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Schlaganfall – Pflegepersonal muss nach Patienten schauen

LG Osnabrück

Az: 2 O 2278/08

Urteil vom 26.01.2011


Leitsatz:

Das Pflegepersonal in Pflegeeinrichtungen/Kliniken muss sich um die zu betreuenden Patienten kümmern. Erleidet ein Patient einen Schaden, weil das Pflegepersonal nicht nach ihm schaut, haftet die Pflegeeinrichtung (Klinik) auf Schadensersatz- und Schmerzensgeld.


1. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Tatbestand

Der Kläger macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche anlässlich eines stationären Aufenthalts im Hause der Beklagten vom 03.12.2007 – 17.12.2007 geltend.

Im September 2007 bekam der am ……1943 geborene Kläger wegen Herzrhythmusstörungen einen Herzschrittmacher implantiert, weswegen er eine Dauermedikation mit gerinnungshemmenden Präparaten (Marcumar) benötigte.

Am 19.11.2007 unterzog er sich einer Hüftoperation.

Der Kläger wurde am 03.12.2007 zur Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im Hause der Beklagten aufgenommen. Er wurde in einem Einzelzimmer untergebracht und nahm die Mahlzeiten gemeinsam mit den Mitpatienten im Speisesaal der Klinik ein. Es wurden täglich mehrere Rehabilitationsanwendungen durchgeführt. Die Vorerkrankungen des Klägers und dessen benötigte Medikamente waren im Hause der Beklagten bekannt.

Am Wochenende vom 15. bis 16.12.2007 hielt sich der Kläger zu Hause bei seiner Ehefrau auf. Diese brachte ihn am Sonntag, den 16.12.2007, abends gegen 18:00 Uhr wieder zurück in die Klinik der Beklagten.

Am Morgen des 17.12.2007 erschien der Kläger weder zum Frühstück noch zum Mittag- oder Abendessen. Ebenfalls erschien der Kläger nicht zu den verabredeten Therapiemaßnahmen um 08:30 Uhr, 11:00 Uhr und 14:30 Uhr.

Etwa gegen 21:30 Uhr erhielt die Zentrale der Beklagten einen Anruf des Rettungsdienstes in .. Der Zentrale wurde mitgeteilt, dass es dem Kläger schlecht gehen solle. Daraufhin wurde das Zimmer des Klägers von dem diensthabenden Arzt aufgesucht. Dort stellte der diensthabende Arzt fest, dass der Kläger einen Schlaganfall erlitten hatte. Der Kläger wurde unverzüglich in die neurologische Abteilung des Klinikums …. verlegt und dort bis zum 03.01.2008 stationär behandelt. Es schlossen sich mehrere neurologische Rehabilitationsmaßnahmen an, aus denen der Kläger am 23.04.2008 wieder nach Hause entlassen wurde.

Der Kläger ist infolge des erlittenen Schlaganfalls teilweise gelähmt und kann nicht sprechen. Er bedarf intensiver Betreuung im pflegerischen Bereich sowie permanente Hilfestellung im Alltag.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Mitarbeiter der Beklagten verpflichtet gewesen seien, den Grund des Fernbleibens des Klägers zu hinterfragen bzw. zu überprüfen, nachdem der Kläger weder zu den Mahlzeiten noch zu seinen Therapiemaßnahmen erschienen war. Diese Überprüfung sei grob fehlerhaft nicht veranlasst worden, obwohl den Mitarbeitern der Beklagten bekannt gewesen sei, dass der Kläger aufgrund seiner Vorerkrankung schlaganfallgefährdet war.

