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Sexuelle Belästigung – Abmahnung bzw. Kündigung

Landesarbeitsgericht Niedersachsen

Az: 1 Sa 832/09

Urteil vom 13.10.2009


In dem Rechtsstreit hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2009 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 25. Januar 2008 – 7 Ca 399/07 Ö – abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2007 nicht zum 31. März 2008 beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,00 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2008, weitere jeweils 2.135,00 EUR brutto abzüglich jeweils gezahlter 928,00 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2008, dem 1. Juli 2008, dem 1. August 2008, dem 1. September 2008, dem 1. Oktober 2008 und dem 1. November 2008 zu zahlen.

4. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 2.252,74 EUR brutto abzüglich 1.099,77 EUR netto anderweitigen Verdienstes zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2008 sowie 2.252,74 EUR brutto abzüglich anderweitigen Verdienstes in Höhe von 837,11 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 1. Januar 2009 zu zahlen.

5. Darüber hinaus wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger jeweils 2.315,82 EUR brutto abzüglich jeweils gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2009, dem 1. März 2009, 1. April 2009, dem 1. Mai 2009, dem 1. Juni 2009 und dem 1. Juli 2009 zu zahlen.

6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

7. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 24. Juli 2007 zum 31. März 2008 ausgesprochene ordentliche fristgemäße Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist. Hintergrund der Kündigung ist die dem Kläger vorgeworfene sexuelle Belästigung der Zeugin A., die zusammen mit anderen Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern ab Anfang Juni 2007 für ca. 8 Wochen bei der beklagten Stadt tätig war. Der Kläger fordert mit seiner Klage weiterhin seine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sowie für die Monate April 2008 bis Juni 2009 die Zahlung seiner Bruttomonatsbezüge abzüglich empfangenen Arbeitslosengeldes oder anderweitigen Zwischenverdienstes.

Der am 19. September 1969 geborene Kläger ist seit dem 6. November 1993 bei der Beklagten als Gärtner auf dem Betriebshof (Abteilung 4.4 in der Gruppe Straßenbegleitgrün) beschäftigt. Seit Anfang Juni 2007 arbeitete der Kläger zur Anweisung und Anleitung mit einer Gruppe von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern (Frau G. A., Herr A. G. und Herr P. S.) zusammen, die von der beklagten Stadt für die Urlaubszeit beschäftigt wurden. Der Kläger besaß für diese Gruppe keine Vorarbeiterstellung, leitete jedoch als langjährig beschäftigter Stammarbeitnehmer die Mitarbeiter an, teilte sie ein und fuhr auch das Dienstfahrzeug. Vorarbeiter war für den Kläger und diese Gruppe Herr V. H..

Nach Aussage der Zeugin A. kam es seit ihrer Beschäftigungsaufnahme am 13. Juni 2007 immer wieder zu sexuell anzüglichen Bemerkungen des Klägers ihr gegenüber. Als Beispiele wurden genannt:

„Er würde mich auch nicht von der Bettkante stoßen.

Es ist schade, dass Du schon vergeben bist.

(bezogen auf die 4 Kinder) poppt ihr den ganzen Tag nur herum?

Hat Dein Mann eine Gummiallergie?

Wenn Du es nicht wärst, müsstest Du viel mehr arbeiten.

(Bezogen auf die Arbeitshaltung – aus gesundheitlichen Gründen – eine Bückhaltung) Wie hättest Du es denn am liebsten?“

Am 3. Juli 2007 fuhr der Vorarbeiter V. H. Frau A. zu ihrem Einsatzort in der Kolonne des Klägers, weil diese sich in Folge eines Bahnstreiks verspätet hatte. Dabei fragte er sie, ob ihr die Arbeit Spaß mache. Frau A. erwiderte, dass sie sich nicht wohl fühle, weil sie vom Kläger schlecht behandelt werde. Als der Kläger in der Mittagszeit mit dem Dienstfahrzeug auf den Betriebshof fuhr um Grünschnitt zu entladen, wurde er vom Vorarbeiter H. auf die Äußerung der Frau A. zur schlechten Behandlung angesprochen. Der Kläger äußerte sich zu diesem Vorwurf emotional aufgebracht und erklärte, dass er mit Frau A. reden würde.

Zuvor am 3. Juli 2007 sprach der Kläger die Zeugin A., die sich bei der Arbeit bücken musste, an und sagte ihr „Dich würde ich auch gerne von hinten ficken“. Als andere Kollegen der Zeitarbeitsfirma, die das gehört hatten, sich über diese Beleidigung der Zeugin A. empörten, erklärte der Kläger, er habe lediglich gesagt: „Bist du gut zu vögeln? Ich gebe auch immer frisches Wasser“. Der Kläger entschuldigte sich sodann wegen dieser Äußerungen.

