Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – Az.: OVG 11 S 134/20 – Beschluss vom 28.12.2020
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Durch Beschluss vom 23. Dezember 2020 hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, § 22 Abs. 1 Satz 1 der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz in der Fassung der 3. Verordnung zur Änderung der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz vom 18. Dezember 2020, wonach pyrotechnische Gegenstände der Kategorie 2 dem Verbraucher im Jahr 2020 nicht überlassen werden dürfen, gegenüber der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen bzw. für nicht anwendbar zu erklären.
Die hiergegen rechtzeitig erhobene und begründete Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg, weil ihre gemäß § 146 Abs. 4 VwGO allein zu prüfende Begründung eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht rechtfertigt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes – wie § 123 VwGO – gehalten, der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Daraus folgt grundsätzlich die Verpflichtung, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt. Dabei steigt die notwendige Prüfungsintensität grundsätzlich mit der drohenden Rechtsverletzung und kann bis dahin reichen, dass die Gerichte unter besonderen Umständen – wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen – dazu verpflichtet sein können, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 14. September 2016 – 1 BvR 1335/13 –, Rn. 20, juris). Droht einem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, darf eine Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes von Verfassung wegen jedoch dann ausschließlich auf eine Folgenabwägung gestützt werden, wenn es nicht möglich ist, eine – gegebenenfalls auch nur summarische – Rechtmäßigkeitsprüfung in der für eine Eilentscheidung zur Verfügung stehenden Zeit durchzuführen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. Juli 2018 – 1 BvR 1401/18 –, Rn. 5, juris, m.w.N.)
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die mit der 3. Verordnung zur Änderung der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz für das Kalenderjahr 2020 geschaffene Erweiterung des Überlassungsverbots greift bereits mit Beginn des morgigen 29. Dezember und findet mit Ablauf des Jahres 2020 seine Erledigung. Da der Senat davon ausgeht, dass jeder dieser drei Tage für die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin von erheblicher Bedeutung ist, hält er es zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes für geboten, schnellstmöglich über die Beschwerde zu entscheiden. Während des hiernach verbleibenden, äußerst kurzen Zeitfensters ist es dem Senat nicht möglich, die voraussichtliche Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnungsregelung anhand der gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zu berücksichtigenden Einwände der Beschwerde hinreichend verlässlich zu beurteilen. Die danach hier vorzunehmende – rechtmäßigkeitsunabhängige – Interessenabwägung geht zulasten der Antragstellerin aus.
Die Antragstellerin, die eigenen Angaben nach gewerbliche Herstellerin und Importeurin von pyrotechnischen Gegenständen ist, macht selbst nicht geltend, dass die Versagung des von ihr begehrten vorläufigen Rechtsschutzes für sie zur Folge habe, dass sie ihr Gewerbe grundsätzlich nicht ausüben könne. Dies ist mit Blick darauf, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz in der Fassung der 3. Verordnung zur Änderung der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz vom 18. Dezember 2020 nur pyrotechnische Gegenstände der Kategorie 2 betrifft, auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr beklagt die Antragstellerin mit ihrer Beschwerdebegründung allein, dass durch die Regelung ein kompletter Ausfall des Verkaufs von Silvesterfeuerwerk erzwungen werde. Die Antragstellerin legt indes nicht substantiiert dar, dass ihr infolge des Überlassungsverbotes wirtschaftliche Verluste von erheblichem Gewicht oder gar bis zur Existenzbedrohung reichende Geschäftseinbußen drohen. Sie trägt vielmehr allein vor, dass der Verkauf von Silvesterfeuerwerk in nur drei Tagen 11 Prozent ihres Jahresumsatzes ausmache. Welcher Schaden konkret im Raume steht, bleibt indes unbestimmt, da die Antragstellerin die Höhe ihres Jahresumsatzes nicht angegeben hat. Soweit die Antragstellerin vorbringt, der Verkauf von Silvesterfeuerwerk in nur drei Tagen sei von enormer Bedeutung für ihre Reputation als Hersteller von pyrotechnischen Gegenständen, diese Reputation drohe durch die enttäuschten Erwartungen der Verbraucher ernstlich Schaden zu nehmen, ist dies bereits nicht nachvollziehbar. Das Überlassungsverbot ist durch ein Gesetz im materiellen Sinne geregelt und gilt nicht allein für die Antragstellerin, sondern für jedermann, so dass nicht erkennbar ist, wieso die Verbraucher die nunmehr fehlende Möglichkeit des Erwerbs von Silvesterfeuerwerk gerade der Antragstellerin anlasten sollten.
Selbst angenommen, das auf das Jahr 2020 beschränkte (vollständige) Überlassungsverbot greife gravierend in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin als Gewerbetreibende im Bereich des Fachhandels für Feuerwerksartikel aus Art. 12 Abs. 1 GG als dem zu der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG spezielleren Grundrecht ein, ginge die Folgenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn hätte der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Erfolg, würde das Abbrennen von Feuerwerkskörpern der Kategorie 2 (F 2-Feuerwerk), deren Abgabe damit ermöglicht würde, nach allgemeiner langjähriger Erfahrung in einer erheblichen Anzahl von Fällen durch unsachgemäßen Gebrauch zu Verletzungen führen, deren akut erforderliche medizinische Behandlung zu einer zusätzlichen Belastung des durch die Corona-Pandemie ohnehin in außergewöhnlicher Weise in Anspruch genommenen Gesundheitssystems, namentlich seiner begrenzten personellen Ressourcen insbesondere in den Krankenhäusern, führen. Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat und auch die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht durchgreifend bestreitet, ist allgemein bekannt, dass die Situation in den Krankenhäusern in Deutschland – insbesondere was die Belastung des medizinischen Personals angeht – derzeit sehr angespannt ist und Engpässe in der medizinischen Versorgung kurz- und mittelfristig nicht auszuschließen sind. Auch gegenwärtig steigt die Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter COVID-19-Fälle noch an (vgl. https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen) und müssen planbare operative Eingriffe verschoben werden. Mit der beabsichtigten Vermeidung von Verletzungen durch das Abbrennen von F 2-Feuerwerk soll eine weitere Belastung dieser sehr angespannten Situation vermieden werden. Selbst wenn die Krankenhäuser die zusätzliche Anzahl an Verletzten durch unsachgemäße Benutzung von Feuerwerkskörpern noch bewältigen könnten, würde eine zusätzliche Zahl Verletzter notwendigerweise zu Lasten der insgesamt angespannten personellen Situation gehen und die Behandlung der zahlreichen COVID-19-Patienten potentiell beeinträchtigen. Denn eine medizinische Versorgung von niedergelassenen Ärzten ist in der Zeit des Jahreswechsels, in der das Silvester-Feuerwerk abgebrannt wird, in der Regel nicht zu erlangen. Angesichts der damit in Rede stehenden überragend wichtigen Rechtsgüter Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) überwiegt das Interesse an der Vermeidung dieser Folgen das Interesse der Antragstellerin daran, auch im Jahr 2020 in der Zeit vom 29. bis 31. Dezember F2-Feuerwerk zu verkaufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).