadensersatzes aus übergegangenem Recht nach § 95 Satz 1 NdsBG die Erstattung von Versorgungsleistungen, die es der Witwe des von dem Beklagten am 5. Dezember 1999 mit einem Messer getöteten Polizeibeamten B. erbracht hat. Der Beklagte hat einen Unterhaltsanspruch der Versorgungsempfängerin nach Grund und Höhe bestritten und die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte zum Teil Erfolg. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger begehrt mit der Anschlussrevision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Ersatzansprüche seien nicht verjährt. Die Verjährungsfrist habe am 31. August 2000 begonnen, als der Kläger Kenntnis von der strafrechtlichen Verurteilung des Beklagten erlangt habe. Der Mahnbescheid sei zwar erst am 15. September 2003 und damit mehr als drei Jahre nach Kenntniserlangung eingereicht worden, doch sei die Verjährung gehemmt gewesen, weil es aufgrund des Schreibens des damaligen Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 7. Februar 2003 zu Verhandlungen der Parteien über den Schadensersatzanspruch gekommen sei. Der Kläger müsse sich allerdings ein Mitverschulden der Versorgungsempfängerin anrechnen lassen, weil diese sich nicht hinreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht habe. Dieses Mitverschulden sei mit 25 % zu bewerten. Bei einem (der Höhe nach unstreitigen) Gesamtbetrag an Versorgungsleistungen von 32.794,51 EUR errechne sich ein Ersatzanspruch in Höhe von 24.595,88 EUR zuzüglich des hilfsweise geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung der Beerdigungskosten von 4.054,88 EUR. Hinsichtlich des Feststellungsantrags könne ein Mitverschulden (noch) nicht berücksichtigt werden, weil dieses davon abhänge, ob und in welchem Umfang die Versorgungsempfängerin künftig ihrer Schadensminderungspflicht nachkomme.

II.

Die wechselseitigen Rechtsmittel sind begründet. Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche seien nicht verjährt. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 852 Abs. 1 BGB a. F. am 31. August 2000 zu laufen begonnen hat. Dies wird von der Revision auch nicht angegriffen. Sie meint aber, eine Hemmung der Verjährung sei nicht eingetreten, weil die Parteien entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht über den Schadensersatzanspruch verhandelt hätten. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

Das für den Beginn der Verjährungshemmung maßgebliche „Verhandeln“ i. S. d. § 852 Abs. 2 BGB a. F. ist weit zu verstehen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats genügt dafür jeder Meinungsaustausch über den Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, sofern nicht sofort und eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Verhandlungen schweben daher schon dann, wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt, die dem Geschädigten die Annahme gestatten, der Verpflichtete lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung von Schadensersatzansprüchen ein. Nicht erforderlich ist, dass dabei eine Vergleichsbereitschaft oder eine Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird (Senatsurteile vom 26. Januar 1988 – VI ZR 120/87 – VersR 1988, 718, 719; vom 31. Oktober 2000 – VI ZR 198/99 – VersR 2001, 108, 110, insoweit nicht in BGHZ 145, 358 abgedruckt; vom 20. Februar 2001 – VI ZR 179/00 – VersR 2001, 1167; vom 8. Mai 2001 – VI ZR 208/00 – VersR 2001, 1255, 1256 und vom 17. Februar 2004 – VI ZR 429/02 – VersR 2004, 656, 657). Wenn auch eine nur formularmäßige Eingangsbestätigung nicht ausreicht, so ist doch eine Stellungnahme des in Anspruch genommenen Schädigers zur Sache selbst nicht Voraussetzung für die Annahme eines „Verhandelns“ über den geltend gemachten Anspruch. Es genügt, dass der angeblich ersatzpflichtige Schädiger erkennen lässt, er werde die Berechtigung des Anspruchs jedenfalls prüfen (Senatsurteil vom 26. Januar 1988 – VI ZR 120/87 – aaO).

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es aufgrund des Anspruchsschreibens des Klägers vom 21. Januar 2003 zu Verhandlungen der Parteien über den Schadensersatzanspruch gekommen sei, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte das an ihn gerichtete Schreiben an seinen Strafverteidiger weiterleitete und dieser unter dem 7. Februar 2003 lediglich antwortete, er werde nach Erörterung mit dem Schädiger mitteilen, wie die weitere Vertretung erfolge. Darin lag der Beginn eines Verhandelns. Entgegen der Auffassung der Revision hatte dieses Schreiben nicht nur die Bedeutung einer Erklärung im Vorstadium des Verhandelns zur Frage der weiteren Vertretung des Beklagten. Für die Auslegung des Schreibens darf nämlich nicht allein auf dessen Wortlaut abgestellt werden. Maßgebend ist nicht, welche Schlüsse der Kläger daraus gezogen hat; für die Auslegung des Schreibens kommt es vielmehr auf den objektiven Empfängerhorizont an. Deshalb kommt dem Umstand keine Bedeutung zu, dass das Schreiben den Kläger zu einer telefonischen Rückfrage veranlasste und dieser das Schreiben vom 3. Juli 2003, mit dem er seine Forderung bezifferte, nicht etwa an den Strafverteidiger, sondern unmittelbar an den Beklagten richtete. Die Antwort des Strafverteidigers, er werde mitteilen, wie die weitere Vertretung erfolge, war mehr als eine formularmäßige Eingangsbestätigung. Sie ließ immerhin erkennen, dass der Kläger mit einer Prüfung – wenn auch nicht unbedingt mit einer Prüfung zur Sache -, vor allem aber mit einer weiteren Erklärung rechnen durfte. Bei dieser Sachlage begegnet die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Schreiben genüge im Streitfall für die Annahme von Verhandlungen, keinen durchgreifenden Bedenken.

