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Straßenverkehrsgefährdung – Fahren entgegen der Fahrtrichtung

OLG Celle

Az.: 31 Ss 50/12

Beschluss vom 03.01.2013


Leitsatz (vom Verfasser – nicht amtlich): Entscheidet sich ein Kraftfahrer dafür, eine Fahrspur entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung zu nutzen, muss er insbesondere in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen jederzeit damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer – auch Fußgänger – sich darauf verlassen, dass ihnen keine Gefahren von Kraftfahrzeugen infolge straßenverkehrsrechtswidriger Nutzung durch Fahren entgegen der Fahrtrichtung drohen. Passt er seine Geschwindigkeit bei seiner Fahrt dabei nicht angemessen an, stellt dies ein zu schnelles Fahren an einer Straßenkreuzung bzw. -einmündung im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB dar und ist strafbar.

§ 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB: Wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er grob verkehrswidrig und rücksichtslos an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer die Gefahr fahrlässig verursacht oder fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.


Die Revision wird mit der Maßgabe, dass der Angeklagte einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung durch zu schnelles Fahren an Straßeneinmündungen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung schuldig ist, als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Angeklagte.

Angewendete Strafvorschriften: §§ 315 c Abs. 1 Nr. 2 d, Abs. 3 Nr. 1, 229, 230 Abs. 1, 42, 44, 52 StGB.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Rinteln hat den Angeklagten am 3. April 2012 wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Falschfahren am Fußgängerüberweg in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 45 € mit der Möglichkeit der Ratenzahlung von 100 € pro Monat verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt. Die hiergegen erhobene Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Urteil verworfen.

Nach den getroffenen Feststellungen war der Angeklagte in der Nacht zum 19. Februar 2011 im Rahmen seiner nebenberuflichen Tätigkeit in R. als Taxifahrer unterwegs. Gegen 01:30 Uhr vereinbarte der Angeklagte mit den Zeuginnen B. und S., diese zum Festpreis von 10 € nach S. zu fahren. Bereits zu Beginn der Fahrt beschleunigte der Angeklagte sein Taxi deutlich und fuhr in der Innenstadt so zügig, dass beide Zeuginnen darauf aufmerksam wurden. Mit seinem Verhalten wollte der Angeklagte entweder bei den beiden weiblichen Fahrgästen Eindruck erwecken oder aber die Fahrt, für die ein Festpreis ausgemacht war, möglichst schnell zu Ende bringen, um in dieser Nacht noch weitere Einnahmen erzielen zu können. Er näherte sich während der Fahrt auf der K.-A.-Straße dem Einmündungsbereich der von links kommenden S. Straße, die in diesem Einmündungsbereich auf vier durch drei Verkehrsinseln voneinander getrennte Spuren geleitet wird. Zwischen den einzelnen Verkehrsinseln führt eine auf der Fahrbahn rot markierte Fußgängerfurt mit weißer, unterbrochener Seitenbegrenzung, die zum Überqueren der S. Straße dient. Die in Fahrtrichtung des Angeklagten gesehene erste Spur leitet den Verkehr von der S. Straße nach rechts auf die K.-A.-Straße, also in die entgegengesetzte Richtung des Angeklagten. Die zweite Spur leitet den Verkehr von der S. Straße nach links auf die K.-A.-Straße. Die dritte Fahrspur ist für den von der K.-A.-Straße nach links auf die S. Straße einbiegenden Verkehr gedacht.

Der Angeklagte beabsichtigte, nach links in die S. Straße abzubiegen, reduzierte indessen seine deutlich erhöhte Fahrtgeschwindigkeit nicht – was er bei Nutzung der hierfür vorgesehenen Spur hätte machen müssen, um nicht aus der Kurve herausgetragen zu werden – und nutzte stattdessen die aus seiner Sicht erste, für den Gegenverkehr aus der S. Straße kommende Spur. Diese beabsichtigte in diesem Moment der Zeuge Ba., den sowohl der Angeklagte als auch die beiden Zeuginnen aus dem Taxi heraus zuvor wahrgenommen hatten, zu überqueren. Dabei kam es zur Kollision des vom Angeklagten geführten Fahrzeugs mit dem Zeugen, der sich erhebliche Verletzungen zuzog. Die Kollisionsgeschwindigkeit lag zwischen 48 und 62 km/h. Sowohl am Unfallort als auch in der Hauptverhandlung vor der Kammer äußerte sich der Angeklagte dahingehend, dass es zu diesem Unfall nur gekommen sei, weil der Zeuge Ba. unvermittelt auf die Straße gelaufen sei.

Die Kammer ist der Auffassung, dass der Angeklagte grob verkehrswidrig und rücksichtslos an Fußgängerüberwegen i. S. des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 c StGB falsch gefahren sei. Hilfsweise sei er an Straßeneinmündungen zu schnell gefahren, da es dem Angeklagten bei der gefahrenen Geschwindigkeit nicht möglich gewesen wäre, ordnungsgemäß über die Linksabbiegespur abzubiegen. Schließlich habe der Angeklagte auch nicht die rechte Seite der Fahrbahn an einer unübersichtlichen Stelle eingehalten (§ 315 c Abs. 1 Nr. 2 e StGB). In seinem Verhalten liege zumindest ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, der die Verletzung materiellen Rechts rügt. Insbesondere sei die Kammer von einem rücksichtslosen Verhalten ausgegangen, welches sie unzulässigerweise allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen habe.

II.

Die Revision blieb ohne Erfolg.

