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Schöffe – Befangenheit bei Bekenntnis zu Selbstjustiz

BGH

Az: 2 StR 595/09

Urteil vom 28.04.2010


Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. April 2010 für Recht erkannt:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 26. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 5.000 € angeordnet. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

1.

Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO durch Mitwirkung eines abgelehnten Schöffen ist begründet.

a)

Dem in der Hauptverhandlung gestellten Befangenheitsantrag lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der abgelehnte Schöffe ist beruflich als gewerblicher Inkassounternehmer tätig. Ein von ihm wegen einer – wohl unstreitigen – Forderung von 1.700 Euro verfolgter Schuldner wird im Zivil- und Vollstreckungsverfahren von dem erstinstanzlich tätigen Verteidiger des hiesigen Verfahrens vertreten. Beide Verfahren haben keine Verbindung miteinander. Etwa einen Monat vor der Hauptverhandlung richtete der Schöffe unter seiner Firma „Inkasso T“ ein Schreiben an den Schuldner, welches folgenden Wortlaut hatte:

„Herr (…)! Auch dieses Schreiben wird Ihnen irgendwie am A… vorbeigehen. Vorab: Sie brauchen sich nicht wieder ‚hilfesuchend‘ an Ihren ‚Spannmann‘ in Aachen [gemeint: der Verteidiger des hiesigen Verfahrens] zu wenden. Was zu regeln gilt, werden wir in Belgien ‚unter Männern klären‘. 1.797,06 € stehen zur Zahlung an (…) Kooperation oder Konfrontation; Sie haben die ‚Wahl der Waffen‘. Ich erwarte binnen Wochenfrist die Zahlung (…).“

Mit seinem Befangenheitsantrag machte der Angeklagte geltend, in dem zitierten Schreiben komme eine feindselige Einstellung des Schöffen gegen den Verteidiger zum Ausdruck, der herabsetzend als „Spannmann“ bezeichnet werde. Der Schöffe neige zum Rechtsbruch und zu rabiaten Drohungen. Dies begründe die Besorgnis des Angeklagten, der Richter werde ihm nicht unbefangen gegenüberstehen und sein Amt nicht rechtstreu ausüben.

In seiner dienstlichen Stellungnahme zu dem Gesuch führte der Schöffe in der Sache (abschließend) aus, er kenne den Angeklagten weder persönlich noch vom Namen her; „ich kann Beruf und ehrenamtliche Richtertätigkeit trennen“.

Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 StPO als unbegründet zurückgewiesen, weil eine Verbindung der beiden Verfahren nicht bestehe und das Schreiben eine rechtsfeindliche Gesinnung des abgelehnten Richters nicht dokumentiere.

b)

Dies war rechtsfehlerhaft. Das Ehrenamt des Schöffen in Strafgerichten stellt an die rechtliche Gesinnung und die Rechtstreue des Schöffen hohe Anforderungen. Dem Schöffen kommen in seiner Eigenschaft als zur Entscheidung berufenen Richter grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten zu wie den Berufsrichtern; insbesondere hat seine Stimme bei der Abstimmung in Schuld- und Straffragen dasselbe Gewicht. Das Gesetz stellt daher an ehrenamtliche Richter dieselben Anforderungen der Unbefangenheit und Rechtstreue, wie sie für Berufsrichter gelten, und lässt konsequent die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter denselben Voraussetzungen wie bei jenen zu (§ 31 Abs. 1 StPO).

Vorliegend hat das Verhalten des Schöffen ohne Zweifel die Besorgnis der Befangenheit begründet. Dabei kam es nicht darauf an, dass zwischen dem von dem Schöffen betriebenen Zivilverfahren und dem vorliegenden Strafverfahren keine unmittelbare Verbindung bestand. Zu den Mindestanforderungen an die Rechtstreue und charakterliche Eignung eines Schöffen gehört es, dass er sich – namentlich in rechtlich geregelten Verfahren – dem Recht verpflichtet fühlt. Ein Schöffe, der sich offen zur Selbstjustiz und zur Durchsetzung von (angeblichen) Forderungen mittels rechtswidriger Drohungen oder Gewalt bekennt, begründet regelmäßig Zweifel an seiner Rechtstreue.

Vorliegend kam hinzu, dass eine immerhin mittelbare Verbindung beider Verfahren über die Person des Verteidigers bestand. Dass der Schöffe diesen möglicherweise gar nicht persönlich kannte, ist unerheblich. Denn Wortlaut und Tonfall des Schreibens an den Schuldner ergeben unzweifelhaft, dass der Schöffe der Tätigkeit des – abschätzig als „Spannmann“ titulierten – Prozessvertreters des Schuldners von vornherein geringschätzig und abwertend gegenüberstand.