Der Kläger ist der Auffassung, die schweren Folgen des Schlaganfalles hätten vermieden werden können, wenn die Mitarbeiter der Beklagten sich pflichtgemäß nach seinem Verbleib erkundigt und ihn bereits frühzeitig in seinem Zimmer aufgefunden hätten. Insoweit behauptet der Kläger, dass er den Schlaganfall bereits vor dem Frühstück am 17.12.2007 erlitten habe. Ein früheres Auffinden des Klägers hätte dazu geführt, dass dem eingetretenen Schlaganfall effektiv hätte entgegengewirkt werden bzw. dass dieser in seinem Ausmaß annähernd vollständig hätte verhindert werden können. Der Kläger wäre kurzfristig und ohne zurückbleibende neurologische Schäden gesundet.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld (vorgestellte Höhe: Euro 100.000,00) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen sowie weiteren immateriellen Schaden aus dem stationären Aufenthalt vom 03.12. bis 17.12.2007 im Hause der Beklagte zu ersetzen, soweit solche Ansprüche nicht durch Gesetz auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Euro 2.237,56 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass ihr eine Kontroll- und/oder Überwachungspflicht nicht oblegen habe. Da es sich bei einer Reha-Klinik nicht um eine Akutklinik handele, habe seitens der Mitarbeiter der Beklagten keine Pflicht bestanden, sich nach dem Grund des Fernbleibens des Klägers zu erkundigen. In einer Rehabilitationsklinik könnten sich die Patienten sowohl in der Einrichtung selbst als auch außerhalb eigenständig und frei bewegen. Es sei deshalb keineswegs ungewöhnlich, das Rehabilitanden oftmals nicht in ihrem Zimmer zu erreichen seien oder auch zu ihren Therapieanwendungen nicht erscheinen würden. Dies alles würde jedoch keinen Anlass zur Sorge und keine Pflicht der Beklagten begründen, entsprechende Maßnahmen zum Verbleib der Patienten zu veranlassen.

Ferner behauptet die Beklagte, dass der Kläger auch vor dem 17.12.2007 nicht regelmäßig zu der angeordneten Verabreichung der Thromboseprophylaxe und am 06.12.2007 nicht zu der im Behandlungsplan festgehaltenen Rehabilitationsmaßnahme erschienen sei. Dies belege die „non-compliance“ des Klägers und zeige, dass eine sofortige Suche nach dem Kläger, nur weil dieser an dem fraglichen Tag nicht zu seinen Therapiemaßnahmen und zum Essen erschienen sei, angesichts der bereits zuvor an den Tag gelegten „non-compliance“ erklärlich sei und der Beklagten insoweit kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden könne.

Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 10.06.2009 Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Sachverständigengutachten vom 10.10.2009 (Blatt 131ff d. A.) sowie auf das Ergänzungsgutachten vom 13.07.2010 (Bl. 185ff d.A.).

Entscheidungsgründe

Die Beklagte ist dem Kläger dem Grunde nach gem. §§ 611, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, der darauf zurückzuführen ist, dass der Kläger erst um 21:30 Uhr von Mitarbeitern der Beklagten in seinem Zimmer aufgesucht worden ist und erst zu diesem Zeitpunkt der beim Kläger bereits in der Nacht vom 16.12 auf den 17.12.2007 eingetretene Schlaganfall festgestellt und ab dann behandelt wurde.

Die Beklagte hat eine ihr gem. § 241 Abs. 2 BGB gegenüber dem Kläger obliegende Obhuts- und Sorgfaltspflicht schuldhaft verletzt. Die Beklagte war als Rehabilitationseinrichtung im Rahmen ihr obliegender Obhuts- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger dazu verpflichtet, zumindest sicherzustellen, dass ihre Mitarbeiter ihn auf seinem Zimmer aufsuchen, nachdem er ohne erkennbaren Grund und ohne Entschuldigung Therapieanwendungen ferngeblieben war.

Der Kläger ist am 17.12.2007 ohne Entschuldigung seinen für 8:30 Uhr, 11 Uhr und 14:30 Uhr angesetzten Therapieanwendungen ferngeblieben und auch zu den Mahlzeiten nicht erschienen. Grund für das Fernbleiben des Klägers war, dass er in der Nacht vom 16.12. auf den 17.12.2007 einen Schlaganfall erlitten hatte.

Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest. Zwar hat die Beklagte bestritten, dass der Kläger den unstreitig um 21.30 Uhr festgestellten Schlaganfall bereits vor dem Frühstück, also ca. vor 7 Uhr am 17.12.2007, erlitten hat. Der Kläger hat auch keinen weiteren Beweis für seine Behauptung angetreten. Aufgrund des Umstandes aber, dass unstreitig der Kläger ohne Entschuldigung weder zum Frühstück, noch zum Mittag- und Abendessen und auch nicht zu den drei Therapieanwendungen erschien, bleibt als einzige lebensnahe und logische Erklärung für diesen im Vergleich zu den Vortagen ungewöhnlichen Ablauf, dass der Kläger bereits vor dem Frühstück aufgrund des erlittenen Schlaganfalls nicht mehr in der Lage war, aufzustehen. Eine andere – ebenso wahrscheinliche – Erklärung für das Fernbleiben des Klägers zu den Mahlzeiten und den Therapieanwendungen, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger um 21:30 Uhr – offensichtlich in Schlafbekleidung – (noch) im Bett lag, ergibt sich für die Kammer nicht.

Obwohl der Kläger zu den vereinbarten Therapieanwendungen nicht erschien, wurde nicht veranlasst, dass ein Mitarbeiter der Beklagten sich nach dem Verbleib des Klägers erkundigt oder über das Fehlen des Klägers bei der Station Meldung macht. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten gibt es in ihrem Hause keine Anweisung an die Mitarbeiter, dass im Fall eines unentschuldigten Fernbleibens eines Patienten zu einer Therapieanwendung noch am gleichen Tag nach dem Patienten gesehen wird oder andere Maßnahmen ergriffen werden, um den Grund des Fernbleibens festzustellen.

Hierin liegt eine schuldhafte Verletzung gegen die der Beklagten im Rahmen des zwischen den Parteien geschlossenen Heilbehandlungsvertrages obliegenden Obhuts- und Sorgfaltspflichten.

Zwar hat der Sachverständige Dr. ….. in seinen Gutachten ausgeführt, dass die Behandlung des Klägers im Hause der Beklagten den üblichen Anforderungen der Rehabilitationsphase einer Anschlussheilbehandlung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation genügt habe. In den Rahmenempfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitationen seien tägliche Visiten oder Kontrollen der Patienten durch die Ärzte oder Pflegekräfte nicht vorgeschrieben und auch nicht üblich. Eine Rehabilitationsklinik sei daher nicht verpflichtet, in mehrfach täglichen Kontrollen den medizinischen Zustand der Patienten zu kontrollieren.

Der Schwerpunkt der AHB-Behandlung liege in therapeutischen Maßnahmen an nahezu selbständigen, mobilen Patienten ohne oder mit nur geringem Pflegeaufwand. Eine durchgehende Überwachung und Versorgung der Patienten durch die Ärzte und Pfleger – wie im Krankenhaus – würde nicht vorgehalten. Schon der Pflegeschlüssel von einer Pflegekraft für 20 bis 40 Patienten in AHB-Einrichtungen mache deutlich, dass die Überwachungsmöglichkeiten auch nicht ansatzweise dem eines normalen Krankenhauses entsprächen. Aus der Verpflichtung zu einer gewissen ärztlichen Kontrolle im Rahmen der ärztlichen Leitung einer AHB-Einrichtung lasse sich keine verpflichtende tägliche persönliche Kontrolle des medizinischen Zustandes der selbständigen Rehabilitanden ableiten. Es sei auch keineswegs ungewöhnlich, dass der ein oder andere Patient an einer Therapie oder Veranstaltung nicht teilnehme. In AHB-Einrichtungen ergebe sich aus dem Fehlen beim Frühstück oder einer Therapiemaßnahme kein ungewöhnlicher Fall und schon gar kein Notfall, wie etwa in einem Krankenhaus. Allein aus dem Umstand des Nichterscheinens sei noch nicht eine Besorgnis erregende Situation zu konstatieren, da die Patienten in AHB-Einrichtungen grundsätzlich selber die Therapien aufsuchen müssten und für ihre Tagesplanung verantwortlich seien. Es komme relativ häufig vor, dass Patienten, ohne sich abzumelden, den ganzen Tag nicht zu Therapieanwendungen oder Mahlzeiten erscheinen würden. Dies sei jedoch kein Anlass zur Sorge.

