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Amtshaftung bei Schlaglöchern?

OLG Rostock

Az.: 1 U 169/98

Verkündet am 23.03.2000

Vorinstanz: LG Rostock 4 O 340/98


Urteil

Im Namen des Volkes hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2000

für R e c h t erkannt:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom 31. Juli 1998 – Az.: 4 O 340/98 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil beschwert den Kläger im Wert von DM 2009,44. Es ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte hat die ihr obliegende Pflicht zur Verkehrssicherung nicht verletzt und ist daher dem Kläger nicht zum Schadensersatz verpflichtet.

Der Kläger macht als Eigentümer und Halter eines PKW VW-Golf Schadensersatzansprüche wegen einer angeblichen Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten geltend. Am 7. April 1997 geriet der vom Sohn des Klägers gesteuerte VW-Golf beim Befahren der Landstraße in ein Schlagloch. Die Straße war in diesem Bereich infolge einer Baustelle unbefestigt und uneben. Die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit betrug 30 km/h. Darüber hinaus waren zum Unfallzeitpunkt keine Verkehrszeichen aufgestellt, die vor Bodenunebenheiten oder Schlaglöcher warnten. Nach der Behauptung des Klägers ist das Fahrzeug am Vorderachsenträger, Querlenker und Stoßfänger beschädigt worden.

I. Die Haftung für eine Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht beurteilt sich nach den Vorschriften über die Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG). Gemäß § 10 des Straßenund Wegegesetzes Mecklenburg-Vorpommern (StrWG-MV) obliegen die mit der Erhaltung der Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen zusammenhängenden Pflichten den Organen und Bediensteten der damit befaßten Körperschaften und Behörden als Amtspflicht in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit. Für Ortsdurchfahrten und Gemeindestraßen sind die Gemeinden als Träger der Straßenbaulast verkehrssicherungspflichtig (§§ 13 Abs. 1, 14 StrWG-MV). Die landesgesetzliche öffentlich-rechtliche Ausgestaltung der Pflichten der Amtsträger zur Sorge für die Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen ist zulässig und entspricht inhaltlich der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht (BGHZ 60, 54, 58 ff.). Bedeutung hat die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung vor allem in Bezug auf die Subsidiarität der Amtshaftung gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieses Haftungsprivileg gilt freilich nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH, der zu folgen ist, nicht, wenn die verletzte Amtspflicht – wie hier – auf einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht im Straßenverkehr beruht (BGHZ 75, 134, 138; BGH NJW 1981, 682). Dies folgt aus dem Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer und der Ähnlichkeit von Verkehrsund Verkehrssicherungspflichten (BGH aaO.). Die beklagte Gemeinde könnte also den Kläger nicht auf etwaige Ersatzansprüche des Klägers gegen seinen Sohn verweisen. Ob sich der Kläger ein etwaiges Mitverschulden seines Sohnes anspruchsmindernd anrechnen lassen muß, kann im vorliegenden Rechtsstreit dahinstehen, da eine Haftung der beklagten Gemeinde schon dem Grunde nach nicht in Betracht kommt.