Nach Rückkehr vom Betriebshof und dem Gespräch mit dem Vorarbeiter H. kehrte der Kläger erregt zur Arbeitsstelle zurück und telefonierte laut – so dass die anderen Arbeitnehmer und die Zeugin A. es hören konnten – mit seiner Ehefrau und äußerte dieser gegenüber, dass er am liebsten denjenigen, der ihn angeschwärzt hätte, mit der Schaufel versohlen würde. Bei der Rückfahrt der Kolonne von der Einsatzstelle zum Betriebshof sprach die Zeugin A. den Kläger wegen der Äußerung mit der Schaufel an. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig.

Ab dem 4. Juli 2007 war die Zeugin A. arbeitsunfähig. Am 5. Juli 2007 wandte sie sich gemeinsam mit ihrem Ehemann an den Betriebshofleiter und beschwerte sich über das Verhalten des Klägers. Daraufhin hörte die Beklagte, in Anwesenheit des stellvertretenden Personalratsvorsitzenden Herrn S2., Frau A., Herrn G., Herrn S. und den Kläger zu seinem Verhalten gegenüber Frau A. an. Der Kläger wurde ab dem 11. Juli 2007 von der Arbeit freigestellt. Mit Schreiben vom 23. Juli 2007 wurde er aufgefordert am 24. Juli 2007 seine Arbeitsleistung wieder aufzunehmen. Hierzu kam es aber auf Grund der krankheitsbedingten Unfähigkeit des Klägers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr. Der Kläger ist seit Dezember 2007 in ärztlicher Behandlung bei einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

Die beklagte Stadt beschäftigte im Jahr 2007/2008 auf dem Bauhof ca. 35 Personen im gewerblichen Bereich sowie 2 Sekretärinnen im Bürobereich. Unter den gewerblichen Mitarbeitern befinden sich auch 2 Frauen. Der Betriebshof wird außerdem von einer weiblichen Reinigungskraft gereinigt.

Bei der Beklagten besteht eine Dienstvereinbarung zum „Partnerschaftlichen Verhalten am Arbeitsplatz „vom 1. Juli 2003. Auf den Inhalt wird Bezug genommen (Bl. 48 bis 54 d. A.).

Mit Urteil vom 25. Januar 2008 hat das Arbeitsgericht Hannover die Klage nach einer Beweisaufnahme, in deren Verlauf die Zeugin A. und der Zeuge S2. gehört wurden (Bl. 94 ff. d. A.), abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Kündigung eine ordnungsgemäße Anhörung des Personalrates vorangegangen sei, da dieser bei allen Anhörungen der Zeugen zugegen gewesen wäre und umfangreich von der beklagten Stadt unterrichtet worden sei. Der Kläger sei mit seiner Aufgabenstellung, die Gruppe der Leiharbeitnehmer anzuleiten, als langjährig Beschäftigter und ausgebildeter Gärtner nicht überfordert gewesen. Selbst wenn man hier einen lockeren Ton am Arbeitsplatz unterstellen könne, seien die Äußerungen des Klägers gegenüber der Zeugin A. bereits vor dem 3. Juli 2007 nicht hinnehmbar gewesen. Als erhebliche Pflichtverletzung müsse die Bemerkung des Klägers am 3. Juli 2007 gegenüber der Zeugin gewertet werden als er sie beim Bücken ansprach und äußerte: „Dich würde ich auch gern mal von hinten ficken“. Die Zeugin A. habe dem Kläger hierzu keine Veranlassung gegeben. Die beklagte Stadt müsse ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor solchen Äußerungen schützen; auch die in ihrem Bereich beschäftigten Leiharbeitnehmer. Eine weitere erhebliche Pflichtverletzung ergebe sich aus dem Umstand, dass der Kläger auf Nachfrage der Zeugin A. und Hinweis auf ihre Marcomar – Abhängigkeit äußerte: „Er würde (ihr) mit der Schaufel von hinten in die Kniekehle schlagen. Es könne ihm dann niemand etwas beweisen“. Diese zur Überzeugung des Gerichts gefallene Bemerkung des Klägers zeige ein völlig unangemessenes Verhalten auf, beweise seine Uneinsichtigkeit und belege, dass er sich offenbar immer noch wegen seines vorangegangenen Verhaltens im Recht fühle. Während die sexuellen Anzüglichkeiten des Klägers vor dem 3. Juli 2007 und auch die weitere Belästigung am Vormittag des 3. Juli 2007 noch über eine Abmahnung hätten sanktioniert werden können, könne dies im Blick auf die angedrohte Tätlichkeit gegenüber der Zeugin A. nicht mehr ausreichen, insbesondere wegen der körperlichen Überlegenheit des Klägers und seines rechtlich sicheren Status im Verhältnis zu den beschäftigten Leiharbeitnehmern. Von daher sei die Kündigung angemessen gewesen, selbst wenn man in einer Interessenabwägung die langjährige Beschäftigung des Klägers in Rechnung stelle. Die beklagte Stadt habe absichern müssen, dass in Zukunft weibliche Leiharbeitnehmer vor sexueller Belästigung durch den Kläger geschützt würden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe und wegen des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf Blatt 104 bis 115 der Akten verwiesen.

