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Fristlose Kündigung bei sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen

Arbeitsgericht Frankfurt am Main

Az.: 15 Ca 7402/01

Verkündet am 11.02.2002


In dem Rechtsstreit hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main Kammer 15 auf die mündliche Verhandlung vom 11.02.2002 für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 3.833,16 festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der 35 jährige, ledige und keinen Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit dem 01.03.2001 bei dem Beklagten in dem von diesem unterhaltenen – einem secondhand-Markt für bedürftige Frankfurter Bürger – als Verkäufer mit einem Bruttomonatsverdienst von DM 2.499,00 beschäftigt. Der Beklagte beschäftigt mehr als 5 Arbeitnehmer. Bei ihm ist eine Mitarbeitervertretung nach der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO) des gebildet.

Mit Anhörungsschreiben vom 06.09.2001 (Bl. 35 d.A.) und Anlage (Bl. 36 d.A.) hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Die Mitarbeitervertretung äußerte sich nicht. Mit Schreiben vom 14.09.2001 (BI. 2 d.A.), dem Kläger am 16.09.2001 zugegangen, erklärte der Beklagte die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er beruft sich vorsorglich auf Umdeutung in eine ordentliche Kündigung.

Der Kläger bestreitet Kündigungsgründe und ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung. Diese sei nicht inhaltlich über die Angelegenheit informiert worden und ihre Genehmigung liege nicht vor.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch außerordentliche noch durch ordentliche Kündigung des Beklagten vom 14.09.2001 beendet worden ist.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er trägt vor, der Kläger habe am 04.09.2001 im G die dort ebenfalls beschäftigte schwerbehinderte (gehörlose und stumme) Mitarbeiterin sexuell belästigt. Die Leiterin des G habe den Kläger dabei überrascht, wie er diese Mitarbeiterin „begrapscht“, körperlich berührt, am Oberkörper „betatscht“ habe. Die Zudringlichkeiten des Klägers seien so heftig gewesen, dass die Mitarbeiterin die sich verbal nicht äußern könne, nach dem Kläger geschlagen habe, um ihn abzuwehren, und Tränen in den Augen gehabt habe. Nach Hinzuziehung eines Dolmetschers für die Gebärdensprache habe die Mitarbeiterin dann am 05.09.2001 geschildert, es habe sich nicht um den ersten Übergriff des Klägers gehandelt. Wiederholt, meist wenn die Mitarbeiterin allein gewesen sei, hauptsächlich in den Kellerräumen und der Küche, später auch in den Verkaufsräumen, sei der Kläger von hinten an sie herangetreten und habe sie an Hals, Schulter, Nacken und/oder Hüfte angefasst, wobei es sich nach der Darstellung der Mitarbeiterin um sexuelle Annäherungen gehandelt habe. Die Mitarbeiterin habe zwar versucht, dem Kläger aus dem Weg zu gehen, was aber nicht immer möglich gewesen sei. Auch am 04.09.2001 habe der Kläger sich der Mitarbeiterin mehrfach im Verkaufsraum genähert, um sie anzufassen. Sie habe vergeblich versucht, seinen Annäherungsversuchen auszuweichen. Als sie sich von ihm abgewandt habe, habe der Kläger die Gelegenheit genutzt und sie umfasst und angefangen, sie am Oberkörper zu betatschen.

Der Kläger hatte zunächst erwidert, er habe nicht die Absicht gehabt, sich der Mitarbeiterin anzunähern. Da diese einen lebhaften Umgang mit männlichen Mitarbeitern habe, habe sie diese Versuche nicht als Anlass genommen, sich zu beschweren. Damit sei eine Vertrauensbasis zwischen der Mitarbeiterin und dem Kläger geschaffen worden. Wäre der Beklagte nicht an einer Kündigung des Klägers interessiert gewesen, dann wäre eine gute Zusammenarbeit der Mitarbeiter nicht ausgeschlossen. Der angebliche Annäherungsversuch könne die Mitarbeiterin nicht so sehr belastet haben. Diese habe sogar auf eine Strafanzeige verzichtet. Jedenfalls hätte der Beklagte zuvor eine Abmahnung aussprechen müssen.

Nachdem der Kammer der tatsächliche Inhalt dieser Ausführungen verborgen blieb und sie im Kammertermin vom 11 02.2002 entsprechende Fragen stellte, erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, es sei unrichtig, dass der Kläger die Mitarbeiterin jemals körperlich berührt, „betatscht“ oder „begrapscht“ hätte. Am 04.09.2001 sei er allenfalls in Ausführung seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit versehentlich an die Mitarbeiterin angestoßen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund außerordentlicher Kündigung des Beklagten vom 14.09.2001 am 16.09.2001.

