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Sniper-Programme bei Internetauktion zulässig?

Landgericht Berlin

Az.: 15 O 704/02

Urteil vom 11.02.2003


In dem einstweiligen Verfügungsverfahren wegen unlauteren Wettbewerbs hat die Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2003 für Recht erkannt:

1. Die einstweilige Verfügung vom 19. November 2003 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlaß zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Antragstellerin betreibt u.a. in Deutschland das bekannte Online-Auktionshaus. Die Antragsgegnerin vertreibt das Programm „XXXXLast Minute Gebot“, das sie auf ihrer Website „XXX“ anbietet. Es ermöglicht u.a. eine „Uhrensychronisation zum exakten Bieten in letzter Minute“ bzw. „das Bieten exakt in letzter Sekunde“ und wählt sich dazu auf Wunsch selbständig auf der eBay-Homepage ein (wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen Ast 2 und ASt 12 Bezug genommen). . .

Die Antragstellerin behauptet, manuelle Bieter hätten ob der Automatisierung keine Chance auf Zuschlag und würden sich abwenden oder zur Wahrung ihrer Chancengleichheit die verfahrensgegenständliche Software kaufen müssen. Wegen der damit einhergehenden Konzentration der Gebote auf die buchstäbliche „letzte Sekunde“ werde die Attraktivität ihrer Handelsplattform nachlassen, weil redliche Bieter frustriert und für die Verkäufer – mangels längeren Hochsteigerns – sich die erzielten Endpreise verringerten, was wiederum ihr, der Antragstellerin, Gebührenaufkommen vermindere. Das freie Spiel der Marktkräfte werde damit im Ergebnis ausgeschaltet. Zudem verstoße die Benutzung der Software gegen §§ 8 Nr. 5, 15 Nr. 1 S. 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der Fassung vom 4. Juli 2002, wonach die „Abgabe von Geboten mittels automatisierter Datenverarbeitung ausgeschlossen“ sei bzw. wonach eBay-Nutzer nicht berechtigt seien, „Mechanismen, Software oder sonstige Routinen in Verbindung mit der Nutzung der eBay-Website zu verwenden, die das Funktionieren der eBay-Website stören können.“. Sie sieht in der sog. Sniper-Software der Antragsgegnerin eine wettbewerbswidrige Verleitung zum Vertragsbruch und eine unlautere Marktbehinderung (§ 1 UWG) sowie einen zielgerichteten Eingriff in ihren Gewerbebetrieb (§§ 823, 1004 BGB).

Die Kammer hat durch einstweilige Verfügung vom 19. November 2002 antragsgemäß der Antragsgegnerin, dieser zwecks Vollziehung zugestellt am 2. Dezember 2002, bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt, insbesondere im Internet Software anzubieten oder anbieten zu lassen, mit der Kunden der Antragstellerin erst kurz vor dem Ende der Auktionsdauer selbständig Gebote auf Verkaufsangebote abgeben könne, die andere Kunden in die von der Antragstellerin unter der Domain ebay.de unterhaltene Online-Handelsplattform eingestellt haben.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit dem Widerspruch.

Die Antragstellerin verteidigt den geltend gemachten Unterlassungsanspruch und trägt ergänzend vor: Das Wettbewerbswidrige liege darin, daß ein Bieter sich bis kurz vor Auktionsschluß mangels Bietaktivität Dritter als Meistbietender sicher wähne und daher keine Veranlassung habe, sein bisheriges Gebot zu erhöhen, aber dann nicht mehr reagieren könne, wenn der Softwareverwender wenige Augenblicke vor Schluß automatisch ein höheres Gebot platzieren lasse. Damit verliere die Online-Auktion ihren besonderen Reiz, nämlich das Bietgefecht. Manuelle Bieter liefen zudem Gefahr, das ihr kurz vor Auktionsende abgegebenes Gebot auf ihrem, der Antragstellerin, Server nicht mehr rechtzeitig eingehe und daher nicht berücksichtigt werde, wären die Verwender der Sniper-Software sicher sein könnten, regelmäßig das „letzte Wort“ zu behalten. Schließlich bedeute der Einsatz des Programmes einen massiven Eingriff in die Systemintegrität, weil er mindestens ebenso schädlich sei wie das Außerkraftsetzen des Bietprozesses durch einen Hackerangriff.

