Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Az.:10 Sa 691/08
Urteil vom 02.04.2009
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 18.09.2008, Az.: 2 Ca 441/08, teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die zwei außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 aufgelöst worden ist.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.
4. Von den erstinstanzlichen Kosten hat die Beklagte zu 60 % und die Klägerin 40 % zu tragen.
5. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte 75 % und die Klägerin zu 25 % zu tragen.
6. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das erstinstanzliche Verfahren auf € 7.000,00 und für das Berufungsverfahren auf € 5.600,00 festgesetzt.
7. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008, die tatsächliche Beschäftigung der Klägerin sowie zweitinstanzlich auch über einen Auflösungsantrag der Beklagten.
Die am … 1950 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter von zwei volljährigen Kindern. Sie ist seit dem 01.04.1984 im Kindergarten der beklagten Kirchengemeinde als Erzieherin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. € 1.400,00 beschäftigt. Seit Juni 2008 ist ein GdB von 30 festgestellt worden. Die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin beträgt seit Dienstbeginn 20 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der BAT (jetzt: TVöD) im Bereich der Evangelischen Kirche der Pfalz Anwendung. Nach dem Tarifvertrag ist die Klägerin ordentlich unkündbar. Die beklagte Kirchengemeinde beschäftigt elf Arbeitnehmer, darunter drei in Vollzeit. Die Beklagte gehört dem Protestantischen Dekanat A-Stadt an. Die Arbeitnehmer des Dekanats, dem elf Pfarrämter und fünf Kindertagesstätten zugeordnet sind, haben eine gemeinsame Mitarbeitervertretung gewählt.
Im Frühjahr 2006 hat die Klägerin einen Rentenantrag gestellt. Nach Ablehnung ihres Antrags und erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens führte sie vor dem Sozialgericht Speyer (Az.: S 11 R 256/07) einen Rechtsstreit auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht hat Anfang des Jahres 2009 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin hatte seit 2002 erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten. Zuletzt war sie in der Zeit vom 02.01.2007 bis zum 03.03.2008 ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Mit Schreiben vom 19.02.2008 (Bl. 15 d. Akte 2 Ca 1160/08) wandten sich der Pfarrer, der stellvertretende Vorsitzende des Presbyteriums und die Leiterin des Kindergartens der Beklagten an den Vorsitzenden der 11. Kammer des Sozialgerichts Speyer und baten dringend um einen Gesprächstermin bzw. eine Anhörung. Das Schreiben hat – soweit vorliegend von Interesse – folgenden Wortlaut:
„Der Grund für unsere dringende Bitte ist, dass für uns als Träger und Leitung der Einrichtung die Krankheit von Frau C. eine von uns n i c h t mehr verantwortbare Gefährdung der Kinder bedeutet. Diese Verantwortung können und werden wir n i c h t mehr übernehmen.“
Am 05.03.2008 stellte sich die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten beim Gesundheitsamt A-Stadt zur Begutachtung vor. Im amtsärztlichem Attest vom 05.03.2008 (Bl. 29 d. A.) wurde bescheinigt, dass die Klägerin
„ab sofort und auf Dauer dienstunfähig“ ist.
Wenige Tage später legte die Klägerin der Beklagten ein ärztliches Attest der Orthopäden Dres. F./ G. vom 10.03.2008 (Bl. 20 d. A.) mit folgendem Wortlaut vor:
„C. … ist aus gesundheitlicher Sicht ab sofort bis auf Weiteres in der Lage, die Tätigkeit in Ihrem Beruf als Erzieherin für die Dauer von 2 h täglich aufzunehmen.“
Mit Schreiben vom 13.03.2008 (Bl. 30 d. A.) teilte die Amtsärztin des Gesundheitsamtes der Beklagten mit, dass sie in einem Telefongespräch mit dem behandelnden Orthopäden Dr. G. die differenzierte Einschätzung bezüglich der Arbeitsfähigkeit der Klägerin habe klären können. Herr Dr. G. teile ihre Beurteilung uneingeschränkt. Laut orthopädischem Reha-Entlassungsbericht mit Entlassungsdatum vom 13.11.2007 sei die Klägerin
„für ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Erzieherin nicht mehr leistungsfähig“.
Mit Schreiben vom 23.03.2008 (Bl. 7-8 d. Akte 2 Ca 1160/08) erstattete der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern eine Strafanzeige gegen den Pfarrer, den stellvertretenden Vorsitzenden des Presbyteriums und die Leiterin des Kindergartens aus allen rechtlichen Gesichtspunkten wegen des Verdachts der üblen Nachrede (§ 186 Abs. 1 StGB). Als Grund führte er die unaufgeforderte Stellungnahme der drei Personen gegenüber dem Sozialgericht Speyer vom 19.02.2008 an. Er führte u.a. aus:
„Die Äußerung der Beschuldigten entbehrt jedenfalls jeglicher Tatsachengrundlage und ist geeignet, den Kredit meiner Mandantin zu gefährden“.
Mit Klageschrift vom 02.04.2008 beantragte die Klägerin – soweit vorliegend von Interesse – zunächst, die Beklagte zu verurteilen, sie … im H.-Kindergarten in C-Stadt für einen Zeitraum von zwei Stunden pro Werktag als Erzieherin zu den üblichen Arbeitszeiten zu beschäftigten.
