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Skiunfall – Unaufklärbarkeit und Haftungsverteilung

OLG Schleswig-Holstein

Az.: 11 U 10/12

Urteil vom 28.08.2012


Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 28. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug wird auf 131.787,22 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadenersatzansprüche wegen eines Skiunfalles vom 22. Januar 2009 gegen 9.45 Uhr auf der X-Alp in der Schweiz geltend. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 28. Dezember 2011 Bezug genommen (§ 540 ZPO). Der Kläger hat in erster Instanz Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 60.000,00 € und Ersatz materieller Schäden in Höhe von 183.544,00 € geltend gemacht sowie die Feststellung begehrt, dass der Beklagte ihm sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Schadensereignis zu ersetzen hat, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt:

Der Kläger sei für seine Behauptung, der Beklagte habe fahrlässig und damit schuldhaft gegen die FIS -Verhaltensregeln für Skifahrer und Snowboarder verstoßen, beweisfällig geblieben. Insbesondere sei nicht bewiesen, dass der Beklagte ihn als von hinten kommenden Skifahrer gefährdet und damit gegen Ziffer 3 der FIS- Verhaltensregeln verstoßen habe. Die Zeugin St. habe den Vortrag des Klägers, der Beklagte habe ihr gegenüber zugestanden, hinter dem Kläger gefahren zu sein und diesen von hinten erfasst zu haben, nicht bestätigen können. Nach Aussage der Zeugin habe der Beklagte von Anfang an bestritten, von hinten auf den Kläger aufgefahren zu sein. Der Beklagte habe gesagt, er sei nicht hinter dem Kläger gefahren, sie seien seitlich versetzt nebeneinander hergefahren. Das Kollisionsprotokoll des Zeugen I. gebe letztlich auch nur die Sichtweisen der Parteien wieder und besage nichts dazu, wer den Hang als erster befahren habe und wer hinterher gefahren sei. Die Sachverhaltsdarstellung des Beklagten sei auch nicht in dem Maße unterschiedlich oder widersprüchlich, dass das Gericht gem. § 286 ZPO davon überzeugt wäre, dass der Vortrag des Klägers, er sei vorausgefahren, richtig sei. Wodurch es letztlich zur Beschädigung der Jacke gekommen sei, lasse sich nicht mehr feststellen. Die Beschädigung könne Folge des Sturzes und nicht unbedingt der direkten Kollision sein. Auch die Verletzung des Klägers lasse nicht den Schluss auf den Unfallhergang zu. Der Kläger habe selbst in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass der rechte Ski nicht aufgegangen sei und es dadurch zu den schweren Verletzungen gekommen sei. Die Ursache des Sturzes lasse sich nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen. Beide Sachverhaltsvarianten der Beteiligten seien denkbar. Der Kläger habe zunächst ausführen lassen, dass der Hang mit Kurzschwüngen schneller absolviert werden könne, als im Falle, dass große Bögen gefahren würden. Dies spreche dafür, dass der Beklagte in großen Bögen vorausgefahren sei und der Kläger ihn mit Kurzschwüngen einholte und es zur Kollision gekommen sei. Weiterhin komme es auf die Geschwindigkeiten der Skifahrer an, die sich ebenfalls nicht mehr feststellen ließen. Insofern könne auch kein Sachverständigengutachten eingeholt werden, da es an unstreitigen Anknüpfungstatsachen fehle. Schließlich hat das Landgericht die Auffassung vertreten, dass auch eine Haftungsquote nicht in Betracht komme. Die Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 21.03.2005 sei nicht einschlägig.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Berufung des Klägers, der sich nunmehr ein hälftiges Mitverschulden anrechnen lässt. Er führt zur Begründung seiner Berufung unter anderem aus:

