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Fahrt zu einer Sportveranstaltung – Auftrag oder Gefälligkeit?


Sportveranstaltung

Zusammenfassung:

Urteil des Bundesgerichtshof zur Abgrenzung zwischen einer Gefälligkeit und einem Auftrag. Handelt es sich bei der Fahrt einer Mutter einer Spielerin einer Mädchen-Fußballmannschaft zu einem Hallenfußballturnier um eine (außerrechtliche) Gefälligkeit oder um eine Geschäftsführung ohne Auftrag? Welche Kriterien sind zur Abgrenzung einer Gefälligkeit von einem Auftrag zu berücksichtigen?


Bundesgerichtshof

Az: III ZR 346/14

Urteil vom 23.07.2015


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. Oktober 2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 11. Dezember 2013 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen


Tatbestand

Die Parteien streiten um den Ersatz von Schäden, die die Klägerin bei einem Verkehrsunfall erlitten hat.

Die Enkelin der Klägerin spielt in der Mädchen-Fußballmannschaft des beklagten Vereins. Die Mannschaft nahm am 9. Januar 2011 in B.       an der Hallenkreismeisterschaft teil. Die Klägerin, die ihre Enkelin zu dieser Veranstaltung bringen wollte, verunfallte mit ihrem PKW auf der Fahrt von H.     nach B.        und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu. Die A.              Versicherungs-AG, bei der der Beklagte eine Sportversicherung unterhält, lehnte die bei ihr angemeldeten Ansprüche der Klägerin ab. Nach den Versicherungsbedingungen würden nur Vereinsmitglieder und zur Durchführung versicherter Veranstaltungen „offiziell eingesetzte“ Helfer Versicherungsschutz genießen; zu diesem Personenkreis gehöre die Klägerin jedoch nicht. Die Klägerin hat daraufhin den Beklagten auf Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (R+S 2014, 624) den Beklagten – unter Zurückweisung der Berufung bezüglich des begehrten Schmerzensgeldes – zur Zahlung von 2.811,63 € nebst Zinsen verurteilt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Wiederherstellung der klagabweisenden Entscheidung des Landgerichts.

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ersatz ihres materiellen Schadens nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB) zu. Familienangehörige von Vereinsmitgliedern nähmen, wenn sie diese zu Sportveranstaltungen führen, nicht ausschließlich deren Interessen wahr. Es liege vielmehr auch im Interesse des beklagten Vereins, dass sich seine Mitglieder an Meisterschaften oder sonstigen sportlichen Veranstaltungen beteiligten. Der Beklagte habe über die Trainer die Mannschaftsmitglieder der Fußballjuniorinnen des SC H.     zur Teilnahme an der Kreismeisterschaft eingeladen. Die Enkelin der Klägerin habe zur Mannschaft gehört. Sinn und Zweck des Beklagten als Sportverein sei es nicht nur, dass die Vereinsmitglieder trainierten, sondern auch, dass sie an Turnieren, Meisterschaften und ähnlichen Ereignissen teilnähmen, um sich im sportlichen Wettkampf mit anderen zu messen und über den Sport Kontakte zu anderen Vereinen und Vereinsmitgliedern zu pflegen. Die Übernahme der Geschäftsführung – Transport der Enkelin zur Kreismeisterschaft – habe damit auch im Interesse des Beklagten gelegen. Erleide aber ein berechtigter Geschäftsführer bei Ausführung des Auftrags Schäden, seien ihm diese grundsätzlich analog § 670 BGB zu erstatten, da die Übernahme des mit der Ausführung des Auftrags verbundenen Schadensrisikos einem freiwilligen Vermögensopfer gleichzusetzen sei. Zwar scheide ein Anspruch aus, wenn sich im Schaden nicht ein tätigkeitsspezifisches, sondern lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht habe. Hier habe das auftragsspezifische Risiko aber gerade in der Teilnahme am Straßenverkehr gelegen, sei mithin kein nebensächlicher Bestandteil der Geschäftsführung, sondern ihr alleiniger Inhalt gewesen.

II.

Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Bei der Fahrt der Klägerin von H.       nach B.        handelte es sich um eine Gefälligkeit, die keinen Aufwendungsersatzanspruch für den erlittenen Schaden begründet.

a) Im Bereich der rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisse wird zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis unterschieden. Ob jemand für einen anderen ein Geschäft im Sinne des § 662 BGB besorgt oder jemandem nur eine (außerrechtliche) Gefälligkeit erweist, hängt vom Rechtsbindungswillen ab. Maßgeblich ist insoweit, wie sich dem objektiven Beobachter – nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte – das Handeln des Leistenden darstellt. Eine vertragliche Bindung wird insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar ist, dass für den Leistungsempfänger wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Leistungszusage verlässt oder wenn der Leistende an der Angelegenheit ein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse hat. Ist dies hingegen nicht der Fall, kann dem Handeln der Beteiligten nur unter besonderen Umständen ein rechtlicher Bindungswillen zugrunde gelegt werden. Ein Bindungswille wird deshalb in der Regel beim sogenannten Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im gesellschaftlichen Bereich oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein (vgl. Senat, Urteil vom 14. November 1991 – III ZR 4/91, NJW 1992, 498 zur Gefälligkeitsfahrt; siehe auch Senat, Urteile vom 3. November 1983 – III ZR 125/82, BGHZ 88, 373, 382 und vom 21. Juni 2012 – III ZR 291/11, NJW 2012, 3366 Rn. 14 f; BGH, Urteile vom 22. Juni 1956 – I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, 106 f; vom 2. Juli 1968 – VI ZR 135/67, JZ 1969, 232, 233; vom 17. Mai 1971 – VII ZR 146/69, BGHZ 56, 204, 210 und vom 18. Dezember 2008 – IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 Rn. 7 f).

b) Genauso muss, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, im Bereich der gesetzlichen Schuldverhältnisse zwischen der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff BGB und der (außerrechtlichen) Gefälligkeit ohne Auftrag unterschieden werden. Maßgeblich ist insoweit ebenfalls, wie sich dem objektiven Beobachter – nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit Rücksicht auf die Verkehrssitte – das Handeln des Leistenden darstellt. Die Abgrenzung erfolgt unter Berücksichtigung unter anderem der Art der Tätigkeit, ihrem Grund und Zweck, ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung für den Geschäftsherrn, der Umstände, unter denen sie erbracht wird, und der dabei entstehenden Interessenlage der Parteien. Gefälligkeiten des täglichen Lebens oder vergleichbare Vorgänge können insoweit regelmäßig den Tatbestand der §§ 677 ff BGB nicht erfüllen. Hierbei kann dahinstehen, ob die Wertungen, die über das Vorliegen des gesetzlichen Schuldverhältnisses der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Nichtschuldverhältnisses der „Geschäftsführung aus Gefälligkeit“ bestimmen, im Rahmen eines normativen Verständnisses des Begriffs des „Geschäfts“ im Sinne des § 677 BGB (so Staudinger/Bergmann, BGB, Neubearbeitung 2015, Vorbem zu §§ 677 ff Rn. 111; siehe auch Erman/Dornis, BGB, 14. Aufl., § 677 Rn. 3; Schmid, Die Geschäftsführung ohne Auftrag, Rn. 1145 ff) oder im Rahmen des „Geschäftsübernahmewillens“ (so Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., Einf v § 677 Rn. 2; Gehrlein in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 677 Rn. 1; Beuthien in Soergel, BGB, 13. Aufl., § 677 Rn. 4 iVm Fn. 20) berücksichtigt werden.

c) Die Abgrenzung zwischen Geschäftsführung ohne Auftrag und Gefälligkeit ohne Auftrag obliegt grundsätzlich dem Tatrichter. Das Revisionsgericht kann jedoch eine – wie hier – unterlassene Abgrenzung selbst vornehmen, wenn der Tatrichter die hierzu notwendigen Feststellungen getroffen hat und keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind (vgl. nur Senat, Urteil vom 17. November 2011 – III ZR 103/10, BGHZ 191, 310 Rn. 33 mwN) oder wenn es keiner weiteren tatrichterlichen Feststellung bedarf, weil das Revisionsgericht diese anhand des unstreitigen Inhalts der Akten selbst treffen kann (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2014 – VIII ZR 266/13, BGHZ 201, 252 Rn. 25 mwN).

