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Schulpflichtentziehung des eigenen Kindes – Haftstrafe möglich

OLG Frankfurt

Az: 2 Ss 413/10

Urteil vom 18.03.2011


Leitsatz:

Macht sich ein Elternteil einer erheblichen abermaligen Schulpflichtentziehung schuldig (37 Tage im Zeitraum von 11/2008 bis 02/2009) und hat das Kind erhebliche schulische Leistungsdefizite, so kann das Elternteil zu einer Haftstrafe auf Bewährung und im Wiederholungsfalle wegen Schulpflichtentziehung zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt werden.


Die Revision wird auf Kosten der Angeklagten als unbegründet verworfen, weil die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf das Revisionsvorbringen hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.

Der Schuldspruch wird aus Klarstellungsgründen allerdings wie folgt neu gefasst:

Die Angeklagte wird wegen vorsätzlichen hartnäckigen Entziehens ihres Kindes von der Schulpflicht in 37 tateinheitlichen Fällen (zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten) verurteilt.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lampertheim hatte die wegen des gleichen Delikts bereits zu Geld- und Freiheitsstrafe verurteilte Angeklagte erneut wegen hartnäckigen Entziehens ihres jüngsten Sohnes von der Schulpflicht zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Das Landgericht hatte ihre hiergegen eingelegte Berufung verworfen.

Die Revision der Angeklagten, mit der sie den Verstoß gegen materielles Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte die von ihrem Ehemann getrennt lebende Angeklagte ihren zur Tatzeit minderjährigen schulpflichtigen jüngsten Sohn an insgesamt 37 einzelnen Tagen im Zeitraum vom ….2008 bis ….2009 (erneut) vorsätzlich nicht zur Schule geschickt. Zum Zeitpunkt des Urteils stand der Sohn auf dem Wissensstand eines Sonderschülers der 4. Klasse, obwohl er altersgemäß die 9. Klasse hätte besuchen müssen.

Vorausgegangen war, dass es ab 2004/2005 bei dem jüngsten Sohn der Angeklagten vermehrt zu unentschuldigten Fehlzeiten kam. Wenn der Sohn in der Schule war, störte er permanent den Unterricht, provozierte die Mitschüler und beleidigte die Lehrer. Die Angeklagte und ihr Ehemann lehnten Gespräche mit der Schule und Unterstützungen des Jugendamtes grundsätzlich ab. Ab 2007 besuchte der jüngste Sohn die meiste Zeit die Schule nicht mehr. Es folgten Verurteilungen der Angeklagten zunächst zu Geldstrafen und schließlich mit Urteil vom 25. September 2008 zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung, ohne dass dies zu einer Verhaltensänderung bei der Angeklagten führte. 2009 war ein anderer Sohn der Angeklagten, bei dem sie in ähnlicher Weise ihre erzieherischen Verpflichtungen vernachlässigt hatte, wegen zahlreicher Straftaten zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Jugendstrafe verurteilt worden. Im gleichen Jahr wurde auch gegen den jüngsten Sohn Anklage wegen Raubes erhoben.

Mit Beschluss des Jugendamtes vom 29. März 2010 wurden der Angeklagten und ihrem Ehemann in Teilen die elterliche Sorge hinsichtlich des jüngsten Sohnes entzogen. Seit dem 13. September 2010 ist nach Angabe der Angeklagten der Sohn von zuhause „abgehauen“ und seitdem unbekannten Aufenthalts.

II.

Die rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts als eine Tat des vorsätzlichen Vergehens nach § 182 Hessisches Schulgesetz (HSchG) ist vorliegend rechtlich nicht zu beanstanden.

Es bedarf jedoch der Klarstellung des Schuldgehaltes im Tenor, dass die an sich 37 selbstständigen Einzeltaten nur im vorliegenden Fall bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitliches zusammengefasstes Tun erscheinen.

Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 04. Dezember 2008 und erneut in seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2010 (Az.: 2 Ss 77/10) ausgeführt hat, dient die allgemeine Schulpflicht (§ 56 HSchG) dem Schutz des Kindes und seinem Recht auf Bildung und auf die Heranbildung zu einem verantwortlichen Staatsbürger, um in verantwortungsbewusster Weise an den demokratischen Prozessen einer pluralistischen Gesellschaft teilnehmen zu können (vgl. BVerfG Beschl. v. 31.05.2006 – Az.: 2 BvR 1693/04 m.w.N.). Dieser Schutzauftrag wird in Deutschland durch den staatlichen Erziehungsauftrag gewährleistet, durch den das elterliche Erziehungsrecht durch die zur Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung erfährt (vgl. Art. 55 und 56 HessVerfassung; vgl. auch BVerfG [2. Kammer des Ersten Senats], Beschl. v. 21. 4. 1989 – 1 BvR 235/89).

§ 182 HSchG normiert dieses Recht des Kindes zur Teilnahme an den Bildungsmöglichkeiten, die der Staat zur Verfügung stellt, um die Möglichkeit zu erhalten, entsprechend seiner Begabung durch Erwerb der notwendigen Kenntnisse und sozialen Verhaltensweisen im Sinne einer selbstbestimmten Persönlichkeitsentwicklung ein vollwertiges Mitglied der pluralistischen Gesellschaft werden zu können, als eine strafbewehrte Pflicht der Eltern dafür Sorge zu tragen, dass ihre Kinder an einer derartigen Entwicklungsmöglichkeit teilnehmen können (§ 67 Abs. 1 HSchG).

