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Staatsgerichtshof – Anrufung durch Jedermann

Staatsgerichtshof des Landes Hessen

Az.: P.St. 1688

Beschluss vom 11.04.2002


Auf den Antrag wegen Verletzung von Grundrechten hat der Staatsgerichtshof des Landes Hessen in seiner Sitzung vom 11. April 2002 gemäß § 24 Abs. 1 StGHG beschlossen:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Gründe:

A.

I.

Der Antragsteller wendet sich mit der am 30. Mai 2001 erhobenen Grundrechtsklage gegen die Neuregelung der §§ 43 und 43a des Gesetzes über den Staatsgerichtshof – StGHG – durch Art. 1 Nrn. 21 und 22 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Staatsgerichtshof und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2000 (GVBI. I S. 585).

Mit Beschluss vom 11. September 2001 – P.St. 1628 – lehnte der Staatsgerichtshof die Annahme einer gegen den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Januar 2001 – 3 TZ 3861/00 – gerichteten Grundrechtsklage des Antragstellers nach § 43a Satz 1 Nr. 1 StGHG einstimmig ab. Der Antragsteller hatte in derselben Sache Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben, die mit Kammerbeschluss vom 15. März 2001 – 1 BvR 314/01 – nicht zur Entscheidung angenommen worden war. Nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs stellte der Antragsteller mit am 30. Mai 2001 eingegangenem Schriftsatz klar, dass sich die Grundrechtsklage auch gegen §§ 43 Abs. 1 Satz 2 und 43a StGHG richte.

§ 43 Abs. 1 StGHG hat folgenden Wortlaut:

„Den Staatsgerichtshof kann anrufen, wer geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in einem durch die Verfassung des Landes Hessen gewährten Grundrecht verletzt worden zu sein (Grundrechtsklage nach Art. 131 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen). Die Grundrechtsklage ist unzulässig, wenn in derselben Sache Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird. Dies gilt nicht, wenn die Verfassung des Landes Hessen weiterreichende Grundrechte als das Grundgesetz gewährleistet, und für die Grundrechtsklage nach § 46.“

Der neu eingeführte § 43a StGHG regelt:

„Der Staatsgerichtshof kann die Annahme einer Grundrechtsklage einstimmig ablehnen,

1. wenn sie offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist

oder

2. wenn ihre Annahme aus anderen Gründen, insbesondere wegen fehlender verfassungsrechtlicher Bedeutung oder deshalb offensichtlich nicht angezeigt ist, weil durch die Ablehnung kein schwerwiegender Nachteil entsteht.

Der Beschluss bedarf keiner Begründung.“

Der Antragsteller ist der Ansicht, diese Regelungen verstießen gegen Art. 131 Abs. 1 und 3 der Verfassung des Landes Hessen (kurz: Hessische Verfassung – HV -). Danach habe jedermann das Recht, den Staatsgerichtshof anzurufen, wenn er sich in seinen Grundrechten verletzt sehe. Der durch Art. 63 HV garantierte Wesensgehalt dieses Grundrechts werde verletzt, wenn der Verfassungsverstoß für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht angerufen wird oder wurde, nicht überprüft werden könne. Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich das Recht auf eine eigenständige Landesverfassungsgerichtsbarkeit betont. Die Möglichkeit, den Staatsgerichtshof bei einer Verletzung von mit Bundesgrundrechten inhaltsgleichen Landesgrundrechten anzurufen, sei durch § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG faktisch beseitigt. Auch § 43a Satz 1 Nr. 2 StGHG verletze ihn in seinem Grundrecht. Soweit es möglich sei, die Annahme zur Entscheidung ohne Begründung wegen fehlender verfassungsrechtlicher Bedeutung abzulehnen, werde die Überprüfung individueller Grundrechtsverletzungen generell ausgeschlossen. Dies gelte auch deswegen, weil die Auslegung von Grundrechten des Grundgesetzes, die mit den durch die Hessische Verfassung gewährten Grundrechten inhaltsgleich seien, in aller Regel durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt sei. Die Aushöhlung der Rechte des Bürgers betreffe dessen Würde und die des Staates.

II.