Die Kündigung vom 14.09.2001 ist als außerordentliche Kündigung wirksam. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor.

Die Kammer geht bei der Entscheidung des Rechtsstreits von der Sachverhaltsdarstellung des Beklagten aus. Diese ist nicht substantiiert bestritten. Der Kläger hat sich wie jede Partei im Rechtsstreit über die tatsächlichen Umstände vollständig und wahrheitsgemäß zu erklären, § 138 Abs. 1 ZPO. Dies ist bis zum Kammertermin nicht geschehen. Das Vorbringen der Beklagten galt somit bis zum Kammertermin als zugestanden. § 138 Abs. 3 ZPO.

Der Kläger hatte sich im Rechtsstreit schriftsätzlich nicht vollständig, sondern nebulös und ausweichend erklärt. Soweit er ausführte, er habe nicht die Absicht gehabt, sich der Mitarbeiterin sexuell zu anzunähern, ist weder gesagt, welche Absicht er sonst verfolgte noch überhaupt bestritten, sich „angenähert“ zu haben. Soweit er einerseits von „angeblichen“ mehrfachen Körperkontakten spricht, hat er diese andererseits nicht bestritten, sondern vielmehr als Begründung für ein zwischen ihm und der Mitarbeiterin bestehendes Vertrauensverhältnis angeführt. Soweit er ausführte, die Mitarbeiterin habe sich wegen ihres „lebhaften“ Umgang mit männlichen Mitarbeitern nicht über „diese Versuche“ beschwert, räumt er ein, dass es etwas wie „diese Versuche“ im Sinne der Sachverhaltsdarstellung des Beklagten gegeben hat, ohne allerdings konkret zu werden. Andererseits hatte der Kläger sich bis zum Kammertermin mit keinem Wort nachvollziehbar mit den vom Beklagten vorgebrachten Kündigungsgründen auseinandergesetzt und dargelegt, was sich nach seiner Darstellung am 04.09.2001 konkret im Verkaufsraum des tatsächlich ereignet haben soll. Eine vollständige Darstellung war ihm möglich, denn er war am 04.09.2001 anwesend. Dies jedenfalls ist unstreitig.

Soweit der Kläger dann erstmals im Kammertermin bestritten hat, die Mitarbeiterin jemals und auch am 04.09.2001 überhaupt körperlich berührt zu haben, wird dieses Bestreiten nicht zugelassen, sondern als verspätet zurückgewiesen, § 61 a Abs. 5 ArbGG.

Dem Kläger war im Gütetermin vom 05.12.2001 aufgegeben worden, auf die Darlegung der Kündigungsgründe durch den Beklagten bis 30.01.2002 zu erwidern. Das Bestreiten erfolgte erstmals im Kammertermin vom 11.02.2001. Bei rechtzeitigem Vorbringen hätten zum Kammertermin noch die von dem Beklagten benannten Zeuginnen und geladen werden können. . Bei Berücksichtigung des Bestreitens des Klägers wäre ein neuer Kammertermin zur Durchführung einer Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung erforderlich, damit würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Der Kläger wurde im Gütetermin vom 05.12.2001 über die möglichen Folgen einer Versäumung der gesetzten Fristen belehrt. Das verspätete Vorbringen ist im Übrigen nicht entschuldigt. Es kann dahinstehen, ob das Bestreiten durch den Bevollmächtigten des Klägers ins Blaue hinein erfolgte. Hierfür könnte sprechen, dass dieser ausweislich des Schriftsatzes vom 07.01.2002 jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Kläger keinen Kontakt hatte und der Kläger auch trotz der Anordnung seines persönlichen Erscheinens weder den Gütetermin noch den Kammertermin wahrnahm. Dann hätte dieses Bestreiten – Berechtigung im Hinblick auf § 138 ZPO dahingestellt – jedenfalls auch bis 30.01.2002 erfolgen können. Oder aber das Bestreiten erfolgte aufgrund zwischenzeitlich erfolgter Information durch den Kläger. Dann hatte entweder der Kläger seinen Bevollmächtigten nicht rechtzeitig informiert oder aber sein Bevollmächtigter trotz rechtzeitiger Information den Vortrag der Beklagten nicht rechtzeitig schriftsätzlich bestritten. Beides wäre nicht unverschuldet.