Er bleibe bei seiner Sachverhaltsdarstellung. Der Kläger meint, für seine Unfallschilderung spreche nicht nur der Umstand, dass seine Jacke am Rücken komplett aufgerissen gewesen sei. Vielmehr belege auch die mit Schriftsatz vom 07.07.2010 dargestellte fachärztliche Stellungnahme des Oberarztes Dr. M., dass die überaus schwerwiegenden Unfallfolgen nur dann nachvollziehbar seien, wenn auf ihn eine von außen einwirkende Biegekraft eingewirkt habe, also das Vorliegen axialer Scherkräfte beim Unfallmechanismus. Es müssten mithin auf seine Skier fremde Kräfte eingewirkt haben. Dies erkläre, dass er in eine Rotation versetzt worden sei, welche den folgenschweren Unfall bewirkt habe. Hierzu müsse ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Der Beklagte habe zum Unfallhergang uneinheitliche und widersprüchliche Erklärungen abgegeben. Nach der Klagerwiderung habe er beim Carven gerade zu einem Abschwung nach rechts angesetzt, als er plötzlich schräg linksseitig hinter sich in unmittelbarer Nähe den Kläger bemerkt habe, der von schräg links hinten auf ihn zugeschossen sei. Instinktiv habe er sich in eine Rechtskurve gelegt um Abstand zu gewinnen, es sei jedoch zu spät gewesen. Der Beklagte habe hinter sich an den Skiern eine Berührung gespürt sowie einen Schrei und ein dumpfes Sturzgeräusch vernommen.

Im Rahmen der gerichtlichen Verhandlung vom 07.04.2010 habe er erklärt, 200 Meter vor der Talstation Herrn St. bemerkt zu haben. Die Skier hätten sich berührt. Der Beklagte sei weiter gefahren und habe einen Schrei hinter sich gehört. Auf Vorhalt habe er erklärt: „Ich bin nicht über die Skier von Herrn St. gefahren. Wo sich die Skier genau berührt haben, weiß ich heute nicht mehr. Ich befand mich in einer Linkskurve und war am Ausschwingen. Ich drehte schon wieder nach unten.“ Nach ausdrücklicher Erklärung des Beklagten in erster Instanz sei dieser den Hang im sogenannten Carving-Stil heruntergefahren. Der Beklagte habe hierbei aufgrund der gemeinschaftlichen Fahrt nicht nur von der Existenz des Klägers gewusst. Vielmehr sei zwingend festzustellen, dass sich der Kläger im Zuge der Abfahrt im Blickfeld des Beklagten befunden haben müsse.

Ausweislich des Kollisionsprotokolls sei der Beklagte eher der Meinung gewesen, dass sie sich gegenseitig über die Skier gefahren wären. Der Beklagte habe zu den Rahmenbedingungen des Unfalls unzutreffende Angaben gemacht. Es stehe abweichend von der Darstellung des Beklagten fest, dass sich der rechte Ski des Klägers nicht im Zuge des Unfalls gelöst hatte. Ferner seien auch die Hinweise des Beklagten zu Größe und Gewicht des Klägers unzutreffend.

Das Landgericht habe die Aussage der Zeugin St. unzutreffend gewürdigt. Sie habe ausdrücklich bekundet, dass der Beklagte nie gesagt habe, dass er der Vorausfahrende gewesen sei (267 GA). Sie habe auf Nachfrage ausdrücklich bekundet, dass diese die Darstellung des Beklagten dahingehend verstanden habe, dass unter dem versetzten Fahren zu verstehen sei, dass der Kläger etwas weiter vorn gewesen sei und der Beklagte etwas weiter hinten. Der Beklagte habe sich also weder gegenüber der Pistenpatrouille, dem Zeugen I., noch der Ehefrau des Klägers kurze Zeit später dahingehend geäußert, dass er der vorausfahrende Fahrer gewesen sei.