Die Landesregierung hält die Grundrechtsklage für unzulässig. Der Antragsteller habe die Verletzung von Grundrechten nicht substantiiert dargelegt. Die Zulässigkeit einer unmittelbar gegen eine Rechtsvorschrift gerichteten Grundrechtsklage erfordere, dass der Antragsteller durch die angegriffene Rechtsnorm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sei. Daran fehle es. Von § 43a StGHG sei der Antragsteller nicht unmittelbar und konkret betroffen. Es bedürfe nämlich noch eines Vollzugsaktes, einer konkreten Entscheidung des Einzelfalls, deren Folge den Antragsteller dann rechtlich treffen könne. Allein die Möglichkeit, der Staatsgerichtshof könne die Annahme einer eventuellen künftigen Grundrechtsklage ablehnen, genüge nicht. Anders verhalte es sich mit § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG. Zwar werde er rechtlich betroffen erst, wenn er nebeneinander Grundrechtsklage und Verfassungsbeschwerde einlege. Erst insoweit würden die Rechtsfolgen des § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG ausgelöst. Angesichts der Gefahr, mit der Erhebung der Verfassungsbeschwerde die Zulässigkeit der Grundrechtsklage zu verspielen, und der Unmöglichkeit, die erforderliche Klärung bis zum Fall einer tatsächlich zu erhebenden Grundrechtsklage zurückzustellen, sei eine gegenwärtige und unmittelbare Selbstbetroffenheit des Antragstellers hier ausnahmsweise anzunehmen. Der Antragsteller könne jedoch keine Grundrechtsverletzung für sich reklamieren. Art. 131 Abs. 1 HV enthalte eine institutionelle Garantie der Grundrechtsklage, mit der sich keine subjektive Gewährleistung, also kein Grundrecht verbinde. Art. 63 HV enthalte kein eigenständiges Grundrecht, sondern eine für alle Grundrechte der Hessischen Verfassung gemeinsame Garantie, die sich ihrem Wortlaut nach aber nur auf die in den vorausgehenden Abschnitten des Ersten Hauptteils der Hessischen Verfassung normierten Grundrechte beziehe.

III.

Der Landesanwalt hat sich in vollem Umfang der Stellungnahme der Landesregierung angeschlossen. Der Landtag hat nicht Stellung genommen.

B.

I.

Die Grundrechtsklage ist unzulässig.

Die Grundrechtsklage ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 StGHG gegen eine Rechtsvorschrift des Landes Hessen statthaft und fristgerecht innerhalb eines Jahres seit deren In-Kraft-Treten erhoben (§ 45 Abs. 2 StGHG).

Der Antragsteller ist aber nicht antragsbefugt. Er hat kein Grundrecht bezeichnet, dessen Verletzung möglich erscheint, wie nach § 43 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGHG erforderlich.

1.

Zu den Grundrechten der Hessischen Verfassung zählen die vom Antragsteller benannten Art. 63 und Art. 131 Abs. 1, 3 HV nicht. Art. 63 HV stellt selbst kein Grundrecht dar, sondern gewährleistet die Unantastbarkeit der Grundrechte, setzt sie mithin voraus. Art. 131 Abs. 1 HV verbürgt die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofs, über die Verletzung der Grundrechte zu entscheiden, statuiert aber kein Grundrecht.

Außerdem ist Art. 131 Abs. 1 und Abs. 3 HV durch die von dem Antragsteller angegriffenen Normen eindeutig nicht verletzt.

Art. 131 Abs. 1 und Abs. 3 HV verbürgt zwar, dass jedermann wegen der Verletzung seiner Grundrechte den Staatsgerichtshof anrufen kann. Dem Gesetzgeber bleibt jedoch nach Art. 131 Abs. 3 HV ein weiter Spielraum, diesen Zugang auszugestalten (vgl. Barwinski, in: Zinn/Stein, Hessische Verfassung, Stand Juni 1999, Art. 131 -133 Anm. IV 1).

a) § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG hält sich in den so vorgegebenen Grenzen.

Nach dieser Vorschrift ist die Grundrechtsklage unzulässig, wenn in derselben Sache Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird. Dies gilt nach § 43 Abs. 1 Satz 3 StGHG nicht, wenn die Verfassung des Landes Hessen weiterreichende Grundrechte als das Grundgesetz gewährleistet. Damit hat der Landesgesetzgeber die Möglichkeit, eine Grundrechtsklage zu erheben, nicht beseitigt. Diese zugangsbeschränkende verfahrensrechtliche Regelung kommt ihrem Wesen nach auch nicht einem generellen Ausschluss einer Grundrechtsklage gleich. Vielmehr beseitigt § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG lediglich eine verfassungsrechtlich weder verankerte noch gebotene Dualität des Rechtsschutzes.

