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Spesenbetrug – außerordentliche Kündigung

LAG Schleswig-Holstein

Az.: 5 Sa 430/08

Urteil vom 09.06.2009


1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 17.09.2008, Az.: 3 Ca 701 d/08, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung der Beklagten, nachdem die Klägerin das Arbeitsverhältnis zuvor ordentlich gekündigt hatte, sowie um Schadensersatzansprüche der Beklagten wegen unrichtiger Reisekostenabrechnung.

Die am …1963 geborene, ledige Klägerin war seit dem 01.02.2006 als DOB-Abteilungsleiterin bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsgehalt von € 5.000,00 beschäftigt. Die einzelvertragliche Kündigungsfrist beträgt sechs Monate zum Monatsende.

Der Klägerin stand bis Anfang 2007 ein firmeneigenes Fahrzeug – zunächst ein Audi A 6, später ein BMW – auch zur privaten Nutzung zur Verfügung, sodass sie den geldwerten Vorteil versteuern musste. Die Klägerin hielt sich für die Beklagte überwiegend in Fernost auf und konnte den Wagen deshalb privat kaum nutzen. Ab April 2007 übergab die Beklagte den geleasten BMW an einen anderen Mitarbeiter und überließ der Klägerin einen alten, bereits abgeschriebenen VW Golf als Privatfahrzeug. Die Klägerin meldete den VW Golf auf ihren Namen an und zahlte Steuern und Versicherung sowie die laufenden Unterhaltungskosten. Im Zuge dessen teilte der Geschäftsführer der Beklagten der Klägerin per E-Mail vom 18.03.2007 (Bl. 56 d. A.) Folgendes mit:

„Hallo Frau …,

ab 1.4.07 werden wir Ihr Fahrzeug (BMW) an …’s übergeben. Der Golf wird nach Ihrer Rückkehr auf Ihren Namen umgemeldet. Für die Abrechnung der Firmennutzung des Fahrzeuges können Sie für K… Fahrten folgendes zu Grunde legen:

… = 682 KM

682 * EURO 0,30 = EURO 204,60

Viele Grüße und Erfolg in …

– Best Regards –

Mit freundlichen Grüßen

– … -„

Bei der Firma … handelt es sich um einen Kunden der Beklagten, mit dem die Klägerin für die Beklagte in geschäftlichen Beziehungen stand.

Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit E-Mail vom 05.03.2008 (Bl. 14 d. A.). Der Eingang der Kündigung wurde seitens der Beklagten mit Datum vom 17.03.2008 schriftlich bestätigt (Bl. 15 d. A.). Am 27.03.2008 führte die Klägerin ein Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten. Im Rahmen des Gespräches wurde auch eine Freistellung der Klägerin thematisiert, sofern bestimmte Arbeitsaufträge von der Klägerin bis zum Monatsende April noch erledigt und eine gemeinsame Geschäftsreise nach Fernost unternommen worden wären. Der darüberhinausgehende konkrete Inhalt des Gespräches ist streitig.

Nach dem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten am 27.03.2008 unternahm die Klägerin Geschäftsreisen nach B… und zwar vom 28.03.2008 bis zum 05.04.2008 und vom 20.04.2008 bis zum 24.04.2008. Zu einer gemeinsamen Reise mit dem Geschäftsführer kam es nicht mehr. Nach Rückkehr der zweiten Geschäftsreise, d. h. nach dem 24.04.2008, erschien die Klägerin nicht mehr zur Arbeit. Mit Schreiben vom 21.05.2008 forderte die Beklagte die Klägerin zur Herausgabe der ihr überlassenen technischen Geräte, Schlüssel, Karten, Disketten, Geschäftspapiere etc. auf (Bl. 19 d. A.). Am 22.05.2008 erschien die Klägerin im Betrieb und händigte dem Geschäftsführer die geforderten Gegenstände und Unterlagen gegen Empfangsbestätigung aus (Bl. 18 d. A.). Den einleitenden Satz auf der von der Klägerin vorbereiteten Empfangsquittung

„gemäß meiner Kündigung bitte ich Ihnen hiermit mein Freistellung bis Ende September 2008 zu bestätigen.“

strich der Geschäftsführer ebenso durch wie die Bitte, ihr das Mobiltelefon zu überlassen.

