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Straßenverkehrs­sicherungspflicht gegenüber Radfahrern

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 122/16 – Beschluss vom 04.08.2017

Sachverhalt:

Der Kläger beansprucht von der beklagten Stadt Schadenersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls.

Der zum Unfallzeitpunkt 16-jährige Kläger war mit seinem Fahrrad am 22.07.2015 gegen 17:00 Uhr in der Straße „H.“ in W. gestürzt. Nach dem vorherigen Besuch bei einem Bekannten unter der Anschrift H. Nr. xy wollte der Kläger mit seinem Fahrrad wieder nach Hause fahren. Der Kläger fuhr dann um die Ecke und geriet mit dem Vorderrad seines Fahrrades in ein Schlagloch (nach Angaben der Beklagten: Durchmesser von circa 22 cm und Tiefe von circa 5 cm). Dabei kam er zu Fall. Er erlitt diverse Schürfwunden an Händen, rechten Ellbogen und rechten Oberschenkel und seine Jeanshose wurde dabei zerstört. Er behauptet, für eine Woche arbeitsunfähig gewesen zu sein. Dadurch sei ihm der Verdienst aus einer Ferienjob-Beschäftigung im Betrieb seines Vaters in der Zeit vom 27.07. bis 14.08.2015 entgangen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 14.10.2016 die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte verneint. Der schlechte Straßenzustand sei offensichtlich gewesen, ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer hätte die Geschwindigkeit seines Fahrrades gemäß § 3 Abs. 1 StVO den Straßenverhältnissen angepasst. Im Übrigen sei eine Haftung der Beklagten wegen des überwiegenden Mitverschuldens des Klägers nach § 254 BGB ausgeschlossen, weil der Kläger den Sturz durch rechtzeitiges Ausweichen hätte vermeiden können.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er behauptet, hier stehe eine vorsätzliche Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte in Rede. Der Beklagten seien die katastrophalen Straßenverhältnisse bereits seit langem bekannt gewesen und sie habe unstreitig nichts dagegen unternommen. Ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 BGB läge nicht vor. Es sei ihm nämlich gar nicht möglich gewesen, den unzähligen Schlaglöchern jedes Mal auszuweichen.

Der Senat hat mit einstimmigen Beschluss vom 4.8.2017 mit nachfolgender Begründung darauf hingewiesen, dass die Berufung im Sinne von § 522 Abs.2 ZPO offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Darauf hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1.9.2017 seine Berufung zurückgenommen.

Aus den Gründen:

Die Berufung des Klägers hat im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO offensichtlich keinen Erfolg. Die Ausführungen des Klägers aus der Berufungsbegründung vom 23. Januar 2017 rechtfertigen keine andere Entscheidung.

Straßenverkehrssicherungspflicht gegenüber Radfahrern
(Symbolfoto: Von Golub Oleksii/Shutterstock.com)

Zu Recht hat das Landgericht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des zum Unfallzeitpunkt noch minderjährigen Klägers wegen des Fahrradsturzes abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die beklagte Stadt kein Anspruch auf Schadensersatz wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung (§§ 839 Abs. 1 Satz 1, 249, 253 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG und § 10 Abs. 1 und 4 StrWG SH) zu.

1. Die Verkehrssicherungspflicht der öffentlichen Hand bezüglich öffentlicher Wege und Plätze ist ihrem Wesen nach zwar keine Amtspflicht im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB, sondern eine allgemeine zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 BGB. Als Haftungstatbestand kommt daher grundsätzlich § 823 BGB in Verbindung mit §§ 89, 31 BGB in Betracht. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn das jeweilige Bundesland die Verkehrssicherungspflicht öffentlich-rechtlich geregelt hat. In diesem Fall handelt es sich bei der Verkehrssicherungspflicht um eine hoheitliche Aufgabe, also um eine Amtspflicht im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB (BGH NVwZ-RR 2014, 252, 253 Rn. 12; Saarländisches OLG, Urteil vom 18.05.2017, 4 U 146/16, juris Rn. 21 m. w. N.). In Schleswig-Holstein ist eine entsprechende Regelung getroffen worden durch § 10 Abs. 4 StrWG SH, wonach alle mit der Unterhaltung und Überwachung der Verkehrssicherheit der öffentlichen Straßen zusammenhängenden Aufgaben als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit wahrgenommen werden. Die hoheitliche ausgeübte Verkehrssicherungspflicht bezüglich öffentlicher Straßen entspricht dabei inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 BGB.