Ausgangspunkt und Leitlinie für die zulässigen Zugangsregelungen, die zu schaffen Art. 131 Abs. 3 HV ermächtigt, muss der Grundrechtsschutz des Individuums sein. Deshalb verbieten sich alle Regelungen, die den Grundrechtsschutz leerlaufen lassen. Davon kann aber hier nicht die Rede sein. Der Verfassungsgeber hat zwar diesen Schutz trotz einer ausdifferenzierten Rechtspflege für erforderlich gehalten. Im Jahre 1946, als die Hessische Verfassung entstand, war auch noch nicht zu erkennen, dass in einer „künftigen Deutschen Republik“ (Präambel der Hessischen Verfassung) ein dem Schutz der Bundesverfassung verpflichtetes Verfassungsgericht Grundrechtsschutz gewähren und dieser sich mit dem des Landes weithin decken könnte. In das Grundgesetz wurde die Verfassungsbeschwerde dann auch erst mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a im Jahre 1969 aufgenommen (19. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. Januar 1969, BGBI. I S. 97). Zu dem Verhältnis des Landes zum bundesrechtlichen Grundrechtsschutz ist der Landesverfassung daher nichts zu entnehmen. Schon aus diesem Grunde zwingt der Gedanke des Individualrechtsschutzes nicht zu der Annahme, gegen dieselben (behaupteten) Grundrechtsverletzungen müsse von Verfassungswegen doppelter Rechtsschutz gewährleistet werden. Nur diese mehrfache Absicherung wird beseitigt. Den Rechtsschutz vor dem hessischen Verfassungsgericht zu erhalten, bleibt nach § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG in der Hand des Rechtsuchenden. Er kann wählen, sich wegen der Verletzung eines sowohl im Grundgesetz als auch in der Verfassung des Landes Hessen inhaltsgleich geschützten Grundrechts durch die öffentliche Gewalt des Landes Hessen nach Maßgabe des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 90 ff. BVerfGG an das Bundesverfassungsgericht oder gemäß den §§ 43 ff. StGHG an den Staatsgerichtshof zu wenden. § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG verwehrt nicht die Grundrechtsklage, sondern zwingt den Betroffenen lediglich zur Wahl des von ihm bevorzugten Gerichtes. Wählt er das Bundesverfassungsgericht, verliert er allerdings die Möglichkeit, eine Entscheidung des Staatsgerichtshofes zu erlangen. Der Individualrechtsschutz bleibt damit gleichwohl erhalten. Das Gesetz geht nämlich davon aus, dass der Grundrechtsschutz, den das Bundesverfassungsgericht sicherstellt, dem entspricht, den auch der Staatsgerichtshof gewährt. Soweit Grundrechte von Landes- und Bundesverfassung inhaltsgleich sind, versteht sich das von selbst. Gehen Grundrechte des Grundgesetzes weiter, erhält der Betroffene mehr Schutz, als der Staatsgerichtshof auf Grund der hessischen Landesgrundrechte geben könnte. Soweit diese einen weitergehenden Schutz als Bundesgrundrechte gewährleisten, bleibt nach § 43 Abs. 1 Satz 3 StGHG der Zugang zum Staatsgerichtshof offen. Deshalb hält sich § 43 Abs. 1 Satz 2 StGHG in den von Art. 131 Abs. 1 und Abs. 3 HV vorgegebenen Grenzen. Bundesverfassungsrecht gebietet nicht, dass die Länder die Möglichkeit subjektiven verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes schaffen müssen (BVerfGE 99, 1 [18 f.]; BVerfG [4. Kammer des Zweiten Senats], NVwZ 2002, S. 73 [74]). Unter diesem Gesichtspunkt bestehen keine Bedenken dagegen, dass dem Betroffenen die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten zugemutet wird.

