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Straßenbauarbeiten – Haftung bei Beschädigung eines Wohnhauses

Oberlandesgericht Naumburg – Az.: 4 U 68/11 – Urteil vom 15.03.2012

1. Die Berufung der Kläger gegen das am 01. Juni 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal, Az.: 21 O 236/08, wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten der Berufung jeweils zur Hälfte.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Das Urteil des Landgerichts Stendal vom 01. Juni 2011, Az.: 21 O 236/08, ist ebenfalls ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Straßenbauarbeiten - Haftung bei Beschädigung eines Wohnhauses
Symbolfoto: Von Alan Budman/Shutterstock.com

Die Kläger begehren von der Beklagten Schadensersatz für die behauptete Beschädigung ihres im Jahre 1997 errichteten Einfamilienhauses in der Sch. straße 18 in S. im Zuge der von der Beklagten im Auftrag des Straßenbauamtes St. im August 2004 durchgeführten Straßenarbeiten.

Für die Durchführung der Straßenbauarbeiten „Projekt … Verlegung und Beseitigung plangleicher Bahnübergänge im Stadtgebiet S. “ verwendete die Beklagte schweres Gerät, nämlich je eine Vibrations- und Rüttelplatte und für Abrissarbeiten einen Bagger mit einem Gewicht von ca. 12,5 t und – wovon das Landgericht ausgeht – auch einen Kettenbagger vom Typ CAT 318.

Am und im Wohnhaus der Kläger sind an zahlreichen Stellen Risse im Mauerwerk, in den Fliesen sowie im Außenputz aufgetreten, die vorher nicht vorhanden waren.

Die Kläger haben behauptet, dass die Risse im Mauerwerk, im Außenputz und in den Fliesen ihres Hauses durch die Straßenbauarbeiten der Beklagten, die auch mit schweren Gerätschaften, insbesondere einem Gleiskettenbagger, über einen längeren Zeitraum gearbeitet habe, verursacht worden seien. Dies habe das vom Sachverständigen H. in dem selbständigen Beweisverfahren, Az.: 21 OH 3/05 LG Stendal, erstellte Gutachten ergeben. Für die Beseitigung der Risse sei ein Betrag von insgesamt 17.500,– € erforderlich, wobei höhere Beseitigungskosten nicht ausgeschlossen werden könnten. Deswegen sei auch festzustellen, dass die Beklagte zum Ersatz jeglichen weiteren Schadens verpflichtet sei, der ihnen, den Klägern, durch die Beseitigung des im Gutachten des Sachverständigen H. vom 05. Juni 2006 festgestellten Schadens noch entstehen werde.

Die Beklagte hat die Ursächlichkeit der von ihr durchgeführten Bauarbeiten für die eingetretenen Hausschäden sowie eine schuldhafte Verletzung ihr obliegender Pflichten bestritten und namentlich auch die Verwendung eines schweren Kettenbaggers im Zuge der Straßenbauarbeiten zur Zertrümmerung einer Betonleitung und mehrerer Gullys in Abrede gestellt. Der Sachverständige H., so der weitere Vortrag der Beklagten, habe nicht festgestellt, dass die in der DIN 4150-3 niedergelegten Anhaltswerte überschritten worden seien. Nach dem vorgerichtlichen Gutachten des Diplom-Ingenieurs F. vom 16. März 2005 sei eine Überschreitung der DIN-Werte nicht erwiesen. Die am Haus der Kläger ersichtlichen Risse seien auf andere Ursachen als die von ihr durchgeführten Bauarbeiten zurückzuführen.

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 01. Juni 2011 nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr.-Ing. Sch. vom 11. April 2011, einer ergänzenden Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2011 sowie einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen H. und der Vernehmung von sechs Zeugen abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Den Klägern stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte weder nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter noch aus Delikt zu.