Gegen das ihm am 5. März 2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 25. Januar 2008 hat der Kläger am 7. April 2008 Berufung eingelegt und – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Juni 2008 – mit Schriftsatz, eingehend beim Landesarbeitsgericht am 5. Juni 2008, begründet.

Mit Urteil vom 25. November 2008 (1 Sa 547/08) hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 24.Juni 2007 das Arbeitsverhältnis zum Kläger nicht zum 31.März 2008 beendet hat. Darüber hinaus wurde die beklagte Stadt zur Weiterbeschäftigung des Klägers zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss und zur Zahlung der Vergütung aus Annahmeverzug für die Monate April und Mai 2008 abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes zuzüglich Verzinsung an ihn verurteilt. Zu den Entscheidungsgründen wird auf Blatt 198 bis 212 der Gerichtsakten verwiesen. Auf die Beschwerde der beklagten Stadt hin, hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgehoben, da eine von der ersten Instanz abweichende Bewertung der Zeugenaussage A. nur nach deren erneuter Vernehmung möglich sei. Der Gehörsverstoß sei auch entscheidungserheblich, da nicht auszuschließen sei, dass das Landesarbeitsgericht nach erneuter Vernehmung der Zeugin A. zu einem anderen Ergebnis im Hinblick auf die Frage gelangt wäre, ob von einer ernstzunehmenden Bedrohung auszugehen war. Zu den Einzelheiten der Beschlussgründe wird auf Blatt 226, 227 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Der Kläger weist daraufhin, dass er zum Zeitpunkt der Kündigung kurz vor dem Erreichen der tariflichen Unkündbarkeit gestanden habe (§ 34 TVöD). Er sei als einziger von den Stammarbeitnehmern zusammen mit Leiharbeitnehmern eingesetzt worden und habe – da er nie vorher als Vorarbeiter tätig gewesen sei – keine Befähigung zur Mitarbeiterführung besessen. Im Übrigen behauptet der Kläger, dass es in der Zusammenarbeit zwischen den Stammarbeitnehmern und den Leiharbeitnehmern zu Spannungen gekommen sei, die als Hintergrund für den Vorfall vom 3. Juli 2007 mit ursächlich gewesen seien. Die Leiharbeitnehmer fühlten sich gegenüber den Stammarbeitnehmern zurückgesetzt und bei der Arbeitsverteilung benachteiligt; dagegen habe er sich von den Leiharbeitnehmern als ungerecht dargestellt empfunden. Dies habe bei ihm schließlich wegen Überforderung zu einer krankhaften Depression geführt, wegen der er sich in ärztliche Behandlung begeben habe (vgl. Bescheinigung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. N.; Bl. 154 d. A.). Er sehe ein, dass die von ihm gemachten sexuell anzüglichen Bemerkungen nicht in Ordnung gewesen seien und sichere zu, dass er dies in Zukunft unterlassen werde. Er habe sich insoweit auch bei der Zeugin A. entschuldigt, die seine Entschuldigung angenommen habe.

Er habe sich in dem Telefonat mit seiner Frau, bei dem er persönlich sehr aufgeregt gewesen sei, Luft gemacht und in Gegenwart der Zeugin A. ohne Namensnennung erklärt, dass er am liebsten denjenigen, der ihn in dieser Weise diffamiert und angeschwärzt habe, mit einer Schaufel versohlen würde. Er habe aber auch immer wieder gesagt, dass er so etwas nicht tun würde. Von daher habe keine unmittelbare Bedrohung der Zeugin A. stattgefunden. Die Aussagen der Zeugin A. zu den Gesprächsinhalt auf der Rückfahrt von der Baustelle seien insoweit unglaubwürdig. So solle der Kläger zunächst gesagt haben: „Normalerweise müsste ich Dir eine mit der Schaufel ziehen. So etwa“ und dann später: „Von hinten haue ich Dir mit der Schaufel in die Kniekehle, dann fällst Du um, kann mir doch sowieso keiner beweisen“. Die Zeugin habe dann ausgesagt, der Kläger habe auf ihren Hinweis, sie sei erkrankt, sie nehme Marcomar, geantwortet: „Na ja und?, oder so ähnlich“.

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Hierzu habe es das Arbeitsgericht an einer hinreichenden Beweiswürdigung fehlen lassen und übersehen, dass der Kläger die Zeugin A. in keinster Weise bedroht habe. Das Ganze müsse auch in Bezug zu der Frage der Zeugin gestellt werden. Diese habe ihn gefragt: „Du bist ja ziemlich geladen gewesen, Du hättest mir wohl am liebsten mit der Schaufel einen rübergezogen?“. Er habe selbst eingeräumt, dass er ausgesprochen wütend und verletzt gewesen sei und das er ihr am liebsten den Hintern hätte versohlen wollen, so etwas tue er aber nicht. Danach könne das Arbeitsgericht nicht zu der Einschätzung kommen, dass er gesagt habe, er werde sie von hinten mit der Schaufel in die Kniekehle hauen. Es fehle deshalb an einer tatsächlichen Bedrohung der Zeugin A..

