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Straßenverkehrssicherungspflicht für eine zu einem öffentlichen Fußweg gehörenden Treppenanlage

OLG Koblenz – Az.: 1 U 1069/17 – Urteil vom 05.07.2018

1. Auf die Berufung der beklagten Verbandsgemeinde wird das am 19. September 2017 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 6.445,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über übergegangene Ansprüche aus Amtshaftung. Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung der am 23. Februar 1949 geborenen H, wohnhaft in P. Als diese am 30. Juni 2015 auf dem Weg zum Dorfgemeinschaftshaus eine Treppe in P hinuntergehen wollte, die Bestandteil eines öffentlichen Fußweges ist, stürzte sie. Die Treppe war nicht mit einem Treppengeländer oder einem Handlauf versehen. Die Beklagte ist Trägerin der Straßenbaulast für den Fußweg. Der Klägerin ist als Anwohnerin die Treppe bekannt. Um das Dorfgemeinschaftshaus zu erreichen, steht auch ein Alternativweg zur Verfügung.

Frau H erlitt bei dem Sturz eine Fraktur des linken Handgelenkes sowie mehrere Prellungen an der Körperseite. Sie wurde deswegen ambulant behandelt. Die Klägerin wandte hierfür 5.444,93 € auf.

Die Klägerin hat behauptet, Frau H sei die Treppe vorsichtig hinuntergegangen, habe das Gleichgewicht verloren, habe noch versucht, sich an einer Hecke festzuhalten und sei dann gestürzt. Der Sturz hätte vermieden werden können, wenn die Treppe mit einem Handlauf versehen gewesen wäre.

Die Klägerin hat beantragt,

Straßenverkehrssicherungspflicht für eine zu einem öffentlichen Fußweg gehörenden Treppenanlage
(Symbolfoto: Alzbeta/Shutterstock.com)

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5,444,93 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2015 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte weiter verpflichtet ist, Kosten für Heilbehandlungen und Heilanschlussbehandlungen, die für die Versicherte der Klägerin, H, geb. …02.1949, aufgrund des Unfalls vom 30.06.2015 auf der Steintreppe auf dem Weg zum Dorfgemeinschaftshaus von der Straße A  in der Ortsgemeinde P entstehen, zu erstatten,

3. die Beklagte wird verurteilt, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Höhe von 782,07 € zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie sei ihrer Verkehrssicherungspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Die Anbringung eines Handlaufes sei nicht erforderlich gewesen, da die Treppe verkehrssicher sei.

Das Landgericht hat nach Beweiserhebung (Vernehmung der Geschädigten als Zeugin, Einholung eines Sachverständigengutachtens mit entsprechender Erläuterung) die beklagte Verbandsgemeinde antragsgemäß verurteilt und dies im wesentlichen damit begründet, dass nach dem eingeholten Sachverständigengutachten es der Überzeugung sei, dass ein Handlauf hätte zwingend angebracht werden müssen. Die Treppe sei damit nicht verkehrssicher gewesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die unter Intensivierung ihres bisherigen Vorbringens vor allem auch darauf hinweist, dass die einschlägige Norm der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz für öffentliche Wege und Straßen nicht anwendbar seien. Auch die übrigen von dem erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen zugrunde gelegten Normen seien nicht einschlägig und für die Beurteilung der Verkehrssicherheit der konkreten Treppe in einem mit Hecken und Bäumen bestandenen Grünbereich nicht

einschlägig und anwendbar. Die Treppenanlage sei im Unfallzeitpunkt klar erkennbar auch für die Geschädigte gewesen. Damit scheide aus Rechtsgründen aus, dass ein Handlauf oder eine sonstige Sturzsicherung anzubringen gewesen wäre.

Sie beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich vor allem auf die erstinstanzliche Verurteilung, das dort eingeholte Sachverständigengutachten und verweist weiter – erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – darauf, dass es sich bei der streitgegenständlichen Treppenanlage nicht um einen öffentlichen Weg handele und damit die deliktische Haftung unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz Anwendung finden müsse.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540, 313 a ZPO abgesehen. Im Übrigen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mit den weiter zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auch auf das eingeholte Sachverständigengutachten mit seinen Lichtbildern der streitgegenständlichen Treppenanlage (Sachverständigengutachten Dipl.-Ing. A vom 31. Mai 2017, S. 4 bis 7) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der beklagten Verbandsgemeinde hat Erfolg und führt unter Aufhebung der erstinstanzlichen Verurteilung zur Abweisung der Klage.

1. Ein gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf die Klägerin übergegangener Anspruch der Geschädigten aus Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) besteht gegen die Beklagte nicht. Wie bereits der zunächst beauftragte Sachverständige, Dipl.-Ing. Architekt B, bei Ablehnung des Auftrages in seinem Schreiben vom 11. Januar 2017 (Bl. 57 d.A.) zu Recht ausgeführt hat, gelten für Anlagen des öffentlichen Verkehrs die Vorschriften der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz nicht, § 1 Abs. 2 Nr. 1 LBauO Rheinland-Pfalz.