Der Beklagte habe gegen die FIS-Regeln 1, 2 und 3 verstoßen. Zum einen nämlich habe der Beklagte seine Fahrspur nicht so gewählt, dass dieser einen anderen Skifahrer gefährde. Außerdem sei der Beklagte nicht hinreichend auf Sicht gefahren und schließlich habe er sich bei der gemeinschaftlichen Abfahrt nicht so verhalten, dass dieser keinen anderen Skifahrer gefährdete oder schädigte. Entscheidend sei noch nicht einmal, wo genau der Kläger oder dessen Skier erfasst worden seien. In jedem Fall sei ein recht grobes und schuldhaftes Verhalten des Beklagten festzustellen, welches zumindest eine hälftige Haftung rechtfertige.

Im Hinblick auf die mit der Berufung verfolgte Haftungsquote seien gerade bei einem Skiunfall nicht derart weitreichende Anforderungen zu stellen, wie sie das Landgericht vorgegeben habe. Skifahren sei vom Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme bestimmt. Ein hinreichender Beweis für eine Mithaftung des Beklagten ergebe sich bereits aufgrund des unstreitigen Sachverhaltes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme.

Der Kläger beantragt:

Unter Abänderung des am 28.12.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts Lübeck (AZ: 4O 312/09) den Beklagten zu verurteilen,

a) an den Kläger im Hinblick auf die Folgen des Unfallereignisses vom 22.01.2009 ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichtes gestellte Schmerzensgeld zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung unter Zugrundelegung einer hälftigen Haftung des Beklagten zu zahlen;

b) den Beklagten fernerhin zu verurteilen, an den Kläger weitere 91.787,22 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen,

c) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, welche diesem aus dem Unfallereignis vom 22.01.2009 entstanden sind oder zukünftig entstehen werden, hälftig zu ersetzen, soweit die entsprechenden Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

d) fernerhin den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 793,61 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Antragstellung zu erstatten.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil und führt im Wesentlichen aus: Vieles was der Kläger vortrage entspreche Vermutungen. Aus der Vernehmung des Zeugen I. ergebe sich, dass dieser nach dem Unfall gar nicht gewusst habe, was passiert war.

Die Darstellung des Schadenshergangs bleibe bestritten. Vielmehr sprächen verschiedene Gesichtspunkte dafür, dass die Schilderung des Beklagten zutreffend sei. Der Kläger sei verwirrt gewesen. Sein Fahrstil spreche gegen seine Darstellung. Er habe den Hang talwärts unstreitig in Kurzschwüngen befahren, während der Beklagte in großen Schwüngen talwärts gefahren sei. Der Fahrstil des Klägers ermögliche somit hangabwärts einen schnelleren Raumgewinn, selbst wenn beim Carving parallel zum Hang möglicherweise höhere Geschwindigkeiten erreicht werden könnten, was jedoch konkret nicht der Fall gewesen sei. Die Geschwindigkeit parallel zum Hang ermögliche keinen Raumgewinn talwärts. Wenn der Kläger der vorausfahrende Skifahrer gewesen wäre, hätte der Beklagte ihn niemals einholen können. Nachdem mit Schriftsatz vom 18.02.2010 hierauf hingewiesen worden sei, habe der Kläger mit Schriftsatz vom 06.05.2010 den Vortrag umgestellt und plötzlich behauptet, der Kläger sei in langsamer Fahrt unterwegs gewesen, die Piste habe nur ein relativ geringes Gefälle gehabt. Das Gefälle sei aber freilich für beide Parteien gleich gewesen. Die Rissbildung an der Jacke spreche nicht dafür, dass der Beklagten den Kläger auf der Rückseite erfasst habe. Eine Berührung der Körper habe es gerade nicht gegeben. Die Rissbildung sei gut erklärbar mit dem Sturz des Klägers, zumal dieser geäußert habe, er sei wie ein Käfer auf den Rücken gefallen. Schließlich spreche eine von außen einwirkende Biegekraft, die auf das rechte Bein des Klägers eingewirkt habe, nicht für einen Auffahrunfall. Eine solche Biegekraft werde auch durch den Ski entwickelt, dessen Bindung zu spät auslöse. Eine Rotationsbewegung im Sturz, wenn sie stattgefunden habe, sei nicht ungewöhnlich. Dazu bedürfe es keines Zusammenpralls.

