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Serienbedingte Fahrzeugtieferlegung – Aufsetzen – Haftung für Bodenunebenheiten

OLG Koblenz – Az.: 12 U 1012/21 – Beschluss vom 07.12.2021

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 17.06.2021, Az. 10 O 359/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 28.12.2021.

Gründe

Serienbedingte Fahrzeugtieferlegung – Aufsetzen – Haftung für Bodenunebenheiten
(Symbolfoto: alexfan32/Shutterstock.com)

Die beklagte Verbandsgemeinde haftet nicht für den Fahrzeugschaden, der dem Versicherungsnehmer der Klägerin, dem Zeugen …[A], infolge des klägerseits behaupteten Schadensereignisses vom 24.08.2019 beim Befahren der …[Y]straße in …[Z] entstanden sein soll. Eine Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht seitens der Beklagten ist nicht gegeben, sodass der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der von ihr erbrachten versicherungsvertraglichen Leistungen aus übergegangenem Recht nicht zusteht.

Selbst wenn man für die weitere Argumentation im vorliegenden Fall den klägerischen Vortrag zum Schadens- und Kausalverlauf folgt (Eintritt des Schadens durch Aufsetzen des streitgegenständlichen Fahrzeugs des Zeugen …[A] auf dem Kanaldeckel oder dem diesen umgebenden Straßenbelag im Bereich der …[Y]straße in …[Z] in Höhe der dortigen

Hausnummer ..), fehlt es an einer haftungsbegründenden Pflichtverletzung auf Seiten der Beklagten. Es handelt sich hier nicht um eine Gefahrenstelle, deren mangelnde Beseitigung der Beklagten als Amtspflichtverletzung zur Last gelegt werden kann.

Die Verkehrssicherungspflicht ist eine allgemeine Rechtspflicht, nicht nur der öffentlichen Hand, im Verkehr Rücksicht auf die Rechtsgüter anderer zu nehmen und vor allem Gefährdungen und Schädigungen nach Möglichkeit auszuschließen. Sie beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der eine Gefährdungsquelle für Rechtsgüter anderer schafft, die notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen hat. Verstößt er gegen diese Schutzpflicht, ist er wegen des daraus resultierenden deliktischen Verhaltens schadensersatzpflichtig. Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht sind hierbei diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend zur Schadensverhinderung hält (grundlegend vgl. BGH MDR 1973, 252 ff).

Der Inhalt, der Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht bestimmen sich zum einen nach den berechtigten Sicherungserwartungen des Verkehrs (Vertrauensschutz, legitime Erwartungen des regulären Nutzers) und andererseits nach der wirtschaftlichen (finanziellen, organisatorischen und personellen) Zumutbarkeit für den Sicherungsverpflichteten.

Grundlage jeder Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht ist zunächst der Verkehrsweg selbst. Hierbei ist auf die Art des Verkehrsweges, auf dessen Lage und Umfeld sowie dessen Verkehrsbedeutung abzustellen, so dass bereits an das Maß der Verkehrssicherungspflicht unterschiedlich hohe Anforderungen zu stellen sind (ständige Spruchpraxis des OLG Koblenz, vgl. Urteile vom 12. März 1997 – 1 U 207/96, vom 10. Dezember 1997 – 1 U 114/96 und vom 11. Februar 1998 – 1 U 139/95 sowie die Beispiele bei Kodal-Krämer, Straßenrecht, 5. Aufl., S. 1289, 1300 und Bergmann-Schumacher, Kommunalhaftung, 2. Aufl., Rdnrn. 34 f.). Ein weiteres Beurteilungskriterium ist der Vertrauensschutz. Nach diesem Grundsatz darf der Verkehrssicherungspflichtige darauf vertrauen, dass sich Dritte verständigerweise auf erkennbare Gefahren einstellen. Entscheidend ist daher, dass derjenige nicht schutzbedürftig ist, der die konkreten Gefahren erkennen kann (so auch ständige Senatsrechtsprechung, OLG Koblenz 12 U 513/03, Urteil vom 19.04.2004, juris; 12 U 692/14, Urteil vom 16.03.2015, juris). Die Behörde hat daher regelmäßig keine weiteren Pflichten, wenn die Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden können. Grundsätzlich muss sich der Straßenbenutzer den Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Es ist also nur eine Warnung vor unvermuteten Gefahren nötig. Vor Besonderheiten einer Straße, die ein sorgfältiger Kraftfahrer im Verkehr erkennen kann, braucht nicht gewarnt zu werden (so auch OLG Rostock, MDR 2001, 1052).

