AG Bonn – Az.: 113 C 232/20 – Urteil vom 30.03.2021
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Kläger klagen auf Erstattung einer Anzahlung für einen Schüleraustausch.
Am 02.02.2020 meldeten sie ihren Sohn K C für einen Schüleraufenthalt in Kanada/British Columbia an. Ihr Sohn sollte von August/September 2020 bis Juni/Juli 2021 in Kanada bleiben.
Die Kläger zahlten am 26.02.2020 eine Anzahlung von 1.980,00 EUR, die unstreitig 10 % des gesamten Preises entspricht.
Der Beklagte hat seine Teilnahmebedingungen vorgelegt. In Ziffer 5.1 sind Pauschalen bei Rücktritt der Teilnehmenden geregelt, Blatt 37 der Akte.
Das RKI erwähnte Kanada in seinem täglichen Lagebericht zur Coronavirus-Erkrankung nicht, Blatt 96 der Akte. Am 17.03.2020 warnte I N vor allen touristischen Reisen in das Ausland, Blatt 83 der Akte. Diese Warnung wurde am 20.03.2020 bis Ende April befristet.
Kanada sprach am 18.03.2020 einen Einreisestopp aus. Ausgenommen waren unter anderem Studierende, die ein bis zum 18.03.2020 ausgestelltes Visum besaßen. Der Einreisestopp war bis 30.06.2020 befristet. In British Columbia gab es bis zum 19.03.2020 271 Corona-Fälle und acht Tote. Am 05.03.2020 wurde die erste Übertragung der Krankheit innerhalb British Columbia bestätigt.
Der Beklagte platzierte …..und bestätigte den Klägern die Schule, die er besuchen sollte.
Im Juni sollte ein Vorbereitungsseminar stattfinden. Der Beklagte verlegte es und hielt es als digitales Seminar ab. Am 30.03.2020 traten die Kläger wegen Corona und Reisewarnungen von dem Vertrag zurück. Der Rücktritt liegt nicht vor.
Ihre Prozessbevollmächtigte forderte mit Schreiben vom 17.04.2020 die Anzahlung bis zum 04.05.2020 zurück, Blatt 8 f. der Akte.
Die Kläger sind der Ansicht, sie seien gemäß § 651 h Abs. 1, 3 BGB vom Vertrag zurückgetreten.
Die Pandemie stelle einen unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstand dar. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung reiche aus. Es sei schon klar gewesen, dass der Austausch unmöglich sein werde.
Sie verweisen darauf, dass sie später hätten zurücktreten können, da die Reisewarnung nie aufgehoben worden sei – wobei Letzteres unstreitig ist.
Nach Auffassung der Kläger steht dem Beklagten im Hinblick auf § 651 u Abs. 3 BGB keine Entschädigung zu. Die Kläger verweisen hierzu auf die vorbereitende Veranstaltung.
Der einbehaltene Betrag sei überhöht. Angemessen seien nur 150,00 EUR. Der Beklagte habe sie lediglich beraten, ihnen Unterlagen übersandt und die ausgefüllten Unterlagen wie auch weitere Dokumente an die kanadischen Partnerorganisationen weitergeleitet.
Anwaltskosten halten die Kläger für ersatzfähig und berufen sich auf § 651 h Abs. 5 BGB.
Sie beantragen, den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.980,00 EUR nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszins seit dem 05.05.2020 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten von 309,40 EUR nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Hilfsweise beantragen sie, den Beklagten zu verurteilen,
1. ihnen Auskunft über den Rücktrittsschaden zu erteilen und zwar darüber,
a) welche vertraglich vereinbarten Zahlungen er bei Durchführung des mit den Klägern am 02.02.2020 geschlossenen Reisevertrages an die Leistungsträger bezahlen musste,
b) welche Werte die ersparten Aufwendungen infolge des am 30.03.2020 erklärten Rücktritts vom Reisevertrag besitzen,
c) welche Erlöse er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistung gemäß Reisevertrag vom 02.02.2020 erzielen konnte;
2. die Auskunft durch Vorlage der Rechnungen der Leistungsträger für die Reiseleistungen und Abrechnungen der Leistungsträger nach der Rücktrittserklärung zu erbringen;
3. hilfsweise für den Fall, dass die Auskunft gemäß Ziffer 1 nicht unter Vorlage der Verträge zwischen dem Beklagten und der Leistungsträger erfolgt, den Geschäftsführer zu verurteilen, die Richtigkeit und Vollständigkeit der unter Ziffer 1 und 2 genannten Auskünfte an Eides statt zu versichern.