Es sei auch übersehen worden, dass es sich um keine Vertragsverletzung handele, die das Arbeitsverhältnis noch in Zukunft stören würde. Eine Kündigung dürfe nicht als Strafe eingesetzt werden. Eine negative Prognose der beklagten Stadt sei nicht darstellbar, da aus den in Rede stehenden Fällen nicht geschlossen werden könne, dass der Kläger auch in Zukunft seine Vertragspflicht nicht erfüllen werde. Immerhin sei das Arbeitsverhältnis des Klägers über 14 Jahre hinweg ohne Beanstandungen gelebt worden. Von daher hätte der Kündigung eine Abmahnung vorangehen müssen. Die von der beklagten Stadt mit dem Personalrat abgeschlossene Dienstvereinbarung zum „Partnerschaftlichen Verhalten am Arbeitsplatz“ nenne auch die Kündigung nicht als erstes Mittel, sondern eröffne daneben die Möglichkeiten der Versetzung und der Abmahnung. Auch bei der Interessenabwägung hätte die bisher fehlerfreie Tätigkeit des Klägers von 14 Jahren berücksichtigt werden müssen. Er hätte immerhin an anderer Stelle im Bauhof eingesetzt werden können, da auf dem Bauhof 3 bis 4 Kolonnen Einsatzmöglichkeiten bieten würden.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover – 7 Ca 399/07 Ö – vom 25. Januar 2008 wird abgeändert:

2. a) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 24. Juli 2007 mit Ablauf des 31. März 2008 nicht beendet worden ist.

b) Falls der Kläger mit dem Feststellungsantrag zu 2a) obsiegt wird beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,00 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2008 zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,00 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2008 zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto an Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2008 zu zahlen.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2008 zu zahlen.

7. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2008 zu zahlen.

8. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2008 zu zahlen.

9. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.135,00 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2008 zu zahlen.

10. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.252,74 EUR brutto abzüglich gezahlter 1.099,77 EUR netto anderweitigen Verdienst/Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2008 zu zahlen.

11. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.252,74 EUR brutto abzüglich gezahlter 837,11 EUR netto anderweitigen Verdienst zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2009 zu zahlen.

12. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.315,82 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2009 zu zahlen.

13. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.315,82 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2009 zu zahlen.

14. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.315,82 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2009 zu zahlen.

15. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.315,82 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2009 zu zahlen.

16. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.315,82 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto an Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2009 zu zahlen.

17. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.315,82 EUR brutto abzüglich gezahlter 928,20 EUR netto an Arbeitslosengeld zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2009 zu zahlen.

Die beklagte Stadt stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist daraufhin, dass die Feststellungen des Arbeitsgerichts zu den sexuellen Anzüglichkeiten bereits vor dem 3. Juli 2007 und am 3. Juli 2007 vom Kläger nicht mehr bestritten würden. Die Zeugin A. sei durchaus glaubwürdig und habe, was für ihre Glaubwürdigkeit spricht – wegen der Belastung der Aussage und der Scham, den Vorfall öffentlich zu schildern -, erst im zweiten Anlauf den Ablauf zur Androhung mit dem Schaufelschlag vorgetragen. Es sei auch nicht einsehbar, warum auch vom Kläger das geschilderte Verhalten vor dem 3. Juli 2007 und am Vormittag des 3. Juli 2007 offenbar für glaubwürdig erachtet werde, die Schilderung zum Verhalten am Nachmittag dagegen nicht. Der Wutanfall des Klägers am Nachmittag des 3. Juli 2007 spreche für sich. Die beklagte Stadt könne es über den Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden, mit dem Kläger weiter zusammenzuarbeiten. Die Ausführungen des Klägers zum Verhältnis und zur Schwierigkeit mit den Leiharbeitnehmern überzeugten nicht. Der Kläger habe selbst den Leiharbeitnehmern den Eindruck der „Zweitklassigkeit“ vermittelt, indem er die Leiharbeitnehmer oft als seine „Neger“ bezeichnet habe. Eine ernsthafte Entschuldigung des Klägers für sein pflichtwidriges Verhalten sei auch nicht erkennbar, wie sich aus seinen Bemühungen im Verfahren ergebe, sich stets als „Verletzten“ darzustellen. Auch der vom Kläger behauptete lockere und rüde Ton bei der Gartenarbeit entschuldige ihn nicht, wie die Empörung der Arbeitsgruppe nach der letzten Bemerkung des Klägers gegenüber der Zeugin A. am 3. Juli 2007 zeige. Die nachgewiesenen Belästigungen und die ausdrückliche Bedrohung mit Gewalt zeige ein hohes Gefährdungspotenzial, dass es der beklagten Stadt unzumutbar mache, den Kläger weiter zu beschäftigen.