1. Hinsichtlich der getroffenen Feststellungen deckt die zulässig erhobene Sachrüge keinen durchgreifenden Mangel auf. Insoweit und auch hinsichtlich der erfolgten Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung verwirft der Senat die Revision auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO.

2. Hingegen konnte die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Falschfahren am Fußgängerüberweg keinen Bestand haben. Entgegen der Ansicht der Kammer erfasst diese Norm nämlich ausschließlich Fußgängerüberwege i. S. des § 26 StVO, also die durch Zeichen 293 zu § 41 StVO i. V. m. dem Hinweiszeichen 350 zu § 42 StVO markierten Zebrastreifen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008, 4 StR 639/07; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Hecker, 28. Aufl., § 315 c StGB Rdnr. 19; LK-König, 12. Aufl., § 315 c StGB Rdnr. 102; von Heintschel-Heinegg, § 315 c StGB, Rdnr. 44; MK-Groeschke, § 315 c StGB Rdnr. 38; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 26 StVO Rdnr. 2; weitergehend Fischer, 60. Aufl., § 315 c StGB Rdnr. 7).

3. Das Verhalten des Angeklagten ist auch weder unter § 315 c Abs. 1 Nr. 2 a StGB noch unter Ziffer 2 e subsumierbar. Das Missachten des Vorrechts eines Fußgängers nach § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO stellt bereits begrifflich keine Missachtung einer „Vorfahrt“ dar und würde anderenfalls auch die Regelung des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 c StGB überflüssig machen (vgl. OLG Hamm VRS 91, 117 (118)). Die Nichteinhaltung der rechten Seite einer Fahrbahn ist nur an unübersichtlichen Stellen i. S. des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 e StGB unter Strafe gestellt; allein der Verstoß gegen § 2 Abs. 1 StVO begründet keine Strafbarkeit.

4. Gleichwohl ist das Verhalten des Angeklagten als vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung anzusehen, da er den Tatbestand des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 d StGB erfüllt hat. Denn der Angeklagte ist an der Straßeneinmündung S. Straße/K.-A.-Straße in R. zu schnell gefahren und hat dadurch eine Gefahr für den Zeugen Ba. geschaffen, die im inneren Zusammenhang mit den Risiken einer Straßeneinmündung steht. Dass der Angeklagte dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h möglicherweise nicht überschritten hat, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Denn einer bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung kommt nur eine Indizfunktion zu (vgl. Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Hecker, a. a. O., Rdnr. 20). Ob zu schnell gefahren wurde, lässt sich nur unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrssituation beurteilen. Entscheidet sich ein Kraftfahrer, eine Fahrspur entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung zu nutzen, muss er insbesondere in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen jederzeit damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer sich darauf verlassen, dass ihnen keine Gefahren von Kraftfahrzeugen infolge straßenverkehrsrechtswidriger Nutzung durch Fahren entgegen der Fahrtrichtung drohen. Folglich hätte der Angeklagte, um dem Vorwurf eines zu schnellen Fahrens im Straßeneinmündungsbereich zu entgehen, bei Nutzung der falschen Fahrspur seines Fahrzeugs derart drosseln müssen, dass Gefahren für entgegenkommende Fahrzeuge wie auch für Fußgänger, die ebenfalls dem Schutzbereich des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 d StGB unterfallen (vgl. LK-König, a. a. O. Rdnr. 110), auszuschließen gewesen wären.

Dieses Verhalten des Angeklagten stellt sich auch nicht nur als grob verkehrswidrig sondern zugleich – wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat – als rücksichtslos dar. Zu Unrecht rügt die Revision, dass die Kammer allein aufgrund des äußeren Tatgeschehens auf die Rücksichtslosigkeit geschlossen habe. Zum einen stellt nämlich der äußere Tathergang das wichtigste und oftmals ausschlaggebende Entscheidungskriterium bei der Prüfung des Merkmals Rücksichtslosigkeit dar (vgl. Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben/Hecker, a. a. O. Rdnr. 28). Zudem hat die Kammer nicht nur den äußeren Ablauf des Verkehrsunfalls, sondern auch das Verhalten des Angeklagten vor und nach dem Unfall in ihrer Beweiswürdigung berücksichtigt. Schließlich lassen auch die beiden von der Kammer für möglich erachteten Motive des Angeklagten für sein Verhalten, nämlich entweder den Wunsch, den weiblichen Fahrgästen zu imponieren, oder die nicht besonders lukrative Fahrt schnellstmöglich zu beenden, die Rücksichtslosigkeit des Angeklagten nicht entfallen. In beiden Fällen hat der Angeklagte aus eigensüchtigen Gründen sich über seine Pflichten als Verkehrsteilnehmer hinweggesetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde.

5. Der Senat war in der Lage, den Schuldspruch selbst abzuändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders hätte verteidigen können, wenn die Anklage von vornherein eine Verletzung von § 315 c Abs. 1 Nr. 2 d StGB zum Gegenstand gehabt hätte. Darüber hinaus lässt die Schuldspruchänderung auch den von der Kammer festgesetzten Strafausspruch unberührt. Der gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB anzuwendende Strafrahmen bestimmt sich auch für den geänderten Schuldspruch nach § 229 StGB. Zudem sind der Unrechtsgehalt von § 315 c Abs. 1 Nr. 2 c StGB einerseits und § 315 c Abs. 1 Nr. 2 d StGB andererseits identisch. Rechtsfehler bei der konkreten Strafzumessung sind nicht erkennbar.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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