Damit stehen die einschlägigen Vorschriften der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz, unabhängig von der Frage, ob diese auch für „Außentreppen“ Geltung entfalten können, nicht zur Beurteilung der Verkehrssicherheit dieser Treppenanlage zur Verfügung. Dies hat sowohl der erstinstanzlich letztendlich beauftragte Gutachter wie auch das Landgericht verkannt. Damit ist allein entscheidend, ob nach dem auch sonst üblichen Maßstab der Beurteilung der Verkehrssicherheit von öffentlichen Wegen und Straßen eine verkehrssichere Anlage vorliegt oder nicht. Danach müssen nur diejenigen Gefahren ausgeräumt werden, die für einen sorgsamen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig genug einstellen kann (allg. Auffassung, s. nur Tremml, Karger, Luber, Der Amtshaftungsprozess, 4. Aufl., Rn. 833 ff., 855 a – m.w.Nachw.). Für den vorliegenden Fall geht der Senat sowohl auf Grundlage des nicht weiter angefochtenen erstinstanzlichen Tatbestandes (abschließende Feststellungen) wie auch unter Zugrundelegung des eigenen Vortrags der Klägerin (Schreiben der Klägerin an die GVV Kommunalversicherung vom 8. Oktober 2015) davon aus, dass diesem Weg eine nicht unerhebliche Erschließungsfunktion im öffentlichen Interesse zukommt. Dies ergibt sich auch zwanglos aus den vorgelegten Lichtbildern (insbesondere in dem Sachverständigengutachten). Damit ist unter Zugrundelegung der oben genannten generellen Maßstäbe lediglich festzustellen, ob diese Treppenanlage in ihrer von der Klägerseite behaupteten Mangelhaftigkeit erkennbar war. Dass hier kein Geländer und auch keine weitere Absturzsicherung vorhanden war, ist zwanglos für jeden Nutzer erkennbar. Auch ist die Gestaltung dieser Treppe jederzeit einsehbar. Eine irgendwie geartete versteckte Gefahrenlage, die eine Verkehrssicherungspflicht auslösen könnte und möglicherweise Haftung begründen könnte, ist zweifelsfrei nicht gegeben. Damit war und ist diese Treppenanlage außerhalb eines Gebäudes innerhalb eines öffentlichen Fußweges und damit unter Anwendung der Regelungen des Landesstraßengesetzes Rheinland-Pfalz (s. § 1 Abs. 2 LstrG „Wege“) für den Senat zweifelsfrei verkehrssicher und kann eine Haftung der beklagten Verbandsgemeinde nicht begründen.

Daran ändern auch nichts die von dem Sachverständigen weiter in Bezug genommenen Vorschriften, die sich u.a. auf technische Regeln für Arbeitsstätten und die DIN 18065 (Gebäudetreppen) beziehen. Diese Regelungen sind ersichtlich für die hier konkrete Treppenanlage nicht einschlägig und können eine Verurteilung keineswegs begründen. Damit scheidet eine Haftung aus Amtshaftungsgesichtspunkten zu Lasten der beklagten Verbandsgemeinde hier aus.

2. Soweit die Klägerin sich – erstmals – in der mündlichen Verhandlung auf eine privatrechtliche, deliktische Haftung der Beklagten nach allgemeinem Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) beruft, kann auch dies im vorliegenden Fall eine Verurteilung nicht rechtfertigen. Soweit die Klägerin – kurzfristig – der Auffassung war, dass die Ortsgemeinde Eigentümerin der Wegeparzelle war und insoweit privatrechtlich verkehrssicherungspflichtig sein soll, scheidet eine Haftung der Verbandsgemeinde schon aufgrund der Personenverschiedenheit von Beklagter und Verantwortlicher aus. Die Ortsgemeinde war zu keinem Zeitpunkt Beklagte des vorliegenden Verfahrens. Soweit die Klägerin nicht feststellen konnte, wer nun tatsächlich Eigentümer dieser Wegeparzelle war, kann eine Verurteilung gleichfalls nicht erfolgen. Zwingend für § 823 BGB ist, dass der Schädiger bezeichnet und verklagt wird. Dies ist gerade nicht geschehen. Damit scheiden diese erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2018 vorgebrachten Gründe bereits aus formalen Gründen aus.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang noch darauf, dass die Klägerin die Verbandsgemeinde in formeller Hinsicht zu Recht aus Amtshaftungsgesichtspunkten für die Verletzung der Straßen-, Wegeverkehrssicherungspflicht in Anspruch genommen hat. Nach der Definition im Landesstraßengesetz (§ 1 Abs. 2 LStrG) gehören diese öffentlichen Wege gerade als „öffentliche Straßen“ in den Verantwortlichkeitsbereich des Straßenverkehrssicherungspflichtigen. Diese Pflicht ist in Rheinland-Pfalz nach § 48 Abs. 2 LStrG Rheinland-Pfalz hoheitlich ausgeformt (Amtspflicht). Die originär die Ortsgemeinde treffende Amtspflicht wird durch § 68 Abs. 2 Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz auf die jeweilige Verbandsgemeinde übertragen, so dass diese letztendlich verantwortlich und damit auch im Schadensfall ersatzpflichtig ist. Auch dies macht deutlich, dass auch die Klägerin im gesamten Verfahren von einer Verletzung der öffentlich-rechtlichen, hoheitlichen Verkehrssicherungspflicht für diesen Teil eines öffentlichen Weges (Treppenanlage) ausgegangen ist.

3. Nach allem hat die Klage unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg und die erstinstanzliche Verurteilung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die Entscheidung zunächst einen konkreten in der Sachverhaltsgestaltung einmaligen Sachverhalt betrifft und zudem es um die Auslegung landesrechtlicher Vorschriften geht.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Wertfestlegung auf 6.445,00 € festgesetzt.

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