Die Verfassungsgerichtsgesetze einiger anderer Bundesländer schließen einen doppelten verfassungsgerichtlichen Schutz ebenfalls aus. In Brandenburg ist wie in Hessen eine Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht unzulässig, soweit in derselben Sache Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird (§ 45 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg). In Berlin schließt schon Art. 84 Abs. 2 Nr. 5 der Verfassung von Berlin parallelen Grundrechtsschutz aus. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet nur, soweit nicht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird (§§ 14 Nr. 6, 49 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof). Ein noch weitergehender Ausschluss ist in Mecklenburg-Vorpommern vorgesehen. Dort ist eine Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof bereits unzulässig, wenn wegen der gleichen behaupteten Verletzung von Grundrechten eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben werden könnte (Art. 53 Nr. 7 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, § 57 Abs. 3 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern).

b) Auch § 43a StGHG ist mit der Hessischen Verfassung vereinbar.

Nach § 43a Satz 1 Nr. 1 StGHG kann der Staatsgerichtshof die Annahme einer Grundrechtsklage einstimmig ablehnen, wenn sie offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Die Möglichkeit, eine Grundrechtsklage zu erheben, bleibt davon unberührt. Nur das Verfahren, in dem über sie entschieden wird, ist vereinfacht: Über die Nichtannahme der Grundrechtsklage entscheidet der Staatsgerichtshof einstimmig, und zwar unverändert in der nach Art. 130 Abs. 1 HV, § 2 Abs. 1 und 2 StGHG vorgeschriebenen Besetzung mit elf Richtern. Auch einer gesonderten Annahmeentscheidung bedarf es, anders als eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93a BVerfGG, nicht (zum Annahmeverfahren nach § 93a BVerfGG vgl. Roth, Die Überprüfung fachgerichtlicher Urteile durch das Bundesverfassungsgericht und die Entscheidung über die Annahme einer Verfassungsbeschwerde, AöR 121 [1996], S. 544 [556]). Die Grundrechtsklage wird vollständig auf ihre Zulässigkeit und Begründetheit überprüft. Nur wenn sich die Grundrechtsklage bei dieser Überprüfung als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist, darf der Staatsgerichtshof ihre Annahme ablehnen. Damit erhält der Grundrechtskläger nach § 43a Satz 1 Nr. 1 StGHG in der Sache – von der dem Staatsgerichtshof erlassenen Begründung abgesehen – nicht weniger als ohne dieses Verfahren. Art. 131 Abs. 3 HV steht dem nicht entgegen.

§ 43a Satz 1 Nr. 2 StGHG ermächtigt den Staatsgerichtshof, die Annahme einer Grundrechtsklage einstimmig abzulehnen, wenn ihre Annahme aus anderen Gründen, insbesondere wegen fehlender verfassungsrechtlicher Bedeutung oder deshalb offensichtlich nicht angezeigt ist, weil durch die Ablehnung kein schwerwiegender Nachteil entsteht. Diese Nichtannahmevoraussetzungen halten sich ebenfalls in dem von Art. 131 Abs. 3 HV vorgegebenen Rahmen. Danach bestimmt das Gesetz, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen „jedermann“ das Recht hat, den Staatsgerichtshof anzurufen. Den weiten Spielraum, den die Hessische Verfassung hierbei dem Gesetzgeber eingeräumt hat, zeigt nicht nur der Wortlaut des Art. 131 Abs. 3 HV, sondern auch dessen Entstehungsgeschichte.

Im Zuge der Vorbereitung des Entwurfs einer Hessischen Verfassung regte die Juristische Fakultät der Ludwigs-Universität Gießen in ihrer auf ein Rundschreiben des Ministerpräsidenten des Staates Groß-Hessen verfassten Denkschrift vom 27. April 1946 zwar die Zulassung einer Verfassungsbeschwerde nach dem Vorbild der Bayerischen Verfassung vom 14. August 1919 an (vgl. Denkschrift der Juristischen Fakultät der Ludwigs-Universität Gießen, in: Berding [Hrsg.], Die Entstehung der Hessischen Verfassung von 1946: Eine Dokumentation, 1996, S. 48 [56]). Dennoch sahen die Entwürfe für eine Hessische Verfassung keine dem Individualrechtsschutz dienende Grundrechtsklage vor. Antragsbefugt in Verfahren vor dem Staatsgerichtshof sollten, mit hierzu vernachlässigenden Änderungen, vielmehr allein diejenigen sein, die nunmehr nach Art. 131 Abs. 2 HV einen Antrag stellen können (vgl. undatierter Verfassungsentwurf von Jellinek, in: Berding, a.a.O., S. 153 [171, Art. 121]; Verfassungsentwurf des Vorbereitenden Verfassungssausschusses vom 18.06.1946, ebd., S. 173 [192, Art. 130]). Der Staatsgerichtshof sollte dem Schütze und der Einhaltung der Verfassung dienen (undatierter Verfassungsentwurf Zinn/Arndt, Juli 1946, in Berding, a.a.O., S. 260 [269 ff., insbes. Art. 64 ff.]; vgl. auch Königsteiner Entwurf, ebd., S. 290 [295, 305, Art. 35]; Verfassungsentwurf von Kanka, ebd., S. 310 [316, Art. 26]).

