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Strafverfahren – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Oberlandesgericht Karlsruhe

Az: 2 Ws 193-195/08

Beschluss vom 12.08.2008


Die Beschwerdeverfahren 2 Ws 193/08, 194/08, 195/08 gegen die Beschlüsses des Landgerichts F. vom 26. Mai 2008 (7 Ns AK 46/08 und 48/08) werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die sofortigen Beschwerden des Angeklagten gegen die Beschlüsse des Landgerichts F. vom 26. Mai 2008 werden kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe:

Mit Urteilen des Amtsgerichts F. vom 16.5.2007 und 10.10.2007 wurde der Angeklagte jeweils wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu Freiheitsstrafen von fünf Monaten und sieben Monaten sowie mit Urteil des Amtsgerichts B. vom 31.1.2008 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Seine gegen die drei genannten Urteile gerichteten Berufungen verwarf das Landgericht F. nach Verbindung der Berufungsverfahren durch Beschluss vom 4.4.2008 am 26.5.2008 jeweils nach § 329 Abs. 1 StPO, nachdem der Angeklagte ohne ausreichende Entschuldigung zur Berufungshauptverhandlung nicht erschienen war. Mit am 2.6.2008 eingekommenem Schriftsatz beantragte der Verteidiger des Angeklagten Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungshauptverhandlung, weil der Angeklagte nach Auskunft der Mutter seit Monaten spurlos verschwunden und für die Familienmitglieder nicht auffindbar sei, so dass davon auszugehen sei, dass die Terminsladungen ihn nicht erreicht hätten und von einer ordnungsgemäßen Ladung nicht auszugehen sei. Mit den angegriffenen Beschlüssen hat die Strafkammer die Wiedereinsetzung wegen mangelnder Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungstatsachen versagt. Die zulässige sofortige Beschwerde, mit der zusätzlich vortragen wird, der Angeklagte habe telefonisch gegenüber dem Verteidiger angegeben, sich in den vergangenen Monaten in Spanien zur Existenzgründung aufgehalten zu haben, bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Im Ergebnis zurecht hat die Strafkammer eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist abgelehnt.

Eine Wiedereinsetzung kann vorliegend nicht auf mangelnde ordnungsgemäße Ladung mit der Folge der Unwirksamkeit der Zustellung gestützt werden. Zwar ist nach inzwischen ganz herrschender obergerichtlicher Rechtsprechung (OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Hamburg StV 2001, 339; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 174; OLG Stuttgart Justiz 2003, 489) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in analoger Anwendung der §§ 329 Abs. 3 i.V.m. 44, 45 StPO auch demjenigen zu gewähren, der nicht ordnungsgemäß geladen worden ist. Wird der Angeklagte wie hier im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten (§ 180 ZPO) geladen, so liegt eine wirksame Ladung nur vor, wenn er zum Zustellungszeitpunkt unter der Zustelladresse tatsächlich wohnhaft war (OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Karlsruhe Justiz 1997, 180; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 138; NStZ-RR 2003, 174; OLG Stuttgart Justiz 2003, 489; OLG Hamm VRS 106, 57). Dabei gilt als Wohnung grundsätzlich der räumliche Lebensmittelpunkt des Zustellungsempfängers, also die Räumlichkeit, in der er – unabhängig von einer polizeilichen Anmeldung – hauptsächlich lebt. Eine – auch länger andauernde – vorübergehende Abwesenheit hebt die Eigenschaft der Räume als Wohnung nicht auf, sondern erst die Verlagerung des Aufenthalts- bzw. Lebensmittelpunktes an einen neuen Aufenthaltsort (OLG Hamm, 5.7.2007, 3 Ws 430/07, bei JURIS). Ob der Zustellungsempfänger tatsächlich am Zustellungsort wohnhaft war, so dass eine wirksame Zustellung erfolgt ist, ist nach herrschender obergerichtlicher Rechtsprechung von Amts wegen zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe Justiz 1997, 180; OLG Hamburg StV 2001, 339; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 174; Senat, Beschluss vom 26.6.2003, 2 Ws 30/03; a.A. Köln NStZ-RR 2002, 142). Dabei ist – da die Analogie der §§ 329 Abs. 3, 45 StPO sich in Fällen einer unwirksamen Zustellung allein auf die Rechtsfolgen, nicht aber auf die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung bezieht – eine nach § 45 Abs. 2 S. 1 StPO fristgerechte Begründung des Antrags ebensowenig gefordert wie eine Glaubhaftmachung der den tatsächlichen Wohnort begründenden Tatsachen (OLG Karlsruhe Justiz 1997, 180; OLG Hamburg StV 2001, 339; Senat, Beschluss vom 26.6.2003, 2 Ws 30/03; a.A. OLG Köln NStZ-RR 2002, 142). Ergibt sich allerdings bei erfolgter Ersatzzustellung der Umstand, dass der Betroffene nicht unter der Zustelladresse wohnhaft war, nicht schon aus den Akten, dann müssen dem Wiedereinsetzungsantrag Gründe entnommen werden können, die geeignet sind, die Indizwirkung der Zustellung zu entkräften und dem Gericht ausreichende Anhaltspunkte für eine Überprüfung des räumlichen Lebensmittelpunktes des Zustellungsadressaten von Amts wegen liefern. Denn wenn auch der Nachweis der förmlichen Zustellung nicht den vollen Beweis erbringen kann, dass der Empfänger unter der Zustellungsadresse wohnhaft ist, so stellt die Erklärung des Zustellers, dass er den Adressaten in seiner Wohnung nicht angetroffen hat, doch ein beweiskräftiges Indiz dar (OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 138; OLG Stuttgart Justiz 2003, 489). Das zustellende Gericht kann aufgrund der Beurkundung der Zustellung deshalb so lange von deren Wirksamkeit ausgehen, solange die Indizwirkung nicht durch den Inhalt der Akten oder ein plausibles und schlüssiges Antragsvorbringen entkräftet wird (BVerfG NStZ-RR 1997, 70; OLG Hamburg NJW 2006, 1685 OLG Stuttgart Justiz 2003, 489).