Mit Schriftsatz vom 21.04.2008 änderte sie ihren Klageantrag und verlangt nunmehr, die Beklagte zu verurteilen, sie … im H.-Kindergarten in C-Stadt zu unveränderten Bedingungen [= 20 Wochenstunden] als Erzieherin zu den üblichen Arbeitszeiten zu beschäftigten.
Als Anlage zu diesem Schriftsatz legte sie ein fachorthopädisches Gutachten des Dr. med. I. vom 25.02.2008 (Bl. 36 ff. d. A.) vor, das im Auftrag des Sozialgerichts Speyer erstattet worden ist. Das Gutachten hat – auszugsweise – folgenden Wortlaut:
„orthopädische Anamnese:
2002 OP eines Impingement-Syndroms rechte Schulter
2003 OP eines Carpaltunnelsyndroms links mit Rezidiv-Operation
2003 Arthroskopie linkes Kniegelenk mit Meniskusteilresektion und Gelenktoilette
2004 OP eines Carpaltunnelsyndromrezidivs links
2005 Arthroskopie rechtes Kniegelenk mit Gelenktoilette
2005 OP eines Hallux valgus rechts
2006 Bandscheibenprolapsoperation C 5/6 mit Prothesenimplantation
2007 Spondylodese L 5/ S1
…
[Seite 26 des Gutachtens] In zusammenfassender Würdigung dieser Befunde ist die Untersuchte nur noch in der Lage, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Erzieherin im Kindergarten 3 bis unter 6-stündig auszuüben, …
…
[Seite 30 des Gutachtens] Aufgrund der eingeschränkten Belastbarkeit der Hals- und Lendenwirbelsäule, insbesondere für Arbeiten mit häufigem Bücken, Arbeiten in Hock- und Knieposition sowie Benutzung von kind- und behindertengerechtem Mobiliar sowie des Hebens und Tragens von kleinen Kindern, ist die Untersuchte aufgrund ihrer Minderbelastbarkeit von Seiten der Halswirbelsäule und der Lendenwirbelsäule nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit einer Erzieherin vollschichtig (mindestens 6 Stunden pro Tag) auszuüben.“
Das Arbeitsgericht hat mit Beweisbeschluss vom 24.04.2008 (Bl. 89 d. A.) Beweis darüber erhoben, ob die Klägerin im März 2008 noch arbeitsfähig war oder ab dem 10.03.2008 – gemäß Attest vom 10.03.2008 – nur noch für zwei Stunden täglich arbeitsfähig gewesen ist, durch Einholung schriftlicher Zeugenaussagen der Orthopäden Dr. F. und Dr. G..
Dr. F. antwortete mit Schreiben vom 05.05.2008 (Bl. 91 d. A.)
„Am 10.03.2008 stellte ich der Klägerin … ein Attest aus. Der Inhalt des Attests lautete:
C. … ist aus gesundheitlicher Sicht ab sofort bis auf Weiteres in der Lage, die Tätigkeit in ihrem Beruf als Erzieherin für die Dauer von 2 Stunden aufzunehmen.
An dieser Feststellung hat sich bis zum heutigen Tag aus meiner Sicht nichts geändert.“
Dr. G. nahm mit Schreiben vom 08.05.2008 (Bl. 92 d. A.) wie folgt Stellung:
„An Hand der Patientendokumentation schließe ich mich dem Kollegen in seiner Stellungnahme vom 05.05.2008 an. Meines Erachtens ist Frau C. ab 10.03.2008 in der Lage, Tätigkeiten in ihrem Beruf als Erzieherin für die Dauer von zwei Stunden auszuüben.“
Mit Schriftsatz vom 13.07.2008 legte die Klägerin eine fachärztliche Bescheinigung der Klinik für Orthopädie des L.-Klinikums des M.-Landes vor, die am 04.07.2008 von Privatdozent Dr. E. J. ausgestellt worden ist. Die Bescheinigung lautet auszugsweise wie folgt:
„Für einen Zeitraum zwischen 3 bis 6 Stunden kann die Patientin eine körperlich leichte Tätigkeit ausüben, ausgeschlossen müssen lediglich das Heben und Tragen von Lasten von über 20 kg sowie das Einnehmen von wirbelsäulenbelastenden Zwangshaltungsmustern, wie ständiges Bücken, Knien, Winden oder Überstrecken.“
Mit Verfügung vom 01.08.2008 stellte die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern das Ermittlungsverfahren gegen die drei Personen, die die Klägerin am 23.03.2008 angezeigt hatte, gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Die Einstellungsverfügung ging am 11.08.2008 bei der Beklagten ein.
Die Beklagte hörte daraufhin mit Schreiben vom 12.08.2008 (Bl. 325-326 d. A.) und Korrekturschreiben vom 15.08.2008 (Bl. 327 d. A.) die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist von sieben Monaten zum 31.03.2009 an. Zur Begründung stützte sie sich auf die Erstattung einer leichtfertigen und unbegründeten Strafanzeige, wie sich durch die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft herausgestellt habe. Die Mitarbeitervertretung antwortete mit Schreiben vom 18.08.2008 (Bl. 328 d. A.) – auszugsweise – wie folgt:
„Nach unserem Kenntnisstand ist Frau C. ordentlich nicht kündbar, was Sie durch Ihr korrigierendes Schreiben vom 15.08. auch feststellen.
