Bundesgerichtshof
Az: XII ZR 148/05
Urteil vom 05.12.2007
Leitsatz:
Wird ein Schriftstück erst am 31. Dezember nachmittags in den Briefkasten eines Bürobetriebes geworfen, in dem branchenüblich Silvester nachmittags – auch wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt – nicht mehr gearbeitet wird, so geht es erst am nächsten Werktag zu.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2007 für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11. August 2005 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Klägerin die Erklärung der Beklagten auf Verlängerung des zwischen ihnen bestehenden Mietvertrages rechtzeitig zugegangen ist.
Mit Vertrag vom 22. Juni 1999 mietete die Beklagte, die damals noch als I. GmbH firmierte, von der Klägerin eine Lagerhalle in K. zum monatlichen Mietzins von 200 DM (= 102,26 EUR) fest bis zum 30. Juni 2004. In § 2 des Mietvertrages war dem Mieter u.a. das Recht eingeräumt, spätestens sechs Monate vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit die Verlängerung des Mietverhältnisses um fünf Jahre zu verlangen.
Die Beklagte hat ihr Optionsrecht auf Verlängerung des Mietvertrages mit Schreiben vom 31. Dezember 2003 ausgeübt. Dieses Schriftstück hat ein Bote am 31. Dezember 2003 um 15.50 Uhr in den Briefkasten der Verwaltungsgesellschaft geworfen, von der die Klägerin vertreten wurde. Die Klägerin kündigte mit Schreiben vom 7. Januar 2004 das Mietverhältnis fristlos. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der Lagerhalle verurteilt. Das Schreiben vom 31. Dezember 2003 sei der Klägerin erst am 2. Januar 2004, und somit zu spät, zugegangen. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat es wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, die Erklärung der Beklagten vom 31. Dezember 2003 sei der Klägerin nicht rechtzeitig zugegangen. Eine Willenserklärung unter Abwesenden sei nach § 130 BGB dann zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehörten auch die von ihm zur Entgegennahme von Erklärungen bereitgestellten Einrichtungen wie Briefkästen. Vollendet sei der Zugang aber erst, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten sei. Nach diesen Grundsätzen habe die Beklagte nicht erwarten können, dass in einem Betrieb wie dem vorliegenden, einer Maklerfirma, die sich ausweislich ihres Schreibens vom 12. März 2002 auch mit Hausverwaltungen beschäftige, am Silvestertag, auch wenn es ein Mittwoch sei, gegen 15.50 Uhr noch zur Entgegennahme von Erklärungen bereite Personen anwesend seien. Dies habe zur Folge, dass die Erklärung der Beklagten vom 31. Dezember 2003 erst am folgenden Werktag als zugegangen behandelt werden könne, so dass die Optionsausübung verspätet sei. Diesem Ergebnis stehe § 193 BGB nicht entgegen. Denn der 31. Dezember sei kein gesetzlicher Feiertag, auch wenn an ihm üblicherweise nicht oder nur teilweise gearbeitet werde.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
1. Zutreffend und von der Revision unbeanstandet geht das Berufungsgericht davon aus, dass das Schreiben der Beklagten vom 31. Dezember 2003 nur dann die Verlängerung des Mietvertrages bewirken konnte, wenn es spätestens an diesem Tag der die Klägerin vertretenden Hausverwaltungsfirma zugegangen sein sollte.
2. Nach Meinung der Revision ist dies der Fall. Eine Willenserklärung sei zugegangen, wenn der sie enthaltende Brief während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen des Empfängers abgegeben oder in den Briefkasten des Empfängers eingeworfen worden sei. Sei das Büro zu Geschäftszeiten nicht besetzt oder, werde der Briefkasten zur Geschäftszeit nicht geleert, so werde der Zugang durch solche – allein in der Person des Empfängers liegende – Gründe nicht ausgeschlossen. Die Frage, ob in einem Hausverwalterbüro mit nachmittäglicher Briefkastenleerung gerechnet werden könne oder nicht, könne dahinstehen. Die Hausverwalterfirma, die die Klägerin vertrete, habe nämlich auf ihren auch der Beklagten gegenüber verwendeten Briefbögen selbst ihre Geschäftszeiten angegeben, indem sie als Sprechzeiten u. a. Montag bis Donnerstag von 14.00 bis 17.00 Uhr genannt habe. Da der 31. Dezember 2003 ein Mittwoch gewesen sei, habe die Sprechzeit der Beklagten um 17.00 Uhr geendet, so dass sich die Geschäftszeit jedenfalls auch bis 17.00 Uhr erstreckte, weshalb um 15.50 Uhr mit einer Briefkastenleerung noch am selben Tag zu rechnen gewesen sei.
Dem ist jedoch in wesentlichen Punkten nicht zu folgen. Vielmehr kommt es darauf an, ob im Zeitpunkt des Einwurfs des Briefes in den Briefkasten nach der Verkehrsanschauung, ohne Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Empfängers, noch mit einer Leerung am selben Tag zu rechnen war (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – NJW 2004, 1320, 1321). Dies war jedoch nicht der Fall. Dabei kann dahinstehen, ob im geschäftlichen Verkehr ein Brief, der während der Geschäftszeiten in den Briefkasten geworfen wird, in jedem Fall zugegangen ist, weil die Post AG und andere Dienstleister zwischenzeitlich Briefe nicht nur vormittags zustellen, oder ob eine entsprechende Verkehrsanschauung nicht besteht (vgl. zu den unterschiedlichen Meinungen Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 130 Rdn. 6 und Reichold in Juris PK-BGB, 3. Aufl. Rdn. 12.1). Denn der Zugang einer Willenserklärung erfolgt jedenfalls nicht mehr am selben Tag, wenn er nach Schluss der Geschäftszeiten in den Briefkasten eines Betriebs eingeworfen wird. In diesem Fall kann mit einer Leerung des Briefkastens am selben Tag nicht gerechnet werden. So aber liegt der Fall hier. Wie das Landgericht von der Revision unangegriffen festgestellt hat, wird in einem Bürobetrieb, wie dem streitgegenständlichen, Silvester nachmittags nicht gearbeitet, so dass kurz vor 16.00 Uhr mit einer Briefkastenleerung am selben Tag nicht mehr zu rechnen ist. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die streitgegenständliche Verwaltungsgesellschaft auf ihren Geschäftsbriefen, wie im Schreiben vom 12. März 2002 an die Beklagte, angibt, an Werktagen außer freitags von 14.00 bis 17.00 Uhr Sprechzeiten abzuhalten. Dieses Schreiben, das im Gegensatz zur Meinung der Revisionserwiderung auch im Revisionsverfahren verwertet werden kann, da das Berufungsgericht auf es Bezug nimmt, schafft beim Empfänger kein Vertrauen darauf, dass in der genannten Firma entgegen der allgemeinen Übung am Nachmittag des 31. Dezember gearbeitet werde.