Widersprüchliche Erklärungen des Beklagten zum Unfallhergang lägen nicht vor. Er habe jeweils mit etwas anderen Worten denselben Sachverhalt geschildert, aber auch keine unrichtigen Angaben gemacht. Es stehe keineswegs fest, dass sich der rechte Ski des Klägers nicht im Zuge des Unfalls gelöst hatte. Er habe sich gelöst, jedoch leider zu spät, nach dem die von dem Ski von außen einwirkende Biegekraft das rechte Knie und das rechte Schienbein des Klägers geschädigt hatte.

Aus der Aussage der Zeugin St. ergebe sich lediglich, wie die Zeugin vermeintliche weitere Äußerungen des Beklagten verstanden (also interpretiert) habe, nicht aber was der Beklagte wirklich gesagt oder gemeint habe.

Der Kläger habe sich im Zuge der Abfahrt nicht im Blickwinkel des Beklagten befunden. Noch in der Klagschrift habe der Kläger die Auffassung vertreten, dem vorausfahrenden Skifahrer sei ein uneingeschränkter Vorrang zuzuweisen. Der vorausfahrende Skifahrer sei aber der Beklagte gewesen. Der Kläger habe sich nicht in seinem Blickfeld befunden. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass sich der Kläger plötzlich leichtfertig von hinten ihm so nähern würde, dass es letztlich zum Unfall kam. Er müsse jedenfalls soweit oberhalb gefahren sein, dass er sich nicht im Blickfeld des Beklagten befunden habe. Der Beklagte hatte eine Linkskurve gefahren, befand sich also auf der Fahrt nach links und setzte gerade zu einem Abschwung (talwärts, also nach rechts) an, als er plötzlich schräg links seitlich hinter sich in unmittelbarer Nähe den Kläger bemerkte, der von schräg links hinten auf ihn zuschoss. Der Beklagte habe hinter sich an den Skiern eine Berührung gespürt und einen Schrei und ein dumpfes Sturzgeräusch wahrgenommen. Er habe so schnell wie möglich angehalten und zurückgesehen. Dort erblickte er den Kläger, der ca. 30 bis 40 Meter talwärts des Ortes lag, an welchem sich die Skier der beiden Läufer berührt hatten. Beide Skier des Klägers hätten sich von der Bindung gelöst.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat die Klage zutreffend als unbegründet abgewiesen. Eine haftungsbegründende Pflichtverletzung des Beklagten im Sinne des § 823 BGB ergibt sich aus den Feststellungen des Landgerichtes nicht 1). Die Berufung zeigt ferner keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebieten 2).

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1) Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt in erster Instanz keine Haftung des Beklagten gem. § 823 BGB. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass die Parteien am 22.01.2009 vor Beginn der Skischule unstreitig eine Abfahrt unternahmen. Es kam zu einer Kollision zwischen den Parteien und einen Sturz des Klägers. Die Jacke des Klägers wurde am Rücken komplett aufgerissen. Der Kläger erlitt durch den Unfall eine mehrfragmentäre Brust-Splint-Tibiakopffraktur rechts. Weitere Feststellungen, insbesondere welcher der Beteiligten zuerst den Hang hinab gefahren ist, enthält das Urteil nicht. Die gemeinsame Skifahrt auf einer relativ breiten Piste mit einer Kollision der Parteien entfaltet entgegen der Auffassung des Klägers keinen Anscheinsbeweis, der den Schluss auf ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zulässt und einen Verstoß gegen die einschlägigen FIS-Regeln nahelegt.

