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Schlägerei und Entgeltfortzahlung: Verschulden – Tätlichkeit

Landesarbeitsgericht Köln

Az.: 9 Sa 1303/05

Urteil vom 14.02.2006

Vorinstanz: Arbeitsgericht Bonn, Az.: 7 Ca 4110/04


1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 11. August 2005 – 7 Ca 411/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen das Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin von der Beklagten Entgeltfortzahlung für die Zeit 6. September 2004 bis zum 17. September 2004 verlangen kann.

Die Klägerin ist seit dem 6. April 2000 als Produktionsarbeiterin bei der Beklagten aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung und einem Verweis im schriftlichen Arbeitsvertrag findet der Manteltarifvertrag für die chemische Industrie in Nordrhein-Westfalen Anwendung auf das Arbeitsverhältnis. Darin ist bestimmt, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend gemacht werden müssen.

Aufgrund einer Tätlichkeit ihres früheren Ehemannes war die Klägerin vom 6. September 2004 bis zum 17. September 2004 arbeitsunfähig erkrankt.

Nach einer schriftlichen Erklärung der Klägerin kam es wie folgt zu der Verletzung:

Am 4. September 2004 begab sich die Klägerin mit einem Bekannten zu ihrer Mutter, wo sie sich auf den Balkon der Wohnung setzte. Ihr früherer Ehemann hielt sich vor dem Haus an einem Bierwagen auf. Nachdem er die Klägerin auf dem Balkon wahrgenommen hatte, warf er ihr zunächst vor, sie habe ihn nicht beachtet, und beleidigte sie per SMS. Die Klägerin ging daraufhin zu ihm hin und forderte ihn auf, solche Mitteilungen zu unterlassen. Er beschimpfte sie und drohte mit Schlägen, falls sie nicht verschwinde. Als die Klägerin in das Haus zurückging, verfolgte er sie und drohte weiter, sie zu schlagen. Als sie ihm entgegnete, er solle sich jemand anderen suchen, wenn er sich schlagen wolle, griff er ihr an den Hals und stieß sie mit ihrem Kopf gegen den Rahmen der Haustür. Bei dem Versuch, ihn von sich weg zu drücken, kratzte sie ihn im Gesicht. Er ging etwas zurück, trat sie aber gegen die Oberschenkel und ins Gesäß, als sie sich in die Wohnung ihrer Mutter zurückziehen wollte. Als sie sich daraufhin zu ihm hinwandte, versetzte er ihr einen so starken Schlag gegen den Kopf, dass sie gegen die Flurwand prallte und auf den Boden fiel. Sie krabbelte von dort aus in die Wohnung ihrer Mutter, wo sie für kurze Zeit bewusstlos war. Danach wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert, wo eine Schädelprellung festgestellt wurde. Die Klägerin war arbeitsunfähig erkrankt vom 6. September 2004 bis zum 17. September 2004.

Die Beklagte weigert sich, der Klägerin Entgeltfortzahlung zu leisten mit der Begründung, die Klägerin habe selbst die Arbeitsunfähigkeit verschuldet.

Nachdem die Klägerin die unter dem 11. Oktober 2004 erstellte Lohnabrechnung für September 2004 erhalten hatte und damit von der Weigerung der Beklagten erfuhr, hat sie Klage beim Arbeitsgericht Bonn eingereicht, die der Beklagten erst am 5. Januar 2005 zugestellt worden ist.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 860,25 brutto nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2004 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Klägerin habe ihren früheren Ehemann zu den Schlägen provoziert und sich aktiv an der Schlägerei beteiligt. Dies ergebe sich bereits aus der Schwere der Verletzungen. Zudem sei der Entgeltfortzahlungsanspruch verspätet geltend gemacht worden und damit verfallen.

Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 11. August 2005 der Klage stattgeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe nicht dargetan, dass die Klägerin die Schlägerei provoziert habe. Aus der Schwere der Verletzung könne nicht gefolgert werden, die Klägerin habe sich aktiv an der Tätlichkeit beteiligt. Der Anspruch sei auch nicht verfallen, weil die Verfallfrist frühestens mit der Erteilung der Lohnabrechnung am 11. Oktober 2004 begonnen habe und folglich mit der Zustellung der Klage am 5. Januar 2004 die tarifliche Ausschlussfrist gewahrt worden sei.

Das Urteil ist der Beklagten am 30. August 2005 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 26. September 2005 Berufung einlegen und diese am 24. Oktober 2005 begründen lassen.

Sie ist der Ansicht, aufgrund der eigenen Erklärung der Klägerin stehe fest, dass die Klägerin ihren früheren Ehemann nachhaltig provoziert habe, statt ihm von vornherein aus dem Weg zu gehen. Es sei dann zu einem Schlagabtausch gekommen, bei dem die Klägerin durch Kratzen im Gesicht einen weiteren Schlag oder Tritt provoziert habe, der sie zu Fall gebracht habe. Als verständige Arbeitnehmerin hätte sich die Klägerin von ihrem Ehemann fernhalten müssen oder jedenfalls nach der Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen, sich sofort wieder entfernen müssen. Zudem habe die Klägerin ihren Anspruch verspätet geltend gemacht. Da der frühere Ehemann der Klägerin über keine finanziellen Mittel verfüge, könne sie nicht damit rechnen, von diesem die Entgeltfortzahlung erstattet zu erhalten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 11. August 2005 – 7 Ca 4110/04 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihre schriftliche Erklärung über das Tatgeschehen und ist der Ansicht, daraus ergebe sich, dass sie die Arbeitsunfähigkeit nicht verschuldet habe. Zuvor habe ihr früherer Ehemann bei Auseinandersetzungen nie mit solchen Tätlichkeiten reagiert. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 14. Februar 2006 erklärt, der Lohn werde bei der Beklagten stets zum 15. des Folgemonats abgerechnet und ausgezahlt.

