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Störung der Geschäftsgrundlage – Voraussetzungen Vertragsanpassung

Oberlandesgericht Naumburg – Az.: 12 U 132/15 (PKH) – Urteil vom 05.09.2016

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13. Oktober 2015 verkündete Einzelrichterurteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger zu 2) trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger zu 2) kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss:

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren beträgt 56.242,11 €.

Gründe

I.

Die Beklagte wird auf Zahlung des Kaufpreises für zwei Grundstücke in W. in Anspruch genommen.

Der Ehemann der Klägerin zu 1) war Eigentümer der Flurstücke 167/1 und 1028 der Flur 4, der Gemarkung W. , eingetragen im Grundbuch von W. , Blatt 433 und 434. Diese beiden Grundstücke verkaufte er mit Vertrag vom 17. Februar 2004, beurkundet unter der Urkunden-Nr. 248/2004 durch die Notarin H. , an die Beklagte. In § 3 des Vertrages ist u.a. vereinbart:

„1. Der Kaufpreis für das gesamte Kaufobjekt beträgt € 56.242,11 (in Worten: € sechsundfünfzigtausendzweihundertzweiundvierzig 11/100).

2. In Anrechnung auf den Kaufpreis übernimmt der Erwerber mit befreiender Wirkung vom heutigen Tage an zur alleinigen Haftung die Darlehensschuld des Veräußerers, zu deren Sicherung die in Abteilung III des Grundbuches unter der Nr. 5 eingetragene fällige Briefgrundschuld des Herrn D. A. über 56.242,11 € nebst 15 % Zinsen jährlich und einmaliger Nebenleistung von 5 % besteht.

(…)

Nach Angabe des Veräußerers beläuft sich dieser Betrag auf € 56.242,11. Diesen Betrag legen die Vertragsteile der Kaufpreisverrechnung zugrunde. Sollte sich erweisen, dass der tatsächlich geschuldete Betrag höher oder niedriger ist, so sind zwischen den Vertragsteilen keine Ausgleichszahlungen zu leisten.

(…)“

Die Beklagte räumte in § 3 Ziffer 3 des Vertrages außerdem dem Veräußerer mit der Klägerin zu 1) einerseits und dem Kläger zu 2) andererseits jeweils ein Wohnrecht unentgeltlich und auf Lebenszeit ein, deren Jahreswerte mit 3.600,00 € und 5.400,00 € angegeben waren. Einen Kaufpreis hat die Beklagte bis heute nicht gezahlt.

Der Sohn der Klägerin zu 1) und des verstorbenen Ehemannes, der nunmehrige Kläger zu 2), forderte aufgrund dieses Grundstückskaufvertrages die Ablösung der Darlehensschuld von der Beklagten. Im Ergebnis zweier daraufhin angestrengter Gerichtsverfahren bei dem Landgericht Magdeburg (Geschäftszeichen 9 O 1564/10 und 5 O 771/12) sowie der nachfolgenden Berufungsverfahren bei dem Oberlandesgericht Naumburg (Geschäftszeichen 8 U 2/11 und 8 U 3/12) wurde festgestellt, dass eine offene Darlehensschuld des Erblassers gegenüber dem Sohn der Klägerin und des Erblassers nicht nachgewiesen werden konnte und die Beklagte somit an den Kläger zu 2) aus diesem Rechtsgrund keine Zahlungen leisten musste. Daraufhin strengte der Ehemann der Klägerin zu 1) gegen die Beklagte ein Verfahren auf Zahlung des Kaufpreises vor dem Landgericht Magdeburg (Geschäftszeichen 10 O 2115/13) an, das jedoch wegen seines zwischenzeitlichen Todes vorzeitig beendet worden ist.

Am 26. August 2014 ist E. A. verstorben und von der Klägerin zu 1) allein beerbt worden. Diese verstarb am 10. April 2016 und wurde von dem gemeinsamen Sohn, dem Kläger zu 2) allein beerbt.