Aus den weiter genannten Gründen und vor allem zum Schutz der Einrichtung sowie ihrer Mitarbeiterinnen empfehlen wir, eine außerordentliche Kündigung mit deutlich kürzerer Kündigungsfrist bzw. eine fristlose Kündigung in Betracht zu ziehen!“.
Die Beklagte kündigte daraufhin mit zwei Schreiben vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich mit sofortiger Wirkung. Die erste Kündigung erklärte sie vertreten durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Presbyteriums, die zweite Kündigung vertreten durch den Pfarrer. Gegen diese Kündigungen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 25.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, sie im H.-Kindergarten in C-Stadt zu unveränderten Bedingungen als Erzieherin zu den üblichen Arbeitszeiten zu beschäftigen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat März 2008 € 1.400,00 brutto zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2008,
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 18.08.2008 aufgelöst worden ist,
4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 20.08.2008 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.09.2008 der Kündigungsschutzklage gegen beide Kündigungen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als Erzieherin weiter zu beschäftigen. Die Zahlungsklage für März 2008 hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Zur Begründung der Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahinstehen, ob ein wichtiger Grund für die außerordentlichen Kündigungen vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 vorliege, denn die Beklagte habe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Die Beklagte habe zeitnah von der Strafanzeige, die bereits im März 2008 erstattet worden sei, Kenntnis erlangt. Die Beklagte habe die Kündigung nicht von der Reaktion der Staatsanwaltschaft abhängig machen dürfen, denn Kündigungsgrund sei allein die Erstattung der Strafanzeige, unabhängig davon, ob diese begründet gewesen sei oder nicht. Als Betroffener könne der Arbeitgeber selbst beurteilen, ob die Strafanzeige aus niederen Motiven heraus oder leichtfertig erstattet worden sei. Jedenfalls habe es keiner weiteren Sachaufklärung bedurft.
Die Klägerin habe einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung. Nach Ausspruch der fristlosen Kündigung komme jedoch nur noch ein Weiterbeschäftigungsanspruch in Betracht. Dieser sei gegeben, weil der Kündigungsschutzklage stattzugeben sei. Die Klägerin sei gesundheitlich in der Lage, als Erzieherin 20 Wochenstunden zu arbeiten. Nach dem fachorthopädischen Gutachten des Dr. med. I. vom 25.02.2008 sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, 6 Stunden und mehr am Tag zu arbeiten. Der Beklagten müsse es aber aufgrund ihres Direktionsrechts möglich sein, die Arbeitszeit so zu gestalten, dass die Klägerin täglich nicht mehr als 4 Stunden arbeiten müsse. Auch der Direktor des L.-Klinikums des M.-Landes gehe in seiner Bescheinigung vom 04.07.2008 davon aus, dass die Klägerin zwischen 3 und 6 Stunden täglich eine körperlich leichte Tätigkeit ausüben könne. Sie solle lediglich das Heben und Tragen von Lasten über 20 kg vermeiden. Diesem Ergebnis stünden die schriftlichen Zeugenaussagen des Dr. F. vom 05.05.2008 und des Dr. G. vom 08.05.2008 nicht entgegen, die in ihren schriftlichen Aussagen lediglich den Inhalt des bereits erteilten Attestes vom 10.03.2008 bestätigt hätten. Zwar seien ihre Aussagen wohl dahin auszulegen, dass sie Klägerin nicht mehr als 2 Stunden täglich leisten könne. Mit diesen Aussagen hätten die Ärzte der Klägerin jedoch ersichtlich im sozialgerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente helfen wollen. Sie seien deshalb nur von geringem Beweiswert. Die Kammer folge deshalb dem Gutachten des Dr. I. vom 25.05.2008 und sehe von einer weiteren Begutachtung ab.
Die Beklagte, der das Urteil am 24.10.2008 zugestellt worden ist, hat am 20.11.2008 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese innerhalb der bis zum 26.01.2009 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 23.01.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Sie ist der Ansicht, es habe unzweifelhaft ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorgelegen. Erst nach Zugang der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft am 11.08.2008 habe festgestanden, dass die Strafanzeige leichtfertig erstattet worden sei. Sie sei zum Schutz der Klägerin vor ungerechtfertigten Kündigungen gehalten gewesen, zunächst die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft abzuwarten. Das Arbeitsgericht habe sie zu Unrecht zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verurteilt. Die Klägerin leide unter chronischen und nicht mehr verbesserbaren Erkrankungen an der Wirbelsäule. Das Arbeitsgericht habe die vorgelegten Gutachten und ärztlichen Atteste nicht ordnungsgemäß gewürdigt. Den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag begründet die Beklagte damit, dass aufgrund des Verhaltens der Klägerin eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht mehr zu erwarten sei. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 23.01.2009 (Bl. 264-268 d. A.), vom 20.03.2009 (Bl. 321-324 d. A.) und vom 27.03.2009 (Bl. 341-342 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 18.09.2008, Az.: 2 Ca 441/08, abzuändern und die Klage abzuweisen,
2. das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin aufzulösen und eine angemessene Abfindung festzusetzen.
Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,
1. die Berufung zurückzuweisen,
2. den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bestreitet zweitinstanzlich erstmals die ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung. Außerdem legt sie den Auszug eines weiteren Gutachtens des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. med. N. vom 23.12.2008 (Bl. 306-313 d. A.), das auf Wunsch der Beklagten eingeholt worden ist, vor. Das Gutachten hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„Der Sachverständige stimmt mit der Auffassung von Herrn Dr. I. und Herrn Priv.-Doz. J. vollkommen überein. Zwar müssen von der Patientin gewisse Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden, wie das Vermeiden von ständigen Zwangshaltungen. Dies ist aber auch für jeden anderen Menschen, der berufstätig ist, empfehlenswert.
Darüber hinaus sollte die Patientin das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg vermeiden. Das bedeutet nicht, dass die Patientin solche Lasten nicht heben und tragen könnte, wenn dies notfallmäßig der Fall sein sollte.
…
Sie ist nach Auffassung des Sachverständigen sehr wohl in der Lage, täglich bis zu sechs Stunden zu arbeiten. Sie kann ohne Probleme 20 Stunden in der Woche berufstätig sein.“
Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 02.02.2009 (Bl. 303-305 d. A.) und vom 29.03.2009 (Bl. 358-360 d. A.) Bezug genommen.
Außerdem wird Bezug genommen auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift vom 02.04.2009 (Bl. 361-365 d. A.) und den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akten 2 Ca 1705/08 und 2 Ca 158/09 (ArbG Kaiserslautern).
Ausweislich der beigezogenen Akten hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.11.2008 erneut fristlos mit sofortiger Wirkung gekündigt. Diese Kündigung begründet sie damit, dass sich die Klägerin trotz Abmahnung geweigert habe, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Außerdem habe sie nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils vom 18.09.2008 Zwangsgeld- und Zwangshaftanträge stellen lassen. Mit Schreiben vom 26.01.2009 hat die Beklagte eine vierte fristlose Kündigung mit sofortiger Wirkung erklärt und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe am 05.01.2009 entgegen einer ausdrücklichen Anweisung den Kindergarten betreten und sich in eine Kindergartengruppe begeben.
Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat in diesen Kündigungsschutzverfahren, die es miteinander verbunden hat, ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 05.03.2009 im Rechtsstreit 2 Ca 1705/08 ein Urteil verkündet und – unter dem Vorbehalt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die (hier streitgegenständlichen) fristlosen Kündigungen vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 aufgelöst worden ist – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 28.11.2008 und vom 26.01.2009 aufgelöst worden ist. Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von € 20.000,00 zum 01.12.2008 aufgelöst. Das Urteil ist noch nicht abgesetzt.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II.
In der Sache hat die Berufung der Beklagten teilweise Erfolg. Die Beklagte ist derzeit nicht verpflichtet, die Klägerin als Erzieherin in ihrem Kindergarten zu beschäftigen, weil das Arbeitsgericht mit am 05.03.2009 verkündeten Urteil – wenn auch nicht rechtskräftig – das Arbeitsverhältnis zum 01.12.2008 gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst hat. Zur Beschäftigung für einen zurückliegenden Zeitraum kann die Beklagte nicht verurteilt werden. Die fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 sind rechtsunwirksam. Der zweitinstanzliche Auflösungsantrag der Beklagten ist unzulässig.
1. Die Leistungsklage der Klägerin auf tatsächliche Beschäftigung ist unbegründet.
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte in der Vergangenheit seit dem 10.03.2008 verpflichtet gewesen ist, die Klägerin als Erzieherin in ihrem Kindergarten zu beschäftigen. Es bedarf deshalb keines Eingehens auf die Frage, ob die Klägerin gesundheitlich in der Lage war, die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu verrichten. Ein eventueller Beschäftigungsanspruch der Klägerin im Umfang von 20 Wochenstunden hat sich durch Zeitablauf in der Hauptsache erledigt. Zur Beschäftigung für einen zurückliegenden Zeitraum (bis zum 01.04.2009) kann die Beklagte nicht verurteilt werden. Der aufrechterhaltene Leistungsantrag zielt auf eine tatsächlich unmögliche Leistung, die zur Unbegründetheit der Klage führt.
Die Beklagte ist derzeit auch ab dem 02.04.2009 nicht verpflichtet, die Klägerin weiterzubeschäftigen.
Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat durch Beschluss vom 27.02.1985 (GS 1/84 = EzA § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 9) entschieden, der gekündigte Arbeitnehmer habe auch außerhalb der Regelungen der §§ 102 Abs. 5 BetrVG, 79 Abs. 2 BPersVG einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist oder bei einer fristlosen Kündigung über deren Zugang hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Der Große Senat hat angeknüpft an die Rechtsprechung zum Beschäftigungsanspruch für den Zeitraum des unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnisses. Danach besteht während des Arbeitsverhältnisses ein Beschäftigungsanspruch, es sei denn, dass dem im Einzelfall überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Dementsprechend bedarf es zur Feststellung, ob im konkreten Fall ein Beschäftigungsanspruch besteht, einer Interessenabwägung. Der Große Senat hat angenommen, dieser Beschäftigungsanspruch könne nicht durch eine rechtsunwirksame Kündigung beseitigt werden. Allerdings könne die Ungewissheit über die objektive Rechtslage und das entsprechende beiderseitige Risiko des ungewissen Prozessausganges bei der Prüfung des Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht außer Betracht gelassen werden. Die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses begründe ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses, das in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt überwiege, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergehe. Solange ein solches Urteil bestehe, müssten zusätzliche Umstände hinzukommen, wenn sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung ergeben solle, wie dies auch für die Zeit des unangefochtenen Bestands des Arbeitsverhältnisses der Fall sei. Ausnahmsweise begründe die Ungewissheit über den Fortbestand des gekündigten Arbeitsvertrags vor Erlass eines die Unwirksamkeit der Kündigung feststellenden Urteils dann kein überwiegendes schutzwertes Interesse des Arbeitgebers, wenn die umstrittene Kündigung offensichtlich unwirksam ist, weil in einem solchen Falle objektiv gar keine Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bestehe. Wie der Große Senat hierbei noch einmal klargestellt hat, ist eine Kündigung nur dann offensichtlich unwirksam, wenn sich aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben ist, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängt.
Aus den Grundsätzen des Großen Senats im Beschluss vom 27.02.1985 (a.a.O.) folgt, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin jedenfalls in der Zeit seit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 18.09.2008 zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen, denn durch dieses Urteil hat das Arbeitsgericht Kaiserslautern festgestellt, dass die ersten beiden außerordentlichen Kündigungen vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 rechtsunwirksam sind und die Beklagte deshalb zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Diese Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils vom 18.09.2008 hat aber mit Zugang der dritten außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28.11.2008 geendet.
Ob Folgekündigungen zur Beendigung des Weiterbeschäftigungsanspruchs führen, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil vom 19.12.1985 – 2 AZR 190/85 – NZA 1986, 566), der die Berufungskammer folgt, davon ab, ob sie der Grundwertung des Großen Senats entsprechend zu einer Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führen, die derjenigen entspricht, die vor Verkündung des Urteils bestanden hat, das die Unwirksamkeit der ersten Kündigung festgestellt hat. Dementsprechend beendet eine weitere offensichtlich unwirksame Kündigung den Weiterbeschäftigungsanspruch schon deshalb nicht, weil sie eine Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht begründet.
Die dritte fristlose Kündigung der Beklagten vom 28.11.2008 war nicht offensichtlich unwirksam. Eine offensichtlich unwirksame Kündigung liegt nach den Ausführungen des Großen Senats (a.a.O.) nur dann vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss. Die Beklagte hat vorliegend die dritte Kündigung mit einem neuen Lebenssachverhalt begründet, nämlich mit der Weigerung der Klägerin sich nach Abmahnung einer weiteren ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Die Feststellung der Unwirksamkeit dieser dritten Kündigung setzt eine Wertung, d.h. tatrichterliche Einzelfallwürdigung, voraus. Die Weigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ist auch nicht, unabhängig von den besonderen Umständen des Streitfalles, von vornherein ungeeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Nach § 3 Abs. 4 TVöD (früher: § 7 Abs. 2 BAT) ist der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt, seine Beschäftigten zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Weigerung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, je nach den Umständen des Einzelfalles einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen (vgl. BAG Urteil vom 06.11.1997 – 2 AZR 801/96 – NZA 1998, 326). Damit kann nicht davon ausgegangen werden, die dritte fristlose Kündigung der Beklagten vom 28.11.2008 sei offensichtlich unwirksam. Damit überwog vom Zugang der dritten Kündigung an bis zur arbeitsgerichtlichen Entscheidung über diese Kündigung am 05.03.2009 in dem erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahren 2 Ca 1705/08 das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin, so dass sie jedenfalls in der Zeit vom 28.11.2008 bis zum 05.03.2009 keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung hatte.
Mit der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils vom 05.03.2009 (2 Ca 1705/08) durch das die Folgekündigungen der Beklagten vom 28.11.2008 und vom 26.01.2009 für unwirksam erklärt worden sind, hat sich die Interessenlage ausnahmsweise nicht wieder geändert. Zwar liegt ein die Unwirksamkeit der dritten und vierten Kündigung feststellendes Urteil vor, jedoch hat das Arbeitsgericht gleichzeitig das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zum 01.12.2008 gegen Zahlung einer Abfindung von € 20.000,00 aufgelöst. Daraus ergibt sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse der Beklagten, die Klägerin nicht weiterzubeschäftigen. Das Arbeitsgericht hat angenommen, dass Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen und das Arbeitsverhältnis deshalb aufgelöst. Die Entscheidung der 2. Kammer des Arbeitsgerichts vom 05.03.2009 (2 Ca 1705/08) ist zwar nicht rechtskräftig, sie führt jedoch im Rahmen der Interessenabwägung zu einem schutzwerten Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin.