Diesen Anforderungen genügende Darlegungen können dem Vorbringen des Antragstellers vorliegend nicht entnommen werden. Es enthält keine ausreichenden Tatsachen für die Annahme, dass der Antragsteller bei Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung – und allein dieser Zeitpunkt ist entscheidend – nicht mehr unter der Zustelladresse bei seiner Schwester gewohnt hätte. In seinem Wiedereinsetzungsantrag hat der Verteidiger zunächst nur vorgebracht, der Antragsteller sei nach Auskunft seiner Mutter „seit Monaten“ spurlos verschwunden. Im Beschwerdevorbringen am 16.5.2008 hat er zusätzlich dargelegt, sein Mandant habe ihm telefonisch mitgeteilt, sich in den letzten Monaten in Spanien zur Existenzgründung aufgehalten zu haben. Anhaltspunkte, die den Senat veranlassen müssten, von Amts wegen zu prüfen, ob der Antragsteller bei Bewirkung der Zustellung noch unter der dortigen Anschrift gewohnt hat, ergeben sich hieraus nicht. Zwar gibt seine Wohnung auch auf, wer sich aus beruflichen Gründen oder zu Studienzwecken für längere Zeit im Ausland aufhält (BayObLGSt 61, 79; OLG Hamm, 5.7.2007, 3 Ws 430/07, bei JURIS), doch enthält das Vorbringen keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Angeklagte könnte zum Zustellzeitpunkt und damit etwas mehr als zwei Monate nach seiner letzten erstinstanzlichen Verurteilung schon seinen Lebensmittelpunkt nach Spanien verlagert haben. Auch die Mutter des Antragstellers hat nicht etwa behauptet, dieser sei aus der Wohnung seiner Schwester, in der er zuletzt gelebt hat, ausgezogen. Vielmehr trägt der Antragsteller selbst in seiner Beschwerdebegründung nur vor, sich zum Zwecke der Existenzgründung in Spanien aufzuhalten, nicht, dort bereits wohnhaft und berufstätig zu sein.

Auch eine Wiedereinsetzung wegen schuldloser Unkenntnis von der Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung kommt nicht in Betracht. Insofern ist der Wiedereinsetzungsantrag schon unzulässig, weil der Antragsteller auch im Beschwerderechtsweg (vgl. hierzu Meyer-Goßner zu § 45 Rn. 7 m.w.Nachw.) die seine Säumnis entschuldigenden Tatsachen nicht in hinreichendem Maße glaubhaft gemacht hat. Dabei scheidet die eigene, telefonisch gegenüber dem Verteidiger abgegebene eidesstattliche Versicherung der Angeklagten als Mittel der Glaubhaftmachung von vornherein aus (etwa BGHR zu § 45 Abs. 2 StPO Glaubhaftmachung 1). Der Wiedereinsetzungsantrag wäre aber überdies auch nicht begründet, da der Angeklagte die Berufungshauptverhandlung nicht entschuldigt versäumt hat. Ihn traf nämlich – nachdem er in drei Sachen, zuletzt am 7.2.2008, Berufung eingelegt hatte – die Obliegenheit, bei seiner Abreise Vorkehrungen zu treffen, dass während seiner Abwesenheit einkommende Ladungen ihn erreichen (OLG Celle StraFo 2002, 17; OLG Dresden NStZ 2005, 398). Dies hat der Angeklagte ersichtlich versäumt.

Die sofortigen Beschwerden waren deshalb mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

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