Die Klägerin zu 1) hat gemeint, dass sich aus den vorangegangenen Verfahren ergebe, dass die Beklagte eine Darlehensschuld nicht habe übernehmen können, die auf den Kaufpreis angerechnet werden könne. Insofern sei nach ihrer Auffassung die Grundlage des § 3 des Grundstückskaufvertrages vom 17. Februar 2004 hinsichtlich der Zahlung des Kaufpreises, nämlich die Anrechnung auf den Kaufpreis, weggefallen.

Die Klägerin zu 1) hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 56.242,11 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, dass die Klägerin zu 1) aufgrund der fortgeschrittenen Demenz bereits prozessunfähig sei. In der Sache hat sie die Auffassung vertreten, dass ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht vorliege. Vielmehr sei nach der Regelung in § 3 des Grundstückskaufvertrages vom 17. Februar 2004 die Kaufpreisforderung ohne Ausgleichspflicht erloschen. Im Übrigen sei der Grundstückskaufvertrag aufgrund von Wucher unwirksam, sodass die Klägerin zu 1) daraus keinen Kaufpreisanspruch herleiten könne. Insoweit hat die Beklagte gemeint, dass das in dem Grundstückskaufvertrag eingeräumte Wohnrecht für den Erblasser und die Klägerin zu 1) kapitalisiert mit einem Wert von 25.922,00 € und das Wohnrecht für den Sohn der Klägerin zu 1) und des Erblassers, des Klägers zu 2) kapitalisiert mit einem Wert von 168.966,00 € anzusetzen sei. Der sich daraus ergebende Gesamtwert für die eingeräumten Wohnrechte von 194.958,00 € sei vierfach so hoch wie der Wert der verkauften Immobilie, sodass nach ihrer Auffassung ein auffälliges Missverhältnis vorliege.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts der ersten Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat festgestellt, dass die gutachterlich festgestellte Prozessunfähigkeit der Klägerin zu 1) wegen ihrer Vertretung durch ihren Vorsorgebevollmächtigten bzw. Betreuer, den nunmehrigen Kläger zu 2), geheilt sei. In der Sache hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 56.242,11 € gemäß §§ 433 Abs. 2, 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 313 Abs. 1, Abs. 2 BGB verurteilt. In den Verfahren 5 O 771/12 und 9 O 1564/10 sei eine Darlehensschuld des Veräußerers gegenüber seinem Sohn nicht nachgewiesen worden. Insofern liege ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Die Parteien des Grundstückskaufvertrages hätten diesen Fall, dass die Darlehensschuld gar nicht bestehe bzw. nicht nachgewiesen werden könne, nicht geregelt. Die Regelung in § 3 des Grundstückskaufvertrages treffe hierzu keine Aussage. Die Parteien hätten mit dieser Regelung auch keine einseitige Risikoverteilung getroffen. Vielmehr habe nach § 3 bei einem höheren geschuldeten Betrag der Verkäufer und bei einem niedrigeren geschuldeten Betrag der Käufer das Risiko tragen sollen. Die Parteien seien nämlich gemeinsam von einem Umstand ausgegangen, nämlich einer Darlehensschuld des Erblassers, die später weggefallen sei bzw. die von Anfang an gefehlt habe. Es bedürfe auch keiner Rückabwicklung des Grundstückskaufvertrages. Vielmehr sei eine Vertragsanpassung dergestalt möglich, dass die Beklagte den vollen Kaufpreis zu zahlen habe. Die Parteien hätten nämlich in § 3 des Vertrages ausdrücklich geregelt, dass der Kaufpreis für das gesamte Kaufobjekt 56.242,11 € betrage. Insofern seien sich die Parteien einig gewesen darüber, dass der Kaufpreis unabhängig von der Darlehensschuld des Veräußerers 56.242,11 € betragen solle, denn davon stehe nichts in § 3 Ziffer 1. Erst in § 3 Ziffer 2 hätten die Parteien die Möglichkeit eröffnet, dass auf diesen vereinbarten Kaufpreis die Übernahme der Darlehensschuld des Erblassers in Höhe von 56.242,11 € durch die Beklagte angerechnet werde. Dies sei jedoch unabhängig von dem in § 3 Ziffer 1 vereinbarten Kaufpreis. Damit berühre die nicht bestehende bzw. nachgewiesene Darlehensschuld nur die Verrechnung, nicht aber den Kaufpreis an sich.

Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass der Grundstückskaufvertrag wegen Wuchers nach § 138 BGB unwirksam sei. Die Kammer könne keine Aussage über ein auffälliges Missverhältnis treffen. Die Beklagte sei für den Verkehrswert des Grundstücks Beweis fällig geblieben. Sie habe zwar vorgetragen, dass der Wert der eingeräumten Wohnrechte für den Veräußerer und seine Ehefrau sowie für den Sohn vierfach so hoch sei wie der Verkehrswert des Grundstückes. Für diesen Wert habe die Beklagte aber auch auf den Hinweis der Kammer, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sei, keinen entsprechenden Beweis angeboten. Die Bewertung des Grundstücks ohne Gutachten sei dem Gericht mangels eigener Sachkunde nicht möglich. Der Kaufpreis allein genüge nicht zur Bestimmung des Verkehrswertes der Immobilie.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie die Klageabweisung weiter verfolgt. Weder die objektiven noch die subjektiven Voraussetzungen der Anpassung einer Geschäftsgrundlage lägen vor. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage sei nicht gegeben, da die Höhe der Valutierung des Darlehens gerade nicht in den Risikobereich beider Parteien, sondern nach der Urkunde nur in den Bereich des Verkäufers habe fallen sollen. Sie habe vom Bestand oder Nichtbestand einer Darlehensverpflichtung keine Kenntnis gehabt und habe diese auch nicht haben können, da ein Darlehensvertrag bei der Beurkundung des Kaufvertrages nicht vorgelegen habe. Die Darlehensschuld sei spätestens im Sommer 2002 erloschen. Somit habe bereits zum Zeitpunkt der Beurkundung des Kaufvertrages keine Darlehensverpflichtung bestanden. Der Auffassung der Kammer, dass der Kaufpreis unabhängig von der Darlehensschuld 56.242,11 € betrage, stehe die vertragliche Regelung in § 3 entgegen. Mit der Regelung in § 3 Ziffer 1 hätten die Parteien der damaligen Urkunde einen Kaufpreis festgelegt, jedoch keine Zahlungsverpflichtung begründet. An einer Fälligkeitsregelung fehle es. Die weitergehende Regelung über die Zahlung des Kaufpreises sei in § 3 Ziffer 2, insbesondere in Absatz 3, getroffen. Durch einseitige Erklärung des Veräußerers habe dieser die Darlehensschuld mit fiktiv 56.242,11 € beziffert. Diese einseitige Erklärung des damaligen Verkäufers sei der Kaufpreisberechnung zugrunde gelegt worden. Damit sei der in § 3 Ziffer 1 geregelte Kaufpreis durch die fiktive Angabe einer Darlehensverbindlichkeit erloschen. Dabei stehe die ausdrückliche Regelung in der Urkunde der Anpassung der Geschäftsgrundlage entgegen. Denn von der Klausel, dass keine Ausgleichszahlungen zu leisten seien, sei auch das Nichtbestehen der Darlehensschuld erfasst, anderenfalls hätte das Nichtbestehen einer Ausgleichspflicht wertmäßig oder prozentual begrenzt werden müssen. Die ausdrückliche Regelung, keine Ausgleichszahlungen leisten zu müssen, korrespondiere auch mit der fehlenden Fälligkeit nach § 3. Wenn nämlich keine Zahlungen zu leisten seien, bedürfe es auch keiner Fälligkeit. Die Verrechnungsfiktion entsprechend § 3 Ziffer 2 Abs. 3 der Urkunde sei außerdem Vertragsinhalt und damit keine Geschäftsgrundlage. Einer Anpassung des Vertrages stehe auch § 242 BGB entgegen, weil sich die klagende Seite widersprüchlich verhalten habe. Nachdem sie infolge fehlender Finanzierungsmöglichkeiten wegen der Kosten der Immobilie dann auf diese verzichtet habe, seien Herausgabeansprüche geltend gemacht worden, respektive nunmehr die Anpassung der Geschäftsgrundlage, obwohl von ihrer Seite die Rückabwicklung konkret angeboten worden sei.