Der Geschäftsführer der Beklagten warf der Klägerin vor, der Arbeit unentschuldigt fern geblieben zu sein und händigte ihr das auf den 23.05.2008 datierende Kündigungsschreiben aus (Bl. 9 d. A.). Ein weiteres Kündigungsschreiben vom 23.05.2008 ging der Klägerin per Post am 24.05.2008 zu (Bl. 10 d. A.)

Hiergegen hat die Klägerin am 03.06.2008 Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erhoben.

Zuvor hatte die Klägerin Anfang Mai 2008 eine Reisekostenabrechnung für die Zeit von Januar bis April 2008 bei der Beklagten eingereicht. Hierin rechnete sie neun Fahrten zu der Fa. … über insgesamt € 1.841,40 ab. Eine Überprüfung ergab, dass die Klägerin diese Fahrten nicht unternommen hatte. Hierüber informierte der Zeuge … den Geschäftsführer der Beklagten am 02.06.2008. Eine daraufhin vom Geschäftsführer veranlasste Überprüfung der im Jahre 2007 zugunsten der Klägerin erteilten Reisekostenabrechnungen ergab, dass die Klägerin der Beklagten für sechs fingierte …-Fahrten von April bis September 2007 Reisekosten in Rechnung gestellten und von der Beklagten dementsprechend insgesamt € 1.227,60 erhalten hatte.

Am 08.06.2008 überreichte die Klägerin der Beklagte eine Prüfliste für Wirkwaren und Hosen (Bl. 70 bis 72 d. A.).

Mit Schriftsatz vom 07.07.2008 hat die Beklagte im anhängigen Kündigungsschutzprozesses als weiteren Kündigungsgrund den nachträglich festgestellten Spesenbetrug nachgeschoben und widerklagend die Rückerstattung der an die Klägerin 2007 für fingierte K…-Fahrten ausgezahlten Fahrtkosten über € 1.227,60 beansprucht.

Die Klägerin hat vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe sie am 27.03.2008 widerruflich von der Arbeit freigestellt. Im Übrigen sei sie vom 25.04. bis Mitte Mai 2008 arbeitsunfähig krank gewesen, wie der ärztlichen Bescheinigung vom 07.08.2008 zu entnehmen sei (Bl. 84 d. A.). Der Geschäftsführer der Beklagten sei damit einverstanden gewesen, dass sie als Ausgleich für den Entzug des Dienstfahrzeugs bzw. der Überlassung eines vertragswidrig alten VW-Golfs fingierte K…-Fahrten abrechnet. Dies habe er mit der E-Mail vom 18.03.2007 bestätigt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in der ersten Instanz, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht Neumünster hat mit Urteil vom 17.09.2008 die Kündigungsschutzklage der Klägerin abgewiesen und der Widerklage der Beklagten stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das ursprünglich zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der fristlosen Kündigung vom 23.05.2008 beendet worden sei. Die Klägerin habe nach dem 24.04.2008 ihre Arbeit nicht wieder aufgenommen, ohne dass sie sich krank gemeldet oder Urlaub beantragt habe oder von der Arbeit freigestellt worden sei. Schon nach eigenem Sachvortrag sei die Klägerin nicht wirksam von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt worden. Danach habe ihr der Geschäftsführer eine Freistellung angekündigt, wenn sie all das, was Inhalt des Gespräches am 27.03.2008 gewesen sei, bis zum Monatsende April erledigt habe. Der Eintritt dieser Bedingung sei von der Klägerin weder dargelegt noch unter Beweis gestellt worden. Das Fernbleiben sei auch nicht durch Resturlaubsansprüche aus den Jahren 2006 und 2007 gerechtfertigt, denn ein Urlaubsantrag sei von der Klägerin nicht gestellt worden. Dem diesbezüglichen Vortrag der Beklagten sei die Klägerin nicht entgegen getreten. Ohne Urlaubsantrag handele es sich um eine Selbstbeurlaubung, die einer Arbeitsverweigerung gleichkäme. Die Klägerin könne sich nach Ansicht des Arbeitsgerichtes auch nicht darauf berufen, dass die fristlose Kündigung nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt sei. Denn das unentschuldigte Fernleiben sei ein Dauertatbestand, bei dem die Zweiwochenfrist nicht mit Beginn, sondern erst mit Beendigung des Kündigungsgrundes zu laufen beginne.