2. Die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 haben das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB sind vorliegend nicht erfüllt. Allerdings liegt ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund insbesondere dann vor, wenn der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft seine vertraglichen Pflichten erheblich verletzt.
2.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, kann die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder seine Repräsentanten eine kündigungsrelevante Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten und damit auch einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen (BAG Urteil vom 07.12.2006 – 2 AZR 400/05 – NZA 2007, 502; BAG Urteil vom 03.07.2003 -2 AZR 235/02 – NZA 2004, 427, vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 20.12.2005 – 5 Sa 504/05, dokumentiert in Juris). Ausgehend von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.07.2001 (1 BvR 2049/00 – NZA 2001, 888) kann den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers durch das Verfassungsrecht Grenzen gesetzt werden. Zeigt ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber „freiwillig“ bei der Strafverfolgungsbehörde an, so kann die darin liegende Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Strafverfahren regelmäßig nicht zu einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten führen und eine deswegen erklärte Kündigung sozial rechtfertigen. Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist es regelmäßig unvereinbar, wenn eine Strafanzeige zu zivilrechtlichen Nachteilen für den anzeigenden Arbeitnehmer führen würde, es sei denn, er hat wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist jedoch eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht ausnahmslos dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer eine Anzeige, ohne wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen, bei den Strafverfolgungsbehörden erstattet (vgl. BAG Urteil vom 03.07.2003, a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 02.07.2001 (a.a.O) einen solchen Rechtssatz nicht aufgestellt. Es hat lediglich für den „Regelfall“ ausgeführt, auch bei einer „freiwilligen“ Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch den Arbeitnehmer dürfe sein Handeln aus rechtsstaatlichen Gründen nicht zu einem wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung führen. Wie schon die Formulierung „im Regelfall“ zeigt, sind – auch – von Verfassungs wegen weitere Ausnahmefälle denkbar, in denen eine Kündigung auch dann möglich ist, wenn die vom Bundesverfassungsgericht selbst formulierte Einschränkung der wissentlich oder leichtfertig gemachten falschen Angaben nicht eingreift.
Dem Arbeitsvertrag sind zahlreiche Nebenpflichten immanent. Dazu gehört insbesondere die vertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, auf die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie im zumutbaren Umfang zu wahren. Die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten sind dahin zu konkretisieren, dass sich die Strafanzeige des Arbeitnehmers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten darstellen darf. Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion des anzeigenden Arbeitnehmers sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen. Die Gründe, die den Arbeitnehmer dazu bewogen haben, die Anzeige zu erstatten, verdienen eine besondere Bedeutung. Erfolgt die Erstattung der Anzeige ausschließlich um den Arbeitgeber zu schädigen bzw. „fertig zu machen“, kann – unter Berücksichtigung des der Anzeige zugrunde liegenden Vorwurfs – eine unverhältnismäßige Reaktion vorliegen. Durch ein derartiges pflichtwidriges Verhalten nimmt der Arbeitnehmer keine verfassungsrechtlichen Rechte wahr, sondern verhält sich – jedenfalls gegenüber seinem Arbeitgeber – rechtsmissbräuchlich (vgl. BAG Urteil vom 03.07.2003, a.a.O.).
2.2. In Anwendung dieses Maßstabs liegt unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalles kein fristloser Kündigungsgrund vor.
Die Klägerin hat den Pfarrer, den stellvertretenden Vorsitzenden des Presbyteriums und die Leiterin des Kindergartens am 23.03.2008 bei der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern wegen des Verdachts der üblen Nachrede angezeigt, weil diese drei Repräsentanten der Beklagten in einem Schreiben an das Sozialgericht Speyer vom 19.02.2008 den Vorsitzenden der 11. Kammer dringend um einen Gesprächstermin mit der Begründung gebeten hatten, bei einer Weiterbeschäftigung der Klägerin als Erzieherin im Kindergarten sei eine „nicht mehr verantwortbare Gefährdung der Kinder“ zu befürchten.
Der Wortlaut der Strafanzeige vom 23.03.2008 rechtfertigt nicht die Feststellung, die Klägerin habe gegenüber der Staatsanwaltschaft wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht. Sie hat vielmehr den Wortlaut der Stellungnahme der drei Repräsentanten der Beklagten gegenüber dem Sozialgericht Speyer vom 19.02.2008 zutreffend zitiert.
Die Klägerin hat auch nicht aus anderen Gründen ihre vertraglichen Pflichten in einem kündigungsrechtlich relevanten Ausmaß verletzt. Die Erstattung der Strafanzeige stellt zwar eine unverhältnismäßige Reaktion der Klägerin auf das Verhalten der Repräsentanten der Beklagten dar. Die Gründe, die Klägerin dazu bewogen haben, die Strafanzeige zu erstatten, sind aus Sicht der Berufungskammer nicht nachvollziehbar. Jedenfalls war die Stellungnahme gegenüber dem Sozialgericht nicht geeignet, eine „Kreditgefährdung“ zu verursachen, wie die Klägerin in ihrer Strafanzeige ausgeführt hat. Eine negative öffentliche Publizität, der den Kredit der Klägerin hätte gefährden können, war durch einen an das Sozialgericht gerichteten Schriftsatz nicht zu befürchten.