II. Die Verkehrssicherungspflicht ist von der Beklagten nicht verletzt worden. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich danach, für welche Art von Verkehr ein Weg nach seinem äußeren Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist (BGH VersR 1989, 847, 848). Die Behörden müssen mit Rücksicht auf die vielfältigen Aufgaben der öffentlichen Hand nur diejenigen Maßnahmen ergreifen, die objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Deshalb haben die Behörden regelmäßig keine weiteren Pflichten, wenn die Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden können (std. Rspr., vgl. BGH NJW 1970, 1126; VersR 1979, 1055; 1980, 946, 947; OLG Hamm NJW-RR 1999, 753, 754). Grundsätzlich muß sich der Straßenbenutzer den Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (BGH VersR 1979, 1055; Brandenburgisches OLG, MDR 1998, 1161). Von dem Verkehrsteilnehmer wird dabei in schwierigen Verkehrslagen sogar eine gesteigerte Aufmerksamkeit erwartet, z.B. beim Befahren einer Umleitungsstrecke (BGH NJW 1960, 239), bei Fahrten im Dunkeln (BGH NJW 1966, 1456) und bei Fahrten auf winterlichen Straßen (BGH VersR 1966, 447). Bei dem Kraftfahrer werden zudem besondere Kenntnisse über typische Verkehrsgefahren vorausgesetzt, beispielsweise über die gesteigerte Rutschgefahr auf Blaubasaltpflaster, bei beginnendem Regen nach längerer Trockenheit oder über die schnellere Vereisung von Brücken oder Straßenstrecken mit veränderter Sonneneinwirkung (BGH NJW 1970, 1126 m.w.N.). In derartigen Fällen ist auch eine Warnung vor den Gefahren nicht geboten, weil der Kraftfahrer mit der erforderlichen Sorgfalt etwaige Schäden durch vorsichtiges Fahren abwenden kann.

1. Überträgt man diese Grundsätze auf den konkreten Fall, so wird man von der straßenverkehrssicherungspflichtigen Gemeinde nicht verlangen können, vor den Gefahren von Schlaglöchern auf der streitgegenständlichen Umleitungsstrecke zu warnen. Bei der Umleitungsstrecke handelte es sich um einen unbefestigten Baustellenabschnitt, bei dem die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h herabgesetzt war. Bei einem unbefestigten Straßenabschnitt muß jeder Verkehrsteilnehmer damit rechnen, daß sich durch Abnutzung der Straßenoberfläche Schlaglöcher bilden. Insofern muß er Geschwindigkeit und Fahrweise diesen für jeden Verkehrsteilnehmer erkennbaren Bedingungen anpassen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger die Umleitungsstrecke kannte und daher über den Zustand der Straße Bescheid wußte.

a) Allerdings hat das OLG Nürnberg in einem besonders gelagerten Fall von der verkehrssicherungspflichtigen Behörde verlangt, auf das Vorhandensein von Schlaglöchern durch ein Warnzeichen (Zeichen 101 der StVO mit zusätzlichem Hinweis auf Schlaglöcher) aufmerksam zu machen (NZV 1996, 149). In dem betreffenden Fall handelte es sich um ein 60 x 40 cm großes, 10 cm tiefes Schlagloch im Bereich einer Autobahnbaustelle. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug dort 60 km/h. Das OLG begründete die erforderlichen Warnhinweise damit, dass die betreffenden Fahrbahnschäden zum Unfallzeitpunkt wegen der dort herrschenden Dunkelheit nicht oder nur ganz schwer erkennbar waren. Mit erheblichen Vertiefungen auf der Fahrbahn einer Autobahn müsse kein Verkehrsteilnehmer rechnen. Mit dem vorliegenden Fall ist diese Entscheidung jedoch nicht vergleichbar. Auch das OLG Nürnberg geht davon aus, daß Gefahrenzeichen gemäß § 40 I 2 StVO nicht dort angebracht werden müssen, wo ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr selbst erkennen kann. Insoweit sind die Verhältnisse auf einer Autobahnbaustelle, die mit wesentlich höherer Geschwindigkeit befahren werden konnte und befestigt war, nicht mit den streitgegenständlichen Unfallverhältnissen zu vergleichen. Wer eine befestigte Straße benutzt, rechnet nicht ohne weiteres damit, daß diese Straße Schlaglöcher aufweist. Bei einer unbefestigten Fahrbahn ist hingegen das Auftreten von Schlaglöchern typisch und geradezu evident. Außerdem ereignete sich der streitgegenständliche Unfall bei Tage, und zwar in einem Bereich, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit deutlich niedriger lag und daher vom Staßenbenutzer wesentlich höhere Aufmerksamkeit und Vorsicht verlangte als im Fall des OLG Nürnberg.