Was das weitere Vorbringen der Parteien in zweiter Instanz angeht, wird auf die Schriftsätze vom 5. Juni, 14. Juli 2008, 16. Juni, 21. Juli und 30.September 2009 sowie die Verhandlungsprotokolle vom 25. November 2008 und vom 13. Oktober 2009 verwiesen. Das Landesarbeitsgericht hat im Termin vom 13.Oktober 2009 die Zeugin A. erneut zur Frage ihrer Bedrohung durch den Kläger am 3.Juli 2007 vernommen. Zum Inhalt der Zeugenaussage wird auf Blatt 289, 290 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Auf die Berufung des Klägers war die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern. Nach dem im Kündigungsschutzrecht herrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte die beklagte Stadt den Kläger vor Ausspruch einer Kündigung wegen sexueller Belästigung nach 14jährigem beanstandungsfreien Arbeitsverhältnis zunächst abmahnen müssen. Ihre Kündigung zum 31. März 2008 hat das Arbeitsverhältnis deshalb nicht aufgelöst. Die Beklagte ist zur Weiterbeschäftigung des Klägers als Gärtner bis zur Rechtskraft der Entscheidung verpflichtet; für die Monate April 2008 bis Juni 2009 stehen dem Kläger aus Annahmeverzug die Monatsgehälter nebst Zinsen abzüglich der empfangenden Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) oder anderweitigen Verdienstes zu.

1. Das Berufungsgericht tritt der Entscheidung des Arbeitsgerichts bei, soweit dort angenommen wird, dass eine sexuelle Belästigung unter Arbeitnehmern in jedem Fall abmahnungswürdig ist. Soweit das Arbeitsgericht in der Bemerkung des Klägers „er würde mit der Schaufel von hinten in die Kniekehle schlagen. Es könne ihm dann niemand etwas beweisen“ eine erhebliche Bedrohung der Zeugin A. erkennt und hieraus einen tragenden Kündigungsgrund ableitet, kann das Berufungsgericht dem nicht folgen. Dies hat die erneute Vernehmung der Zeugin A. bestätigt.

a) Das in den sexuell anzüglichen Äußerungen, die der Kläger inhaltlich letztlich nicht bestreitet, ein vorsätzliches, die Würde der Zeugin A. am Arbeitsplatz verletzendes sexuell bestimmtes Verhalten liegt, bedarf hier keiner näheren Erörterung. Die Zeugin A. hat dem Kläger deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sein Verhalten nicht zu dulden beabsichtigt. Auch der raue Ton, der auf dem Betriebshof der beklagten Stadt herrschen mag, kann das Verhalten des Klägers nicht entschuldigen. Die von dem Kläger gemachten Bemerkungen sexuellen Inhalts wurden von der betroffenen Zeugin A. erkennbar abgelehnt. Dies trifft vor allem für die am 3. Juli 2007 vormittags gegenüber der Zeugin A. geäußerte Bemerkung („Dich würde ich auch gern von hinten ficken“) zu, die eine unverzeihliche verbale Entgleisung unter Arbeitskollegen ist. Es handelt sich um eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG („unerwünschte Bemerkungen sexuellen Inhalts“), die einer Benachteiligung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG gleichsteht und deshalb den Arbeitgeber nach § 12 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 1, 7 AGG verpflichtet die im Einzelfall geeigneten erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Dies entspricht der bereits vor Inkrafttreten des AGG geltenden Rechtslage nach §§ 2 Abs. 3, 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchG a. F. (vgl. dazu BAG vom 25. März 2004 – 2 AZR 351/03 = EzA § 626 BGB 2002 Nr. 6).

Die vom Arbeitsgericht angenommene Bedrohung der Zeugin A. durch den vom Kläger in Aussicht gestellten „Schaufelschlag“ steht im unmittelbaren Zusammenhang mit den sexuellen Anzüglichkeiten des Klägers. Dieser fühlte sich erkennbar ertappt, nachdem die Zeugin A. sich beim Vorarbeiter H. über ihn beschwert hatte. Nach der erstinstanzlich protokollierten Aussage der Zeugin A. hat diese ihn auf das mit seiner Ehefrau laut geführte Telefonat angesprochen und er habe danach auf der Rückfahrt zum Betriebshof gesagt „Normalerweise müsste ich Dir einen mit der Schaufel ziehen“. Auf weitere Nachfrage habe er dann dies konkretisiert. Die Zeugin hat allerdings auch ausgeführt, dass er nach dem Gespräch, in dem er noch sehr erregt gewesen sei, bei Ankunft auf dem Betriebshof wieder sehr nett und freundlich zu ihr gewesen sei und zum Abschluss gesagt „Ich hoffe, dass dann alles o.k. ist“.

