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Schmerzensgeld bei Beinaheunfall aufgrund psychischer Schäden?


Amtsgericht Köln

Az.: 268 C 218/99

Urteil vom 10.01.2000


Tenor

Das Amtsgericht Köln, Abt. 268, hat auf die mündliche Verhandlung vom 02.12.1999 für Recht erkannt:

1.Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner DM 1.050,– nebst 4% Zinsen seit dem 14.01.1999 zu zahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 36% die Klägerin, zu 64% die Beklagten als Gesamtschuldner.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin kann von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von DM 1.000,– verlangen. Anspruchsgrundlage sind §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, 3 PflVersG.

Am 5.10.98 gegen 16.10 Uhr kam es auf der Rather Straße in Köln – Porz – Gremberghoven zu einem Verkehrsunfall, der sich für die Klägerin mit dem PKW ihres Ehemannes als Beinaheunfall darstellte.

Die Klägerin befuhr damals mit dem PKW ihres Ehemannes die Rather Straße. Ihr folgte in gleicher Fahrtrichtung der Beklagte zu 1) mit einem Lastzug, einem Zugfahrzeug mit 26 t zulässigem Gesamtgewicht, sowie einem Anhänger mit 14 t zulässigem Gesamtgewicht. In Höhe einer links befindlichen Parkplatzzufahrt brachte die Klägerin ihren PKW zum Stehen, um nach vorbeifahren des Gegenverkehrs nach links in die Parkplatzzufahrt abzubiegen. Der Beklagte zu 1) bemerkte nicht rechtzeitig, daß der PKW dort zum Stehen kam. Ihm gelang es daher nicht, rechtzeitig seinen Lastzug hinter dem PKW anzuhalten. Um ein Auffahren auf den PKW der Klägerin zu vermeiden, zog er das Zugfahrzeug nach rechts über den Bordstein und geriet dabei gegen eine rechts befindliche Mauer. Zu einer Kollision mit dem von der Klägerin gefahrenen PKW kam es nicht.

Dieser Unfall, der sich aus Sicht der Klägerin als Beinaheunfall darstellte, ist von dem Beklagten zu 1) verschuldet worden. Ihm ist ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO anzulasten. Nach dieser Vorschrift muß der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, daß. auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird.

Selbst wenn also entsprechend der Darstellung der Beklagten die Klägerin ihren PKW überraschend und unnötig stark abgebremst haben sollte, hätte der Beklagte zu 1) in der Lage sein müssen, rechtzeitig hinter dem PKW zum Stehen zu kommen, nachdem ein rechts überholen wegen der Beengtheit der Rather Straße erkennbar nicht möglich war. Es hätte nicht dazu kommen dürfen, daß der Beklagte zu 1) gezwungen war, zu dem Ausweichmanöver, das zu einer Kollision mit einer Mauer führte.

Daß der Beklagte zu 1) diesen Sorgfaltspflichten nicht ausreichend gerecht geworden ist, zeigen letztlich schon seine Ausfühungen bei seiner Anhörung im Beweisaufnahmetermin vom 02.12.1999 auf den Anscheinsbeweis zu Lasten des Hintermannes abgestellt werden müsste.

Der Beklagte zu 1) hat sich zunächst so ausgedrückt, daß der PKW auf einmal da gestanden habe. Er habe nicht gewußt, was der PKW da gemacht habe. Er habe gebremst, aber bemerkt, daß er es nicht schaffe. Er sei nach rechts ausgewichen und dabei etwas ins Rutschen geraten.

Zu diesen Ausführungen ist zunächst einmal festzuhalten, daß der PKW der Klägerin aus physikalischen Gründen nicht abrupt zum Stehen kommen konnte. Die Klägerin benötigte einen bestimmten Bremsweg, der abhängig war von der Geschwindigkeit, der Stärke des Bremsmanövers und den Fahrbahnverhältnissen. Der PKW kann also nicht plötzlich zum Stehen gekommen sein.

Selbst wenn also die Klägerin nicht geblinkt haben sollte, hätte der Beklagte zu 1) in der Lage sein müssen, rechtzeitig zum Stehen zu kommen, wie aus § 4 Abs. 1 StVO folgt.

Im übrigen haben die Aussagen der von der Klägerin benannten Zeugen Herbert E. und T. auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Klägerin tatsächlich so überraschend und stark abgebremst hat, wie von den Beklagten behauptet.