Die Strafbestimmung ist in Fortführung des § 24 des früheren Schulpflichtgesetzes allerdings in restriktiver Anwendung nur für besonders schwere Verstöße gegen die Schulpflicht vorgesehen und zieht ihre Legitimation zu einer strafrechtlichen Sanktionierbarkeit aus den schweren Folgen, die Kinder dadurch erleiden können, dass ihnen ihre Eltern die Teilnahme an den genannten Entwicklungsmöglichkeiten vorenthalten und dadurch die Kinder langfristig und nachhaltig in ihrer freien Persönlichkeitsentwicklung gehindert werden. Bereits mit der Änderung des Schulpflichtgesetzes vom 10. Oktober 1980 (GVBl. I S. 393) hat der Landesgesetzgeber auf die noch in § 24 HessSchulpflG i.d.F. vom 30. Mai 1969 (GVBl.I S. 104, 108) normierte Möglichkeit, auch die Schüler/innen für Schulpflichtverletzungen zu bestrafen, verzichtet, auch wenn er insoweit inkonsequent an einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit bis jetzt festgehalten hat (§ 181 Abs. 1 HSchG).

Ausgehend von der rechtlichen Legitimation der Schulpflicht ergibt sich, dass dieses höchstpersönliche Recht jedes einzelnen Kindes an jedem einzelnen Schultag neu entsteht, womit die Schulpflicht der Eltern jeden Tag, an dem Schule angeboten wird, neu begründet wird. Versagen die Eltern ihrem Kind die Teilnahme an der Schule, verstoßen sie aktiv gegen die Schulpflicht. § 182 HSchG ist trotz seiner im Übrigen unglücklichen tautologischen Formulierung ein Erfolgsdelikt. Die Eltern schulden aus ihrem Erziehungsrecht dem Kind die Teilnahme an der Schule, das bedeutet, sie haben alle Handlungen durchzuführen, die bis zur Übergabe des Kindes in schulische Obhut notwendig sind. Dabei spielt es für die Erfüllung des Tatbestandes keine Rolle, aus welchen Gründen die Eltern dies unterlassen.

Die Motivlage kann allerdings ebenso wie der Grad der Gefahr für das Wohl des Kindes bei der Bestimmung des Schuldgehalts und damit der angemessenen Rechtsfolge eine Rolle spielen. Dem hat der Gesetzgeber auch insoweit Rechnung getragen, dass er bereits im Vorfeld durch das Antragserfordernis und die Rücknahmemöglichkeit des Strafantrags in § 182 Abs. 2 HSchG den Schulaufsichtsbehörden die Möglichkeit, aber auch die aus dem ultima ratio Prinzip des Strafrechts folgende Verpflichtung eingeräumt hat, nur die Fälle einer strafrechtlichen Ahndung zuzuführen, bei denen das Wohl der Kinder durch das Verhalten der Eltern nachhaltig gefährdet ist (vgl. BGH, Beschluß vom 11. 9. 2007 – XII ZB 41/07). Bei der Bestimmung der angemessenen Rechtsfolge kann daher auch Berücksichtigung finden, inwieweit im Vorfeld mildere, zielorientiertere und/oder flankierende Maßnahmen zur Sicherstellung der Teilnahme am Schulunterricht wie z.B. die zwangsweise Zuführung (§ 68 HSchG), die Möglichkeit der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Pflegschaft (vgl. BGH, Beschluß vom 11. 9. 2007 – XII ZB 41/07; OLG Hamm, Beschluß vom 25. 8. 2005 – 6 WF 297/05 = NJW 2006, 237) versucht worden sind und mit welchem Ergebnis.

Nach den Feststellungen sind derartige Maßnahmen im vorliegenden Fall versucht worden, ohne dass dies zu einer Änderung des Verhaltens der Angeklagten und zu einer Sicherstellung der Teilnahme am Schulunterricht des Sohnes geführt hätte. Die Verhängung der gesetzlich möglichen Höchststrafe durch das Landgericht ist vor dem festgestellten Sachverhalt daher rechtlich nicht zu beanstanden.

Aus der dargelegten Dogmatik des § 182 HSchG folgt in Konsequenz, dass die Eltern verpflichtet sind, an jedem einzelnen Tag bei jedem einzelnen Kind neu zu entscheiden, wie sie der Schulpflicht genüge tun, so dass bei mehreren Verstößen grundsätzlich Tatmehrheit anzunehmen ist (unter Aufgabe von OLG Ffm NStZ-RR 2001, 25 allerdings zu § 181 HSchG).

Es ist allerdings wie vorliegend rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich die einzelnen Verstöße unter Berücksichtigung, dass die Angeklagte sich entgegen ihrer Verpflichtungen, zumindest was die Schulpflicht angeht, ihre Kinder sich selbst überlässt, bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches (Nichts-)Tun darstellen und das Landgericht sie deswegen als natürliche Handlungseinheit zu einer Tat zusammenfasst. Zu Klarstellung bedarf es insoweit einer entsprechend vorgenommenen Konkretisierung im Tenor, ohne dass die konkurrenzrechtliche Bewertung Auswirkung auf den Schuldgehalt hat.

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