Es könne dahingestellt bleiben, ob die Risse an dem Wohnhaus der Kläger durch die Bauarbeiten der Beklagten verursacht worden seien. Es fehle jedenfalls an dem erforderlichen Verschulden der Beklagten gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB in Form eines fahrlässigen Verhaltens. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Sch. lägen die tatsächlich aufgetretenen Erschütterungen infolge der Straßenbauarbeiten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit deutlich unter den Anhaltswerten nach der DIN 4150-3. Diese spiegelten den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wider und enthielten daher geeignete Richtwerte, die zur Bestimmung der maßgeblichen Sorgfaltsanforderung herangezogen werden könnten. Teil 3 der DIN 4150 (Erschütterungen im Bauwesen) bewerte die Einwirkung von Schwingungen auf Bauwerke anhand von Anhaltswerten, die ihrerseits von der Gebäudeart abhängig seien. Diese Werte seien im Zuge der Straßenbauarbeiten durch die Beklagte deutlich unterschritten worden.

Bei seinen Untersuchungen habe der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Sch. eigene Schwingungsmessungen und die Auswertungen der Firma Sz. zugrunde gelegt. Darüber hinaus habe der Sachverständige Simulationsberechnungen durchgeführt, die bestätigt hätten, dass keine signifikanten Erhöhungen der Erschütterungsamplituden durch unterschiedliche Lasteintragungsorte und Bodenparameter zu erwarten seien. Dabei habe der Sachverständige bei seinen Simulationsberechnungen schon die für die Beklagte ungünstigsten Parameter angesetzt. Dennoch hätten die Schwingungen stets unterhalb der von der DIN vorgegebenen Werte gelegen. Habe die Beklagte die von der einschlägigen DIN vorgegebenen Grenzwerte eingehalten, habe sie keine Veranlassung gehabt, von den Rüttelarbeiten abzulassen oder Änderungen in der Bauausführung vorzunehmen. Auch bei einer näheren Betrachtung des klägerischen Hauses sei eine Rissanfälligkeit für die Beklagte nicht erkennbar gewesen.

Die Beweisaufnahme habe auch nicht ergeben, dass die Beklagte mit schwerstem Baugerät vor dem Wohnhaus der Kläger eine Betonrinne sowie Gullys zertrümmert habe und sie deswegen mit einer Gefährdung des klägerischen Hauses habe rechnen müssen. Zwar könne davon ausgegangen werden, dass die Beklagte einen Bagger vom Typ CAT 318 eingesetzt habe, nicht hingegen noch schwereres Baugerät. Der Zeuge T. habe bekundet, dass er die Zerstörung einer Betonrinne sowie Gullys beobachtet habe, als er sich 15 m entfernt von den Arbeiten der Beklagten in einer Laube befunden habe. Die Richtigkeit dieser Angaben erschiene jedoch aus der vom Zeugen angegebenen Beobachtungsposition zweifelhaft. Darüber hinaus habe der Zeuge T. den Bagger auf Vorhalt der Lichtbilder nicht zuordnen können.

Den Angaben des Zeugen T. sowie des Klägers zu 2 stünden die Aussagen der übrigen Zeugen B., Hn., G., K. und M. entgegen, die übereinstimmend und glaubhaft bekundet hätten, dass nichts, auch nichts mit Baggern zertrümmert worden sei. Insbesondere die Schaufel eines Baggers könne wegen der Montage entsprechender Halteventile als Sicherung nicht ruckartig fallengelassen werden.

Ein Anspruch der Kläger ergebe sich auch nicht nach den Grundsätzen eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch richte sich nämlich gegen den die beeinträchtigende Nutzungsart vornehmenden Nutzer des emittierenden Grundstücks. Er treffe damit nicht die Beklagte als Bauunternehmerin, da diese außerhalb des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses stehe.

Der zulässige Feststellungsantrag der Kläger sei in Ermangelung eines Schadensersatzanspruches dem Grunde nach ebenfalls unbegründet.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger. Sie meinen nach wie vor, dass der Beklagten eine fahrlässige Verursachung der an ihrem Haus aufgetretenen Risse im Zuge der Ausführung der Straßenbauarbeiten anzulasten sei. Denn diese habe die in der konkreten Situation notwendigen Vorsorgemaßnahmen zur Vermeidung der später eingetretenen Schäden nicht getroffen. Wegen der Nähe der Straßenbauarbeiten zu ihrem Wohnhaus habe eine konkrete Gefahr der Beschädigung des Hauses bestanden.

Auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liege ein Verschulden der Beklagten vor. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Sch. schlössen ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten nicht aus. Der Sachverständige habe nämlich nur vermutet, dass die DIN-Werte durch die Beklagte eingehalten worden seien. Das Landgericht sei auch nicht auf die Feststellungen des Sachverständigen H. in dessen Gutachten vom 05. Januar 2006 im selbständigen Beweisverfahren eingegangen, wonach die Straßenbauarbeiten die Rissbildung an ihrem Haus ausgelöst hätten. Auch der Sachverständige L. habe in seinem Gutachten vom 18. Oktober 2004 ausgeführt, dass die festgestellten Bauschäden im Zuge der Bauarbeiten entstanden seien und es sich nicht um Altschäden handele. Schließlich habe der Dachverständige Dipl.-Ing. F. in seinem Gutachten vom 16. März 2005 ausgeführt, dass es sich bei den Rissen um neuere Risse handele, die während der Durchführung der Baumaßnahmen ausgelöst worden sein müssten. Zusammenfassend könne daher festgestellt werden, dass die Schäden an ihrem Wohnhaus in engem Zusammenhang mit den Bauarbeiten der Beklagten stünden. Selbst der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Sch. habe nicht ausgeschlossen, dass die Bauarbeiten zu den Rissen geführt hätten. Daran ändere die Annahme des Gutachters, dass die aufgetretenen Erschütterungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit unter den Anhaltswerten nach DIN 4150-3 gelegen hätten, nichts.

Darüber hinaus rügen die Kläger die Beweiswürdigung des Landgerichts, soweit es davon ausgehe, dass die Beklagte weder schwerstes Baugerät eingesetzt noch mit solchem Gerät eine Betonrinne und Gullys zerstört habe. Die erkennende Richterin habe sich auf Zeugenaussagen gestützt, obwohl sie die Zeugen nie selbst angehört habe. Auch habe sie übersehen, dass mit Ausnahme des Zeugen T. sämtliche Zeugen bei den Bauarbeiten eingesetzte Mitarbeiter der Beklagten gewesen seien. Diese Zeugen seien nicht glaubwürdig, weil sie so ausgesagt hätten, wie es ihr Arbeitgeber gewollt habe. Hingegen halte das Landgericht den Zeugen T. zu Unrecht für unglaubwürdig. Der Geschäftsführer Sk. der Beklagten habe zum Einsatz der Technik nichts sagen können. Sein Nachfolger sei nicht ständig vor Ort gewesen. Die von der Beklagten erstinstanzlich in Zweifel gezogenen Bodenverhältnisse des Grundstückes hätten sich infolge der Bodenprobe durch den Sachverständigen Dr.-Ing. Sch. nicht bestätigt.

Die Kläger beantragen, unter Abänderung des am 01. Juni 2011 verkündeten Urteils der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stendal, Az.: 21 O 236/08, der Klage nach den erstinstanzlichen Anträgen stattzugeben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie ist der Auffassung, dass es auf die Ursächlichkeit der von ihr durchgeführten Straßenbauarbeiten für die Risse am Haus der Kläger nicht ankomme, weil auf jeden Fall das für einen Schadensersatzanspruch notwendige Verschulden nicht nachgewiesen sei. Denn nach allen vorliegenden Gutachten seien die Anhaltswerte nach der DIN 4150-3 eingehalten worden. Die später entstandenen Schäden seien daher weder vorhersehbar noch vermeidbar gewesen. Sie, die Beklagte, sei nicht verpflichtet gewesen zu überprüfen, ob die Kläger ihr Haus auch sach- und fachgerecht errichtet hätten oder nicht. Alleine aus dem Eintritt von Schäden könne nicht auf eine Sorgfaltspflichtverletzung geschlossen werden. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung lasse keine Fehler erkennen. Es habe zudem nur die Aussagen der Zeugen gewürdigt, die es vorher angehört habe.

II.

Die Berufung ist gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthaft und auch sonst nach Maßgabe der §§ 511 Abs. 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

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In der Sache bleibt das Rechtsmittel der Kläger jedoch ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Klage auf Grund einer fehlerfreien Beweiswürdigung zu Recht und mit einer zutreffenden Begründung abgewiesen. Daran vermag das Berufungsvorbringen der Kläger nichts zu ihren Gunsten zu ändern.