Der Beklagte, dem die Klage am 09.10.2020 zugestellt worden ist, beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, im Zeitpunkt des Rücktritts seien keine unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstände zu erwarten gewesen.
Corona stelle nicht immer einen solchen Umstand dar.
Ende März 2020 habe – was unstreitig ist- keine Reisewarnung bis August/September des Jahres bestanden. Die Kläger hätten nicht dargetan, dass Kanada im März besonders stark betroffen – vergleichbar wie zum Beispiel Italien – gewesen sei. Eine fundierte Prognose über die weitere Entwicklung sei Ende März nicht möglich gewesen.
§ 651 u Abs. 3 BGB greift nach Auffassung des Beklagten nicht ein.
Er behauptet, seine Leistungen erbringe er nahezu vollständig, bevor die Schülerinnen und Schüler abreisten. Während des laufenden Programms entstehe bei ihm geringer Aufwand. Nach Rückkehr der Teilnehmenden halte er lediglich ein Nachbereitungsseminar ab.
Der Beklagte hat zu den konkreten Tätigkeiten in diesem Vertragsverhältnis vorgetragen, Blatt 81 der Akte.
Auch seine Partnerorganisationen erbrächten ihre Leistungen überwiegend vor Platzierung, wobei die Wahl der Gastfamilie am aufwendigsten sei. Nach der Anreise sei der Aufwand geringer und gehe zurück, siehe Blatt 81 der Akte.
Die übrigen Kosten verteilten sich auf die Versicherung, dass Nachbereitungsseminar, Auslagen, Werbemittel sowie seine Verwaltungskosten, die durch den Wegfall eines Teilnehmers nicht geringer geworden seien. Seine Personalkosten seien ebenfalls nicht beeinflusst worden.
Bis auf anteilige Versicherungstage und die Durchführung des Nachbereitungsseminars habe er im konkreten Fall nichts erspart. Ihn seien sogar höhere Kosten durch das Vorbereitungsseminar und umfangreichere Betreuungsleistungen vor Ort entstanden.
Die Kläger sind dem gesamten Vortrag des Beklagten nicht mehr entgegen getreten.
Anwaltskosten hält der Beklagte nicht für ersatzfähig, da es an einer Anspruchsgrundlage fehle.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verweist das Gericht auf den Akteninhalt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Den Klägern steht kein Anspruch auf Rückerstattung der Anzahlung aus §§ 812 Abs. 1 S.1, 651 h Abs. 3 BGB gegen den Beklagten zu.
§ 651 u Abs. 3 BGB greift nicht ein, denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
Es steht schon nicht fest, dass der Beklagte den Sohn der Kläger nicht ausreichend auf den Auslandsaufenthalt vorbereitet hätte. Das Präsenzseminar hat er nicht ersatzlos abgesagt, sondern verlegt und als digitale Veranstaltung durchgeführt.
Die weiteren Tatbestandsmerkmale des § 651 u liegen schon deshalb nicht vor, weil die Kläger länger als zwei Wochen vor Programmbeginn zurückgetreten sind.
§ 651 h Abs. 3 BGB würde nur gelten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände zu erwarten gewesen wären, die die Durchführung des Programms erheblich beeinträchtigt hätten.
Die Kläger haben nicht schlüssig vorgetragen, dass dies der Fall gewesen wäre.
Ein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand liegt vor, wenn er bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war, von außen kommt, nicht kontrollierbar ist und sich bei zumutbaren Vorkehrungen nicht vermeiden lässt (Palandt/Straub, BGB, 79. Auflage 2020, § 651 h Randziffer 11).
Unstreitig kann die Corona-Pandemie einen solchen Umstand darstellen. Dies ist jedoch nicht pauschal anzunehmen, sondern eine Frage des Einzelfalles.
Es kommt auf eine Ex-ante-Beurteilung im Zeitpunkt des Rücktritts an, das heißt es ist darzulegen, dass die Reise durch die Pandemie voraussichtlich erheblich beeinträchtigt sein wird (AG Frankfurt, Urteil vom 11.08.2020, 32 C 2136/20(18); AG Köln, Urteil vom 14.09.2020, 133 C 213/20; AG München, Urteil vom 27.10.2020, 159 C 13380/20). Zum Teil wird in Anlehnung an die sogenannte Hurricane-Entscheidung des BGH (Urteil vom 15.10.2002, X ZR 147/01) eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent während der Reise als ausreichend angesehen (AG München, Urteil vom 08.12.2020, 283 C 4769/20).