Für die Anwendbarkeit eines Anscheinsbeweises muss ein typischer Geschehensablauf feststehen, mithin ein Sachverhalt bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann. Dieser Sachverhalt muss entweder unstreitig oder mit Vollbeweis bewiesen sein (BGH NJW 1982, 2448). Der behauptete Vorgang muss zu jenen gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten „Muster“ (BGH NJW 1991, 230 f.) abzulaufen pflegen. In die Bewertung des Geschehens als typisch sind alle bekannten Umstände einzubeziehen.

Für einen derartigen Ansatz ist nach Auffassung des Senates, dessen Mitglieder zum Teil über jahrzehntelange Skierfahrung verfügen, kein Raum, da er bereits die Besonderheiten des Skilaufens nicht ausreichend berücksichtigt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, einen Skihang abzufahren (Abfahrtstil, Carving, Kurzschwünge). Jeder dieser Fahrstile lässt völlig unterschiedliche Geschwindigkeiten zu. Bereits bei Skifahrern, die mit Kurzschwüngen einen Abhang ins Tal hinab fahren, können erheblich unterschiedliche Geschwindigkeiten auftreten, da die Geschwindigkeit davon abhängt, inwieweit der Skiläufer bei jedem einzelnen Schwung durch sein Schwungverhalten die Fahrgeschwindigkeit erhöht oder reduziert. Auch beim sogenannten Carving-Stil ist es möglich die Geschwindigkeit den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten und dem Gelände anzupassen. Vorliegend weicht bereits der Fahrstil der Parteien bei der streitgegenständlichen Abfahrt voneinander ab. Nach Darstellung des Klägers ist dieser mit Kurzschwüngen hinab gefahren, während der Beklagte den Carving-Stil benutzt hat. Nach Auffassung des Senates lassen die Angaben der Parteien, nach den sie mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten den Hang hinab gefahren sind, keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Fahrgeschwindigkeit zur Zeit der Kollision zu. Ebenso wenig kann sicher festgestellt werden, welcher der beiden Skifahrer vorweg gefahren ist und welcher hinterher. Mithin gibt es bereits im Kernsachverhalt keine belastbaren Feststellungen.

Jedenfalls eine Feststellung dahingehend, dass der Beklagte dem vorausfahrenden Kläger nachgefolgt ist, wäre erforderlich, um vorliegend auf einen Anscheinsbeweis zurückgreifen zu können. Es käme dann nämlich zu Lasten des Beklagten ein Verstoß gegen FIS-Regel Nr. 3, nach der der von hinten kommende Skifahrer seine Fahrspur so wählen muss, dass der vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet oder gegen Nr. 4 nach der ein Überholen von oben oder unten von links oder von rechts immer nur mit einem Abstand, der den überholten Skifahrer für alle seine Bewegungen genügend Raum lässt, in Betracht. Derartige Feststellungen sind aber gerade nicht möglich.

Auch die vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vertretene Ansicht, dass bei einer gemeinschaftlichen Abfahrt zweier Personen für den Eintritt eines Unfalls ein Beweis des ersten Anscheins für ein schuldhaftes Verhalten des Skipartners bei einer Kollision spreche, ist nicht tragfähig, da sie die Besonderheiten des Skifahrens außer Betracht lässt. Die Auffassung würde eine Erweiterung des Haftungsmaßstabes des § 823 BGB bedingen und ginge in Richtung einer Gefährdungshaftung. Da aber nicht feststeht, ob der Beklagte hinter dem Kläger fuhr, kann nicht zu seinen Lasten ein Anschein dahingehend begründet werden, dass er gegen die zitierten FIS-Regeln verstoßen haben könnte mit der Folge sich entlasten zu müssen. Soweit aber der Beklagte der vorausfahrende Skiläufer gewesen sein sollte, was nach Auffassung des Senates nicht auszuschließen ist, wären für ihn lediglich die FIS- Regeln Nr. 2 ( Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise) und Nr. 1 ( Rücksicht auf andere Skifahrer ) zu beachten gewesen, mithin deutlich einschränkte Sorgfaltspflichten. Bereits diese Überlegung zeigt, dass der Ansatz des Klägervertreters nicht verfängt.