Eine Haftung der Beklagten auf Ersatz der am Haus der Kläger im Zuge der Straßenbauarbeiten entstandenen Rissschäden ergibt sich weder aus dem zwischen der Beklagten und dem Straßenbauamt St. abgeschlossenen Werkvertrag über die Tief- und Straßenbauarbeiten für das Projekt … nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter entsprechend den §§ 633, 634 Nr. 4, 328, 280 Abs. 1 BGB (1), noch aus Delikt gemäß § 823 Abs. 1 BGB (2) oder aus einem verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (3).

1. Eine vertragliche Schadenersatzverpflichtung der Beklagten kann nicht aus dem zwischen ihr und dem Straßenbauamt St. geschlossenen Werkvertrag mit Schutzwirkung zugunsten der Kläger hergeleitet werden.

Denn die Voraussetzungen für das Eingreifen eines derartigen Schadenersatzanspruches liegen nicht vor. Zwar befand sich das Einfamilienhaus der Kläger im Gefahrenbereich der vertraglichen Leistung der Beklagten. Eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB für die eingetretenen Risse muss nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber verneint werden. Dabei liegt die Beweislast für ein schuldhaftes Verhalten nach den insoweit weiterhin Anwendung findenden Grundsätzen einer Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen (vgl. dazu Grüneberg, in: Palandt, BGB, 71. Aufl., 2012, § 280 Rdnr. 37 m.w.N.) bei der Beklagten, weil die Arbeiten in unmittelbarer Nähe zum Haus der Kläger stattfanden und die Risse in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit den Straßenbauarbeiten stehen, weshalb zunächst alles dafür spricht, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten herrührt. Daher muss die Beklagte, entsprechend der Regelung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, dartun und beweisen, dass sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

Eine Haftung der Beklagten entfällt jedoch, weil sie nach dem eindeutigen Ergebnis der Beweisaufnahme die Beschädigungen am Haus der Kläger mangels fahrlässigen Verhaltens gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu vertreten hat.

a) Eine hier allein in Betracht kommende fahrlässige Pflichtverletzung durch die Beklagte ist in Bezug auf das technische Regelwerk der DIN-Normen nicht gegeben.

Fahrlässig handelt nach § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Fahrlässigkeit setzt danach sowohl die Voraussehbarkeit als auch die Vermeidbarkeit eines pflichtwidrig herbeigeführten Erfolges voraus. Wegen des objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstabes bedarf der Begriff der erforderlichen Sorgfalt einer Konkretisierung. Existieren bestimmte, der Sicherheit und dem Schutz anderer dienende Regelwerke, sind sie Maßstab für die verkehrserforderliche Sorgfalt und dürfen zur Ausfüllung des in § 276 Abs. 2 BGB verwandten Begriffs auch dann herangezogen werden, wenn es sich um Regeln ohne Rechtsnormcharakter handelt, wozu insbesondere die anerkannten technischen Regelwerke, hier in Gestalt der für die Straßenbauarbeiten einschlägigen DIN-Normen, zählen (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 386, zitiert nach juris; BGHZ 103, 338, 341, zitiert nach juris; Löwisch/Caspers, in: Staudingers Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2009, § 276 Rdnr. 42; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 71. Aufl., 2012, § 276 Rdnr. 18 m. w. N.).

Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Sch. hat den Feststellungen in seinem Gutachten – von allen Parteien unbeanstandet – das Regelwerk der DIN 4150-3 „Erschütterungen im Bauwesen“ zugrunde gelegt und ist auf der Grundlage der von der Sz. GmbH bereits im Jahr 2004 durchgeführten Schwingungsmessungen und eigener Simulationsberechnungen nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass bei den mit Hilfe von Baumaschinen durchgeführten Straßenbauarbeiten Schwingungen und Erschütterungen entstanden sind, welche die in der DIN4150-3 niedergelegten Anhaltswerte deutlich unterschritten haben.