Die Widerklage sei dagegen begründet. Unstreitig habe die Klägerin € 1.227,60 als Fahrtkostenerstattung erhalten, ohne entsprechende Dienstfahrten getätigt zu haben Die von der Klägerin behauptete interne Absprache mit der Beklagten, solche fiktiven Fahrtkostenabrechnungen zu erstellen, konnte von ihr nach Ansicht des Arbeitsgerichtes nicht bewiesen werden.

Gegen dieses ihr am 25.11.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 01.12.2008 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese am Montag, den 26.01.2009, begründet.

Die Klägerin behauptet, Inhalt des am 27.03.2008 geführten Gespräches sei gewesen, dass sie für den Geschäftsführer noch eine Qualitätsprüfliste für T-Shirts und Polohemden erarbeite und ihn auf einer gemeinsamen Dienstreise nach Fernost begleite. Sofern sie all das, was im Rahmen des Gespräches besprochen worden sei, bis zum Monatsende April erledigt habe, sei sie anschließend von der Arbeit widerruflich frei gestellt. Diese Vereinbarung habe ihren Wünschen entsprochen, die sie allerdings nicht explizit geäußert habe. Die tatsächlich erfolgte Freistellung werde auch dadurch belegt, dass ihr Arbeitsplatz im Büro der Beklagten wegorganisiert worden sei und die übrigen Mitarbeiter darüber informiert worden seien, dass sie, die Klägerin, freigestellt worden sei. Sie habe den Geschäftsführer nur so verstehen können, dass sie den erbetenen Leitfaden während der Freistellung habe fertigen können. Eine Zeitvorgabe habe sie nicht erhalten. Im Übrigen habe der Geschäftsführer der Beklagten erkennen können, dass sie sich freigestellt wähnte. Die Beklagte habe sie als verständige Arbeitgeberin auf ihren vermeintlichen Irrtum hinweisen und zur Arbeitsaufnahme auffordern und ggf. abmahnen müssen. Einer solchen Aufforderung hätte sie selbstverständlich Folge geleistet. Das Arbeitsgericht habe auch nicht zur Kenntnis genommen, dass sie seit dem 25.04.2008 so krank gewesen sei, dass sie teilweise nicht in der Lage gewesen sei, das Haus zu verlassen. Insoweit verweist die Klägerin auf die ärztliche Bescheinigung vom 07.08.2008. In Anbetracht ihrer Freistellung habe es wenig Sinn gemacht, der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen.