b) Andere obergerichtliche Entscheidungen stützen die hier vertretene Rechtsauffassung. Nach einem Urteil des OLG Hamm vom 3. 7. 1998 muss sich ein durchschnittlich sorgfältiger Kraftfahrer, der eine Baustellenstrecke durchfährt, darauf einstellen, daß auf der Strecke möglicherweise durch die Bautätigkeit verursachte Gefahrenstellen vorhanden sein können (MDR 1999, 39). Es obliege ihm im eigenen Interesse, solche Strecken besonders aufmerksam und vorsichtig zu durchfahren. Sofern die einzelnen Gefahrenstellen (hier: erhöhte Bordsteine, geänderte Straßenführung) ohne weiteres erkennbar seien, bedürfe es insoweit keiner besonderen zusätzlichen Sicherungsvorkehrungen. In die gleiche Richtung geht das Urteil des OLG Bamberg vom 12.12.1978 (VersR 1979, 262): Danach kann der Verkehrsteilnehmer nicht erwarten, daß eine Straße schlechthin völlig gefahrlos und frei von allen Mängeln ist. Eine Sicherung und Warnung sei nur vor unvermuteten Gefahren nötig. Vor Besonderheiten einer Straße, die ein sorgfältiger Kraftfahrer mit einem beiläufigen Blick erfasse, brauche nicht gewarnt zu werden. Erkennbare Besonderheiten wie z.B. Sandstreuung auf einer aufgeweichten Teeroberfläche seien von den Verkehrsteilnehmer gegebenenfalls auch ohne Sicherung und Warnung hinzunehmen. Einen ähnlichen Standpunkt vertrat das OLG Köln in einem Urteil vom 25.03.1968 (VersR 1969, 619, 620): Danach müsse der Benutzer einer im Bau befindlichen und nur für den Baustellenverkehr zugelassenen Straße mit Gefahrenquellen rechnen, die typischerweise mit dem Bau einer Straße verbunden seien (hier: aus dem Straßenbett herausragender Kanalschacht mit Kanaldeckel). Daß auf unbefestigten Straßenabschnitten auch ohne Warnzeichen besondere Vorsicht angebracht ist, bestätigt schließlich der BGH in VersR 1989, 847, 848: Hier durfte sich der Fahrer eines LKW auch ohne Warnung nicht darauf verlassen, daß ein unbefestigtes Bankett das Gewicht eines für die befestigte Straße zugelassenen schweren LKW tragen würde.

2. Entgegen der Ansicht des Klägers ist nicht erheblich, daß der Fahrzeugführer lediglich mit 20 km/h den Unfallort befahren hat. Abgesehen davon, daß die schweren Schäden kaum zu erklären sind, wenn jemand mit einer so geringen Geschwindigkeit in ein Schlagloch gerät, muß sich der Kläger entgegenhalten lassen, daß ein vorsichtiger Kraftfahrzeugführer nicht nur langsam fährt, sondern sich darüber hinaus bemüht, Schlaglöchern auszuweichen. Daß das Schlagloch bei Tageslicht nicht erkennbar gewesen sein soll, wie der Kläger behauptet, ist gerade bei der von ihm angeblich eingehaltenen Geschwindigkeit von 20 km/h nicht nachvollziehbar.

Dahinstehen kann auch, ob die Stahlplatte, die nach den Angaben des Klägers am Vortag die Bodenunebenheit bedeckt haben soll, am Unfalltag an einer anderen Stelle gelegen hat. Beim Durchfahren eines Baustellenbereichs muß man immer damit rechnen, daß sich die Fahrbahnbeschaffenheit von Tag zu Tag ändert. Auf einer unbefestigten Straße können – wie jedermann weiß und wissen muß – Schlaglöcher jederzeit auftreten, etwa durch das Befahren mit schweren Fahrzeugen, nicht zuletzt solchen, die auf der Baustelle selbst eingesetzt werden.

III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 2 ZPO.

 

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