Das Schreiben enthielt nach seinem Wortlaut eine kaum verhüllte Drohung mit gewaltsamer Selbstjustiz („unter Männern regeln“) und stellte daher jedenfalls nach dem ersten Anschein eine rechtswidrige Drohung im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB dar. Selbst wenn im Inkassogewerbe ein grundsätzlich „rauer Ton“ herrschen sollte, ging die unflätige, beleidigende und drohende Fassung des Schreibens über die Grenzen des Tolerierbaren weit hinaus. Besonderes Gewicht kommt daher hier dem Umstand zu, dass der abgelehnte Schöffe selbst in seiner dienstlichen Äußerung hiervon nicht abrückte oder einen Erklärungsversuch unternahm, sondern nur lapidar mitteilte, er könne Beruf und Richteramt trennen. Sein rechtsfeindliches Verhalten zur Rechtsdurchsetzung und eine dies tragende Gesinnung bestätigte er damit gerade.

Unter diesen Umständen konnte aus Sicht des Angeklagten der nahe liegende Zweifel bestehen, der abgelehnte Schöffe werde auch seiner Sache nicht mit der erforderlichen Unparteilichkeit und Rechtstreue gegenüberstehen.

2.

Auf die Sachrüge kommt es daher nicht mehr an. Insoweit bemerkt der Senat ergänzend Folgendes:

a)

Nach den Feststellungen des Landgerichts beteiligte sich der Angeklagte als Mittäter – in verschiedenen Formen und jeweiligen personellen Zusammensetzungen der Beteiligten – in elf Fällen zwischen September 2004 und Frühjahr 2006 am Anbau von Cannabispflanzen, die zum gewinnbringenden Handel bestimmt waren. In den Fällen 7 und 9 der Urteilsgründe wurden im Rahmen von Durchsuchungen Anpflanzungen in unterschiedlichen Wachstumsstadien vorgefunden und sichergestellt; hierbei ergab sich im Fall 7 ein THC-Gehalt von 1,12 %, im Fall 9 ein solcher von 8,76 % in den (nicht ausgewachsenen) Pflanzen. In den Fällen, in denen konkrete Feststellungen zur Menge des Wirkstoffs in den geernteten und vertriebenen Pflanzen und zur Höhe des Verkaufserlöses nicht getroffen werden konnten, hat das Landgericht seinen Berechnungen die Annahme einer „erfahrungsgemäß erzielbaren Mindestmenge von 25 Gramm verkaufsfertigem Marihuana pro Pflanze und durchschnittlicher Qualität im Bereich von 10 % Wirkstoffanteil“ zugrunde gelegt (UA S. 8). Die Feststellungen zu den erzielten Verkaufserlösen beruhen teilweise auf Angaben des Angeklagten (Fall 11), teilweise auf Berechnungen des Tatrichters auf der Grundlage der genannten Mengenschätzung bei Annahme eines Verkaufspreises von 2.500 bis 3.000 € pro Kilogramm Marihuana.

b)

Die Annahme des Landgerichts, es bestehe ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass von einem Ertrag von jedenfalls 25 Gramm verkaufsfähigem Marihuana pro ausgewachsener erntereifer Cannabispflanze auszugehen sei, ist bisher nicht hinreichend belegt. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls näher darzulegen haben, aus welchen Untersuchungen oder Erkenntnissen ein solcher Erfahrungssatz abgeleitet werden kann.

c)

In den Fällen 1 und 10 der Urteilsgründe hat das Landgericht auf der Grundlage von Angaben des Angeklagten einen Anteil am Verkaufserlös festgestellt, der mit den Schätzungs-Grundlagen des Landgerichts (25 Gramm pro Pflanze, 10 % Wirkstoffanteil, 2.500 Euro Verkaufspreis pro Kilogramm) nicht vereinbar ist.

Der neue Tatrichter wird daher gegebenenfalls auch die Berechnungen von Ertrag, Wirkstoffmenge und Erlös sorgfältiger vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen haben.

3.

Der neue Tatrichter wird schließlich auch Gelegenheit haben, dem von der Revision gerügten Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Einzelnen nachzugehen, eine der Justiz anzulastende Verzögerung gegebenenfalls festzustellen und über eine angemessene Kompensation zu entscheiden.

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