Der Rüge der Kläger, der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Sch. habe nur Vermutungen aufgestellt, ist ohne Substanz und berücksichtigt vor allem nicht, dass er notgedrungen auf die fehlerfreien und aussagekräftigen Schwingungsmessungen der Sz. GmbH hat zurückgreifen müssen und deren Richtigkeit auf der Grundlage eigener Simulationsmessungen nur hat bestätigen können. Denn die Durchführung eigener Schwingungsmessungen war dem Sachverständigen deswegen nicht möglich, weil die Kläger nicht bereit gewesen sind, zugunsten des Sachverständigen eine Haftungsfreistellung für den Fall zu erklären, dass Bodenerschütterungen zur Ermittlung des Schwingungsgrades zu eventuell weiteren Schäden an ihrem Haus geführt hätten. Wegen der von ihnen selbst zu vertretenen Nichtdurchführbarkeit weiterer Messungen können sie dem Sachverständigen redlicherweise nicht vorhalten, er habe von weiteren eigenen Messungen abgesehen. An der Richtigkeit der Simulationsberechnungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Sch., die sämtlich Anhaltswerte lieferten, die deutlich unter den in der DIN 4150-3 niedergelegten Werten gelegen haben, bestehen keine vernünftigen Zweifel. Solche haben die Kläger mit der Berufung auch nicht aufgezeigt.

Entgegen der Auffassung der Kläger bestehen auch keine Widersprüche zwischen den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Sch. und denen der übrigen Sachverständigen H., L. und F. . Diese Gutachten verhalten sich allesamt nur zur unstreitig gegebenen Ursächlichkeit bzw. Mitursächlichkeit der Straßenbauarbeiten für die am Haus der Kläger entstandenen Risse, nicht hingegen zu der entscheidungserheblichen Frage, ob die Beklagte bei Durchführung der Straßenbauarbeiten hinsichtlich zu erwartender Schäden am Haus der Kläger in fahrlässiger Weise schuldhaft gehandelt hat. Der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen den Straßenbauarbeiten und dem Schadenseintritt ist lediglich für den adäquaten Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden von Belang, nicht aber für die davon zu trennende Frage, ob die Beklagte, was eben unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens zu verneinen ist, sich bei Ausführung der Bauarbeiten eines fahrlässigen Verhaltens schuldhaft gemacht haben.

b) Auch in Bezug auf besondere Umstände des Einzellfalles ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine fahrlässige, den Anforderungen des Rechtsverkehrs zuwiderlaufende Verhaltensweise der Beklagten.

Allein aus der Befolgung eines Regelwerkes wie der hier einschlägigen DIN 4150-3 folgt noch nicht zwangsläufig, dass ein dem entsprechendes Verhalten eines Schuldners bereits in jeder Hinsicht als sorgfältig einzustufen sein wird, da diese Regelwerke keinen absoluten Sorgfaltsmaßstab enthalten. Vielmehr kann sich gerade auch aus besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, dass nur die Beachtung der normierten Anforderungen im konkreten Fall nicht ausreicht, um der verkehrserforderlichen Sorgfalt Genüge zu tun. Solcherart spezielle Anforderungen an die zu wahrende Sorgfalt stellen sich namentlich dann, wenn angesichts der konkreten Situation besondere Vorsichtsmaßnahmen angezeigt sind oder wenn die angewandte Regel erkennbar sicherheitstechnisch unzureichend ist (Löwisch/Caspers, a.a.O., Rdnr. 43; Schmidt-Kessel, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 6. Aufl., 2011, § 276 Rdnr. 14). Solche besonderen Umständen hätten etwa vorgelegen, wenn es sich bei dem Haus der Kläger um ein besonders altes Haus gehandelt hätte (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1991, 601: 80 Jahre altes Haus) oder wenn sich das Haus äußerlich erkennbar in einem sanierungsbedingten und daher besonders schadenanfälligen Zustand befunden hätte. Solche baulichen Besonderheiten gibt es nicht, weil es sich bei dem Haus der Kläger um ein erst im Jahre 1997 errichtetes modernes Einfamilienhaus handelt. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Sch. hat dazu in seinem Gutachten vom 03. September 2010 (Seite 45) ausgeführt:

Das streitgegenständliche Gebäude war nach Aktenlage zur Zeit der Straßenbauarbeiten per Augenschein von außen in einem guten baulichen Zustand. Hinsichtlich der durchzuführenden Arbeiten war das Bauwerk nicht zwingend als gefährdet durch die Straßenbauarbeiten einstufbar. Aus Sicht des Aufstellers hat es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gegeben, die die Beklagte zu einer schonenderen Arbeitsweise hätten veranlassen müssen.

c) Der weitere Vorwurf der Kläger, der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. Sch. habe bei seiner Begutachtung im Jahr 2010 andere Bedingungen vorgefunden als die früher tätig gewordenen Gutachter, ist ebenfalls in der Sache unbegründet.