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Trotz dieser Ausführungen des Sachverständigen geht die Kammer jedoch von einer Pflichtverletzung der Beklagten aus.

Ob der Beklagten eine Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten vorgeworfenen werden kann, ist keine rein medizinische Frage. Bei der Prüfung einer Verletzung von der Beklagten obliegenden Obhuts- und Sorgfaltspflichten, geht es nicht allein um die Pflicht der Beklagten, den Kläger auf der Grundlage eines Behandlungsvertrages im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme pflegerisch und ärztlich zu betreuen und um die Frage, ob die Beklagte zutreffende medizinischen Entscheidungen getroffen hat. Der Beklagten ist nicht der Vorwurf zu machen, den beim Kläger eingetretenen Schlaganfall nicht durch regelmäßige tägliche Kontrollen verhindert zu haben. Der Beklagten ist auch nicht vorzuwerfen, den beim Kläger aufgetretenen Schlaganfall – nachdem der Kläger aufgefunden worden war – nicht ordnungsgemäß behandelt bzw. die notwendigen Maßnahmen veranlasst zu haben.

Vorliegend geht es vielmehr um die Frage, welche allgemeinen Fürsorge- und Obhutspflichten einem Pflegeheimträger obliegen, wenn ein Rehabilitand entgegen seiner Gewohnheit nicht zu den vereinbarten Therapieanwendungen erscheint. Zur Beantwortung dieser Frage ist die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zwar insoweit erforderlich, um die tatsächlichen Standards feststellen zu können. Die Beantwortung der Frage hingegen, ob die tatsächlichen Standards den rechtlichen Anforderungen genügen, obliegt indes der Rechtsprechung.

Aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Heilbehandlungsvertrages schuldete die Beklagte dem Kläger nicht nur eine ordnungsgemäße Durchführung von Reha-Maßnahmen. Ihr oblag gem. § 241 Abs. 2 BGB auch die vertragliche (Neben-)Pflicht, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des Klägers nicht verletzt werden (vgl. Palandt-Grüneberg , 70. Aufl., § 280, Rn. 28). Die Beklagte war über die von ihr vertraglich geschuldete Anschlussheilbehandlung hinaus verpflichtet, die gebotene Sorgfalt für die Gesundheit des Klägers zu beachten. Der Umfang derartiger Obhuts- und Sorgfaltspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der im Hause der Beklagten aufhältigen Patienten ist auf die Maßnahmen begrenzt, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind das für die Patienten Erforderliche und das für das Pflegepersonal Zumutbare.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hat die Beklagte die ihr obliegenden Obhuts- und Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt. Der Beklagten ist der Vorwurf zu machen, dass sie es unterlassen hat, das Nichterscheinen des Klägers zu den Therapieanwendungen zum Anlass zu nehmen, sich nach dem Wohlbefinden des Klägers zu erkundigen. Hätte die Beklagte dieser Pflicht genügt, wäre der Kläger weit vor 21:30 Uhr aufgefunden worden und hätte die Behandlung des Schlaganfalles weit früher beginnen können.