Die Straßenbau- und Unterhaltungslast ist von der Straßenverkehrssicherungspflicht zu unterscheiden, erstere besteht nämlich nur im öffentlichen Interesse und kann damit keine Amtshaftungsansprüche begründen (BGH NJW 1991, 33, 34; OLG Stuttgart, Urteil vom 10.07.2013 – 4 U 26/13, NVwZ-RR 2014, 254, juris Rn. 81). Abweichend von anderen Landesgesetzen (z. B. § 7 Abs. 2 Satz 5 Berliner Straßengesetz) ist den Straßenbaulastträgern in Schleswig-Holstein nämlich nicht die Pflicht auferlegt, alsbald wieder einen verkehrssicheren Zustand herzustellen. Das Straßen- und Wegegesetz SH kennt eine solche ausdrückliche Wiederherstellungspflicht nicht, sondern macht diese vielmehr von der Leistungsfähigkeit des zuständigen Trägers der Straßenbaulast abhängig.

Der Umfang der Amtspflicht wird von der Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgeblich bestimmt. Sie umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Benutzer hinreichend sicheren Straßenzustands, wobei jedoch absolute Gefahrlosigkeit nicht gefordert werden kann. Eine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflicht beginnt grundsätzlich erst dort, wo auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage überraschend eintritt und nicht rechtzeitig erkennbar ist. Schlaglöcher von geringer Tiefe sind auch von Radfahrern auf der Fahrbahn regelmäßig hinzunehmen (OLG Braunschweig, NVwZ-RR 2003, 755, Rn. 30 in juris). Auf Fahrbahnen von Straßen werden auch gegenüber Radfahrern Schlaglöcher oder Vertiefungen im Bereich von 4 cm mitten in der Straße als gewöhnlich noch nicht verkehrswidriger Zustand angesehen, dabei kommt es aber immer auf die Umstände des Einzelfalls an (OLG Stuttgart, a. a. O. juris Rn. 96 m. Hinweis auf OLG Koblenz, DAR 2001, 460). Letztlich kann hier mit Blick auf die unstreitigen Dimensionen des Schlaglochs offen bleiben, ob die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte vorliegt. Die Augenscheinseinnahme der Lichtbildern Anlage B2-4 ergibt, dass sich das Schlagloch nicht am rechten Fahrbahnrand befindet. Zwar liegt insgesamt ein schlechter Instandhaltungszustand der Straße vor, gleichwohl sind offensichtlich nicht alle Schlaglöcher so tief, als dass eine gefahrlose Nutzung durch Radfahrer nicht möglich wäre.

b. Den Kläger trifft gemäß § 254 Abs. 1 BGB ein überwiegendes Mitverschulden an dem Sturz, hinter das eine etwaige Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zurücktritt. Die Verkehrssicherungspflicht dient nicht dazu, das allgemeine Lebensrisiko auf den Sicherungspflichtigen abzuwälzen. Eine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflicht beginnt grundsätzlich erst dort, wo auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage überraschend eintritt und nicht rechtzeitig erkennbar ist (Saarländisches OLG, Urteil vom 16.10.2014, 4 U 168/13, juris Rn. 44 m. Hinweis auf OLG Stuttgart, NZV 1990, 268; OLG Hamm, VersR 1983, 466). Da landesgesetzlich in Schleswig-Holstein – abweichend z. B. vom Berliner Straßengesetz s.o.- keine „alsbaldige“ Wiederherstellungspflicht für beschädigte Straßen vorgeschrieben ist, gibt es auch keine Anhaltspunkte für die vom Kläger behauptete „vorsätzliche Verletzung“ von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte. Die Gefahrenstelle war im Straßenbelag – ausweislich der Lichtbilder Anlagen B2 bis B4 – auch bei nur flüchtigem Hinsehen gut erkennbar. Der zum Unfallzeitpunkt 16jährige Kläger hätte seine Geschwindigkeit den Straßenverhältnissen anpassen und – soweit ersichtlich – der Gefahrenlage problemlos ausweichen können. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger nach eigenem Vortrag erstmals diese Straße mit seinem Fahrrad befahren hat. Zum Unfallzeitpunkt (22.07.2015 gegen 17:00 Uhr) war es hell und der Zustand der Straße mithin offensichtlich. Ausweislich der Lichtbilder war die Straße auch nicht überall mit solch tiefen Schlaglöchern gesäumt. Der Kläger hätte nur der deutlich erkennbaren Gefahrenstelle ausweichen müssen, um der Sturzgefahr zu entgehen. Ein solches Ausweichen war ihm nach objektiven Maßstäben auch möglich.

Nach alledem ist die Berufung offensichtlich unbegründet.

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