In ihrer wiederholten Vernehmung vor dem Landesarbeitsgericht hat sie die Geschehensabläufe im Wesentlichen wiederholt dargestellt, wenn auch mit teilweise anderen Worten. Die Zeugin vermittelte der Kammer nach überwundener anfänglicher Nervosität den Eindruck einen sicheren und selbstbewussten Frau. Sie fühlte sich zwar durch die Bemerkung des Klägers auf der Rückfahrt zum Bauhof: „Wenn ich dir mit der Schaufel eine in die Kniekehle gegeben hätte, könnte mir das keiner beweisen“ subjektiv bedroht, betonte aber gleichzeitig, dass sie wegen seiner körperlichen Überlegenheit und seines großen Körperwuchses keine Angst vor ihm gehabt habe. Die Stimmungsschwankungen des Klägers, der mal hochgehen konnte, dann aber wieder sehr nett gewesen sei, hätten es ihr schwer gemacht, diesen richtig einzuschätzen. So habe er sich bei Ankunft auf dem Betriebshof nach der vorrangegangenen Erregung etwas beruhigt und sinngemäß gesagt: „Na jetzt ist ja wieder alles in Ordnung“ und sie gebeten über den Inhalt des Gesprächs anderen gegenüber nichts mitzuteilen.

Diese letzten Bemerkungen lassen eine ernsthafte Bedrohung gegenüber der Zeugin A. nicht mehr erkennen. Die vorangehenden Äußerungen des Klägers sind seinem – insoweit unstreitig – erregten Zustand zuzuschreiben, der auf die Zurechtweisung durch den Vorarbeiter H. zurückzuführen ist. Die unsichere Persönlichkeit des Klägers ist auch der Zeugin A. nicht verborgen geblieben. Sie selbst hatte den Anzüglichkeiten des Klägers in der Vergangenheit standgehalten und sich erst auf Nachfrage des Vorarbeiters zu den verbalen Entgleisungen und dem schlechten Arbeitsklima geäußert. Eine objektive Bedrohung auf der Rückfahrt zum Betriebshof scheitert schon daran, das der Kläger – im erkennbaren Erregungszustand – nur ein Bedrohungsszenario im Konjunktiv beschrieb (hätte, könnte), die Zeugin seine wechselnden Stimmungen kannte und sich nicht vor seiner körperlichen Überlegenheit fürchtete. Hinzu kommt, dass die Zeugin die Arbeit in der Kolonne des Klägers aus physischen Gründen ohnehin aufgeben wollte, dem Kläger mithin in der kurzen Zeit ihres restlichen Arbeitseinsatzes nicht mehr begegnen konnte. Dass der Kläger in der Vergangenheit seinen Stimmungen Tätlichkeiten folgen ließ, wird weder von der Zeugin noch von der beklagten Stadt vorgetragen.

Es bleiben somit als kündigungsrelevant die verbalen sexuellen Anzüglichkeiten des Klägers gegenüber der Zeugin A. zu bewerten.

b) (aa). Sexuelle Belästigungen können auch ohne Abmahnung eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung rechtfertigen. Dies setzt allerdings massive sexuelle Belästigung in Wort und Tat oder ein zum Beispiel aus der Vorgesetztenstellung heraus erzwungenes sexuelles Entgegenkommen einen der untergebenden Personen voraus (vgl. BAG vom 25. März 2004 – 2 AZR 341/03 – aaO mwN; Landesarbeitsgericht Rheinland Pfalz vom 28. Oktober 2001 – 9 Sa 853/01 -). Hier beschränkte sich der Kläger auf eine Vielzahl wörtlicher sexueller Anzüglichkeiten, die in jedem Fall einen Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber seinen Arbeitskolleginnen und -kollegen darstellen. Der Arbeitgeber war deshalb gehalten, angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, um weitere sexuelle Belästigungen zu unterbinden.

§ 12 Abs. 3 AGG legt hierzu den allgemeinen arbeitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fest. Danach ist die Arbeitgeberin in Extremfällen ohne vorherige Abmahnung zur Kündigung des Arbeitsverhältnis berechtigt. In anderen Fällen ist eine Abmahnung, Umsetzung, oder Versetzung zu erwägen (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 4. März 2009 – 3 Sa 410/08 – BB 2009,1816). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte mit dem Personalrat hierzu eine Dienstvereinbarung geschlossen, die im Zusammenhang mit sexuellen Belästigungen nach § 3 Abs. 1 in § 6 Abs. 4 Gegenmaßnahmen der Verwaltung vorsieht, die von einer Durchführung eines formellen Dienstgespräches, über eine Abmahnung, die Einleitung disziplinarrechtlicher Maßnahmen, einer Kündigung, eine mündliche oder schriftliche Ermahnung bis hin zu einer Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz reichen (Bl. 49 bis 54 d. A.). Welche Maßnahme im Einzelfall angemessen ist, hängt vom Umfang und der Intensität der Belästigung ab, die von sexuellen Anspielungen bis hin zu körperlichen Bedrängen reichen kann.

(bb). Das Berufungsgericht kann nicht erkennen, dass die Arbeitgeberin angemessen im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf das Verhalten des Klägers reagiert hat. Die Möglichkeit einer Umsetzung in anderen Bereich des Bauhofes hat die beklagte Stadt überhaupt nicht geprüft. Eine Abmahnung ist nicht in Erwägung gezogen worden, da die beklagte Stadt ihre weiblichen Beschäftigten auf dem Bauhof schützen wollte.