Einer Reha-Klinik obliegt ebenso wie einem Krankenhaus eine besondere Schutz- und Fürsorgepflicht gegenüber ihren Patienten, die – wenn auch grundsätzlich mobil – so doch nicht vollständig gesund sind. Insoweit geht die Verantwortung einer Reha-Klink für die körperliche Unversehrtheit der Patienten weit über die Verantwortung bspw. eines reinen Beherbergungsunternehmens hinaus. Eine Reha-Klinik ist – anders als die Beklagte meint – nicht mit einem „Hotel“ zu vergleichen. Zweck der Reha-Behandlung ist die Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten. Ist der in einer Reha-Klinik aufhältige Patient jedoch nicht vollständig gesund, besteht grundsätzlich das Risiko, dass bei ihm ernsthafte gesundheitliche Probleme auftreten, die entweder seitens der Reha-Klinik zu behandeln sind oder bei denen die Reha-Klinik eine unverzügliche medizinische Versorgung gewährleisten muss. So führt auch der Sachverständige in seinem Gutachten vom 10.10.2009 aus, dass Reha-Kliniken gehalten sind, durch feste Kooperationen mit Krankenhäusern, bei medizinischer Notwendigkeit eine rasche Durchführung apparativer, gestützter Diagnostik bedarfsgerecht und mit geringem organisatorischem Aufwand in dem Kooperationskrankenhaus durchführen zu können.

Aufgrund des nicht fernliegenden Risikos der Rehabilitanden, dass im Rahmen ihres Aufenthaltes in einer Reha-Klinik ernsthafte gesundheitliche Probleme aus oder im Zusammenhang mit der Grunderkrankung auftreten, wegen derer er in der Reha-Klinik behandelt wird, ist eine Reha-Klinik verpflichtet im Rahmen der ihr obliegenden Fürsorgepflicht, sachgerechte Maßnahmen zu ergreifen, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die Grund zu der Annahme geben, dass bei einem Patienten ein ernsthaftes gesundheitliches Problem vorliegt.

Ein konkreter Anhaltspunkt für das Vorliegen eines gesundheitlichen Problems bei einem Patienten ist zumindest dessen unentschuldigtes Nichterscheinen zu Therapiemaßnahmen, da es sich hier um fest vereinbarte Termine handelt.

Zwar ist denkbar, dass der Grund für die Abwesenheit ganz banal ist, nämlich dass der Patient den Termin vergessen oder schlicht keine Lust hat, an der Maßnahme teilzunehmen. Da jedoch auch ein ernstes gesundheitliches Problem (wie bspw. Sturz, Herzinfarkt, Schlaganfall) eine denkbare und nicht fernliegende Ursache für die Abwesenheit ist, war die Beklagte jedenfalls in der vorliegenden Konstellation dazu verpflichtet, sich nach dem Befinden des Klägers und dem Grund seines Fernbleibens zeitnah zu erkundigen. Denn beim Kläger bestand ein gesundheitliches Risiko in Form eines gesteigerten Schlaganfallrisikos, wie auch der Sachverständige ausführt. Diese beim Kläger das erhöhte Risiko begründenden Faktoren waren im Hause der Beklagten auch bekannt.

Um sich nach dem Befinden des Klägers zu erkundigen hätte lediglich der für die für 8:30 Uhr angesetzte Therapieanwendung zuständige Therapeut/ die zuständige Therapeutin kurz mit der Station telefonieren und mitteilen müssen, dass der Kläger unentschuldigt nicht zu seinem Reha-Termin erschienen sei. Den Mitarbeitern auf der Station hätte es dann oblegen, sich in das Zimmer des Klägers zu begeben und nachzusehen, ob der Kläger ggf. Hilfe benötigt.

Zwar ist nicht zu fordern, dass unverzüglich um 8:30 Uhr eine Meldung hätte erfolgen müssen und ebenso unverzüglich eine Nachschau auf dem Zimmer. Hierfür würde allenfalls dann eine Verpflichtung bestehen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen wäre, dass der Kläger einen Schlaganfall erlitten hat. Es ist jedoch zu fordern, dass der Therapeut bei nächster Gelegenheit, also vor Beginn der nächsten Therapiemaßnahme eine Meldung an die Station weiterleitet und ebenso die Mitarbeiter der Station verpflichtet sind, bei nächster Gelegenheit nach dem Patienten auf dem Zimmer zu sehen. Hätte die Beklagte eine entsprechende Anweisung an ihre Mitarbeiter gegeben und hätten die Mitarbeiter der Beklagten entsprechend gehandelt, wäre der Kläger spätestens gegen 11 Uhr in seinem Zimmer aufgefunden worden.