Hinsichtlich der Voraussetzungen des Wuchers sei ihr Vortrag zu dem Wert der Immobilie und dem Wert der Wohnrechte von Klägerseite nie bestritten worden. Außerdem sei das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung hier augenscheinlich. Auf die Feststellung des Verkehrswertes der Immobilie komme es nicht an, zumal sich gerade im Kaufpreis der Verkehrswert wiederspiegele. Ein Sachverständigengutachten werde daher für entbehrlich gehalten.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Der Kläger zu 2) beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin zu 1).

Der Senat hat die Urteile des Oberlandesgerichts Naumburg vom 21. März 2013 (8 U 3/12) und vom 24. Oktober 2013 (8 U 2/11) beigezogen.

II.

Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung beruht zwar nicht auf einem Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen allerdings eine abweichende Beurteilung.

Der Kläger zu 2) hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für die Flurstücke 167/1 und 1028, eingetragen im Grundbuch von W. Blatt 433 bzw. 434, gemäß § 433 Abs. 2 BGB.

Der zugrunde liegende Grundstückskaufvertrag vom 17. Februar 2004 ist gem. § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Von der Sittenwidrigkeit eines Kaufvertrages kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Verkaufspreis rund doppelt so hoch ist wie der tatsächliche Wert des Verkaufsobjekts. Dabei lässt die Rechtsprechung auf der objektiven Grundlage eines besonders groben Missverhältnisses zwischen dem Wert des Kaufobjekts und dem Kaufpreis den Schluss auf das – für das Unwerturteil des § 138 Abs. 1 BGB unerlässliche – subjektive Unrechtsmerkmal der verwerflichen Gesinnung des Verkäufers zu (z.B. BGH, ZIP 2008, 962). Dabei haben sich bei Grundstücksgeschäften für die Bestimmung eines besonders groben Missverhältnisses prozentuale Richtwerte durchgesetzt. Ausgehend von dem für die Annahme eines besonders groben Äquivalenzmissverhältnisses bestehenden Erfordernis, dass der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, ist diese Voraussetzung grundsätzlich erst ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90% erfüllt (z.B. BGH, NJW 2014, 1652).

Nach diesen Grundsätzen überschreitet die Gegenleistung der Beklagten den Verkehrswert der an sie veräußerten Immobilien um weit mehr als 90 %. Der Wert der Immobilie betrug zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unstrittig 48.739,50 €. Die Beklagte hat unwidersprochen behauptet, dass der Wert der Wohnrechte 194.958,00 € betrage, also ca. das Vierfache des Wertes der Immobilie. Damit ist zugleich der Verkehrswert von 48.739,50 € behauptet. Dem ist die Klägerin zu 1) nachfolgend nicht mehr entgegen getreten. Dabei ist es bis heute geblieben.

Insofern hat das Landgericht, das eine mögliche Sittenwidrigkeit im Ausgangspunkt in Betracht gezogen hat, zu Unrecht entsprechende Feststellungen unterlassen, weil es gemeint hat, dass es die Beklagte trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises versäumt habe, Beweis für den Verkehrswert des Grundstücks durch Einholung eines Sachverständigengutachtens anzubieten. Richtigerweise war der maßgebliche Umstand, nämlich die Höhe des Verkehrswertes des Grundstücks, gar nicht beweisbedürftig. Insofern hatte eine Beweisaufnahme hierüber gar nicht stattzufinden.