Dem ist entgegenzuhalten, dass der Kläger nur gegenüber der Zeugin A. mit Anzüglichkeiten sexueller Art entgleiste, vorher aber in seiner gesamten Beschäftigungszeit von etwa 14 Jahren insoweit nicht aufgefallen war. Im Übrigen hat die beklagte Stadt nicht bedacht, dass die Zeugin A. als Leiharbeitnehmerin ab Ende Juli 2007 nicht mehr für sie tätig war und deshalb dem Kläger nicht mehr begegnen konnte. Schließlich muss sich die beklagte Stadt fragen lassen, ob sie sich gegen den Kläger nach den Ergebnissen der Anhörung konsequent verhalten hat. Wenn es ihr darum ging, die weiblichen Beschäftigten auf dem Bauhof vor dem Kläger dauerhaft zu schützen, lässt sich nicht erklären, warum sie die Freistellung des Klägers vom 11. Juli mit Schreiben vom 23. Juli wieder aufgehoben hat und den Kläger für die Dauer von 8 Monaten zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit aufforderte. Überlegungen, wie sie in dieser Zeitspanne den Schutz der weiblichen Arbeitnehmerinnen vor dem Kläger bewerkstelligen wollte, hat die beklagte Stadt nicht vorgetragen. Die beklagte Stadt hat ferner nicht dargetan, dass sie den Handlungskatalog der Dienstvereinbarung nach den Regeln der Verhältnismäßigkeit geprüft hat. Auf Nachfrage des Gerichts im Termin vom 13. Oktober 2009 hat sich der anstelle des persönlich geladenen Bürgermeisters mit Vollmacht nach § 141 Abs. 3 ZPO erschienene Fachbereichsleiter hierzu nicht inhaltlich erklären können; ebenso wenig zu den gezogenen Konsequenzen aus dem streitgegenständlichen Vorfall. Die Dienstvereinbarung wird nach Einschätzung der Kammer nicht „gelebt“.

So hätte es nahe gelegen, den Kläger unverzüglich aus der ihm zugeordneten Kolonne herauszunehmen und ihn an einer anderen Stelle im Bauhofbetrieb einzusetzen. Das hierzu Gelegenheit bestand, hat der Bürgermeister der Stadt im Termin vom 25. November 2008 eingeräumt und dargetan, dass etwa 4 bis 5 Kolonnen mit unterschiedlichen Einsatzgebieten vom Bauhof aus tätig werden. Bei der Unauffälligkeit des Klägers in der Vergangenheit und mit Blick auf das bevorstehende Ausscheiden der als Leiharbeitnehmerin tätigen Zeugin A. hätten sich damit die Probleme für die Zukunft lösen lassen.

An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass die soziale Rechtfertigung der verhaltensbedingten Kündigung sich ausschließlich an der zukünftigen Belastung des Arbeitsverhältnisses messen lassen muss. Die Kündigung dient nicht der „Bestrafung“ für pflichtwidriges Verhalten in der Vergangenheit. Die verbalen Entgleisungen des Klägers gegenüber der Zeugin A. verlieren zwar dadurch nicht an Gewicht, können aber bei einem langjährig störungsfreien Arbeitsverhältnis nur mildere Mittel als die Kündigung wie beispielsweise die einer Abmahnung und/oder einer Versetzung des Klägers zu einer anderen Kolonne nach sich ziehen (vgl. dazu BAG vom 25. März 2004 – 2 AZR 341/03 – aaO zu B.II.2. der Gründe; KR-Griebeling, 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 500 mwN). Sind mehrere Maßnahmen geeignet und möglich die Benachteiligung infolge sexueller Belästigung für eine Arbeitnehmerin abzustellen, so hat der Arbeitgeber diejenige zu wählen, die den Täter am wenigsten belastet (Wendeling/Schröder/Stein AGG 2007 § 12 AGG Rn. 33). Die von der beklagten Stadt ausgewählte Maßnahme der Kündigung ist daher unverhältnismäßig und nicht sozial gerechtfertigt.

c) Dieses Ergebnis bestätigt sich durch die abschließende Interessenabwägung. Danach ist eine Kündigung nur gerechtfertigt, wenn ein Tatbestand vorliegt, der bei gewissenhafter Abwägung der beiderseitigen Interessen einen verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen würde. Diese sogenannte Interessenabwägung dient im Ergebnis nur der Korrektur einer zuvor nicht vollständig erfolgten Erfassung des Tatbestandes.

Die Abwägung darf sich nur auf arbeitsvertraglich und sachverhaltsbezogene Umstände beziehen und nicht bereits schon zum Tatbestand gehörende Elemente, wie die zu beurteilende Intensität und Beharrlichkeit der Vertragsverletzung sowie das Maß des Verschuldens mit einbeziehen (zutreffend ErfK-Oetker, 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 201 f. mwN). Da die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers bereits im Zusammenhang mit der Wahl des angemessenen Mittels des Arbeitgebers zur Abwehr verbaler sexueller Entgleisungen des Klägers in der Zukunft bewertet worden ist, kann diesem Umstand in der Interessenabwägung nicht nochmals Gewicht beigemessen werden.