Die Klägerin wollte den vorgenannten Parkplatz anfahren, um ihren Ehemann nach Dienstende abzuholen. Nach den glaubhaften Aussagen des Zeugen E. und der Klägerin selbst war die Klägerin ortskundig. Sie holte ihren Ehemann dort regelmäßig ab, wenn er einmal alle 4 Wochen Bereitschaftsdienst hatte. Von daher kann davon ausgegangen werden, daß der Klägerin bekannt war, wo sie abbiegen mußte. Sie hatte von daher keine Veranlassung, zu einem überraschenden starken Abbremsen ihres Fahrzeuges.

Angesichts der Zeugenaussagen, wegen deren Einzelheiten zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Sitzungsniederschrift vom 02.12.1999 Bezug genommen wird, ist daher auch ein Mitverschulden der Klägerin nicht bewiesen.

Soweit Einzelheiten des Verhaltens der Klägerin unklar geblieben sein mögen, geht das im Ergebnis nicht zu Lasten der Klägerin. Die Haftungsfrage ist nach Ansicht des Gerichts nicht nach § 9 Abs. 5 StVO zu beurteilen, sondern, wie ausgeführt, nach § 4 Abs. 1 StVO. Die Klägerin wollte zwar nach links in ein Grundstück abbiegen, doch hatte sie damit unstreitig nicht begonnen. Sie hatte auf ihrer Fahrspur angehalten, um entgegenkommenden Verkehr passieren zu lassen. Es kam daher nicht zu der Konstellation, wie sie meist bei Unfällen im Zusammenhang mit dem Abbiegen vorliegt, daß es zu einer Kollision zwischen einem abbiegenden und einem überholenden Fahrzeug kommt. Der Beklagte zu 1) war vielmehr in Gefahr, heckseitig aufzufahren, und mußte deshalb ausweichen. Es lag damit die typische Situation vor, die

Der Hintermann nach § 4 Abs.1 StVO vermeiden muß.

Dieser Unfall hat bei der Klägerin zu einem Gesundheitsschaden im Sinne des § 823 Abs.1 BGB geführt.

An dieser Stelle ist zunächst einmal festzustellen, daß die Beklagte sich nicht darauf berufen können, daß das Miterleben einer Beinahekollision zum allgemeinen Lebensrisiko gehöre und nicht einen ersatzfähigen Schmerzensgeldanspruch zur Folge habe.

Soweit es zu dieser Problematik Rechtsprechung gibt, betrifft das zumindest überwiegend Fälle, wo jemand Zeuge von Unfällen oder Beinaheunfällen anderer Verkehrsteilnehmer wird. Im vorliegenden Fall drohte jedoch die Klägerin selbst Opfer eines schwerwiegenden Verkehrsunfalles zu werden, den der Beklagte zu 1) nur mit Mühe vermeiden konnte. Insoweit war die Klägerin selbst unmittelbar Opfer des Fahrfehlers auf Seiten des Beklagten zu 1). Wenn es daher als Folge dieser vom Beklagten zu 1) verschuldeten Situation zu einem Gesundheitsschaden im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB gekommen ist, kann nach Ansicht des Gerichts kein Zweifel daran bestehen, daß die Beklagten deliktrechtlich dafür einzustehen haben.

Zu unmittelbaren körperlichen Gesundheitsschäden, insbesondere Körperverletzung, ist es bei der Klägerin allerdings nicht gekommen, da es tatsächlich nicht zu einer Kollision gekommen ist. Die Klägerin stützt ihre Klage demgemäß auf psychische Schäden, die in der Klageschrift im einzelnen vorgetragen werden und zur Folge hatten, daß die Klägerin letztlich bis 23.10.98 krankgeschrieben wurde. Ob diese Krankschreibung bis zum 23.10.98 allerdings allein Folge des Beinaheunfalles war oder ob auch der nach dem Vorfall vom 5.10.98 vorgekommene Insektenstich mit eine Rolle spielt, kann im vorliegenden Rechtsstreit nach Ansicht des Gerichts offenbleiben. Jedenfalls reichen die von den Parteien vorgelegten Arztberichte nach Ansicht des Gerichts aus, die vorgetragenen Beschwerden als bewiesen anzusehen. Zu einer Vernehmung der benannten Ärzte als Zeugen besteht nach Ansicht des Gerichts keine Notwendigkeit. Die Ärzte haben ihre Feststellungen in den vorgelegten Arztberichten ausführlich niedergelegt. Es ist dem Vortrag der Parteien nicht zu entnehmen, daß eine Vernehmung dieser Ärzte als Zeugen noch zu weiteren Erkenntnissen führen könnte.

