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Sichtfahrgebot bei Dunkelheit – Geschwindigkeit bei Schweinwerferausleuchtung

Oberlandesgericht Koblenz

Az: 12 U 258/06

Urteil vom 02.07.2007


In dem Rechtsstreit der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2007 für Recht erkannt:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 23. Januar 2006 hinsichtlich des Ausspruchs zum Klageantrag zu 3) teilweise wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner der Klägerin allen zukünftigen immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 28. Januar 2003 unter Berücksichtigung eines Mitverursachungsanteils von 60 % bei der Klägerin sowie 40 % allen aus dem genannten Unfallereignis künftig entstehenden materiellen Schadens zu ersetzen haben, soweit nicht ein Forderungsübergang auf Dritte stattgefunden hat oder stattfindet.

Die weitergehende Berufung (Berufungsanträge zu 1) und 2) und teilweise zu 3)) wird zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des ersten Rechtszugs haben die Klägerin 74 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 26 % zu tragen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 89 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 11 % zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die zum Unfallzeitpunkt 21 Jahre alte Klägerin macht in dem vorliegenden Rechtsstreit materiellen und immateriellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 28. Januar 2003 auf der B … in Fahrtrichtung B . bei Dunkelheit gegen 20.00 Uhr in Höhe der Ortschaft W… ereignet hat. Die Klägerin fuhr mit ihrem Pkw auf das am linken Rand der linken der beiden Fahrtrichtungsspuren liegen gebliebene Fahrzeug der Beklagten zu 2) auf. Deren Pkw stand dort, weil der Beklagte zu 1) als Fahrer dieses Fahrzeuges 5 – 10 Minuten zuvor mit dem Pkw des Zeugen M… zusammengestoßen und danach links an der Leitplanke zum Stillstand gekommen war.

Die Klägerin erlitt bei dem Zweitunfall eine Patellaquerfraktur und Schürfwunden am rechten Knie. Am 3. Februar 2003 wurde sie operiert und blieb bis zum 7. Februar 2003 im Krankenhaus. Bis zum 12. Mai 2003 bestand eine 100 %-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit; am 18. Dezember 2003 wurde das Metall operativ entfernt. Die Klägerin macht bis heute andauernde belastungsabhängige Schmerzen und Bewegungseinschränkungen geltend.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagten müssten ihr zu 75 % haften. Das vom Beklagten zu 1) geführte Fahrzeug habe vor dem Zusammenstoß bereits 5-10 Minuten unbeleuchtet auf der linken Fahrspur gestanden. Der Beklagte zu 1) habe seinen Pkw weder an den rechten Fahrbahnrand gefahren noch sich um eine genügende rückwärtige Absicherung gekümmert. Die Beklagten werfen der Klägerin vor, sie sei zu schnell gefahren und habe dem Geschehen insgesamt nicht die genügende Aufmerksamkeit zugewendet, denn am rechten Fahrbahnrand hätten sich Fahrzeuge und Personen befunden. Überdies hätten mehrere andere Fahrzeugführer den Pkw des Beklagten zu 1) rechtzeitig wahrgenommen und seien ihm ausgewichen.

Mit der Klage hat die Klägerin auf der Grundlage einer 75 %-igen Haftung ein Schmerzensgeld von zuerst 6.750 Euro und sodann – nach erfolgter Teilzahlung – ein solches von noch 5.200 Euro nebst Zinsen verlangt, des Weiteren für Fahrtkosten und sonstige Unkosten 111,96 Euro nebst Zinsen. Außerdem hat sie die Feststellung der zukünftigen Schadensersatzpflicht der Beklagten begehrt.

Das Landgericht hat in seinem Urteil vom 23.1.2006 eine Haftungsverteilung von 60 zu 40 zu Lasten der Klägerin für angemessen gehalten. Die materiellen Ansprüche waren nach seiner Meinung nicht substantiiert dargetan, ebenso wenig die Voraussetzungen für einen Feststellungsausspruch. Deshalb hat das Landgericht die Beklagten zur Zahlung weiterer 1.200 Euro nebst Zinsen auf das Schmerzensgeld verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageziele weiter verfolgt.

Wegen der wörtlichen Fassung der erstinstanzlichen Anträge wird auf Bl. 52 und 99 GA, wegen der wörtlichen Fassung der Berufungsanträge auf Bl. 112, 113 und 133 GA Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze und Urkunden verwiesen.

Das Rechtsmittel hat nur hinsichtlich des Feststellungsantrags Erfolg.