Ob der Beklagten bzw. ihren Mitarbeitern darüber hinaus weitere Pflichten oblegen hätten, wenn der Kläger sich nicht auf seinem Zimmer befunden hätte, braucht die Kammer demgegenüber nicht zu entscheiden. Vorliegend wäre es ausreichend gewesen, dass man auf dem Zimmer des Klägers nachsieht, um seinen Zustand feststellen zu können.

Soweit der Sachverständige ausführt, dass es ausreichend sei, einen Patienten auszurufen, wenn er unentschuldigt nicht zu einer verabredeten Therapieanwendung erscheint, um ihn an seinen Termin zu erinnern, so übersieht der Sachverständige zum einen, dass die Beklagte vorliegend gar nicht behauptet hat, den Kläger ausgerufen zu haben. Die Beklagte hat vorgetragen, den gesamten Tag über keine Maßnahmen ergriffen zu haben, um sich nach dem Grund des Fernbleibens des Klägers von den Therapieanwendungen zu erkundigen. Zum anderen hat das Ausrufen allein den Zweck, den Patienten an seinen Termin zu erinnern. Das Ausrufen führt aber nicht dazu, dass der Grund des Fernbleibens aufgeklärt werden kann. Wenn ein Patient aufgrund gesundheitlicher Probleme – wie der Kläger – nicht in der Lage ist, zu reagieren, führt ein Ausrufen nicht weiter.

Die Beklagte verstößt gegen die ihr als Reha-Klinik obliegenden allgemeinen Fürsorgepflichten, wenn sie trotz entsprechender Hinweise oder Anhaltspunkte keine geeigneten Maßnahmen ergreift, um zu verhindern, dass Patienten, die aufgrund ernster gesundheitlicher Probleme (unbemerkt) hilflos in ihrem Zimmer liegen, über einen längeren Zeitraum pflegerisch und ärztlich unversorgt bleiben. Zwar sind in einer Reha-Einrichtung nicht wie in einem Krankenhaus tägliche (anlassunabhängige) Kontrollen zu fordern. Insoweit ist den Ausführungen des Sachverständigen zuzustimmen, dass dies schon allein aufgrund des Pflegeschlüssels finanziell und personell nicht durchführbar ist. Es ist jedoch zu fordern, dass zumindest in den Fällen des unentschuldigten Fernbleibens eines Patienten von Therapieanwendungen die Pflicht der Reha-Einrichtung besteht, sich des körperlichen Wohlbefindens des Patienten jedenfalls durch Nachschau auf dem Zimmer zu versichern. Hierbei handelt es sich um eine Maßnahme mit ganz geringem Aufwand, die keine zusätzlichen Kosten verursacht und daher sowohl für das Pflegepersonal als auch für die Beklagte zumutbar, aber auch erforderlich ist, um die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit des Patienten zu schützen.

Ohne die Implementierung eines solchen Verhaltenskodex für Mitarbeiter steht für Patienten einer Reha-Einrichtung zu befürchten, dass sie stundenlang medizinisch unversorgt bleiben, wenn sie bspw. auf ihrem Zimmer stürzen und aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage sind, Hilfe zu rufen. Eine solche Konsequenz ist nach Auffassung der Kammer nicht akzeptabel.

Das Verhalten der Beklagten war auch schuldhaft, §§ 276, 278 BGB. Die Beklagte hat nach ihrem eigenen Vortrag kein den obigen Anforderungen entsprechendes „Sicherheitssystem“ in ihrem Hause, weil sie ein solches nicht für erforderlich erachtet.

Die Beklagte kann sich zu ihrer Entlastung nicht darauf berufen, der Kläger habe bereits am 06.12.2007 eine Therapiemaßnahme nicht wahrgenommen, ohne dass der Grund darin gelegen habe, dass ihm etwas zugestoßen sei.

