Bundesgerichtshof
Az: V ZR 94/09
Urteil vom 20.11.2009
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2009 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 28. April 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand:
Die Parteien sind im Saarland lebende Grundstücksnachbarn. Die Beklagten halten auf ihrem Grundstück einen Belgischen Schäferhund.
Der Kläger verlangt von den Beklagten, den Hund so zu halten, dass das Bellen in den Mittags- und in den Nachtstunden nicht zu hören ist. Er hat mit der Klageschrift eine Bescheinigung des Schiedsmannes vom 10. März 2009 über das Scheitern des Schlichtungsverfahrens vorgelegt.
Das Amtsgericht hat die Klage dennoch als unzulässig abgewiesen; die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, dass die Klage wegen Nichteinhaltung der landesgesetzlichen Bestimmungen über das obligatorische Schlichtungsver- fahren unzulässig sei. Die Durchführung jenes Verfahrens sei eine im öffentlichen Interesse liegende, unverzichtbare Prozessvoraussetzung, deren Vorliegen das Prozessgericht von Amts wegen zu prüfen habe. Dabei sei eine von dem zuständigen Schiedsmann ausgestellte Erfolglosigkeitsbescheinigung (§ 37c Saarl. AGJusG) für das Prozessgericht nicht bindend. Dieses müsse vielmehr prüfen, ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden sei und die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung vorgelegen hätten. Das sei hier nicht der Fall, weil der Schiedsmann weder einen Schlichtungstermin bestimmt habe noch bei der Ausstellung der Bescheinigung drei Monate seit Beantragung des Verfahrens vergangen gewesen seien.
II.
Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1.
Die Klage ist nach § 15a Abs. 1 Satz 2 EGZPO zulässig, weil der Kläger mit der Klageschrift eine von der nach § 37 b Abs. 1 Satz 1 Saarl. AGJusG zuständigen Schiedsperson ausgestellte Bescheinigung über einen erfolglosen Einigungsversuch eingereicht hat. Damit ist die besondere Prozessvoraussetzung (§ 15a Abs. 1 Satz 1 EGZPO i.V.m. § 37a Abs. 1 Satz 1 Saarl. AGJusG) erfüllt. § 15a Abs. 1 EGZPO verlangt von dem Kläger – wie sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt – nur, dass dieser vor der Klageerhebung den Versuch einer gütlichen Einigung mittels eines Schlichtungsverfahrens unternommen hat und dem Prozessgericht das durch eine Bescheinigung der Gütestelle entweder über dessen Erfolglosigkeit (Satz 2) oder die Nichtdurchführung des Verfahrens innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung (Satz 3) nachweist (vgl. Senat, Urt. v. 22. Oktober 2004, V ZR 47/04, NJW-RR 2005, 501, 502).
2.
Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage ist das Prozessgericht an die vorgelegte Bescheinigung der Schiedsstelle gebunden. Die hiervon abweichende Auslegung des § 15a EGZPO durch das Berufungsgericht verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, weil ihm durch diese Handhabung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift sein Anspruch auf Durchsetzung des materiellen Rechts in unzumutbarer Weise erschwert wird (vgl. BVerfGE 84, 366, 369).
a)
Die Abweisung der Klage trotz Vorlage der Erfolglosigkeitsbescheinigung als unzulässig legt die Risiken aus der unterschiedlichen Auslegung des Verfahrensrechts durch Schiedsstelle und Prozessgericht einseitig dem Kläger auf, der – worauf die Revision zu Recht hinweist – nur den Antrag auf Durchführung des Schlichtungsverfahren stellen, aber nicht die Art und Weise der Verfahrensleitung durch den Schiedsmann bestimmen kann. Es lag nicht in 8 der Verantwortung des Klägers, dass der Schiedsmann nach den mit beiden Parteien getrennt geführten Gesprächen von der Anberaumung eines Termins wegen erkennbarer Aussichtslosigkeit Abstand nahm und dem Kläger eine Erfolglosigkeitsbescheinigung auch ohne Schlichtungsverhandlung erteilte.
b)
Die Verweigerung einer Sachentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers der Schiedsperson lässt sich auch nicht mit dem Sinn und Zweck der Bestimmungen über das obligatorische Schlichtungsverfahren begründen, das die Justiz entlasten und eine raschere und kostengünstigere Bereinigung solcher Konflikte durch außergerichtliche Verfahren herbeiführen soll (BT-Drucks. 14/980, S. 2; BGHZ 161, 145, 149; OLG Saarbrücken, NJW 2007, 1292, 1293). Das Regelungsziel trägt zwar eine konsequente Auslegung der Verfahrensvorschrift dahin, dass die Rechtssuchenden in den durch das jeweilige Landesgesetz vorgesehenen Fällen auch den Weg zu den Schiedsstellen beschreiten müssen (vgl. BGHZ 161, 145, 150; OLG Saarbrücken a.a.O.), rechtfertigt es aber nicht, ihnen den Zugang zu den ordentlichen Gerichten auch dann noch zu versperren, wenn sie diesen Weg gegangen sind.
c)
Die Abweisung der Klage als unzulässig führt schließlich – bei unterschiedlicher Beurteilung der Voraussetzungen für die Feststellung der Erfolglosigkeit des Einigungsversuchs durch Schiedsstelle und Prozessgericht – allein zu einem das Verfahren unzumutbar verzögernden Hin und Her. Die dadurch eintretende Blockade kann – wenn beide Stellen auf ihren unterschiedlichen Auffassungen beharren – von dem Rechtssuchenden nicht beseitigt werden. Das Prozessgericht ist nämlich keine der Schiedsstelle übergeordnete Instanz, die dessen Verfahren und Entscheidungen aufheben kann. Die Schiedsstelle ist auch nicht gemäß § 563 Abs. 2 ZPO an die Rechtsansicht des Prozessgerichts gebunden und muss daher nicht das 10 Schlichtungsverfahren unter Anberaumung eines Termins für eine Schlichtungsverhandlung fortsetzen.
III.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Obwohl auch das Gericht der ersten Instanz zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, kommt eine Zurückverweisung an dieses mangels der dafür erforderlichen Anträge nach §§ 557 Abs. 1, 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht in Betracht, so dass sich das Berufungsgericht nunmehr mit der Sache selbst zu befassen haben wird.