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Sorgfaltspflichten eines Fahrzeugführers bei Bauarbeitern im Baustellenbereich

OLG Hamm, Az.: 2 Ss 1228/79, Urteil vom 09.08.1979

Gründe

Durch das angefochtene Urteil ist die Angeklagte vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen worden. Das Amtsgericht hat eine schuldhafte (fahrlässige) Verursachung einer Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen und Nebenklägers F. für nicht gegeben erachtet und im einzelnen folgende Feststellungen getroffen:

Am 17.1.1978 gegen 12.30 Uhr führte der Zeuge F., der Vermessungsingenieur von Beruf ist, mit mehreren Arbeitskollegen, darunter den Zeugen K. und W., in E. auf der L. Straße Vermessungsarbeiten durch. Die L. Straße wurde zu jener Zeit vierspurig mit Mittelstreifen ausgebaut. Am Tattage war erst die nördliche Hälfte der L. Straße fertiggestellt; auf dieser nördlichen Hälfte wurde der Fahrzeugverkehr in beiden Richtungen auf 3 m breiten Fahrspuren durch den Baustellenbereich geführt. Die Angeklagte befuhr zur Tatzeit mit ihrem PKW die Fahrspur, die in östlicher Richtung zur M. Straße hinführt. Unmittelbar an diese Fahrspur grenzte der noch im Bau befindliche 1,50 m breite Mittelstreifen an, auf dem sich der Zeuge F. aufhielt. Er stand mit einem Bein auf dem Bordstein des Mittelstreifens, mit dem anderen Bein auf einem Flußbettstein. Er hatte den Rücken dem sich nähernden PKW der Angeklagten zugewandt und hielt einen Feldbuchrahmen in der Hand. Die Angeklagte hatte den Zeugen F. schon vorher dort auf dem Mittelstreifen stehen sehen. Sie näherte sich ihm mit einer Geschwindigkeit, die höher war als Schrittgeschwindigkeit, aber auch niedriger als 50 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Baustellenbereich war auf 30 km/h beschränkt. Die Angeklagte erfaßte den Zeugen F. mit ihrem PKW. Der Zeuge wurde von dem PKW zu Boden geworfen. Er erlitt eine Prellung am linken Oberschenkel; außerdem wurde ihm das letzte Glied des Zeigefingers der linken Hand abgerissen, als er mit einer von einem anderen Unfall herrührenden scharfkantigen Stelle der Karosserie des Fahrzeuges der Angeklagten in Berührung kam.

Sorgfaltspflichten eines Fahrzeugführers bei Bauarbeitern im Baustellenbereich
Symbolfoto: askoldsb/Bigstock

Das Amtsgericht hat nicht feststellen können, wie es dazu kam, daß die Angeklagte den Zeugen F. mit ihrem PKW erfaßte. Es hat die Einlassung der Angeklagten für nicht widerlegt erachtet, daß F. unmittelbar vor dem Zusammenstoß in die Fahrbahn der Angeklagten getreten sei und hat die Auffassung vertreten, daß die Angeklagte, bei der eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht festgestellt werden könne, hiermit nicht habe rechnen müssen.

Die formgerecht und fristgerecht eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. Die Ausführungen des Amtsgerichts, mit denen dieses ein Verschulden der Angeklagten verneint hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht verkennt die Sorgfaltspflichten, die ein Kraftfahrer hat, der in einen Baustellenbereich einfährt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts durfte die Angeklagte nicht darauf vertrauen, daß der Zeuge F., der für die Angeklagte erkennbar mit Vermessungsarbeiten beschäftigt war, erst dann in die Fahrbahn treten werde, wenn er sich seinerseits sorgfältig davon überzeugt hatte, daß ihm vom fließenden Verkehr keine Gefahr drohte. (Vgl hierzu BayObLG, VRS 26/372ff). Dies folgt schon daraus, daß es Bauarbeitern an Baustellen und sonstigen an der Baustelle eingesetzten Personen kaum möglich ist, gleichzeitig auf ihre Arbeit und auf den Verkehr zu achten. In diesem Zusammenhang ist, worauf bereits das OLG Braunschweig (VRS 12/294ff) hingewiesen hat, von Bedeutung, daß die Straßenbauarbeiten im Interesse des Verkehrs durchgeführt werden und daß deshalb die Verkehrsteilnehmer ihre Interessen grundsätzlich dem höheren Interesse an einer reibungslosen, gefahrlosen und beschleunigten Durchführung der Straßenbauarbeiten unterzuordnen haben. Aus diesen Erwägungen hat das OLG Braunschweig gefolgert, daß grundsätzlich der Verkehr auf die Bauarbeiter und nicht umgekehrt die Bauarbeiter auf den Verkehr zu achten und Rücksicht zu nehmen haben, vorausgesetzt, daß die Arbeiter sich nicht zweckwidrig oder unnütz in Gefahr begeben.

Die Angeklagte, die die genannte Baustelle bei Tageslicht befuhr und schon längere Zeit über erkannt hatte, daß der Zeuge F. ihr den Rücken zuwandte, hätte so sorgfältig fahren müssen, daß sie jederzeit in der Lage war, den aus der Vornahme von Bauarbeiten für die Sicherheit der Bauarbeiter möglicherweise erwachsenen Gefahren zu begegnen. Wenn es ihr vorliegend mit Rücksicht auf die Fahrbahnbreite nicht möglich war, an dem Zeugen F. in einem solchen Sicherheitsabstand vorbeizufahren, daß dieser auch bei einem unbedachten Schritt auf die Fahrbahn nicht gefährdet worden wäre, so hätte sie entweder durch Hupzeichen Kontakt zu ihm aufnehmen oder aber langsam fahren müssen, so daß sie in der Lage war, ihr Fahrzeug auch dann noch rechtzeitig vor dem Zeugen F. anzuhalten, wenn dieser im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit einen unbesonnenen Schritt in die Fahrbahn hinein machte. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts lag gerade dadurch, daß der Zeuge F. den Rücken zum Fahrzeug der Angeklagten hingewandt hatte und schon mit einem Bein im Rinnstein stand, ein konkreter Anlaß vor, die im Baustellenbereich festgesetzte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nicht auszunutzen.

Nach alledem hat das Amtsgericht die für einen gekennzeichneten Baustellenbereich – und um einen solchen hat es sich nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe offenbar gehandelt – geltenden Rechtsgrundsätze nicht beachtet. Daher war die angefochtene Entscheidung unter Zurückverweisung der Sache gemäß § 354 Abs 2 StPO aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung war dem Senat im Hinblick darauf, daß das Amtsgericht die Feststellungen unter einem unrichtigen Blickwinkel getroffen hat, nicht möglich.

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