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Verkehrsunfall – Sicherheitsabstand zu parkendem Fahrzeug

Oberlandesgericht Bremen

Az: 2 U 19/08

Urteil vom 29.05.2008


In dem Rechtsstreit hat der 2. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2008 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bremen – 6. Zivilkammer – vom 7. Januar 2008 (Az.: 6-0-1479/07) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger € 4.856,66 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juni 2007 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Beklagten 80% und der Kläger 20%.

Die Kosten der Berufung tragen die Beklagten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vorher Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.

Der Wert der Berufung wird auf € 1.214,16 festgesetzt.

Gründe:

I.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Ersatz des ihm infolge eines Verkehrsunfalls vom 15.12.2006 an seinem PKW entstandenen Sachschadens.

Die Frau des Klägers, die Zeugin A, war am Unfalltag gegen 17.20 Uhr mit dem Wagen und ihren beiden kleinen Kindern in Bremerhaven unterwegs. Sie parkte, was dort erlaubt ist, am rechten Fahrbahnrand des D.-Wegs Höhe Haus Nr. 36 (in Richtung M.-Weg). Nachdem sie Einkäufe erledigt hatte, kam die Zeugin zu dem 4-türigen – Pkw zurück und setzte von der Beifahrerseite aus zunächst ihren Sohn auf seinen Kindersitz und schnallte ihn an. Dann ging sie – ohne dass ein herannahendes Fahrzeug zu sehen gewesen wäre – mit der jüngeren Tochter auf dem Arm von hinten um den Wagen herum, um das Kind von der Fahrerseite aus hinzusetzen. Als sie, am Fahrbahnrand stehend, die hintere Fahrzeugtür zu Dreiviertel geöffnet hatte, vergewisserte sie sich nochmals der Verkehrslage und schnallte die Tochter an. In diesem Moment fuhr der 83-jährige Beklagte zu 1. in der Annahme ausreichenden Abstand gewahrt zu haben, gegen die in die Fahrbahn hineinragende Tür des Klägerfahrzeuges. Die Tür schlug um, so dass Sachschaden in – unstreitiger – Höhe der vom Kläger vor dem Landgericht erhobenen Klagforderung von insgesamt EUR 6.070,82 entstand.

Das Landgericht hat die Behauptung des Beklagten zu 1., sein Sicherheitsabstand zu dem parkenden Pkw hätte ausgereicht, wenn sich die Tür nicht unmittelbar vor der Kollision plötzlich noch weiter geöffnet hätte, nach Vernehmung der Zeugin A. widerlegt gesehen und ihn – bei Annahme einer Haftungsquote von-3/5 zu Lasten der Beklagten – als Gesamtschuldner neben seiner Haftpflichtversicherung, der Beklagten zu 2., verurteilt an den Kläger EUR 3.642,92 nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit (8.6.07 bzw. 11.6.07) zu zahlen. Dem Kläger sei ein Mitverursachungs- und Verschuldensbeitrag der Zeugin A. von 2/5 zuzurechnen. Ihr sei es ohne weiteres möglich gewesen, auch die Tochter von der Beifahrerseite aus ins Auto setzen, um den für den Autoverkehr vorgesehenen Verkehrsraum überhaupt nicht erst in Anspruch zu nehmen. Gem. § 14 I StVO müsse sich derjenige, der ein- oder aussteige so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei.

Der Kläger hält die vom Landgericht ausgeworfene Haftungsquote für übersetzt und einen eigenen Anteil von allenfalls 1/5 für angemessen, was einen über die bereits titulierte Summe hinausgehenden Forderungsbetrag von EUR 1.213,74 ausmacht (4/5 von EUR 6.070,82 = EUR 4.856,66 – EUR 3.642,92 = 3.642,92 = EUR 1.213,74). Nach Korrektur eines Rechenfehlers um EUR 0,42 und nach Rückführung des Zinsanspruchs beantragt er,

die Beklagten unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger weitere EUR 1.213,74 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Die Beklagten verteidigen das Urteil des Landgerichts und beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

II.
Die zulässige Berufung ist begründet.

Dem Kläger steht gegenüber den Beklagten ein Anspruch auf Ersatz eines weiteren Fünftels seines Gesamtsachschadens aus §§ 7 I, 17 II, 9 StVG, 823 BGB, 3 Nrn. 1, 2 PflVG zu.

Die gemäß § 17 I, 18 StVG gebotene Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrzeugführer führt zu dem Ergebnis, dass die Beklagten den Schaden des Klägers – wie mit der Berufung begehrt (vgl. § 528 ZPO) – nach einer Quote von (mindestens) 4/5, d.h. in Höhe von insgesamt €4.856,66zu ersetzen haben.