Demgegenüber belief sich der Wert der Gegenleistung der Beklagten auf 272.800,11 €. Neben dem eigentlichen Kaufpreis – hier 56.242,11 € – ist dabei der Kapitalwert der lebenslänglichen Nutzung im Rahmen von unentgeltlichen Wohnrechten zu berücksichtigen (z.B. BGH, NJW-RR 1993, 198). Vereinbart sind in dem Vertrag vom 17. Februar 2004 lebenslange unentgeltliche Wohnrechte zum einen zu Gunsten des Veräußerers und seiner Ehefrau, der Klägerin zu 1), und zum anderen zu Gunsten des Klägers zu 2).

Das Wohnrecht zu Gunsten von Veräußerer und Ehefrau besaß damals den Kapitalwert von 41.436,00 €. Maßgeblich ist die Lebenserwartung des voraussichtlich länger Lebenden. Am 17. Februar 2004 war der am 15. September 1924 geborene Veräußerer 79 Jahre alt. Laut Sterbetafel 2004/2006 (Statistisches Bundesamt 2007) hatte er noch eine Lebenserwartung von 8,01 Jahren. Die am 2. Juli 1927 geborene Klägerin zu 1) war am 17. Februar 2004 76 Jahre alt. Laut Sterbetafel 2004/2006 hatte sie noch eine Lebenserwartung von 11,51 Jahren. Insofern ist ihre Lebenserwartung zugrunde zu legen. Ausgehend von dem im Vertrag angegebenen Jahreswert des Wohnrechts von 3.600,00 € hatte die unentgeltliche Nutzung einen Kapitalwert von 41.436,00 €. Soweit die Klägerin zu 1) hiergegen geltend gemacht hat, dass ihr Ehemann und sie zwischenzeitlich – schon im Jahre 2008 – ausgezogen sind, was gemäß § 3 Ziffer 3.1 das Erlöschen des Wohnrechts bewirkt hat, ist dies nicht zu berücksichtigen. Maßgeblich ist der Vergleich der Werte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 17. Februar 2004. Spätere Wertveränderungen spielen für die Würdigung eines besonders groben Missverhältnisses keine Rolle.

Hinzu kommt das Wohnrecht zu Gunsten des Klägers zu 2), das im Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Kapitalwert von 175.122,00 € besaß. Am 17. Februar 2004 war der am 17. April 1957 geborene D. A. 46 Jahre alt. Laut Sterbetafel 2004/2006 hatte er noch eine Lebenserwartung von 32,43 Jahren. Ausgehend von dem im Vertrag angegebenen Jahreswert des Wohnrechts von 5.400,00 € hatte die unentgeltliche Nutzung einen Kapitalwert von 175.122,00 €.

Der Einwand des Klägers zu 2) im Berufungsverfahren, dass die Berechnung des Wohnrechts nicht substantiiert und unter Beweisantritt vorgenommen worden sei, verfängt nicht. Die Berechnungen des kapitalisierten Wertes des Wohnrechts beruhen auf feststehenden Daten (Alter der Beteiligten, Jahreswert des Wohnrechts laut Vertrag und öffentlich zugängliche Sterbetafeln). Hierzu ist seitens der Beklagten nichts weiter vorzutragen gewesen.

Die Gegenleistung der Beklagten in Höhe von 272.800,11 € übersteigt den Verkehrswert von 48.739,50 € also um ein Vielfaches. Selbst wenn der Kaufpreis von 56.242,11 € ausgeklammert würde, weil dieser mangels zugrunde liegenden Darlehens im Grunde genommen niemals zu zahlen gewesen ist, verbliebe noch eine Gegenleistung in Höhe von 216.558,00 €. Dies ist auch noch weit mehr als das Vierfache des Verkehrswertes.