Wegen des übrigen Vorbringens wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II.

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht Bonn erkannt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen die Beklagte für den Zeitraum 6. September 2004 bis 17. September 2004 hat.

1.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz hat der Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

Die Klägerin war aufgrund der Schädelprellung arbeitsunfähig erkrankt vom 6. September 2004 bis zum 17. September 2004.

Sie traf kein Verschulden bei der Herbeiführung der Arbeitsunfähigkeit.

Ein Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz liegt grundsätzlich nur vor, wenn sich sein Verhalten als gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten darstellt (vgl. HWK-Schliemann, § 3 EFZG Rdn. 58). Ob bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, die auf eine Verletzung bei einer Schlägerei oder Tätlichkeit zurückzuführen ist, ein hinreichendes Eigenverschulden des Arbeitnehmers vorliegt oder nicht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BAG, Urteil vom 13. November 1974 – 5 AZR 54/74 -). Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass die Teilnahme an einer Schlägerei in der Regel selbstverschuldet ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer die Schlägerei selbst begonnen oder sie provoziert hat (vgl. HWKSchliemann, a.a.O., Rdnr. 77 m. w. N.).

Die Beklagte geht bei ihrem Verschuldensvorwurf von der Tatschilderung der Klägerin aus. Aus dieser Erklärung der Klägerin ergibt sich aber keinesfalls, dass sie gröblich gegen das in ihrem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen hat. Sie hat sich darauf beschränkt, ihren früheren Ehemann aufzufordern, weitere Beleidigungen zu unterlassen, und sich gegen die Androhung von Schlägen verwahrt. Sie musste nicht damit rechnen, dass bereits dies dazu führen würde, dass er tatsächlich tätlich wurde. Nach ihren Angaben war es in der Vergangenheit jedenfalls nicht zu einer solchen Reaktion bei Auseinandersetzungen mit ihrem früheren Ehemann gekommen. Zudem hat sie sich zum Haus zurückbegeben, nachdem sie ihm ihre berechtigte Meinung über sein Auftreten mitgeteilt hatte. Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden, dass sie ihn wegdrücken durfte, nachdem er sie geschlagen hatte, auch wenn sie ihn dabei verletzte. Die folgende Reaktion des Ehemannes, die erst zu der Schädelprellung führte, hat sie in keiner Weise verbal oder durch eine gegen ihn gerichtete Tätlichkeit, die über eine reine Abwehrhandlung hinausging, provoziert.

Von einem „Schlagabtausch“ zwischen der Klägerin und ihrem früheren Ehemann kann überhaupt keine Rede sein.

Dass die Schwere der Verletzung ohne jeden Aussagewert ist, soweit es um die Frage geht, ob die Klägerin die Tätlichkeit provoziert hat, hat das Arbeitsgericht Bonn bereits zutreffend ausgeführt.

2.

Der folglich entstandene Entgeltfortzahlungsanspruch ist auch nicht verfallen.

Zunächst stellt sich schon die Frage, ob der Entgeltfortzahlungsanspruch und die anderen Vergütungsansprüche für September 2004 nicht erst am 15. Oktober 2004 fällig geworden sind, und mithin schon deshalb die 3-monatige Ausschlussfrist erst am 15. Januar 2005, also nach schriftlicher Geltendmachung des Anspruchs durch die Zahlungsklage, ablief.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 14. Februar 2005 erklärt, bei der Beklagten werde stets die Vergütung erst zum 15. des Folgemonats abgerechnet und ausgezahlt.

Aber selbst wenn der Entgeltfortzahlungsanspruch bereits am 30. September 2004 fällig geworden sein sollte, ist er nicht verfallen. Die Fälligkeit einer Leistung im Sinne einer Ausschlussfrist hängt von einer Abrechnung des Arbeitgebers ab, wenn der Arbeitnehmer die Höhe seiner Ansprüche ohne die Abrechnung nicht erkennen kann (vgl. BAG, Urteil vom 27. Februar 2002 – 9 AZR 543/00 -). Aus der Abrechnung für September 2004 ergibt sich, dass die Klägerin neben dem Lohn bzw. der Entgeltfortzahlung auch Kurzarbeitergeld und eine Zuzahlung zum Kurzarbeitergeld erhielt. Sie war zu einer Bezifferung eines (verbliebenen) Zahlungsanspruchs erst in der Lage, wenn ihr die Lohnabrechnung vorlag und sie etwaige Vergütungskürzungen einordnen konnte.

3.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht Bonn darauf hingewiesen, dass die Klägerin die erforderlichen Angaben gegenüber der Beklagten gemacht hat, damit diese den auf sie übergegangenen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Verdienstausfalls gegen den früheren Ehemann der Klägerin geltend machen kann (§ 6 Entgeltfortzahlungsgesetz).

4.

Der Zinsanspruch besteht nach § 288 Abs. 1 BGB.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Berufung war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die sich stellenden Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden.

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