Soweit die Klägerin noch Angehörige als Zeugen benannt hat, können von diesen letztlich objektivierbare Erkenntnisse nicht erwartet werden. Das ändert nichts daran, daß nach Einschätzung des Gerichts schon aufgrund dieser Arztberichte der Vortrag der Klägerin im wesentlichen als bewiesen erscheint. Nach dem Bericht des Arztes Dr. K. vom 29.12.98 kam die Klägerin am 6.10.98 in seine Praxis und gab an, daß sie sich durch den geschilderten Beinaheunfall so belastet fühle, daß sie sich außerstande sah, ihrer Berufstätigkeit nachzugehen. Beschwerden mit wirklichem Krankheitswert konnte dieser Arzt allerdings nach seiner Einschätzung offenbar nicht erkennen, so daß er die Klägerin vorsorglich nur bis 9.10.98 krank schrieb.

Die Klägerin suchte dann am 12.10.98 den Arzt Dr. auf, ihren Hausarzt. Dieser schildert die Situation in seinem Arztbericht so, daß die Klägerin völlig fertig gekommen sei und am ganzen Körper zittrig in die Sprechstunde gekommen sei. Sie habe angegeben, daß sie vor einer Woche beinahe schwer verunglückt sei. Ein Lastwagen sei von hinten angebraust gekommen. Dieser habe ihr Auto zwar nicht beschädigt, doch habe sie im Rückspiegel die Gefahr auf sich zukommen sehen.,

Aus diesem Arztbericht ist also zu entnehmen, daß die Klägerin mit einigermaßen schwerwiegenden psychischen Störungen in die Praxis des Arztes kam. Die Feststellungen dieses Arztes sind daher geeignet, den Vortrag der Klägerin über die Folgen des Beinaheunfalles zu bestätigen. Allerdings weist der Arzt in seinem Bericht auf den zwischenzeitlichen noch nicht abgeheilten Insektenstich mit Entzündungen hin. Der Arzt war sich daher nicht sicher, ob die Krankmeldung mehr durch psychische Folgen des Beinaheunfalles oder mehr durch die Handentzündung zu verlängern war.

Aufgrund der bewiesenen Umstände des Beinaheunfalles geht das Gericht jedoch davon aus, daß der Zustand der Klägerin jedenfalls ganz überwiegend durch den Beineheunfell verursacht worden ist. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, daß die Klägerin die Gefahr eines schwerwiegenden Verkehrsunfalles mit schwerwiegenden Folgen für sie auf sich zukommen sah, wenn sich hinter ihr ein großer Lastzug näherte, der offensichtlich nicht rechtzeitig zum Stehen kam. Wenn die Klägerin auf dieses Erlebnis mit anhaltenden psychischen Störungen reagierte, ist das für das Gericht ohne weiteres nachvollziehbar. Es ist nicht ersichtlich, daß ein Insektenstich ohne gravierende Folgen Veranlassung zur vergleichbaren Störungen hätte sein können.

Allerdings müssen psychische Schäden, wenn diese ein Schmerzensgeldbegehren begründen sollen, adäquate Folge einer Körperverletzung oder einer medizinisch diagnostizierbaren Gesundheitsbeschädigung darstellen. Davon kann jedoch nach Ansicht des Gerichts ausgegangen werden, wenn die psychischen Störungen zur Notwendigkeit ärztlicher Behandlung führen und Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben. Nach alledem sind daher nach Ansicht des Gerichts die Voraussetzungen für ein Schmerzensgeldbegehren gegeben. Was die Höhe des Schmerzensgeldes anbetrifft, erscheint unter Abwägung der von der Klägerin vorgetragenen Umstände ein Schmerzensgeld von DM 1.000,– als angemessen unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die gesundheitlichen Störungen zu einer Arbeitsunfähigkeit von max. knapp 3 Wochen geführt haben. Zusätzlich kann die Klägerin noch die geltend gemachte Unkostenpauschale von DM 50,– nach § 249 BGB in Anspruch nehmen. Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 284, 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 100 Abs. 4, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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