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Schuhwerk – Autofahren ohne Schuhwerk eine Ordnungswidrigkeit?

OLG Bamberg

Az: 2 Ss OWi 577/06

Beschluss vom 15.11.2006


Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Bamberg erlässt in dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit am 15. November 2006 folgenden

B e s c h l u s s :

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bayreuth – Zweigstelle Pegnitz – vom 23. Januar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgerichts Bayreuth – Zweigstelle Pegnitz – zurückverwiesen.

G r ü n d e :

I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 23.01.2006 wegen einer „Verkehrsordnungswidrigkeit des Führens eines Fahrzeugs, obwohl die Besetzung nicht vorschriftsmäßig war, wodurch die Verkehrssicherheit wesentlich litt“, zu einer Geldbuße in Höhe von 50,00 EUR.

Zum Sachverhalt enthält das Urteil folgende Feststellungen:

„Der Betroffene befuhr am 20.09.2005 um 17.35 Uhr mit einem Lkw mit Anhänger die Bundesautobahn A9 im Bereich von P. in nördlicher Fahrtrichtung. Zum Zeitpunkt der Fahrt hatte der Betroffene kein Schuhwerk angezogen. Er fuhr mit Socken.“

Zur rechtlichen Würdigung wird wie folgt ausgeführt:

„Durch sein Verhalten hat der Betroffene eine vorsätzliche Ordnungswidrigkeit nach §§ 23 Abs. 1, 49 StVZO i.V.m. § 24 StVG begangen. Zum sicheren Führen eines Fahrzeugs, insbesondere eines Lkw´s mit Anhänger, gehört der Umstand, dass ein Betroffener jederzeit mit den vorhandenen Pedalen entsprechend reagieren kann, ohne dass die Gefahr des Abrutschens besteht. Dies ist nur gewährleistet bei festem Schuhwerk. Beim bloßen Tragen von Socken, insbesondere dann, wenn ein Betroffener noch an den Folgen einer Verletzung leidet, ist nicht geeignet, eine sichere Bedienung der Pedale zu gewährleisten, vgl. auch § 44 Abs. 2 UVV ‚Fahrzeuge’“.

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die mit Beschluss des Einzelrichters vom 15.11.2006 gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr.1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassene Rechtsbeschwerde ist begründet. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen nicht. Das bloße Fahren ohne geeignetes Schuhwerk ist – jedenfalls bei einer nicht dem Anwendungsbereich des § 209 SGB VII unterfallenden Fahrt – weder nach § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO (das Amtsgericht führt fälschlicherweise §§ 23, 49 StVZO an) noch nach anderweitigen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts mit Bußgeld sanktioniert.

a) Dem Amtsgericht ist allerdings insoweit beizupflichten, als es mit den Pflichten eines sorgfältigen Kraftfahrzeugführers unvereinbar ist, ein Kraftfahrzeug ohne (oder mit hierfür ungeeignetem) Schuhwerk zu führen. Da wesentliche Fahrzeugfunktionen über Pedale mit Fußkontakt gesteuert werden, kann das Fahren ohne (oder mit ungeeignetem) Schuhwerk infolge einer dadurch bedingten Fehlbedienung der Pedale oder eines Abrutschens von den Pedalen mit erheblichen Risiken verbunden sein. Wird dadurch ein von der Rechtsordnung missbilligter Erfolg herbeigeführt, insbesondere ein Dritter geschädigt, gefährdet oder auch nur belästigt im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO, kann der Fahrzeugführer – über die zivilrechtliche Haftung für einen dadurch verursachten Schaden hinaus (vgl. BGH VM 57,32) – auch strafrechtlich oder bußgeldrechtlich verantwortlich sein.

Ein solcher „Erfolg“ ist nach den getroffenen Feststellungen jedoch nicht eingetreten. Der Betroffene könnte deshalb nur dann bußgeldrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sein Verhalten über die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 1 Abs. 1 StVO hinaus auch gegen eine bußgeldbewehrte Verhaltensvorschrift verstoßen hätte. Dies ist jedoch nach den bisherigen Feststellungen nicht der Fall.

b) Die insoweit maßgeblichen verkehrsrechtlichen Regelungswerke (StVG, StVO, StVZO, FeV) enthalten keine (ausdrückliche) Bestimmung, die dem Fahrzeugführer das Tragen bestimmten Schuhwerks vorschreiben oder verbieten.

