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Straßenverkehrssicherungspflicht – Haftung für Bodenunebenheiten

Thüringer Oberlandesgericht

Az: 4 W 134/12

Beschluss vom 20.03.2012


Die Beschwerde wird aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung/Nichtabhilfe zurückgewiesen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Sturzes auf dem Fußweg in der………. am 11.03.2008 gegen 15.00 Uhr. Sie behauptet, sie sei an bzw. auf einer scharfen Kante des (an der Unfallstelle) unterschiedlichen Gehwegbelags umgeknickt und habe sich dabei erheblich verletzt. Die Kante habe sie übersehen, weil sie ihre Aufmerksamkeit einem entgegen kommenden Taxi gewidmet habe, das allem Anschein nach auf den Fußweg auffahren wollte. Kurz nach dem Unfall habe die Beklagte den Absatz durch angleichende Asphaltierung ausgeglichen; die Beklagte hafte daher wegen des bis zum Unfalltag unterlassenen Ausgleichs dieser (Stolper)Kante.

Die Antragsgegnerin ist dem PKH-Gesuch entgegen getreten, weil es sich ihrer Meinung nach um einen unbedeutenden Fußweg handele, im Übrigen sich die (damalige) Unebenheit – von 4,5 cm (s. Lichtbild Bl. 30 d.A.) – über einen längeren Abschnitt erstreckt habe, also deutlich wahrnehmbar und damit auch beherrschbar gewesen sei. Im Übrigen hat sie die Einrede der Verjährung wegen des erst am 02.01.2012 bei Gericht anhängig gemachten Gesuchs erhoben.

Das Landgericht hat den Antrag wegen fehlender Erfolgsaussicht (der beabsichtigten Klage) zurückgewiesen. Zunächst hat es ausgeführt, dass der Anspruch der Antragstellerin am 31.12.2011 verjährt sei (§§ 195, 199 Abs. 1 Ziff. 1 BGB), weil der Antrag bei Gericht erst am 02.01.2012 eingegangen sei. Im Übrigen beruhe das Unfallereignis auf der nach eigenem Vorbringen der Antragstellerin ungenügenden Aufmerksamkeit beim Begehen des Fußwegs.

Gegen den ihrem PV am 30.01.2012 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit Schriftsatz ihres PV vom 29.02.2012 – Eingang beim Ausgangsgericht am gleichen Tag – Beschwerde erhoben. Sie rügt fehlerhafte Anwendung der Verjährungsvorschriften, da das Fristende auf einen Samstag gefallen sei (§ 193 BGB). Im Übrigen sei ein scharfkantiger Höhenunterschied von (ihrer Meinung nach) „6 cm“ nicht hinnehmbar.

Das Landgericht hat der Beschwerde im Ergebnis nicht abgeholfen; bei Beachtung der gebotenen Aufmerksamkeit sei die Gefahrenstelle gut beherrschbar.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§ 127 Abs. 2, 567, 569 ZPO), im Ergebnis aber unbegründet. Gegen die Auffassung des Landgerichts, der Unfall beruhe allein auf dem Eigenverschulden der Antragstellerin; diese habe die (leicht) erkennbare Gefahrenstelle beherrschen können, gibt es nichts zu erinnern.

Zwar ist der geltend gemachte Anspruch (der Antragstellerin) noch nicht verjährt, da – im gegebenen Fall – das Fristende (der Verjährung), der 31.12. 2011 auf einen Samstag fiel, mithin das Fristende sich auf den nächsten Werktag – den 02.01.2012 – verschob (§§ 222 Abs. 2 ZPO, 193 BGB). Das an diesem Tag eingegangene Gesuch war mithin rechtzeitig und hat die Verjährung unterbrochen.

Der (beabsichtigten) Klage fehlt aber die Erfolgsaussicht, da der Unfall allein durch die eigene Unachtsamkeit der Antragstellerin verursacht wurde und eine eventuelle Pflichtverletzung der Antragsgegnerin dahinter zurücktritt.

Es ist schon fraglich, ob überhaupt nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des 4. Zivilsenats, die mit der übrigen obergerichtlichen Praxis übereinstimmt, hier von einer schuldhaften Sicherungspflichtverletzung der verkehrssicherungspflichtigen Antragsgegnerin in Ansehung des unterschiedlich hohen Gehwegbelags auszugehen ist. Denn es ist, wie die von der Antragsgegnerin vorgelegten 4 Lichtbilder (Bl. 30 – 33 d.A.) ausweisen, der unterschiedliche Gehwegbelag und die Höhendifferenz der Anschlusskante beider Belagflächen auf dem Fußweg so deutlich sichtbar, dass diese Stolperkante auch bei nur geringer Sorgfalt deutlich erkennbar, mithin die Gefahrenstelle für den/die (jeweiligen) Benutzer des Fußwegs durchweg leicht beherrschbar war.