Am 13. August 1946 fand ein Gespräch des Verbindungsoffiziers der amerikanischen Militärregierung Dayton mit Vertretern der Verfassungberatenden Landesversammlung und der Landesregierung zum Entwurf einer Hessischen Verfassung statt. Dayton legte besonderen Wert darauf, dass der Einzelne eine Möglichkeit haben müsste, seine Grundrechte geltend zu machen. Auf Fragen, wie eine eventuell zu erwartende größere Anzahl von Verfahren durch den Staatsgerichtshof bewältigt werden könnte, wies Dayton u.a. auf das amerikanische „System of certiorari“ hin (Bericht des amerikanischen Verbindungsoffiziers vom 17. August 1946, in: Berding, a.a.O., S. 573 [581]). Das „certiorari-Verfahren“kommt einem Annahmeverfahren nach Ermessen gleich (näher Benda, in: Benda/Klein, a.a.O., Rdnrn. 386 ff.). Der Verfassungsausschuss beriet am 25. September 1946 darüber, wer für ein Verfahren vor dem Staatsgerichtshof antragsbefugt sein solle. Unter Hinweis auf die Wünsche der Militärregierung schlug der Abgeordnete Bauer (KPD) vor, dem Entwurf des Art. 130 Abs. 2 – heute Art. 131 Abs. 2 HV – folgenden Absatz anzufügen: „Das Gesetz bestimmt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen jedermann das Recht hat, den Staatsgerichtshof anzurufen.“ Diesen Vorschlag unterstützte der Abgeordnete Dr. von Brentano (CDU) und ergänzte: „… Es muss jedermann die Möglichkeit gegeben sein, bei einer Verletzung von Grundrechten den Staatsgerichtshof anzurufen. Es ist gut und richtig, wenn die Regelung im einzelnen dem Gesetz vorbehalten bleibt, weil man andererseits auch an die Praxis denken muss. Es gibt unendlich viel Querulanten, gerade in der heutigen Zeit mit ihren vielen Eingriffen in die persönliche Freiheit. Wenn jeder einzelne Fall an den Staatsgerichtshof gebracht würde, dann könnte dieser seine Arbeit überhaupt nicht bewältigen.“ Daraufhin wurde der neue Absatz 3 angenommen (Sitzung des Verfassungsausschusses der Verfassungsberatenden Landesversammlung vom 25. September 1946, in: Berding, a.a.O., S. 761 [782 f.]).

Nach § 43a StGHG obliegt es dem Staatsgerichtshof im Einzelfall, der Grundrechtsklage als Mittel des Individualrechtsschutzes im Sinne des Art. 131 Abs. 1 HV zur Geltung zu verhelfen und ihre Funktion bei der Auslegung der Voraussetzungen der Nichtannahme (vgl. zu den Annahmevoraussetzungen nach § 93a BVerfGG BVerfGE 90, 22 [24 f.]; 96, 245 [248]) und deren Anwendung zu berücksichtigen (zu einer Bestandsaufnahme der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts siehe Uerpmann, Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung, in: Badura/Dreier [Hrsg.], Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2001, Band I, S. 673 [677 ff.]). Da der Grundrechtsklage nicht nur die Funktion zukommt, Individualrechtsschutz zu gewähren, sondern auch objektivrechtlich die Einhaltung der Grundrechte zu sichern, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, Rechtsschutzbegehren von geringem sachlichem Gehalt auszuscheiden und die Arbeit des Gerichts auf die Fälle zu konzentrieren, die einer Entscheidung durch das Verfassungsgericht bedürfen (zur Verfassungsbeschwerde vgl. BVerfGE 9, 120 [121]; Benda, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 2001, Rdnr. 375; vgl. auch Uerpmann, a.a.O., S. 691; kritisch Roth, a.a.O., S. 552 ff.).