(1) Das Amtsgericht stützt die Verurteilung des Betroffenen auf § 23 Abs. 1 StVO, ohne zwischen Satz 1 und Satz 2 dieser Vorschrift zu differenzieren, wobei ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1 Satz 1 StVO von vornherein nicht in Betracht kommt, da eine Beeinträchtigung der Sicht oder des Gehörs des Fahrzeugführers nicht in Rede steht. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO muss der Fahrzeugführer dafür sorgen, dass die Ladung und die Besetzung des Fahrzeugs vorschriftsmäßig sind und die Verkehrssicherheit durch Ladung und/oder Besetzung nicht beeinträchtigt wird. Nachdem die Ausrüstung des Fahrzeugs und die Kleidung des Fahrers schon begrifflich nicht zur Ladung gehören (Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 22 StVO Rn. 2), rechnet das Amtsgericht, ohne dies auszuführen, den Betroffenen als Fahrer offensichtlich zur Fahrzeugbesetzung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Soweit § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO dem Fahrzeugführer die Verantwortlichkeit für die Besetzung des Fahrzeugs auferlegt, können damit nur die Personen gemeint sein, die sich neben dem Fahrer noch im Fahrzeug befinden (BayObLG DAR 79, 45; Hentschel Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 23 StVO Rn. 22). Dies ist u.a. auch § 31 Abs. 2 StVZO zu entnehmen, der für den Fahrzeughalter eindeutig zwischen seiner Verantwortung für die Eignung des Fahrzeugführers einerseits und die (Ladung und) Besetzung andererseits differenziert, den Fahrer somit nicht als Teil der Besetzung ansieht. Dementsprechend wird im Rahmen des § 23 Abs. 1 StVO die Besetzung insbesondere in den Fällen als nicht vorschriftsmäßig angesehen, in denen sie den Bestimmungen des § 21 StVO nicht entspricht und dadurch die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird (vgl. Hentschel aaO § 23 StVO Rn. 22; Janiszewski/Jagow/Burmann aaO § 23 StVO Rn. 16). § 21 StVO wiederum regelt die Sorgfaltspflichten des Fahrers bei der Mitnahme anderer Personen.

Der Fall, dass durch eigenes Verhalten des Fahrers, das sich nicht auf die Ladung oder Besetzung des von ihm geführten Fahrzeugs bezieht, die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird, wie hier durch das Führen eines Lkw ohne geeignetes Schuhwerk, wird von § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO nicht umfasst.

(2) Auch §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 75 Nr. 1 FeV tragen die Verurteilung des Betroffenen nicht. § 2 Abs. 1 Satz 1 FeV bezieht sich nur auf solche Fälle, in denen ein körperlicher (oder hier nicht in Betracht kommender geistiger) Mangel zur Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit beim Führen eines Kraftfahrzeugs führen kann. Fehlendes oder ungeeignetes Schuhwerk stellt schon begrifflich keinen körperlichen Mangel dar. Es kann auch nicht mit dem ggf. im Rahmen des § 2 Abs.1 FeV beachtlichen Tragen eines Gipsverbandes (BayObLG Beschluss vom 30.04.1986, Az. 2 ObOWi 444/86 r+s 1986, 270; vgl. hierzu auch Pluisch NZV 95, 173; Rothardt-Habel DAR 93, 275 jew. m.w.N.) verglichen werden, da durch diesen – zumindest vorübergehend vorhandene – körperliche Mängel kompensiert werden sollen, auch wenn in technischer Hinsicht das Führen eines Kraftfahrzeugs mit Gipsverband und mit ungeeignetem Schuhwerk in vergleichbarer Weise geeignet erscheinen, die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen. Die beiläufige Feststellung des Amtsgerichts, der Betroffene habe noch an den Folgen einer Sprunggelenksverletzung gelitten, ist für die Annahme eines körperlichen Mangels i.S.d. § 2 Abs.1 Satz 1 FeV nicht ausreichend.