2. Die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers beanstanden jedoch mit Recht, dass das Berufungsgericht die Ersatzansprüche wegen Mitverschuldens der Versorgungsempfängerin um 25 % gemindert hat.

a) Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Versorgungsempfängerin im Rahmen der ihr gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht grundsätzlich gehalten ist, sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen. Nach ständiger Rechtsprechung kann einer jungen, kinderlosen, arbeitsfähigen Witwe nämlich im Regelfall zugemutet werden, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Unterlässt sie dies, kann der Schädiger ihr einen Verstoß gegen Treu und Glauben entgegenhalten (BGHZ 4, 170, 174; Senatsurteile BGHZ 91, 357, 363 f.; vom 13. Juli 1962 – VI ZR 109/61 – VersR 1962, 1086, 1088; vom 25. September 1973 – VI ZR 97/71 – VersR 1974, 142 und vom 6. April 1976 – VI ZR 240/74 – VersR 1976, 877, 878). Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht kann auch dann zu bejahen sein, wenn die Witwe sich nicht in zumutbarer Weise um eine Arbeitsstelle bemüht und nach Lage der Dinge anzunehmen ist, dass sie bei hinreichendem Bemühen eine Arbeitsstelle gefunden hätte. Dazu hat der Kläger nach den verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht ausreichend vorgetragen. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass zwar grundsätzlich der Schädiger für das Vorliegen eines Mitverschuldens und eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht darlegungs- und beweispflichtig ist (BGHZ 91, 357, 369; Senatsurteile vom 23. Januar 1979 – VI ZR 103/78 – VersR 1979, 424, 425 und vom 9. Oktober 1990 – VI ZR 291/89 – VersR 1991, 437, 438), der Geschädigte andererseits aber, soweit es um Umstände aus seiner Sphäre geht, an der Sachaufklärung mitwirken und erforderlichenfalls darlegen muss, was er zur Schadensminderung unternommen hat (BGHZ 91, 243, 259 f.; Senatsurteile vom 5. Dezember 1995 – VI ZR 398/94 – NJW 1996, 652, 653 und vom 29. September 1998 – VI ZR 296/97 – VersR 1998, 1428). Dazu vermisst das Berufungsgericht mit Recht einen hinreichenden Sachvortrag des Klägers.

b) Das Berufungsurteil kann aber keinen Bestand haben, soweit die Ersatzansprüche des Klägers gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB um eine prozentuale Mitverschuldensquote gekürzt worden sind. Verstößt der Geschädigte gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht, weil er es unterlässt, einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den Schaden anzurechnen (vgl. Senatsurteile BGHZ 91, 357, 363 ff.; vom 25. September 1973 – VI ZR 97/71 – VersR 1974, aaO, S. 143 und vom 6. April 1976 – VI ZR 240/74 – VersR 1976, aaO). Eine quotenmäßige Anspruchskürzung, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat, kommt dagegen grundsätzlich nicht in Betracht, weil sie im Einzelfall zu sachwidrigen Ergebnissen führen kann. Die Höhe der erzielbaren Einkünfte des Geschädigten hängt nämlich nicht quotenmäßig von der Höhe des ihm entgangenen Unterhalts, sondern vielmehr davon ab, welches Einkommen in einem Fall der vorliegenden Art der Versorgungsempfänger in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände, d. h. seiner Lebenssituation, seiner Ausbildung, einer eventuell früher ausgeübten Tätigkeit und der jeweiligen Lage auf dem Arbeitsmarkt in zumutbarer Weise erzielen könnte und von welchem Zeitpunkt an ihm eine Aufnahme der Erwerbstätigkeit zumutbar war. Inwieweit dies der Fall ist, unterliegt im Einzelfall der tatrichterlichen Würdigung. Ob und in welchem Umfang im Streitfall eine Anspruchskürzung gerechtfertigt ist, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden.

3. Das angefochtene Urteil erweist sich auch insoweit als fehlerhaft, als das Berufungsgericht dem Feststellungsbegehren in vollem Umfang entsprochen hat.

a) Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, dass es vorliegend schon an einem Feststellungsinteresse des Klägers fehle, weil dieser eine Leistungsklage hätte erheben können. Insoweit verkennt die Revision, dass der zukünftige Umfang der Versorgungsansprüche der im Jahr 1966 geborenen Witwe gegenwärtig noch nicht beziffert werden kann. Offen ist auch, inwieweit die Witwe zukünftig gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen wird. Entgegen der Auffassung der Revision würde der Feststellungsausspruch auch nicht einen nach Rechtskraft entstehenden Einwand gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB hindern und insoweit eine Anspruchskürzung für alle Zukunft ausschließen.

b) Etwas anderes gilt jedoch, soweit die für die Annahme eines Ver-stoßes gegen die Schadensminderungspflicht maßgebenden Tatsachen schon zum Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung vorgelegen haben. Insoweit stünde die Rechtskraft des Feststellungsurteils der Berücksichtigung des Einwandes nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB entgegen (Senatsurteil vom 14. Juni 1988 – VI ZR 279/87 – VersR 1988, 1139). Da die letzte mündliche Verhandlung in der Berufungsinstanz vorliegend am 29. April 2005 war, würde sich der Feststellungsausspruch demnach auch auf den Zeitraum davor erstrecken. Insoweit wäre ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht deshalb im Feststellungsausspruch zu berücksichtigen. Die Höhe einer etwaigen Anspruchskürzung ist gegebenenfalls gemäß § 287 ZPO vom Tatrichter zu schätzen.

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