Wenn der Grundstückskaufvertrag also nichtig ist, bleibt kein Raum mehr für die Anpassung des Vertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 und 2 BGB. Aber selbst wenn die Wirksamkeit des Grundstückskaufvertrages angenommen werden könnte, wäre es nicht zu einer Anpassung des Kaufvertrages vom 17. Februar 2004 dergestalt gekommen, dass die Beklagte – unabhängig von dem Bestehen einer Darlehensforderung des Klägers zu 2) gegen den Veräußerer – zur Zahlung des vollen Kaufpreises von 56.242,11 € an diesen bzw. an dessen Rechtsnachfolger, den Kläger zu 2), verpflichtet ist.

Zwar kommt es im Ausgangspunkt in Betracht, dass das Bestehen einer Darlehensforderung des Klägers zu 2) gegen den Veräußerer Geschäftsgrundlage des Vertrages vom 17. Februar 2004 gewesen ist und dass diese Geschäftsgrundlage von Anfang an (§ 313 Abs. 2 BGB) gefehlt hat. Für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage ist allerdings grundsätzlich kein Raum, soweit es um Erwartungen und Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung schließt für den Betroffenen regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (z.B. BGH, NJW 2010, 1974). Nur vordergründig sind in § 3 Ziffer 2 Abs. 4 des Kaufvertrages die Risiken, ob und in welcher Höhe das Darlehen besteht, gleichmäßig auf die Parteien jenes Vertrages verteilt. Es soll nämlich keine Ausgleichszahlung erfolgen, wenn der als Darlehen geschuldete Betrag höher oder niedriger als 56.242,11 € ist. In § 3 Ziffer 2 Abs. 4 Satz 1 des Kaufvertrages ist allerdings geregelt, dass sich nach den Angaben des Veräußerers der Betrag des geschuldeten Darlehens auf 56.242,11 € beläuft. Zugleich ist unstrittig, dass die Beklagte keinerlei eigene Kenntnis von Bestehen und Höhe des Darlehens hatte. Insofern beruht die vertragliche Konstruktion, den Kaufpreis für die Grundstücke gerade durch Tilgung einer Darlehensschuld des Veräußerers zu begleichen, ausschließlich auf Informationen, die der Veräußerer besessen hat. Daher trägt dieser auch allein das Risiko, dass diese Informationen insofern nicht zutreffen, als tatsächlich – wie vorliegend – gar keine Darlehensschuld besteht.

Aber auch aus einem weiteren Grund ist es dem Kläger zu 2) verwehrt, unter dem Gesichtspunkt eines erheblichen Fehlens der Geschäftsgrundlage auf Zahlung des Kaufpreises zu klagen. Liegen die Voraussetzungen des Wegfalls bzw. Fehlens der Geschäftsgrundlage vor, so tritt die Anpassung nach dem seit dem 1. Januar 2002 in § 313 BGB normierten Recht der Geschäftsgrundlage nicht bereits kraft Gesetzes ein. Der Anspruch der durch eine Störung der Geschäftsgrundlage benachteiligten Partei auf Vertragsanpassung verpflichtet die andere Partei, an der Anpassung mitzuwirken. Wird die Mitwirkung verweigert, kann die benachteiligte Partei auf Zustimmung zu der als angemessen erachteten Anpassung oder unmittelbar auf die Leistung klagen, die sich aus dieser Anpassung ergibt (z.B. BGH, NJW 2012, 373). Im vorliegenden Fall ist aber schon nicht zu erkennen, dass der Veräußerer bzw. seine beiden Rechtsnachfolger mit der Beklagten erfolglos über eine angemessene Anpassung verhandelt hätten oder dass sich die Beklagte solchen von dem Veräußerer angestrebten Verhandlungen verweigert hätte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.

Die Entscheidung über die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO.

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