(3) Schließlich kommt auch eine Verurteilung nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 SGB VII i.V.m. §§ 44 Abs. 2, 58 und 32 der Unfallverhütungsvorschriften „Fahrzeuge“ (BGV D29) derzeit nicht in Betracht. Zwar heißt es in § 44 Abs. 2 BGV D29: „Der Fahrzeugführer muss zum sicheren Führen des Fahrzeugs den Fuß umschließendes Schuhwerk tragen.“ Als Unfallverhütungsvorschrift kann § 44 Abs. 2 BGV D29 aber nur im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses nach dem SGB VII Geltung beanspruchen (soweit der gesetzliche Unfallversicherungsschutz reicht; vgl. Lauterbach/Fröde UV-SGB VII 4. Aufl. § 15 Rn. 47). Dementsprechend richtet sich der Bußgeldtatbestand des § 58 BGV D29 im hier maßgeblichen Regelungsbereich über die Verweisung auf § 32 BGV D29 nur an Unternehmer und Versicherte als Normadressaten (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht SGB VII § 15 Rn. 7, § 209 Rn. 6). Das angefochtene Urteil enthält jedoch keine ausreichenden Feststellungen dafür, dass der Betroffene die Fahrt am 20.09.2005 als Unternehmer oder Versicherter im Sinne des § 32 BGV D29 durchgeführt hat. Das Führen eines Lkw mit Anhänger ist auch im rein privaten Bereich möglich.

c) Eine entsprechende Anwendung der unter (1) und (2) angeführten Ordnungswidrigkeitentatbestände auf die vorliegende Fallkonstellation oder der §§ 209 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 SGB VII i.V.m. §§ 44 Abs. 2, 58 und 32 der Unfallverhütungsvorschriften „Fahrzeuge“ (BGV D29) auf außerhalb des Anwendungsbereichs des SGB VII liegende Fälle scheidet ebenfalls aus.

Dies wäre eine unzulässige, mit Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG nicht zu vereinbarende Ausdehnung der Bußgeldbewehrung. Zwar schließt Art. 103 Abs. 2 GG auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht die (angesichts der Vielfältigkeit möglicher Fallgestaltungen unumgängliche) Verwendung auslegungsfähiger oder – bedürftiger Rechtsbegriffe nicht aus; die Auslegung solcher Begriffe findet jedoch im erkennbaren und (aus Sicht des betroffenen Verkehrsteilnehmers) verstehbaren, sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergebenden Wortsinn der Norm ihre Grenzen (BVerfGE 71, 114; BGHSt 4, 114; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 1 Rn. 11). Deshalb verbietet sich eine ausdehnende Auslegung der oben unter (1) und (2) näher dargelegten Bußgeldtatbestände auf die vorliegende Fallkonstellation, da sie tatsächlich eine unzulässige Analogie zu Lasten des Betroffenen darstellen würde. Dies gilt auch für § 23 StVO, auch wenn dieser allgemein als Auffangtatbestand für anderweitig nicht normierte Pflichten eines Fahrzeugführers angesehen wird (vgl. Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 23 StVO Rn. 1). Auch die „Auffangfunktion“ lässt eine den Wortsinn überschreitende Auslegung nicht zu. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Gründen der Gesetzgeber es unterlassen hat, im Straßenverkehrsrecht (anders als im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) Anordnungen hinsichtlich des von einem Fahrzeugführer zu tragenden Schuhwerks zu erlassen. Die sich aus § 44 Abs. 2 BGV D29 ableitende Ordnungswidrigkeit ist bereits durch die Verweisung auf § 32 BGV D29 in ihrem personalen Anwendungsbereich ausdrücklich auf Unternehmer und Versicherte beschränkt, auf die sich (bei der konkreten Tätigkeit) der gesetzliche Unfallversicherungsschutz erstreckt. Eine entsprechende Anwendung auf außerhalb des Sozialversicherungsrechts liegende Fallkonstellationen ist unzulässig. Allein das vom Amtsgericht als naheliegend erachtete Bedürfnis, ein bestimmtes, als verkehrswidrig beurteiltes Verhalten zu unterbinden, kann eine Ahndung ohne entsprechenden gesetzlichen Tatbestand nicht stützen (BayObLG DAR 1979, 45).

III.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist das angefochtene Urteil daher mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Die Sache ist zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat wegen der Möglichkeit weiterer Feststellungen zu § 2 Abs. 1 Satz 1 FeV und insbesondere zu §§ 209 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 SGB VII i.V.m. §§ 44 Abs. 2, 58 und 32 BGV D29 nicht treffen.

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