Die Klägerin behauptet weiter, die von ihr vorgenommenen Reisekostenabrechnungen für tatsächlich nicht durchgeführte Geschäftsreisen mit dem eigenen PKW beruhten auf einer Absprache zwischen ihr und dem Geschäftsführer der Beklagten. Grund dieser Absprache sei es gewesen, dass ihr aufgrund des Arbeitsvertrages ein firmeneigenes Fahrzeug – zunächst ein Audi A 6, später ein BMW – zur Verfügung gestanden habe, dessen geldwerten Vorteil sie habe versteuern müssen. Weil sie sich aber überwiegend für die Beklagte in Fernost aufgehalten habe, sei es von anderen Mitarbeitern gefahren worden. Auch dem Geschäftsführer sei es unwirtschaftlich erschienen, für die Klägerin ein Fahrzeug vorzuhalten, das dann von ihr nicht ständig genutzt worden sei. Er habe deshalb auf ihren Namen einen alten VW Golf anmelden wollen. Für die Klägerin als Halterin wären dadurch Kosten von etwa € 203,00 für Steuern, Versicherung und Benzin entstanden, womit sie nicht einverstanden gewesen sei. Aus diesem Grund habe der Geschäftsführer die Idee gehabt, die Klägerin könne fingierte Rechnungen für Fahrten zum Kunden K… abrechnen. Die fingierten Abrechnungen seien von ihm wissentlich gegengezeichnet worden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichtes Neumünster vom 17.09.2008, Az.: 3 Ca 701 d/08, abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Beklagten durch die außerordentliche Kündigung vom 22.05.2008 und vom 23.05.2008 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass ihr Geschäftsführer die Klägerin während des Gespräches am 27.03.2008 freigestellt habe. Ihr sei lediglich nach Abarbeitung laufender Aufträge und wesentlicher Projekte eine etwaige Freistellung in Aussicht gestellt worden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem klägerischen Vortrag. Die Klägerin selbst habe behauptet, dass für den Fall, dass sie all das was besprochen worden sei, bis Ende April geschafft habe, sie dann anschließend freigestellt sei. Sie habe indessen weder substantiiert vorgetragen, welche konkreten Bedingungen sie habe erledigen sollen noch dass sie diese auch bis Ende April 2008 erfüllt hatte. Die Klägerin sei im maßgeblichen Zeitraum auch nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Gerade im Falle einer nur – wie die Klägerin behaupte – widerruflichen Freistellung, sei sie zum Nachweis einer Krankheit verpflichtet gewesen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Dies habe sie nicht getan. Im Übrigen sei die Klägerin auch nicht krank gewesen, sondern habe – wie erstinstanzlich vorgetragen – Urlaub in D… gemacht, was sie gegenüber dem Zeugen K… auch bestätigt habe. Dies stehe auch in Einklang damit, dass der Geschäftsführer sie trotz mehrfacher Versuche in der Zeit vom 27.04. bis 10.05.2008 nicht habe erreichen können. Sie, die Beklagte, habe mithin die Arbeitsverweigerung als wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dargelegt und Beweis angeboten. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe gebe es nicht. Einer Abmahnung habe es angesichts der beharrlichen Arbeitsverweigerung auch nicht bedurft. Die fristlose Kündigung sei auch durch den nachgewiesenen Spesenbetrug gerechtfertigt. Die von der Klägerin hierzu behauptete Vereinbarung mit ihrem Geschäftsführer sei frei erfunden und finde auch in der E-Mail vom 18.03.2007 keine Stütze. Aus diesem Grunde sei auch die Widerklage begründet.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 09.06.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

In der Sache selbst hat die Berufung keinen Erfolg, sie ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht abgewiesen (I.) und der Widerklage stattgegeben (II.). Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen kann insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe verwiesen werden. Lediglich ergänzend und auf den Sachvortrag der Parteien in der Berufungsinstanz eingehend wird noch auf Folgendes hingewiesen:

I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete nicht durch die Eigenkündigung der Klägerin zum 30.09.2008, sondern bereits zum 23.05.2008 durch Ausspruch und Aushändigung der fristlosen Kündigung vom 23.05.2008 durch die Beklagte. Der Beklagten stand ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zur Seite.

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1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die rechtliche Überprüfung nach § 626 Abs. 1 BGB erfolgt in zwei Stufen: Zum einen muss ein Grund vorliegen, der – ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles – überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen.

Die unstreitige Geltendmachung fiktiver Reisekosten erweist sich als Spesenbetrug zulasten der Beklagten und stellt je für sich genommen einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB dar. Die Interessenabwägung musste vorliegend zugunsten der Beklagten ausgehen (3.).