Die Bodenbedingungen des Jahres 2004 lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren. Insoweit haben die Kläger es verabsäumt, zeitnah zu den Bauarbeiten der Beklagten ein eigenes Gutachten mit Erschütterungsmessungen in Auftrag zu geben oder ein solches Gutachten im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens einholen zu lassen. Daher konnten nur die im Jahr 2004 von der Sz. GmbH im Auftrag der Beklagten durchgeführten Erschütterungsmessungen Grundlage für die überprüfenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Sch. sein, dem im Übrigen auch eine aktuelle Beurteilung der Gegebenheiten gerade durch die ablehnende Haltung der Kläger unmöglich gemacht worden ist.

d) Auch die erstinstanzliche Beweiswürdigung zu der Frage, ob durch den Einsatz schweren Baugeräts und der Zertrümmerung einer Betonrinne nebst Gullys über der DIN 4150-3 liegende Erschütterungswerte aufgetreten sind, weist keine Fehler zum Nachteil der Kläger auf.

Das Landgericht hat vielmehr im Ergebnis der Zeugenvernehmung in nicht zu beanstandender Weise ein sogenanntes non liquet angenommen und damit erhöhte Erschütterungen als nicht bewiesen angesehen. Denn der den Klägern günstigen Aussage des Zeugen T. stehen die dem widersprechenden Bekundungen der übrigen von der Beklagten benannten Zeugen entgegen. Diese sind entgegen der Auffassung der Kläger nicht bereits deswegen unglaubwürdig, weil sie Angestellte der Beklagten sind und bei den Bauarbeiten eingesetzt waren. Ebenso wenig wie die Zeugen der Beklagten allein aufgrund ihres Anstellungsverhältnisses kann der Zeuge T. bereits deswegen als unglaubwürdig gelten, weil er der Vater des Klägers zu 2 ist.

Auch dass die erkennende Richterin infolge des zwischenzeitlich vorgenommenen Richterwechsels keinen der gehörten Zeugen selbst vernommen hat, erweist sich im Ergebnis als unschädlich.

Es ist grundsätzlich anerkannt, dass ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme nicht grundsätzlich zu deren Wiederholung zwingt. Frühere Aussagen können durch Auswertung der Vernehmungsprotokolle verwertet werden. Kommt es jedoch auf einen persönlichen Eindruck von den Zeugen an, insbesondere zur Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit, muss das Gericht in der Spruchbesetzung einen persönlichen Eindruck von den Zeugen gewonnen haben oder auf eine aktenkundige Beurteilung der Glaubwürdigkeit zurückgreifen können (z. B. BGH, NJW 1997, 1586, zitiert nach juris). Das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 08. März 2010 (Bd. II Bl. 94 – 103 d. A.) enthält keine Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen oder sonstige tatsächliche Anknüpfungspunkte, welche die Einschätzung der Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen ermöglicht hätten. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass sich das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung einer Bewertung der Glaubwürdigkeit der Zeugen strikt enthalten hat und nur auf die inhaltlich gegensätzlichen Aussagen des Zeugen T. auf der einen Seite und den von der Beklagten benannten Zeugen auf der anderen Seite abstellt. Denn es geht nicht um die Glaubhaftigkeit der Aussagen der vernommenen Zeugen, sondern um die Glaubwürdigkeit der Zeugen selbst, weil sich im vorliegenden Fall die Aussagen mehrerer Zeugen unvereinbar gegenüberstehen und in solchen Fällen Anhaltspunkte außerhalb der protokollierten Zeugenaussagen zu der Beurteilung führen mögen, dass nur eine Aussage der Wahrheit entsprechen kann.