Die somit als unstreitig zu behandelnde Sachverhaltsdarstellung des Beklagten ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB des Arbeitsverhältnisses darzustellen (vgl. Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 22.10.1996, 6 Sa 730/96, NZA 1997,769).

Der Kläger hat die Mitarbeiterin durch von dieser ungewünschte körperliche Berührungen wiederholt sexuell belästigt.

Nach § 2 Abs. 1 BeSchuG hat der Arbeitgeber die Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen, wobei der Schutz auch vorbeugende Maßnahmen umfasst. Eine Abmahnung wäre angesichts der mehrfach erfolgten sexuellen Belästigungen nicht geeignet gewesen, ihre Fortsetzung mit der gebotenen Sicherheit zu unterbinden. Eine Umsetzung des Klägers auf einen anderen Arbeitsplatz des wäre ebenfalls ungeeignet gewesen, da nach dem als unbestritten geltenden Vortrag des Beklagten der Kläger der Mitarbeiterin zu verschiedenen Orten innerhalb des Betriebs folgte und sie dort, meist wenn sie allein waren, an verschiedenen Körperteilen bzw. -bereichen anfasste. Hätte der Beklagte dagegen den Kläger im weiter G beschäftigt, wäre die Mitarbeiterin bei dem festgestellten Sachverhalt zudem gemäß § 4 Abs. 2 BeSchuG berechtigt gewesen, ihre Tätigkeit ohne Verlust des Arbeitsentgelts einzustellen.

Im Rahmen der Interessenabwägung sind die Sozialdaten des Klägers nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Er ist relativ jung, erst kurze Zeit beim Beklagten beschäftigt und keinen Personen unterhaltsverpflichtet. Die Kammer hat berücksichtigt, dass nach dem Vorbringen des Beklagten nicht darauf geschlossen werden kann, der Kläger habe die Mitarbeiterin auch im Brust- und/oder Genitalbereich angefasst. Im Rahmen der Interessenabwägung sind auch Art, Umfang und Intensität der sexuell , bestimmten körperlichen Berührung zu berücksichtigen. Diese liegen vorliegend nicht im obersten Bereich. Die Kammer wertet sie im Rahmen der Interessenabwägung nicht zu Lasten aber auch nicht zu Gunsten des Klägers. Zu Lasten des Klägers ist dagegen zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen einmaligen Vorfall handelte. Im Rahmen der Interessenabwägung sind nach Auffassung der Kammer schließlich auch die Interessen der Verletzten, also der Mitarbeiterin zu berücksichtigen. Dies ergibt sich daraus, dass der Arbeitgeber bei seiner Reaktion gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 BeSchuG auch deren Interessen zu berücksichtigen hat, diese also bei der Prüfung der angemessenen Reaktion nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinne dieser Vorschrift ebenfalls maßgeblich zu berücksichtigen sind. Damit fließen sie auch in die Interessenabwägung bei der Oberprüfung der außerordentlichen Kündigung ein. In diesem Zusammenhang ist zu Lasten des Klägers zu würdigen, dass es sich bei der Mitarbeiterin um eine Person handelt, die aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage ist, sich gegen die sexuellen Belästigungen des Klägers verbal zur Wehr zu setzen oder unmittelbar und sofort Mitarbeiter oder Vorgesetzte zu informieren und um Hilfe zu bitten. Einer späteren Information und „Offenbarung“ des Vorfalles stehen dagegen erfahrungsgemäß häufig zwar womöglich rational nicht begründete, faktisch aber durchaus vorhandene Hemmungen der Verletzten entgegen, sei es beispielsweise aufgrund Schamgefühls oder der Sorge, als unglaubwürdig zu erscheinen. Der Kläger hat damit bei seiner sexuellen Belästigung der Mitarbeiterin auch deren spezielle Behinderung ausgenutzt. Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse des Beklagten an sofortiger Vertragsbeendigung das des Klägers an Weiterbeschäftigung, und sei es nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

Gegenüber der ordnungsgemäßen Beteiligung der Mitarbeitervertretung bestehen keine Bedenken. Der Beklagte hat der Mitarbeitervertretung durch Anhörungsschreiben 06.09.2001 und dessen Anlagen die Kündigungsgründe so mitgeteilt, wie er sie auch im Rechtsstreit darstellt. Einer Genehmigung der Kündigung durch die Mitarbeitervertretung bedarf es nicht. Sonstige Umstände, die gegen eine ordnungsgemäße Beteiligung sprechen, sind nicht erkennbar und vom Kläger auch nicht näher dargelegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Gegenstandswertes auf § 12 Abs. 7 ArbGG.

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