2. Ein Spesenbetrug kann selbst dann als Grund zur fristlosen Entlassung ausreichen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall und geringen Betrag handelt (BAG Urt. v. 02.06.1960 – 2 AZR 91/58 -, AP Nr. 42 zu § 626 BGB; BAG Urt. v. 06.09.2007 – 2 AZR 264/06 -, AP 208 zu § 626 BGB). Dies gilt erst Recht, wenn dem Arbeitnehmer – wie vorliegend – zahlreiche fingierte Fahrtkostenabrechnungen zur Last gelegt werden können.

a) Die Beklagte ist nicht gehindert, die Kündigung auch auf den ihr erst nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung bekannt gewordenen Spesenbetrug zu stützen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der herrschenden Meinung in der Literatur können Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind (vgl. BAG Urt. v. 06.09.2007 – 2 AZR 264/06 -, AP 208 zu § 626 BGB; KR/Fischmeier, KR, 8. Aufl.; Rn. 180 zu § 626 BGB; ErfK/Müller-Glöge, 9. Aufl., Rn. 230 zu § 626 BGB; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 602).

Der Mailverkehr im Hause der Beklagten (Bl. 97 bis 99 d. A.) zeigt, dass die Beklagte erst am 03.06.2008 dem konkreten Verdacht eines Spesenbetrugs nachgegangen ist. Die Klägerin hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass der allein kündigungsberechtigte Geschäftsführer der Beklagten bereits mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der fristlosen Kündigung von der fehlerhaften Abrechnungspraxis gewusst hat. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die E-Mail des Zeugen B… vom 30.05.2008 (Bl. 62 d. A.), in welcher er der Klägerin u. a. mitteilt, dass er ihre „Reisekostenabrechnung 01-03/2008 fertig (habe) und … diese morgen an HerrnS… zur Unterschrift“ gebe (Bl. 62 d. A.). Die Beklagte kann mithin erst nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung Kenntnis von der fingierten Reisekostenabrechnung 01-03/08(Anlage B 2, Bl. 41 d. A.), die den „Stein ins Rollen gebracht hat“, erlangt haben.

b) Das Arbeitsgericht hat auch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Klägerin zu Unrecht seit April 2007 tatsächlich nicht angefallene Reisekosten abgerechnet hat. Die Klägerin hat unstreitig angebliche, in Wahrheit nicht getätigte Fahrten mit dem eigenen PKW zu der Fa. K… abgerechnet und sich die fingierten Fahrtkosten in Höhe von € 1.227,60 erstatten lassen. Der Klägerin war die falsche Abrechnung auch bewusst und wurde – nach ihrem eigenen Vortrag – planmäßig vorgenommen.

c) Die bewusst fingierten Abrechnungen waren auch nicht durch eine zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten getroffene interne Absprache gerechtfertigt. Die Behauptung der Klägerin, durch die fingierte Fahrtkostenerstattung habe der Geschäftsführer der Beklagten ihr einen Ausgleich für den Entzug des Dienstfahrzeugs verschaffen wollen, ist durch nichts belegt und muss als Schutzbehauptung gewertet werden.

aa) Der Inhalt der strittigen E-Mail vom 18.03.2007 lässt einen derartigen Rückschluss nicht zu. Die E-Mail enthält lediglich ein Abrechnungsmuster, das bei Fahrtkostenabrechnungen für Geschäftsreisen im Privatwagen zugrunde gelegt werden sollte. Dieser Hinweis passt auch in den Gesamtkontext, sowohl zeitlich wie inhaltlich. Bis dahin stand der Klägerin ein Firmenfahrzeug zur Verfügung, das sie jedoch wegen ihrer häufigen Auslandsaufenthalte kaum nutzen konnte, gleichwohl hatte die Klägerin den geldwerten Vorteil für die private Nutzungsmöglichkeit in vollem Umfang in Höhe von € 646,43 brutto monatlich zu versteuern. So hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, dass der Verzicht auf das Dienstfahrzeug zu einer Erhöhung der Nettovergütung von monatlich € 337,55 führte. Diese Nettolohnerhöhung ist immer noch höher als die von der Klägerin geschätzten Kosten für den alten VW Golf (Steuern, Versicherung und Benzin) in Höhe von monatlich € 203,00, die der Höhe nach von der Beklagten bestritten worden sind. Die Klägerin hat mithin aus der Regelung unstreitig einen finanziellen Nutzen gezogen. Der Vollzug dieses Vorhabens wurde in der Mail vom 18.03.2008 für den 01.04.2008 angekündigt. Die E-Mail beschränkt sich mithin nicht nur auf die Mitteilung, wie die Klägerin künftig Dienstfahrten mit dem eigenen PKW gegenüber der Beklagten abrechnen darf, sondern auch und insbesondere darauf, dass ihr bisher genutztes Dienstfahrzeug mit Wirkung ab dem 01.04.2008 an einen anderen Mitarbeiter übergeben werde und dass der VW Golf nach ihrer Rückkehr auf ihren Namen umgemeldet werden würde. Es erscheint bei lebensnaher Betrachtung nur logisch, dass sie gleichzeitig den Hinweis erhielt, wie künftig Geschäftsreisen – nunmehr im eigenen PKW – abzurechnen seien. Anhaltspunkte für eine gewollte Abrechnung fiktiver, tatsächlich nicht entstandener Kosten enthält die E-Mail nicht.