Eine Wiederholung der Zeugenvernehmung nach dem Richterwechsel war ungeachtet dessen im vorliegenden Fall aber deswegen nicht geboten, weil es auf die Frage der Zertrümmerung einer Betonrinne nebst Gullys durch schweres Baugerät der Beklagten nicht ankam und eine Zeugenvernehmung zu dieser Frage bereits aus Rechtsgründen nicht veranlasst war. Selbst bei unterstellter Richtigkeit des diesbezüglichen Vortrags der Kläger lagen nämlich die von der Beklagten verursachten Erschütterungswerte noch unterhalb der in der DIN 4150-3 niedergelegten Werte. Dies haben die Simulationsberechnungen des Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Sch. auf der Grundlage der Tätigkeit der Sz. GmbH aus dem Jahr 2004 ergeben, die bei ihren damaligen Schwingungsmessungen auch Erschütterungen durch Schläge mit der Schaufel eines Baggers auf den Straßenbelag und das Erdreich vor dem Haus der Kläger durchgeführt hat. Danach lagen alle gemessenen Werte einschließlich der maximal erzielbaren Erschütterungsamplituden deutlich unter den Anhaltswerten der DIN 4150-3, wobei der Sachverständige bei seinen Simulationsberechnungen bereits die für die Beklagte ungünstigsten Parameter angesetzt hat.

2. Eine deliktische Haftung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Verletzung des Eigentums der Kläger scheitert ebenfalls am sogar erwiesenermaßen fehlenden Verschulden der Beklagten, wozu auf die vorstehenden, hier entsprechend geltenden Erwägungen unter Ziffer II 1 Bezug genommen werden kann.

Im Übrigen wären die Kläger insoweit vollen Umfanges darlegungs- und beweispflichtig für ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten, da die eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast im Rahmen eines Schuldverhältnisses bewirkende Regelung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB deliktisch keine Anwendung finden kann.

3. Eine Haftung der Beklagten kann schließlich auch nicht, wie zu Recht vom Landgericht erkannt, aus einem verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB hergeleitet werden.

Ein solcher Ausgleichsanspruch ist dann gegeben, wenn im Rahmen einer privatwirtschaftlichen Benutzung von einem Grundstück Einwirkungen auf ein anderes ausgehen, die das Maß dessen überschreiten, was ein Grundstückseigentümer noch entschädigungslos hinzunehmen hat (vgl. Bassenge, in: Palandt, BGB, 71. Aufl., 2012, § 906 Rdnr. 27 f. m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eignet sich die Vorschrift als nachbarrechtliche Regelung aber nicht für die Begründung einer verschuldensunabhängigen Haftung auch solcher Personen, die nur gelegentlich ihres Aufenthalts auf einem Grundstück – wie hier die Beklagte bei der Durchführung der Straßenbauarbeiten – auf dem Nachbargrundstück, hier dem der Kläger, Schäden herbeigeführt haben. Folgerichtig kann der Bauunternehmer, der Arbeiten für einen anderen Bauherrn auf einem benachbarten Grundstück ausführt, nicht als Benutzer des Nachbargrundstückes angesehen werden, der dem Eigentümer zu einem Ausgleich bei wesentlichen Beschädigungen verpflichtet ist (vgl. BGH, NJW 2010, 3158, zitiert nach juris).

4. Nähere Ausführungen zur Zulässigkeit des außer dem Leistungsantrag weiterhin wie in erster Instanz ergänzend gestellten Feststellungsantrages gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erübrigen sich in Anbetracht des so oder so nach den vorstehenden Ausführungen nicht begründeten Schadensersatzbegehrens.

Es kann folglich dahingestellt bleiben, ob für den auf bloße Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichteten Antrag überhaupt noch ein dafür nach jener Vorschrift notwendiges rechtliches Interesse der Kläger besteht, weil sie stattdessen für den aus dem Jahre 2004 herrührenden Schadensfall wohl wenigstens einen präziseren Vorschussanspruch nebst Verpflichtung zu anschließender Abrechnung entsprechend § 637 Abs. 3 BGB hätten geltend machen können.

III.

Die Kostenentscheidung zu Lasten der mit ihrem Rechtsmittel erfolglos bleibenden Kläger beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO in Verb. mit § 100 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit dieses Urteils sowie des angefochtenen Urteils des Landgerichts entspricht der Regelung des § 708 Nr. 10 Satz 1 und 2 ZPO, jeweils in Verb. mit den §§ 711 Satz 1, 713 ZPO und § 26 Nr. 8 EGZPO.

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