Aus dem Vortrag der Kläger lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen voraussichtlich erfüllt gewesen wären.
Kanada gehörte bis Ende März 2020 nicht zu den besonders schwer betroffenen Gebieten wie zum Beispiel China und Italien. Wie sich die Pandemie weiter entwickeln würde, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand sagen.
Es war nicht absehbar, dass der Schüleraustausch nicht stattfinden oder erheblich beeinträchtigt sein würde.
Die Kläger traten Ende März zurück. Ihr Sohn sollte frühestens fünf Monate später abreisen. Erfahrungsgemäß flauen Atemwegserkrankungen, zu denen auch die ebenfalls sehr gefährliche Influenza gehört, im Sommer stark ab. Es bestand die Möglichkeit, dass das noch unbekannte Corona- Virus sich ebenso verhalten würde.
Wie sich die Infektionszahlen im darauffolgenden Winter entwickeln würden, war für niemanden vorhersehbar.
Zutreffend ist, dass es im März noch keine Warnung vor einer sogenannten zweiten Welle gab.
Die Kläger hätten außerdem dartun müssen, dass am Zielort ein deutlich höheres Erkrankungsrisiko als an ihrem Wohnort zu erwarten war (siehe dazu AG Köln, am angegebenen Ort; AG Stuttgart, Urteil vom 13.10.2020, 3 C 2559/20). Hierzu haben sie nichts vorgetragen. Es fehlt jeder Vergleich zwischen der zu erwartenden Entwicklung in Deutschland und Kanada bzw. British Columbia.
Der Einwand der Kläger, wegen der fortbestehenden Reisewarnung hätten sie bei einem späteren Rücktritt einen Anspruch auf Erstattung des vollen Preises gehabt, ist unerheblich.
Das Gericht folgt der Auffassung, nach der die spätere Entwicklung keine Rolle spielen kann (AG Frankfurt, am angegebenem Ort; AG Köln, am angegebenem Ort; AG München, Urteil vom 27.10.2020, 159 C 13380/20). Anderenfalls könnten Reisende und Gastschuleltern darauf spekulieren, dass die Pandemie bis zum Reiseantritt in unveränderter Stärke besteht und höhere Stornokosten vermeiden, indem sie möglichst früh vom Vertrag zurücktreten. Dies würde zu einer unangemessenen Risikoverlagerung auf die Reiseveranstaltenden führen (andere Ansicht AG Stuttgart, Urteil vom 23.10.2020, 3 C 2852/20 – Rücktritt drei Tage vor Reiseanbruch und spätere Absage der Reise).
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Rückerstattung eines Teils ihrer Anzahlung. Das Gericht vermag nicht festzustellen, dass die Pauschale von 10 Prozent, die geringer ist als die nach Ziffer 5.1 der Teilnahmebedingungen, überhöht ist.
Der Beklagte hat detailliert dazu vorgetragen, wie sich die Kosten des Aufenthalts normalerweise verteilen. Danach erbringt er seine Leistungen im Wesentlichen vor Beginn des Programms. Er hat die Leistungen, die die Kläger in Anspruch genommen haben, im Einzelnen aufgeführt. Auch bei seinen Partnerorganisationen vor Ort, für deren Dienste er zahlt, entstehen die meisten Aufwendungen schon, bevor die Schülerinnen und Schüler ankommen.
Die Verwaltungskosten des Beklagten haben sich durch den Wegfall eines Schülers nicht verändert.
Die konkret ersparten Aufwendungen sind gering.
Der gesamte Vortrag des Beklagten zu diesen Fragen ist unstreitig.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Unangemessenheit trifft nach dem Vertrag die Kläger.
Weil keine Hauptforderung besteht, sind vorgerichtliche Anwaltskosten nicht ersatzfähig.
Die Hilfsanträge der Kläger sind ebenfalls unbegründet.
Sie haben keinen Anspruch auf Auskunft gegen den Beklagten, obwohl die Frage, welcher Schaden dem Beklagten konkret entstanden ist, dessen Sphäre zuzurechnen ist. Die klägerischen Hilfsanträge kehren jedoch die Beweislast um, die die Parteien im Vertrag wirksam vereinbart haben.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Ziff.11, 711 ZPO.
Streitwert: Im Hinblick auf die Hilfsanträge bis 3.000,00 EUR.