Allerdings ist in der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Kläger nach 14jährigem Bestand des Arbeitsverhältnisses in wenigen Monaten die sogenannte tarifliche Unkündbarkeit (§ 34 TVöD) erreichen würde.

Andererseits ist zu Gunsten der Arbeitgeberseite zu bedenken, dass diese das in der Vergangenheit gezeigte Verhalten des Klägers für die Zukunft dauerhaft unterbinden muss, um weibliche Arbeitnehmerinnen im Betrieb zu schützen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts überwiegt dennoch hier das Bestandschutzinteresse des Klägers. Zwar sind die verbalen sexuellen Entgleisungen des Klägers gegenüber der Leiharbeitnehmerin A. nicht zu entschuldigen; andererseits ist der Kläger mit derartigen Pflichtverstößen erstmalig nach fast 14 Jahren Betriebszugehörigkeit aufgefallen und hat sich gegenüber anderen weiblichen Beschäftigten der beklagten Stadt bisher nicht daneben benommen. Das Auftreten des Klägers in den Terminen vor dem Berufungsgericht hat auch den Eindruck vermittelt, dass er mit der Aufgabenstellung mehrere Leiharbeitnehmer anzuleiten, intellektuell offenbar überfordert war. Der Kläger schämt sich für sein Verhalten und hat deshalb der beklagten Stadt gegenüber eine betriebsöffentliche Entschuldigung angeboten, die von ihr bisher nicht angenommen wurde. Stellt man ferner in Rechnung, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Vorfälle von seiner Ehefrau getrennt lebte, rundet sich das Bild.

Abschließend ist zu bewerten, dass neben der Verletzung der Vertragspflicht des Klägers durch seine sexuell belästigenden Bemerkungen keine konkreten negativen Auswirkungen für den Arbeitgeber im Bereich seines Betriebes eingetreten sind (vgl. BAG vom 24. Juni 2004 – 2 AZR 63/03 = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65 zu B.II.1. und 2. der Gründe). Die Kündigung ist daher auch nach einer Interessenabwägung nicht haltbar.

2. Der vom Kläger als uneigentlichen Hilfsantrag neben dem Kündigungsschutzantrag gestellte Anspruch auf Weiterbeschäftigung ist begründet. Da hier mangels wirksamer Kündigung das Arbeitsverhältnis weiterbesteht, ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer bis zu einer abschließenden rechtskräftigen Entscheidung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen. Diese Verpflichtung des Arbeitgebers ist als allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (vom 27. Februar 1985, GS 1/84 = NZA 1985, 702 = EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) anerkannt. Der Weiterbeschäftigungsanspruch wird wie der allgemeine Beschäftigungsanspruch aus §§ 611, 613 BGB in Verbindung mit § 242 BGB hergeleitet, wobei die Generalklausel durch die verfassungsrechtliche Wertentscheidung der Artikel 1 und 2 GG ausgefüllt wird. Die Beschäftigung des Klägers als Gärtner im Bereich des Bauhofs beeinträchtigt indessen nicht das Direktionsrecht der beklagten Stadt, ihn anders als bisher einzusetzen.

3. Dem Kläger steht weiter aus Annahmeverzug (§§ 611, 615 BGB) die Monatsvergütung für die in zweiter Instanz im Wege der Klageerweiterung geltend gemachten Monatsvergütungen April 2008 bis Juni 2009 zu. Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO sind in der Berufungsinstanz nicht als Klageänderung anzusehen, sodass § 533 ZPO auf sie keine Anwendung findet (BGH, vom 19. März 2004 BZR 104/03 = NJW 2004, 2152).

Nach Kündigung durch den Arbeitgeber bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs keines Angebots des Arbeitnehmers. Ein Angebot ist gemäß § 296 S. 1 BGB entbehrlich. Die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers besteht darin, den Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers fortlaufend planen und durch Weisungen hinsichtlich Ort und Zeit näher konkretisieren (herrschende Rechtsprechung; z. B. BAG vom 7. November 2002 – 2 AZR 650/00 = EzA § 615 BGB 2002 Nr. 1 zu B.I.1. der Gründe). Kommt der Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht nach, gerät er in Annahmeverzug, ohne das es eines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer bedarf.

Somit befand sich die beklagte Stadt ab dem 1. April 2008 in Annahmeverzug und hat den Kläger die geforderten, der Höhe nach unstreitigen Bruttomonatsgehälter abzüglich des empfangenen Arbeitslosengeldes und des anderweitigen Verdienstes nach § 615 BGB zu zahlen. Die beklagte Stadt schuldet weiterhin Verzugszinsen jeweils nach Fälligkeit. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB.

4. Die beklagte Stadt hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 91 ZPO.

5. Eine Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da das Berufungsgericht sich an der Leitentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. März 2004 – 2 AZR 341/03 = EzA § 626 BGB 2002 Nr. 6) orientiert hat. Es handelt sich überdies um einen Einzelfall, der keine weitergehende grundsätzliche Bedeutung erkennen lässt.

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