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§ 43a Satz 2 StGHG, wonach ein Beschluss über die Nichtannahme keiner Begründung bedarf, ist mit der Hessischen Verfassung ebenfalls vereinbar. Nach Art. 130 Abs. 4 HV bestimmt das Gesetz das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof. Zu den Regelungen über das Verfahren gehören auch Bestimmungen über eine Begründung der Entscheidung. Eine Begründung ist ausdrücklich in § 23 Abs. 2 StGHG vorgesehen. Bei Einstimmigkeit bedarf ein Beschluss nach § 24 Abs. 2 StGHG keiner Begründung, wenn zuvor auf Bedenken gegen die Zulässigkeit oder Begründetheit hingewiesen worden ist. Darüber hinaus kann in den Fällen des § 43a Satz 1 StGHG eine Begründung entfallen.

Grundsätzlich bedürfen mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen von Verfassungswegen keiner Begründung. Eine Begründungspflicht ist indessen mit Rücksicht auf das Willkürverbot und die Bindung des Richters an Gesetz und Recht ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn von dem eindeutigen Wortlaut einer Vorschrift abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Betroffenen bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 1998, S. 3484 mit Nachweisen der Senatsrechtsprechung).

Für den außerordentlichen Rechtsbehelf einer Grundrechtsklage (StGH, Beschluss vom 22.04.1998 – P.St. 1298 -, StAnz. 1998, S. 1555) ergibt sich eine Begründungspflicht weder aus der Hessischen Verfassung noch aus dem Grundgesetz (vgl. zur Begründungspflicht BVerfGE 94, 166 [210]; BVerfG [I. Kammer des Ersten Senats], NJW 2001, S. 2161 [2162]). Das Rechtsstaatsprinzip fordert grundsätzlich keine Begründung einer Entscheidung des Verfassungsgerichts (Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, Bearbeitung Juni 2001, § 93d Rdnr. 8; vgl. auch Clemens, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, § 93d Rdnr. 50; Hans H. Klein, Gedanken zur Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Burmeister/Nierhaus/Püttner u. a. [Hrsg.], Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für K. Stern zum 65. Geburtstag, 1997, S. 1135 [1147]: „Die Begründung von Nichtannahmeentscheidungen… sollte vom Gesetzgeberverboten werden“; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band Hl/2, 1994, S. 1303; offen BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 1998, S. 3484; [2. Kammer des Zweiten Senats], NJW 1997, S. 2229; a.A. Zuck, in: Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Aufl. 1996, § 93d Rdnr. 7; Zuck, Vom Winde verweht: § 93d BVerfGG und menschliche Schicksale, NJW 1997, S. 29 f.; kritisch auch Eckart Klein, Konzentration durch Entlastung? NJW 1993, S. 2073 [2075]; Kroitzsch, Wegfall der Begründungspflicht – Wandel der Staatsform der Bundesrepublik, NJW 1994, S. 1032 [1034 f.]). Auch das Bundesverfassungsgericht begründet in geeigneten Fällen Nichtannahmeentscheidungen nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG nicht. Es mag für den Rechtsuchenden unbefriedigend sein, wenn er die Gründe für einen Misserfolg nicht erfährt (Uerpmann, a.a.O., S. 696; Zuck, NJW 1997, S. 29). Verfassungsrechtlich hat er hierauf jedoch keinen Anspruch. Damit fällt lediglich sein verständliches Informationsinteresse ins Gewicht. Auf der anderen Seite sind jedoch die notwendig begrenzten Ressourcen des Staatsgerichtshofs in Rechnung zu stellen (zum BVerfG vgl. Graßhof, a.a.O., Rdnr. 8). Schließlich bedeutet der nach Ermessen mögliche Verzicht auf eine Begründung eine erhebliche Arbeitserleichterung für den Staatsgerichtshof und damit einen Gewinn für solche Verfahren, die wegen ihrer Bedeutung für den Betroffenen oder für die Rechtsordnung verfassungsrechtlich vertieft behandelt werden müssen.

2.

Art. 3 HV, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist, ist offensichtlich nicht betroffen. Unabhängig davon, ob Art. 3 HV überhaupt die verfassungsgerichtliche Einklagbarkeit von Grundrechten gewährleistet, liegt der vom Antragsteller behauptete „Entzug der Verteidigungsmöglichkeit“ nach dem oben Gesagten erkennbar nicht vor.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 28 StGHG.

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