Sie beantragt, die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlaß zurückzuweisen.

Sie könne nicht nachvollziehen, warum das, was in den USA zulässig sei, in Deutschland geeignet sein solle zur Geschäftsschädigung. Ihr Programm sei lediglich der „verlängerte Arm“ des Nutzers. Sie behauptet, das von der Antragstellerin angebotenes Voice-Bidding verspreche eine weit höhere Wahrscheinlichkeit, den Zuschlag zu erhalten. Ebenso wie ein manueller Bieter habe das Programm keinen Einfluß auf die exakte Übertragungsdauer des Gebots. Es fördere gar den Absatz der Antragstellerin, weil mitgeboten werden könne, ohne die Auktion selbst mitverfolgen zu müssen, so daß Zeiten, in den der Nutzer persönlich etwa durch Schlaf, Beruf oder Urlaub zusätzlich zur Auktionsteilnahme genutzt werden könnten. Zudem neigten die Nutzer eher dazu, höhere Limits zu setzen.

Schließlich handele es sich um überraschende, und damit unwirksame Klauseln in den AGB’s der Antragstellerin.

Entscheidungsgründe:

Die einstweilige Verfügung ist aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlaß zurückzuweisen, da sie zu Unrecht ergangen ist, §§ 925, 936 ZPO. Denn der Antragstellerin steht weder ein Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des wettbewerblich unlauteren Verleitens zum Vertragsbruch oder des unzulässigen Behinderungswettbewerbs noch aus unerlaubter Handlung (§§ 823, 1004 BGB) zu.

I.

Ein Verleiten zum Vertragsbruch kann nur dann gemäß § 1 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn auf die Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht hingewirkt wird (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, UWG § 1 Rn. 700); dazu zählen insbesondere die vertraglichen Hauptpflichten. Die Antragstellerin gewährt Nutzern nach Registrierung Zugang zu ihrer Handelsplattform, um dort nach Belieben Gebote für dort eingestellte Artikel abzugeben. Jeder Nutzer erhält damit eine gleiche Ausgangsbasis. Für jeden gilt die strikte zeitliche Befristung des jeweiligen Angebots. Dagegen ist die Bietstrategie freigestellt, insbesondere ein Gebot in letzter Sekunde vor Gebotsschluß erlaubt und wegen des preistreibenden Effekts zum Ultimo hin geradezu erwünscht. Auch ist niemand verpflichtet, seine Intentionen vorher den anderen Nutzern zu offenbaren, insbesondere sich in einem früheren Stadium als Interessent für einen bestimmten Artikel erkennen zu geben. Bis zum 3. Juli 2002 enthielten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragstellerin kein Verbot der Verwendung mechanischer Helfer; dieses ist den Geschäftsbedingungen von Ebay in den USA auch bis heute fremd, ohne daß hierdurch Markt-Verwerfungen erkennbar wären.

Dieses sowie die beiläufige Paraphierung belegt, daß es sich bei dem durch §§ 8 Nr. 5, 15 Nr. 1 S. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom 4. Juli 2002 eingeführten Bestimmungen, nach denen die „Abgabe von Geboten mittels automatisierter Datenverarbeitung ausgeschlossen“ ist bzw. wonach eBay-Nutzer nicht berechtigt sind, „Mechanismen, Software oder sonstige Routinen in Verbindung mit der Nutzung der eBay-Website zu verwenden, die das Funktionieren der eBay-Website stören können“, um keine die. Eigenart des Schuldverhältnisses prägenden und für dessen Einordnung in der verschiedene Typen der Schuldverhältnisse entscheidenden Vertragshauptpflichten, sondern nur um nicht wettbewerbswesentliche (Neben-)Pflichten handelt.

II.