Die Klägerin konnte auch in der mündlichen Berufungsverhandlung auf Befragen nichts vortragen, was das Einschalten der Strafverfolgungsbehörden verständlich erscheinen ließe. Die Klägerin wollte im März 2008 (zunächst) einen Anspruch auf Beschäftigung im Umfang von zwei Stunden arbeitstäglich durchsetzen. Unabhängig davon, dass sie keinen Anspruch auf Verringerung der geschuldeten Arbeitszeit von 20 auf 10 Wochenstunden hatte, weil der Grad ihrer Behinderung nicht wenigstens 50 betrug (§ 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX) und die Beklagte nicht mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 8 Abs. 7 TzBfG), war die Erstattung einer Strafanzeige ein völlig untaugliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels.
Andererseits kann der Klägerin nicht unterstellt werden, sie habe die Strafanzeige ausschließlich deswegen erstattet, um die drei Repräsentanten der Beklagten zu schädigen bzw. um diese „fertig zu machen“. Sie hat die Stellungnahme der Repräsentanten der Beklagten gegenüber dem Sozialgericht als herabwürdigend empfunden und nicht erkannt, dass die Beklagte damit den Versuch unternehmen wollte, sie in ihrem Begehren zu unterstützen, von der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung zu erlangen. Der Klägerin ging es ersichtlich darum, nach einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit wegen orthopädischer Erkrankungen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, nachdem das sozialgerichtliche Verfahren nicht den gewünschten Verlauf genommen hat. Auf den (untauglichen) Versuch des Pfarrers, des stellvertretenden Vorsitzenden des Presbyteriums und der Kindergartenleiterin, ihr im sozialgerichtlichen Verfahren zu helfen, hat sie deutlich überzogen und unangemessen mit einer Strafanzeige reagiert. Andererseits kann nicht unbeachtet bleiben, dass die Beklagte noch nicht einmal ansatzweise versucht hat, mit der Klägerin, die nach langer Krankheit wieder als Erzieherin in den Kindergarten zurückkehren wollte, die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung – ggf. zu geänderten Bedingungen – zu klären, obwohl sie hierzu nach § 84 Abs. 2 SGB IX (betriebliches Eingliederungsmanagement) verpflichtet war. Unter diesen Umständen wiegt die Erstattung der Strafanzeige nicht so schwer, dass nach den Besonderheiten des Einzelfalles die außerordentliche Kündigung durch einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gedeckt wäre.
2.3. Soweit man in dem Verhalten der Klägerin gleichwohl einen Grund sehen sollte, der an sich geeignet wäre, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, führt jedenfalls die gemäß § 626 Abs. 1 BGB stets vorzunehmende Interessenabwägung zum Verneinen einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.
Für das Beendigungsinteresse der Beklagten spricht deren rechtlich geschütztes Interesse, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammen zu arbeiten, die sie nicht mit unbegründeten Strafanzeigen überziehen. Dieses Interesse reicht jedoch letztlich nicht aus, um dem Beendigungsinteresse der Beklagten Vorrang einzuräumen. Hier sind Umstände gegeben, die eine soziale Schutzbedürftigkeit der Klägerin begründen. Mit Rücksicht auf die langjährige, nämlich seit dem 01.04.1984 bestehende Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter der am 05.10.1950 geborenen Klägerin erscheint die fristlose Kündigung nicht mehr billigenswert und angemessen im Sinne des einschlägigen Prüfungsmaßstabes der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Damit ist das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2008 und vom 20.08.2008 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.
2.4. Zwar können die zwei außerordentlichen fristlosen Kündigungen der Beklagten vorliegend in außerordentliche Kündigungen mit sozialer Auslauffrist (von sechs Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres) zum 31.03.2009 nach § 140 BGB umgedeutet werden. Eine Umdeutung der Kündigungen scheitert insbesondere nicht an der ordnungsgemäßen Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens (vgl. hierzu: BAG Urteil vom 08.06.2000 – 2 AZR 638/99 – NZA 2000, 1282), nachdem die Mitarbeitervertretung in ihrer Stellungnahme zur Kündigungsabsicht vom 18.08.2008 eine fristlose Kündigung ausdrücklich empfohlen hat.