Wenn sich die Tür des Klägerfahrzeuges, was nach dem Beweisergebnis des Landgerichts feststeht (§ 529 ZPO), unmittelbar vor der Kollision nicht weiter geöffnet hat, hat der Beklagte zu 1) die wesentliche Unfallursache deshalb gesetzt, weil er den seitlichen Abstand zu dem parkenden Pkw falsch eingeschätzt und entgegen § 1 II StVO keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat. Dies wäre ihm – angesichts seines eigenen Vortrags zu den örtlichen Verhältnissen – allerdings ohne weiteres möglich gewesen. Nach seinen Angaben soll die Fahrbahn an der Unfallstelle so breit gewesen sein, dass sogar noch Linienbusse im Gegenverkehr hätten passieren können. Sah er, was er einräumt, sowohl die geöffnete Tür als auch die im Fahrzeug hantierende, ihm abgewandte Zeugin, hatte er allein die Gefahr eines Unfalls vor Augen und die Mittel, ihn zu verhindern.

Die Zeugin A. hingegen hatte gem. § 14 I StVO gesteigerte Sorgfaltspflichten zu erfüllen und, als sie ihrer Tochter beim Einsteigen half, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landgerichts, dass die Zeugin A. in Wahrung dieser Pflichten ganz davon hätte absehen müssen, die Tür an der Fahrerseite zu öffnen und statt dessen beide Kinder von der Beifahrerseite aus in ihre Kindersitze setzen musste. Sieht man einmal von den damit verbundenen, allen Senatsmitgliedern hinreichend bekannten praktischen Problemen ab, bleibt zu beachten, dass § 14 I StVO das Öffnen der linken Tür nicht grundsätzlich verbietet (so auch BGH, VersR 1987, 53 f., juris Rn. 25). Das an Ein- und Aussteigende gerichtete Gebot des § 14 I StVO bedeutet vielmehr, dass Fahrzeugtüren nur dann geöffnet werden sollen, wenn der Ein- bzw. Aussteigende sicher sein darf, dass er andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet (BGH a.a.O., juris Rn.22). Das war nach den unstreitigen – Feststellungen des Landgerichts aber der Fall, weil die Zeugin sich vor und während des Einsteigemanövers hinreichend vergewissert hat, dass sich kein rückwärtiger Verkehr näherte.

§ 14 I StVO will im Übrigen auch nur Unfälle verhüten, die gerade durch das unachtsame Öffnen von Fahrzeugtüren entstehen. Höchste Sorgfalt ist dem ein- und aussteigenden Verkehrsteilnehmer gerade wegen des dadurch bedingten Überraschungsmoments auferlegt: Eine Gefährdung im Sinne des § 14 StVO kann also nur dann angenommen werden, wenn das Öffnen der Tür unvermittelt geschieht und einen anderen Verkehrsteilnehmer zu plötzlichem Reagieren zwingt (LG Berlin, ZfSch 2001, 353ff. juris Rn.8, 12). Angesichts der von ihm als solchen richtig erkannten Gefahrensituation war hier aber nicht eine schnelle Reaktion des Beklagten zu 1), sondern lediglich die zutreffende Einschätzung seines seitlichen Abstands zum Klägerfahrzeug gefragt.

Ob der Fahrfehler des Beklagten zu 1) den vom Pkw des Klägers ausgehenden Ursachenbeitrag (Betriebsgefahr) so überwiegt, dass eine Mithaftung des Klägers ganz ausscheidet, wie das OLG Nürnberg in einem gleich gelagerten Fall angenommen hat, in dem allerdings die – wie hier – ins Fahrzeuginnere gebeugte Ehefrau des Fahrzeughalters die in die Fahrbahn hinein ragende Tür durch eine geringfügige Bewegung weiter geöffnet hatte (vgl. OLG Nürnberg, DAR 2001, 130, juris Rn.9), kann dahinstehen. Denn eine Mithaftung des Klägers über die von ihm in der Berufung angesetzte Quote von 1/5 hinaus wäre angesichts des grob fahrlässigen Verhaltens des Beklagten zu 1) unter keinen Gesichtspunkt gerechtfertigt.

Verzinsung seines ihm damit in Höhe von insgesamt €4.856,66 zustehenden Ersatzanspruches kann der Kläger gemäß §§ 291, 288 BGB ab Rechtshängigkeit verlangen, die hinsichtlich des Beklagten zu 1) am 8. Juni 2007, hinsichtlich der Beklagten zu 2) am 11. Juni 2007 eingetreten ist. Wegen § 3 PflVG kann der Kläger sich jedoch bereits ab dem 8. Juni 2007 an beide Beklagten halten.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711, ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

 

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