Die Straßenverkehrssicherungspflicht, ausgerichtet an dem Verkehrsweg sowie dem Vertrauensschutz für den Pflichtigen und Benutzer, ist schließlich auch eingebettet in das Korrektiv der tatsächlichen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Pflichtigen und folgt dem Grundsatz, dass auf den Verkehrssicherungspflichtigen nicht das allgemeine Lebensrisiko abgewälzt werden darf, wobei die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen für sich selbst wieder stärkerer Betonung bedarf (Urteil des OLG Koblenz vom 10. Dezember 1997 a.a.O.). Die Behörden müssen also mit Rücksicht auf die vielfältigen Aufgaben der öffentlichen Hand nur diejenigen Maßnahmen ergreifen, die objektiv erforderlich und ihnen nach objektiven Maßstäben zumutbar sind.

Gemessen an diesen Grundsätzen kommt es vorliegend nicht entscheidend darauf an, ob es sich bei der …[Y]straße entsprechend der Behauptung der Beklagten um eine Nebenstraße/Sackgasse von nur untergeordneter Verkehrsbedeutung handelt, die ganz überwiegend einem nur gering ausgeprägten Anliegerverkehr dient. Selbst wenn es sich bei der …[Y]straße von ihrer Verkehrsbedeutung her um einen Verkehrsweg handeln sollte, der nicht überwiegend nur von Anliegern frequentiert wird, sondern auch darüber hinaus einem höheren Verkehrsaufkommen ausgesetzt wäre, liegt angesichts der Besonderheiten des hier zu beurteilenden Sachverhalts eine einstandspflichtige Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten nicht vor.

Wird eine Gefährdung – wie hier – durch solche risikoerhöhenden Umstände wesentlich (mit-) begründet, die sich aus einer besonderen Bauart des gefährdeten Fahrzeugs ergeben, wie etwa eine Tieferlegung und/oder eine sonstige – auch serienbedingte – konstruktive Besonderheit, die zu einer Verringerung der üblicherweise zu erwartenden Bodenfreiheit führen und so ein Aufsetzen begünstigen, muss der Fahrzeugführer dieses seinem Gefahrenkreis zuzurechnende Risikomoment durch erhöhte eigene Aufmerksamkeit und Vorsicht kompensieren (so auch OLG Hamm OLGR Hamm 2000, 87 ff). Selbst wenn eine Straße mit einem allgemein schlechten Ausbauzustand abhilfebedürftige Gefahrenquellen in Form von erkennbaren Unebenheiten aufweist, muss eine Haftung des Straßenbaulastträgers aus der Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht hinter das (Mit-)Verschulden des Fahrzeugführers zurücktreten, wenn dieser die Straße mit einem tiefergelegten oder einem bauartbedingt nur eine geringe Bodenfreiheit aufweisenden Fahrzeug befährt. Vorliegend musste der Versicherungsnehmer der Klägerin angesichts der erkennbaren Fahrbahnbeschaffenheit nicht nur mit geringfügig herausstehenden Kanaldeckeln rechnen; er konnte insbesondere auch das seitliche Fahrbahngefälle zur Fahrbahnrinne hin erkennen und musste sein Fahrverhalten hierauf einrichten. Erkennbare Besonderheiten sind von dem Verkehrsteilnehmer auch ohne Sicherung und Warnung hinzunehmen, wenn es ihm möglich ist, sich entsprechend darauf einzustellen. So liegt der Fall hier.