bb) Auch bietet die Klägerin keinen Beweis für ihre Behauptung an, der Geschäftsführer habe gewusst, dass sie zum Kunden K… regelmäßig mit der Bahn bis Münster und von dort aus weiter mit dem Zeugen K… in dessen PKW gefahren sei. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Geschäftsführer der Beklagten die Reisekostenabrechnungen der Klägerin stets gegengezeichnet und die Erstattung derselben veranlasst hat. Der Geschäftsführer hat in sich plausibel vorgetragen, dass er insoweit lediglich eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen habe. Die Klägerin hat die fingierten K…-Fahrten in der Reisekostenabrechnung auch nicht durch einen – wie auch immer gearteten – internen Hinweis gekennzeichnet. Da die Klägerin unstreitig tatsächlich Dienstfahrten zu der Fa. K… unternommen hat, waren die Reisekostenabrechnungen aus Sicht des Geschäftsführers der Beklagten auch in sich schlüssig. Insbesondere hat die Klägerin in den strittigen Reisekostenabrechnungen nicht gleichzeitig Bahnfahrkarten für die Strecke zur Fa. … eingestellt, sodass von vornherein klar gewesen wäre, dass die dort ebenfalls angegebenen PKW-Fahrten nur fingiert waren. Auffällig ist zudem, dass die Klägerin nicht vorträgt, in welcher Höhe sie absprachegemäß als Ausgleich für den Entzug des BMWs fingierte Fahrtkosten hat geltend machen können.

Soweit sich die Klägerin zum Beweis für ihre Behauptung, der Geschäftsführer habe von den fingierten Fahrtkostenabrechnung Kenntnis gehabt, auf das Zeugnis des Zeugen B… beruft, liefe dessen Vernehmung auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Inhalt der E- Mail des Zeugen … vom 01.09.2008 (Bl. 95 f d. A.). Wenn der Zeuge selbst nicht die Möglichkeit hatte, zu kontrollieren, ob die Klägerin die angegebenen Fahrten auch tatsächlich durchgeführt hat, muss ihm zwangsläufig auch die Kenntnis darüber gefehlt haben, dass der Hintergrund der fingierten Spesenabrechnungen dem Geschäftsführer bekannt war. Die Klägerin trägt auch nicht substantiiert vor, wann, wo und bei welcher Gelegenheit der Geschäftsführer oder sie selbst den Zeugen B… von der angeblichen Abmachung bzgl. der fingierten Reisekosten unterrichtet hat. Der Zeuge B… war deshalb im Rahmen der Beweisaufnahme nicht zu hören.

d) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedurfte es vorliegend auch keiner vorherigen Abmahnung (LAG Niedersachsen Urt. v. 15.06.2004 – 13 Sa 1681/03 -, NZA-RR 2004, 574 f.; LAG Nürnberg Urt. v. 28.03.2003 – 4 Sa 136/02 -, LAGE § 626 BGB Nr. 149). Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung in Form eines Spesenbetruges war eine solche entbehrlich. Die Klägerin konnte von vornherein nicht mit einer Billigung ihres Verhaltens rechnen und musste sich bewusst sein, dass sie damit ihren Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Das Vertrauen der Beklagten in die Integrität der Klägerin muss angesichts der Vielzahl der bewusst fingierten Reisekostenabrechnungen als irreparabel zerrüttet angesehen werden. Bei besonders schweren Pflichtverstößen wie etwa Vermögensstraftaten zulasten des Arbeitsgebers, die sich vornehmlich auf den Vertrauensbereich auswirken, bedarf es in aller Regel keiner vorherigen Abmahnung, da eine positive Prognose in diesen Fällen grundsätzlich auszuschließen ist (vgl. ErfK/Müller-Glöge, 9. Aufl. Rn. 29 zu § 626 BGB).

3. Auch die Interessenabwägung muss vorliegend zulasten der Klägerin ausfallen.

Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu prüfen, ob dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zuzumuten ist, den betreffenden Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Die Klägerin war bei Ausspruch der fristlosen Kündigung bei der Beklagten erst seit knapp zweieinhalb Jahren beschäftigt, sodass der erworbene Bestandsschutz noch nicht durch eine langjährige und beanstandungslose Beschäftigungszeit zu ihren Gunsten gefestigt war. Auch das Alter der Klägerin (45 Jahre alt) rechtfertigt noch nicht, von einem überwiegenden Interesse der Klägerin am Erhalt des Arbeitsplatzes auszugehen. Gerade in ihrem Beruf spielt die erworbene Berufserfahrung bei der Stellensuche eine größere Rolle als das jugendliche Alter. Ferner ist zulasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass diese aufgrund ihrer Stellung im Betrieb und aufgrund ihrer überwiegend im Ausland auszuübenden Tätigkeiten eine besondere Vertrauensstellung genoss. Sie oblag gerade nicht der ständigen Kontrolle des Geschäftsführers. Vielmehr musste sich die Beklagte auf die Loyalität der Klägerin vollends verlassen (vgl. BAG Urt. v. 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 -, AP Nr. 28 zu § 626 BGB „Verdacht strafbarer Handlung“). Das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses wiegt mithin schwerer als das Bestandsschutzinteresse der Klägerin. Auch der Umstand, dass die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis zuvor bereits selbst zum 30.09.2008 gekündigt hatte, führt zu keiner anderen Bewertung der Interessenabwägung. Die Klägerin selbst hatte (streitig) vorgetragen, dass sie von der Beklagten nur widerruflich freigestellt worden sei und bis zum Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung die ihr noch übertragenen Arbeiten (Erstellung eines Qualitätshandbuches, Durchführung einer gemeinsamen Dienstreise mit dem Geschäftsführer) unstreitig noch nicht erledigt hatte. Angesichts dessen hätte die Beklagte die Klägerin noch vier Monate beschäftigen müssen. Dies war ihr angesichts der Schwere und Nachhaltigkeit des Spesenbetrugs aber nicht zumutbar.

4. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die fristlose Kündigung auch wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung gemäß § 626 Abs. 2 BGB gerechtfertigt war. Insoweit war eine bei Vorbereitung der Berufungsverhandlung zu diesem Themenkomplex noch in Aussicht gestellte Beweisaufnahme entbehrlich.

II. Das Arbeitsgericht hat der Widerklage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte hat der Klägerin auf deren Reisekostenabrechnungen hin im Jahre 2007 Kosten für vermeintliche K…-Fahrten in Höhe von insgesamt € 1.227,60 erstattet, auf die die Klägerin keinen Rechtsanspruch hatte. Der Beklagten steht mithin gegenüber der Klägerin ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 BGB zu. Der Widerklage war mithin aus den obigen unter Ziffer I. 2. b) und c) dargelegten Gründen stattzugeben.

III. Nach alledem war die Berufung insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 ArbGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen hier nicht vor, § 72 Abs. 2 ArGG.

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