Lediglich aus dem bloßen Wissen des Beklagten, dass mit ihm eine weitere Person die Piste hinab fährt, ändern sich nämlich nicht seine sich bereits aus den FIS-Regeln ergebenden Sorgfaltspflichten. Im Übrigen hat dieses Begleitwissen jeder Skifahrer der einen Hang hinab fährt nämlich dergestalt, dass er weiß, dass sich von hinten schnellere Skifahrer nähern, die ebenfalls die vorstehend beschriebene Sorgfaltspflichten haben und dass sich vor ihm im Hang langsamere Skifahrer befinden können, denen gegenüber er ebenfalls zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten verpflichtet ist.

Entgegen der Auffassung des Klägers streitet für ihn auch nicht das in Bezug genommene Urteil des Landgerichts Bonn vom 21.03.2005 (1 O 484/04). Im dortigen Fall konnte das Landgericht feststellen, dass sich Kläger und Beklagter von unterschiedlichen Pisten aus dem späteren Unfallort mit annähernd gleicher Geschwindigkeit genähert hatten. Hieraus hat das Landgericht eine widerlegliche Vermutung dafür gezogen, dass jeder der beiden dem anderen nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt und damit gleichermaßen schuldhaft gegen die FIS-Regeln Nr. 1 und 2 verstoßen habe. Derartige Feststellungen sind im Streitfall, wie bereits ausgeführt, aber nicht möglich.

Auch die Entscheidung des Landgerichts Ravensburg vom 22.03.2007 (2 O 392/06) ist nicht einschlägig. Das Landgericht hat dort eine Haftung eines von hinten kommenden schnelleren Skifahrers, der an einem langsameren Skifahrer vorbeifahren wollte angenommen. Es wurde der Beweis des ersten Anscheins für einen schuldhaften Verstoß des von hinten kommenden Skifahrers gegen die FIS-Regeln Nr. 3 und 4 festgestellt. Aus den Feststellungen des dortigen Urteils (Rn. 5 bei Juris) ergibt sich, dass der dortige Beklagte hinter der Klägerin fuhr.

Schließlich ist auch die diskutierte Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 58, 40 bis 47 = NJW 1972, 627 f.) nicht einschlägig. Nach den dortigen Feststellungen fuhr der Beklagte in der Falllinie in das unterste Drittel des sogenannten Zellerhanges ein. Der Kläger fuhr gleichzeitig in Schrägfahrt im Winkel von etwa 45 Grad auf diesem Hang. Der Kläger und der Beklagte bemerkten einander nicht. Etwa in der Mitte des untersten Hangdrittels stießen sie zusammen. Über die Art des Zusammenstoßes bestand Streit. Nach Beurteilung des Bundesgerichtshofes hat jeder Skifahrer das vor ihm liegende Gelände und darin befindliche und auftauchende Skiläufer auf ihre Bewegung zu beobachten, die sich daraus ergebenden möglichen Hindernisse einzukalkulieren und seine Geschwindigkeit danach einzurichten, um rechtzeitig und richtig auf deren Annäherung an seine Abfahrstrecke reagieren und gegebenenfalls ausweichen, äußersten Falls aber noch anhalten zu können. Der Aufprallwinkel der beiden Parteien wurde mit 45 Grad festgestellt. Derartig präzise Feststellungen zu Gunsten des Klägers sind aber vorliegend nicht möglich. Nach der Schilderung des Beklagten, die der Kläger jedenfalls nicht zu widerlegen vermochte, musste der Beklagte aus seiner Sicht mit dem plötzlichen Auftauchen des Klägers nicht rechnen. Anhaltspunkte für einen Verstoß des Beklagten gegen Regel Nr. 1 (Rücksicht auf die anderen Skifahrer) und Nr. 2 (Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise) bestehen folglich nicht.