Zum einen steht bereits nicht fest, dass der Kläger tatsächlich am 06.12.2007 eine Therapieanwendung nicht wahrgenommen hat. In den Behandlungsunterlagen findet sich auf dem Blatt „Visite – Verordnung“ zwar der Vermerk „Pat. wieder nicht zur WK erschienen, morgen unbedingt Termin mit mir“. Hieraus folgt jedoch nicht, dass es sich um eine versäumte Therapieanwendung handelte. Hiergegen spricht bereits, dass sich die Eintragung auf dem Blatt „Visite – Verordnung“ befindet und der Vermerk daher von ärztlicher Seite erfolgte. Ärzte führen jedoch keine Therapiemaßnahmen durch. Auch der Sachverständige vermutet lediglich, dass es sich um eine Therapieanwendung gehandelt habe, ohne dass er dies näher begründet oder eine nachvollziehbare Erklärung dafür gibt, was mit dem Kürzel „WK“ gemeint sei.

Zum anderen behauptet die Beklagte nicht, die Entscheidung, nicht nach dem Kläger zu sehen, sei darauf zurückzuführen, dass der Kläger schon einmal eine Therapieanwendung verabsäumt habe und man deswegen keine Veranlassung gesehen habe, nach ihm zu sehen. Der Grund dafür, dass die Beklagte das Fehlen des Klägers nicht zum Anlass nahm, nach ihm zu sehen, lag vielmehr darin, dass die Beklagte sich grundsätzlich nicht verpflichtet sieht, das unentschuldigte Fehlen ihrer Patienten nachzuhalten.

Ob das Verhalten der Beklagten demgegenüber als „grobe Pflichtverletzung“ zu werten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Diese Frage wäre nur dann relevant, wenn das Verhalten der Beklagten als Behandlungsfehler einzuordnen wäre. Wie oben ausgeführt geht es vorliegend jedoch nicht um einen Verstoß gegen den ärztlichen oder pflegerischen Maßstab, sondern um den Verstoß gegen allgemeine Obhuts- und Fürsorgepflichten. Im Rahmen allgemeiner Schutzpflichten führt ein grob schuldhafter Verstoß jedoch nicht zu einer Beweislastumkehr bzgl. der Kausalität.

Der Erlass eines Grundurteils gem. § 304 ZPO ist zulässig.

Der geltend gemachte Schadens- und Schmerzensgeldanspruch ist dem Grunde nach berechtigt. Die Beklagte hat schuldhaft gegen die ihr dem Kläger gegenüber obliegenden Obhuts- und Fürsorgepflichten verstoßen. Hierdurch ist beim Kläger zumindest insoweit ein kausaler Schaden entstanden, als er über einen Zeitraum von ca. 10 Stunden im Hause der Beklagten medizinisch nicht versorgt wurde. Dieses Erleben einer hilfslosen Lage rechtfertigt dem Grunde nach die Zubilligung eines Schmerzensgelds. Hinsichtlich der Höhe des insoweit zuzubilligenden Schmerzensgeldes bedarf es seitens des Klägers jedoch noch näherer Darlegung, wie er diesen Zeitraum tatsächlich erlebt hat. Hierzu ist ggf. auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich.

Darüber hinaus hängt die Höhe des Schmerzensgeldes davon ab, ob und wenn ja in welchem Umfang das verspätete Auffinden des Klägers die Folgen des Schlaganfalles verschlimmert hat. Auch hierzu bedarf es der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Die diesbezüglichen bisherigen Ausführungen des Sachverständigen beantworten die Frage der Kausalität noch nicht abschließend. Ohnehin war diese Frage nicht Gegenstand des Beweisbeschlusses. Die allgemeinen Ausführungen des Sachverständigen sind nicht ausreichend, um mit der erforderlichen Sicherheit feststellen bzw. widerlegen zu können, dass ein früheres Auffinden des Klägers Auswirkungen auf seinen Zustand gehabt hätte.

Der Rechtsstreit ist daher zur Höhe des Schmerzensgeldes noch nicht entscheidungsreif, wenngleich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sich im Betragsverfahren auch der Höhe nach ein Schaden des Klägers ergeben wird.

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