In Abwägung der Interessen der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls mit einer sozialen Auslauffrist zum 31.03.2009 zu den Interessen der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Renteneintritt überwiegen die der Klägerin. Zu ihren Gunsten ist zu berücksichtigen, dass sie vor Ausspruch der Kündigung bereits 24 Jahre in den Diensten der Beklagten stand, ohne dass es in der Vergangenheit zu Beanstandungen gekommen ist. An ihren erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten seit 2002 trifft sie kein Verschulden. Die Chancen der jetzt 58-jährigen Klägerin auf dem Arbeitsmarkt sind praktisch aussichtslos. Die Kammer verkennt nicht, dass die Klägerin durch die Erstattung der Strafanzeige die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit zumindest empfindlich gestört hat. Andererseits darf nicht verkannt werden, dass die Repräsentanten der Beklagten durch ihr Schreiben an das Sozialgericht eine unnötige Herabsetzung der Klägerin („ihre Krankheit bedeute eine nicht mehr verantwortbare Gefährdung der Kinder“) in die Auseinandersetzung über ihre Weiterbeschäftigung hereingetragen haben. Die Klägerin verlangt durchaus mit einer gewissen Vehemenz und Schärfe ihre Weiterbeschäftigung als Erzieherin im Kindergarten. Angesichts der drohenden Arbeitslosigkeit und des Umstandes, dass sie die medizinischen Voraussetzungen für eine gesetzliche Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt, begründet die Erstattung der hier zu beurteilenden Strafanzeige aus Sicht der Berufungskammer noch nicht die Unzumutbarkeit einer weiteren Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
2.5. Mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder mit sozialer Auslauffrist zu beenden, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat. Das Arbeitsgericht hat mit beachtlichen Gründen angenommen, dass es für einen Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht durch Erstattung der Strafanzeige im März 2008 nicht entscheidend auf die Reaktion der Staatsanwaltschaft im August 2008 angekommen ist. Der in Fällen des „Whistle-blowing“ in Rede stehende Vorwurf besagt, dass die Ausübung des bestehenden staatsbürgerlichen Rechts zur Erstattung einer Strafanzeige nicht zu unverhältnismäßigen Reaktionen bis hin zur Schädigung des arbeitsrechtlichen Vertragspartners führen darf. Es geht also um die Verletzung zivilrechtlich begründeter Pflichten gegenüber dem Vertragspartner. Eine derartige unverhältnismäßige Reaktion kann einerseits auch dann vorliegen, wenn eine Straftat tatsächlich begangen wurde und eine Verurteilung erfolgt. Sie kann andererseits auch dann zu verneinen sein, wenn eine Straftat in Wahrheit nicht vorliegt oder jedenfalls keine Verurteilung erfolgt (vgl. BAG Urteil vom 07.12.2006 – 2 AZR 400/05, a.a.O.).
2.6. Ebenso kann offenbleiben, ob die Beklagte die Mitarbeitervertretung nach den Bestimmungen des Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG) zu den beiden außerordentlichen Kündigungen mit sofortiger Wirkung ordnungsgemäß beteiligt hat. Hier fällt auf, dass die Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2009 angehört, im Anschluss jedoch mit zwei Schreiben vom 18.08.2008 und 20.08.2008 mit sofortiger Wirkung fristlos gekündigt hat. Andererseits hat die Mitarbeitervertretung in ihrer Stellungnahme vom 18.08.2008 der Beklagten ausdrücklich empfohlen, eine außerordentliche Kündigung mit deutlich kürzerer Kündigungsfrist bzw. eine fristlose Kündigung in Betracht zu ziehen. Bei dieser Fallgestaltung spricht viel dafür, die fristlose Kündigung nicht an einer fehlenden Beteiligung der Mitarbeitervertretung zu der ausgesprochenen fristlosen Kündigung scheitern zu lassen (vgl. hierzu: BAG Urteil vom 23.10.2008 – 2 AZR 388/07 – DB 2009, 572).
3. Der zweitinstanzlich gestellte Antrag der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gegen Zahlung einer Abfindung gemäß § 9 KSchG aufzulösen, ist unzulässig.
Anders als bei der ordentlichen Kündigung ist bei der außerordentlichen Kündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur auf Antrag des Arbeitnehmers möglich (§ 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG). Dem Arbeitgeber ist der Auflösungsantrag verwehrt. Ihm bleibt diese Lösungsmöglichkeit versagt, weil der Gesetzgeber in der unberechtigten außerordentlichen Kündigung eine besonders schwerwiegende Vertragsverletzung des Arbeitgebers sieht und ihn deshalb an das Arbeitsverhältnis binden will (so schon: BAG Urteil vom 26.10.1979 – 7 AZR 752/77 – AP Nr. 5 zu § 9 KSchG 1969). Eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG scheidet wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts aus (herrschende Meinung, vgl. nur KR/ Friedrich, 8. Aufl., § 13 Rz. 64; von Hoyningen-Huene/ Linck, KSchG, 14. Aufl., § 13 Rz. 16; APS/ Biebl, 3. Aufl., § 13 KSchG Rz. 24; ErfK/ Kiel, 9. Aufl., § 13 Rz. 8).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die unterschiedliche Kostenquote ergibt sich aus dem unterschiedlichen Umfang des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens im erstinstanzlichen Verfahren zum einen und im Berufungsverfahren zum anderen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG. Für das erstinstanzliche Verfahren ist der Wert des Streitgegenstandes auf € 7.000,00 festzusetzen. Dabei sind beide Kündigungsschutzanträge mit insgesamt drei Bruttomonatsgehältern in Höhe von € 1.400,00, der Weiterbeschäftigungsantrag mit einem Monatsgehalt und der Zahlungsantrag für März 2008 mit einem weiteren Monatsgehalt zu bewerten (5 x € 1.400,00). Im Berufungsverfahren beträgt der Wert des Streitgegenstandes € 5.600,00 (4 x € 1.400,00), weil die Abweisung der Klage auf Zahlung des Märzgehaltes 2008 nicht angegriffen worden ist. Der Auflösungsantrag ist nicht gesondert zu bewerten.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.