Die Annahme eines Mithaftungsanteils der Klägerin von 60 % ist nach den Umständen des Falles nicht zu beanstanden. Nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG sind bei der Bemessung der Mitverursachungsanteile bei einer Gesamtwürdigung des konkreten Sachverhalts diejenigen belastenden Umstände zu berücksichtigen, die nachgewiesen sind. Von diesem Grundsatz gehen auch die von der Klägerin im Berufungsverfahren zitierten Entscheidungen aus. Danach gilt hier Folgendes:

Der Klägerin fällt ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO zur Last, welches gerade auch bei Dunkelheit gilt. Sie durfte also nur so schnell fahren, dass sie innerhalb der durch ihre Scheinwerfer ausgeleuchteten Strecke anhalten konnte. Dass diese Regel häufig nicht eingehalten wird, entlastet sie nicht. Darüber hinaus hat die Klägerin auch gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, denn das Geschehen am rechten Fahrbahnrand, wo sich das Fahrzeug des Zeugen M…, umgeben von mehreren Personen, befand, musste sie zu besonderer Sorgfalt anhalten. Zwar ist die Klägerin gerade deshalb auf die linke Fahrspur ausgewichen, um diese Personen nicht zu gefährden. Sie musste aber damit rechnen, dass sich ein Unfall ereignet hatte und noch weitere Fahrzeuge auf der Fahrbahn waren. Durch ein kurzes Aufblenden hätte sie sich unschwer Gewissheit über die Verhältnisse auf dem vor ihr liegenden Fahrbahnabschnitt verschaffen können. Auch geht der Senat mit dem Landgericht davon aus, dass die Klägerin die Fahrzeugbeleuchtung und die von dem Beklagten zu 1) eingeschaltete Warnblinkanlage übersehen hat, da sie durch das Geschehen am rechten Fahrbahnrand abgelenkt war. Der Senat hält es nicht für glaubhaft, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) völlig unbeleuchtet an der Leitplanke stand. Zwar hat der Beklagte zu 1) in Sorge um seine eigene Sicherheit den verunfallten Pkw der Beklagten zu 2) alsbald verlassen. Es besteht aber kein Grund, weshalb er die Beleuchtung ausgeschaltet und nicht die Warnblinkanlage betätigt haben sollte, was der Zeuge M… auch bestätigt hat.

Auf Seiten der Beklagten fällt ins Gewicht, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) ohne genügende Absicherung nach hinten, z.B. durch ein Warndreieck, in einer leichten Linkskurve an der Leitplanke stand und auf diese Weise den nachfolgenden Verkehr schwerwiegend gefährdete. Hingegen kann dem Beklagten zu 1) nicht nachgewiesen werden, den Vorunfall schuldhaft mitverursacht zu haben. Die in den beigezogenen Ordnungswidrigkeitsakten befindlichen Schilderungen und Aussagen zu diesem Geschehen deuten eher darauf hin, dass den Beklagten zu 1) insoweit kein Verschulden traf. Dem Beklagten zu 1) kann auch jedenfalls kein gravierender Vorwurf daraus gemacht werden, dass er sein verunfalltes Fahrzeug in dieser gefährlichen Situation alsbald verließ und weder zeitraubend herauszufinden versuchte, ob sein Fahrzeug trotz der Beschädigungen aus dem Vorunfall noch zu bewegen war, noch auch im Kofferraum nach dem Warndreieck suchte. Beides war im Dunkeln und auf der mit regelmäßig hoher Geschwindigkeit befahrenen, für jede Fahrtrichtung zwei Fahrspuren vorsehenden B … bei Dunkelheit mit einer hohen Selbstgefährdung verbunden, die auf sich zu nehmen ihm kaum zumutbar war. Unter den geschilderten Umständen kann in dem sofortigen Verlassen des Fahrzeugs allenfalls ein geringes Verschulden gesehen werden. Dass es danach etliche Minuten gedauert hat, bis sich der hier in Rede stehende Unfall ereignete, ist eine Erkenntnis im Nachhinein, die an der Beantwortung der Frage, wie der Beklagte zu 1) an Ort und Stelle unmittelbar nach dem Vorunfall handeln musste und durfte, nichts ändert. Nach eigenen, unwiderlegten Angaben hat der Beklagte zu 1) vergeblich versucht, von der Familie M… ein aufstellbereites Warndreieck zu erhalten. Auf Seiten der Beklagten fällt deshalb im Ergebnis hauptsächlich die bedeutend erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs ins Gewicht, die einen Mithaftungsanteil von 40 % rechtfertigt.

Da sich der Beklagte zu 1) gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG nach dem Gesagten nicht vollständig entlastet hat, hat er für diesen Haftungsanteil gemäß §§ 18 Abs. 1, 7 Abs. 1 StVG ebenfalls mit einzustehen.

Nach allem hat es bei den vom Landgericht zugrunde gelegten Haftungsanteilen von 60 zu 40 zu verbleiben.

Die weiteren Ausführungen des Landgerichts zur Höhe des Schadens, insbesondere auch zum Schmerzensgeld, sind nicht zu beanstanden.

Allerdings ist dem Feststellungsantrag entgegen der Meinung des Landgerichts stattzugeben, da im Falle knöcherner Verletzungen ein Zukunftsschaden niemals völlig von der Hand zu weisen ist.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.610,94 Euro festgesetzt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es an den Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO fehlt.

 

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