2) Die Berufung zeigt keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass sich aufgrund der zur Verfügung stehenden Beweismittel der konkrete Unfallhergang nicht feststellen lässt. Die vom Kläger in der Berufungsinstanz aufgezeigten mutmaßlichen Widersprüchlichkeiten bestehen nicht. Im Kern bleibt es dabei, dass beide Parteien den Unfallhergang völlig unterschiedlich geschildert haben. Die Zeugen St. und I. haben den Unfallhergang selbst nicht wahrgenommen. Sie haben lediglich Erklärungen der Parteien nach dem Unfallereignis im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung wiedergegeben. Zutreffend hat das Landgericht herausgearbeitet, dass der Beklagte von Anfang an nach Schilderung der Zeugin St. bestritten habe, von hinten auf den Kläger aufgefahren zu sein. Die weitere Schilderung der Zeugin St., die Parteien seien nebeneinander hergefahren, lässt entgegen der Auffassung des Klägers keine Rückschlüsse zu, wer vorausfahrender und hinterherfahrender Skifahrer gewesen ist und wie sich die Parteien tatsächlich dem späteren Unfallort genähert haben. Es bleibt auch offen, ob das nebeneinander Herfahren sich unmittelbar auf den Zeitpunkt vor der Kollision bezieht. Zutreffend hat das Landgericht ferner darauf abgestellt, dass die Unfalldarstellung des Klägers auch nicht durch das Kollisionsprotokoll des Zeugen I. erhärtet wurde. Die Vernehmung des Zeugen I. vermag die Sachverhaltsdarstellung des Klägers nicht zur Überzeugung des Senates zu beweisen. Der Zeuge I. hat lediglich die Bekundungen der Parteien nach dem Unfallereignis wiedergegeben.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Beklagte im Verfahren auch keine uneinheitlichen und widersprüchlichen Erklärungen abgegeben. Im Ergebnis hat der Beklagte den Unfallhergang, wenn auch mit unterschiedlicher Wortwahl, im Kern gleichlautend geschildert. Es ist auch nicht unstreitig, dass sich der rechte Ski des Klägers nicht im Zuge des Unfalls gelöst hatte. Der Zeuge I. hat auf diesbezügliche Frage in seiner Vernehmung erklärt, ob er beim Auffinden des Klägers die Bindung des rechtens Skis des Klägers öffnen und den Ski vom Fuß des Klägers lösen musste, geantwortet, dass er dies nicht mehr mit 100 %-iger Sicherheit beantworten könne (189 GA).

Schließlich bestehen entgegen der Auffassung des Klägers auch keine zureichenden Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Mangels Feststellbarkeit des Unfallhergangs geben die festgestellten Verletzungen des Klägers keinen Rückschluss auf den Hergang des Unfalls. Im Übrigen kann auch nicht festgestellt werden, welchen Einfluss ein mögliches öffnen/nicht-öffnen des rechten Skis des Klägers auf einen erheblichen körperlichen Schaden gehabt hat. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sich der rechte Ski nach dem Unfall sofort geöffnet hat. Das Nicht-öffnen der Bindung kann aber aus der Erfahrung des Senates gerade zu erheblichen körperlichen Schäden führen. Auch das Zerreißen der Jacke des Klägers bietet keinen zureichenden Anhaltspunkt für ein Sachverständigengutachten. Die Beschädigung der Jacke kann verschiedene Ursachen haben. Sie kann Folge des Sturzes sein. Eine Berührung der beiden Körper der beteiligten Parteien ist vom Kläger nicht behauptet worden.

Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 542 Abs 2 ZPO liegen nicht vor. Hiernach ist eine Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes erfordert. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die keine grundsätzliche Bedeutung hat. Zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichtes nicht erforderlich. Der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des Revisionsgerichtes ab.

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