Eine Wettbewerbs Widrigkeit unter dem Gesichtspunkt der Marktstörung oder -behinderung nach § 1 UWG erfordert den Nachweis – hier im Verfügungsverfahren Glaubhaftmachung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit – der konkreten ernstlichen Gefahr für den Bestand und/oder das Funktionieren des Wettbewerbs auf dem betreffenden Markt (vgl. KG, Urteil vom 11. Februar 2000 – 5. U. 103/00 – 20 Minuten Köln – Urteilsausfertigung S. 10 unter Bezugnahme u.a. auf BGH GRUR 1982, 53, 55 – Bäckereifachzeitschrift -). Hinreichendes Vorbringen der Antragstellerin hierzu fehlt. Insbesondere vermag sie nicht darzulegen, ob und inwieweit sich die Einführung sog. Sniper-Software auf das Bietverhalten der eBay-Nutzer, insbesondere sich negativ auf die Erlöse auswirke. Die Kammer hält die Wettbewerbsgefährdung nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand für allenfalls rein abstrakt. Die Betrachtungsweise der Antragstellerin läßt außer Betracht, daß die Bieter durchaus verschiedene Strategiemodelle verfolgen, denen mit einer Sniper-Software wie dem Programm der Antragstellerin nicht sicher beizukommen ist, sie lernfähig sind und sich damit Veränderungen im Verhalten der Mitbieter recht schnell anzupassen vermögen. Der eine hat es auf Schnäppchen abgesehen und sucht gezielt Artikel, die sich keiner Nachfrage erfreuen. Der andere will einen akuten Bedarf befriedigen (etwa Sammler) und ist bereit (fast) jeden Preis zu zahlen, was er zur Abschreckung durch eine frühzeitige und hohe Vorgabe an den Bietagenten kundtut, die nachfolgende Bieter wegen der Erfolglosigkeit ihrer Gebote verzweifeln läßt, weil‘ stets jener Meistbietender bleibt. Ein Dritter schließlich hofft auf die Gunst der letzten Sekunde, nämlich ein ausgereiztes Budget des zur Zeit Meistbietenden oder dessen Schlafmützigkeit, sich nicht ein sicheres Polster zu verschaffen, und platziert auf gut Glück sein Gebot einen Augenblick vor Toresschluß. Letztlich hängt es von der Warengattung, Angebot und Nachfrage und den individuellen Erfahrungen des jeweiligen Bieters ab, welche Strategie er verfolgt. Der Anbieter wiederum hat es unter den gleichen Prämissen in der Hand, ob er mit einem Limit von 1,- EUR anfängt oder-eine höheren Startpreis wählt und wann seine Auktion endet. Eines kann die Sniper-Software ebensowenig wie ein manuell in der letzten Sekunde abgegebenes Gebot: wissen, wie weit eventuelle Mitbieter bzw. der bis dahin Höchstbietende ihr Limit mittels Bietagenten der Antragstellerin gesetzt haben. Hierzu bedarf es jeweils der Prognoseentscheidung des Nutzers, ob und mit welchem (für ihn tragbaren) Gebot er eine reale Erwerbschance habe. Denn so oder so ist eine nachrägliche Erhöhung des Limits wegen Ablaufs der Gebotsfrist nicht mehr möglich. Die Grenzen dieser Software werden dessen Nutzer damit schnell bewußt werden. Auf der anderen Seite verhilft sie bei Gebotsende vom Internet abwesenden Nutzern zu einer Gebotsabgabe und vermag der Antragstellerin damit den Kreis der aktuell Bietenden um diejenigen zu erweitern, die die Nachteile des Bietagenten erkannt haben und diesen daher nicht nutzen, nämlich sich frühzeitig auf ein Limit festzulegen und damit lange vor Schluß als zur Zeit Höchstbietender in Erscheinung zu treten, was Mitbietern Zeit und Raum läßt, durch schrittweises Höherbieten dieses Limit auszuloten und letztlich (ohne Nachlegen des Überbotenen zu gewahren vergleichbar einem schriftlichen Gebot bei einer echten Versteigerung) zu überbieten. Es ist nicht auszuschließen, daß dies für Endtermine, die den Nutzern ungünstig sind wie etwa Urlaubs-, Nacht- oder Arbeitszeiten, Belebung bringen wird. Von einer konkrekten Gefährdung des Wettbewerbs kann daher keine Rede sein. Die von der Antragstellerin im Termin vorgelegten Gebotsübersichten sind ebenfalls nicht geeignet, das Gegenteil darzulegen. Denn letztlich ist die Sniper-Software nicht anderes als der für den abwesenden Interessenten im Saal präsente, aber weisungsgebundene Strohmann in einer echten Versteigerung, und damit systemimmanent.

Aus den vorstehenden Gründen scheidet ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§§ 823, 1004 BGB) als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Unterlassung ebenfalls aus.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 6, 711 ZPO.

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