Der Senat hat – durch die klägerseits vorgelegten Lichtbilder (Bl. 24/26 d. e.A. 1. Instanz) hinreichend dokumentiert – keine Zweifel daran, dass das entlang der linken Fahrbahnseite der …[Y]straße verlaufende seitliche Gefälle – das keinesfalls ein Maß erreichte, welches für Gemeindestraßen unüblich war und einer schnellstmöglichen Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen bedurft hätte – für den Zeugen …[A] ohne weiteres erkennbar war und er mit diesem Zustand der Fahrbahn auch rechnen musste, insbesondere dann, wenn er – nach eigenen Angaben – verkehrsbedingt, durch die am rechten Fahrbahnrand parkenden Fahrzeuge und infolge der Enge des Straßenbereichs die linke Fahrbahn in Anspruch nehmen musste. Zwar handelt es sich vorliegend nicht um einen „abrupten Gefällesprung“ (ein solcher hätte die Beklagte im Hinblick auf ihre Verkehrssicherungspflicht möglicherweise zu entsprechenden Reparaturmaßnahmen veranlassen müssen), jedoch war die Bodenfreiheit des streitgegenständlichen Sportfahrzeugs derart gering, dass selbst relativ unbedeutende Fahrbahnunebenheiten und Niveaudifferenzen in der Beschaffenheit des Fahrbahnbelags eine Gefährdung darstellen konnten. Dieser Gefahr war sich der Zeuge …[A] auch bewusst. Er musste sich danach richten, was sein Fahrzeug aufgrund der konkreten Beschaffenheit in der konkreten Verkehrssituation, wozu auch die Straßengestaltung gehört, zu leisten vermochte und war notfalls gehalten, eine andere Wegstrecke zu wählen oder, wenn es sich wie hier um eine Sackgasse handelte, sein Fahrzeug gegebenenfalls an anderer Stelle zu parken oder eigeninitiativ zu veranlassen, dass durch ein vorübergehendes Entfernen der dort parkenden Fahrzeuge ein Befahren des rechten und/oder mittleren Fahrbahnteils möglich wurde. Hinzu kommt, dass der Zeuge …[A] auf der Suche nach dem Zielort sich nach eigener Darstellung in gewissem Maße blickabgewandt von der Fahrbahnoberfläche fortbewegte und darüber hinaus durch die Sonneneinstrahlung geblendet die notwendige Vorsicht und Aufmerksamkeit nicht walten lassen konnte. Insgesamt entsprach die Fahrweise des Zeugen …[A] nicht den gesteigerten Anforderungen, die angesichts der konstruktiven Besonderheiten seines Fahrzeugs an sein Fahrverhalten zu stellen waren. Es muss jeder Verkehrsteilnehmer selbst entscheiden, ob er mit seinem Fahrzeug die konkrete Straße, die er grundsätzlich in dem Zustand hinzunehmen hat, wie sie sich ihm erkennbar darbietet, auch befahren kann. Die für den konkreten Straßenbereich verkehrssicherungspflichtige Beklagte war indes nicht gehalten, mit erheblichen Kosten für die Allgemeinheit dafür Sorge zu tragen, dass die Straße auch für „nicht alltagstaugliche“ Fahrzeuge wie das streitgegenständliche gefahrlos nutzbar ist.

Dem kann die Klägerin auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, es handele sich bei dem Fahrzeug des Zeugen …[A] um ein solches im Serienzustand, das für den allgemeinen Straßenverkehr zugelassen sei und damit auch der von dem Straßenbaulastträger zu tragenden Straßenverkehrssicherungspflicht unterliege. Die Zulassung für den Straßenverkehr besagt nichts darüber, in welchen Verkehrssituationen ein Fahrzeug mit einer entsprechend geringen Bodenfreiheit wie das vorliegende verkehrstauglich ist oder nicht. Das gilt, abgesehen vom vorliegenden Fall, in gleicher Weise für das Befahren von Feldwegen, Baustellen, Auffahren auf Hebebühnen oder Garageneinfahrten. Die dem Vortrag der Klägerin immanente Ansicht, dass die Zulassung eines Sportfahrzeugs mit einer entsprechend geringen Bodenfreiheit für den allgemeinen Straßenverkehr eine Zusicherung bedeute, alle dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen gefahrlos benutzen zu können, trifft nicht zu.

Nach allem hat der Zeuge …[A] das Schadensereignis allein schuldhaft herbeigeführt, indem er die …[Y]straße entweder an einer in Ansehung der besonderen Konstruktion seines Fahrzeugs ungeeigneten Stelle passiert und/oder in Ansehung der hinzunehmenden erkennbaren Straßenverhältnisse hier mit einer unangepassten Fahrweise befahren hat. Einer Beweiserhebung bedurfte es insoweit entgegen den Angriffen der Berufung bei dieser Sachlage nicht.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kosten-verzeichnisses zum GKG).

Der Senat beabsichtigt, den Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren auf 62.432,60 € festzusetzen.

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