Die Klägerin hat ihre Enkelin nach B.        fahren wollen, um dieser die Teilnahme an der Kreismeisterschaft zu ermöglichen. Dies geschah aus Gefälligkeit gegenüber ihrer Enkelin beziehungsweise deren sorgeberechtigten Eltern. An dem Charakter der Fahrt als Gefälligkeit ändert sich nichts dadurch, dass der Transport nicht ausschließlich im alleinigen Interesse der Enkelin und ihrer Eltern, sondern auch im Interesse der Mannschaft und damit des beklagten Sportvereins lag. Der „Bringdienst“ der minderjährigen Spielerinnen zu auswärtigen Spielen war nach den tatrichterlichen Feststellungen Sache der Eltern beziehungsweise anderer Angehöriger oder Freunde. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörungen vor den Instanzgerichten angegeben, die Kinder seien immer privat gefahren worden. Sie selbst habe viele Fahrten durchgeführt und dafür nie etwas bekommen. Wenn sie nicht gefahren wäre, hätte man den Transport innerhalb der Familie oder der übrigen Vereinsmitglieder so umorganisiert, dass eine andere Person ihre Enkelin gefahren hätte. Dieser übliche Ablauf spricht entscheidend dagegen, den auf freiwilliger Grundlage erfolgten Transport der Kinder zu Auswärtsspielen durch Personen aus ihrem persönlichen Umfeld als auf der Grundlage eines mit wechselseitigen Rechten und Pflichten ausgestalteten Schuldverhältnisses erbracht anzusehen. Vielmehr handelt es sich, wenn minderjährige Mitglieder eines Amateursportvereins von ihren Familienangehörigen oder Angehörigen anderer Vereinsmitglieder zu Sportveranstaltungen gefahren werden, grundsätzlich – auch im Verhältnis zum Sportverein – um eine reine Gefälligkeit, die sich im außerrechtlichen Bereich abspielt. Solange jedenfalls keine gegenteiligen Absprachen getroffen werden, scheiden damit Aufwendungsersatzansprüche aus.

2. Die Revisionsgegenrüge der Klägerin – sie sei von der Spartenleiterin des Beklagten gebeten worden, ihre Enkelin zu fahren; das Berufungsgericht habe insoweit das Bestehen eines Auftragsverhältnisses, da von seinem Rechtsstandpunkt aus unerheblich, dahin stehen lassen – ist unbegründet.

Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Landgericht erklärt, sie sei von ihrem Schwiegersohn gebeten worden, ihre Enkelin zur Kreismeisterschaft nach B.      zu fahren. In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz nach der mündlichen Verhandlung hat sie durch ihren Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, sie habe sich mit ihrer Enkelin zunächst zum Sammelpunkt am Gymnasium W.     begeben und sei dort von der Trainerin der Mannschaft gebeten worden, ihre Enkelin zu fahren. Mit der Berufungsbegründung hat die Klägerin – nachdem das Landgericht in seinem Urteil diese Schilderung als widersprüchlich bewertet hat – dann ausgeführt, sie sei zunächst von ihrem Schwiegersohn gebeten worden, ihre Enkelin zum Sammelpunkt und anschließend von dort nach B.       zu fahren. Am Sammelpunkt habe dann die Trainerin (Spartenleiterin) ihr den „Fahrauftrag“ erteilt.

Dieser Vortrag ist nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn man die Darstellung der Klägerin zu den Vorgängen am Sammelpunkt als zutreffend unterstellt, würde es sich – nach Maßgabe der Abgrenzungskriterien zu 1 a – nicht um einen Auftrag im Sinne des § 662 BGB, sondern um ein außerrechtliches Gefälligkeitsverhältnis handeln.

3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die Klägerin hat in den Vorinstanzen geltend gemacht, der Beklagte hätte sie vor Antritt der Fahrt auf den fehlenden Schutz durch die Sportversicherung hinweisen müssen; hätte sie davon Kenntnis gehabt, hätte man die Fahrten innerhalb der Familie und der übrigen Vereinsmitglieder so umorganisiert, dass ihr Schwiegersohn oder ein Familienangehöriger eines anderen Vereinsmitglieds den „Bringdienst“ übernommen hätte. Dieser Vortrag ist unerheblich. Die Instanzgerichte sind insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass eine besondere individuelle Aufklärungs- und Hinweispflicht des Beklagten, der in seinem Vereinshandbuch auf die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf Vereinsmitglieder ausdrücklich aufmerksam gemacht hat, gegenüber der Klägerin nicht bestand. Hiergegen wendet sich die Klägerin in der Revisionsinstanz auch nicht.


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