Der Senat hat hierzu in einer Vielzahl von Einzelfällen ausgeführt, dass letztlich nicht entschieden werden müsse, wie weit die Pflichten (einer Gemeinde) für die Wegesicherheit tätig zu werden, gingen, wenn es sich bei der inkriminierten Gefahrenstelle um eine so deutlich sichtbare und daher von jedem Benutzer meisterbare Gefahrensituation handelte, auf die er sich bei der gebotenen Eigensorgfalt einzurichten vermag (vgl. grds. Beschluss des Senats v. 19.03.2009 – 4 U 688/08; ferner bereits Urteil v. 08.08.2000 in NJW 1998, 247; zuletzt Beschluss v. 21.02.2012 – 4 U 840/11 m.w.Nw.; ebenso OLG Brandenburg NJW-RR 2008, 1614; BGH VersR 1979, 1055).

Im Übrigen ist der hoheitliche Träger der Straßenbaulast nicht dazu verpflichtet, Straßen und Wege in einen völlig gefahrlosen Zustand zu versetzen. Das ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen und kann deshalb von dem verkehrssicherungspflichtigen Hoheitsträger nicht verlangt werden. Grundsätzlich muss sich der Straßenbenutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und/oder erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den die erforderliche Eigensorgfalt walten lassenden Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einzurichten vermag (BGH VersR 1979, 1055; NJW 1989, 2808; NJW 2006, 2326).

Fußend auf diesen Grundsätzen hat sich in der Rechtsprechung zwar eine Bagatellgrenze für Bodenunebenheiten unterhalb des Bereichs von 2 bis 2,5 cm entwickelt, mit denen ein sorgfältiger Fußgänger rechnen muss (BGH VersR 1979, 1055; OLG Frankfurt OLGR 2004, 5; OLG Celle NdsRpfl 2000, 105; OLG Hamm NJW-RR 2005, 255; OLG Schleswig MDR 2003, 29; OLG Köln VersR 1992, 355; OLG Jena NJW 1998, 247). Dabei handelt es sich aber nicht um eine starre Grenze. Es sind vielmehr stets die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen. Insbesondere sind in ihrer Höhe jenseits der Bagatellgrenze von 2 bis 2,5 cm liegende Unebenheiten (noch) nicht automatisch als Verletzung der Verkehrssicherungspflicht anzusehen (vgl. OLG Koblenz MDR 1999, 39 zu einem Frostaufbruch von 5 cm; OLG Saarbrücken OLGR 2000, 85 zu einem 4,5 cm herausragenden Kanaldeckel).

Das gilt auch für den vorliegenden Fall einer – wie hier – leicht erkennbaren Stoßkante zweier unterschiedlicher Fußwegbeläge, die (wohl) durch Ausbesserung der Wegefläche des Fußwegs vorübergehend entstanden sind, wie die vorgelegten Lichtbilder ausweisen. Zwar hat die Antragstellerin angegeben, durch ein Fahrzeug (Taxi), das sich ihrem Vortrag nach anschickte, auf den Fußweg aufzufahren, abgelenkt gewesen zu sein. Das entschuldigt ihre eigene Unachtsamkeit jedoch nicht. Denn der auf einen langen Abschnitt gleichmäßig ausgebesserte Belag und die über den ganzen Abschnitt sich erstreckende Stoßkante waren deutlich erkennbar und schon vor dem Betreten der unterschiedlichen Belagsflächen sichtbar; die Gefahrenstelle hätte daher von der Antragstellerin auch bei nur flüchtigem Hinsehen wahrgenommen werden müssen (können). Angesichts dieser (leichten) Erkenn- und Beherrschbarkeit der (im Übrigen geringen) Stolpergefahr steht eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Antragsgegnerin unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ernsthaft in Frage. Dem Verkehrssicherungspflichtigen sind regelmäßig nur solche Gefahren abwehrenden Maßnahmen abzuverlangen, die mit Blick auf ihre Erforderlichkeit unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit verhältnismäßig erscheinen (dazu BGH NJW 2006, 2326; OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2002, 23; OLG Jena OLGR 2005, 414). In Anbetracht der vorliegend auch bei nur flüchtigem Hinsehen ersichtlichen Stolperkante drängt sich die Frage der Zumutbarkeit der Gefahrenbeseitigung durch (weitere) Ausbesserung geradezu auf.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht; der Antragstellerin fällt (als Unterliegende im Beschwerdeverfahren) die Gebühr aus GKG-KV 1812 zur Last; eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten sieht das Gesetz nicht vor (vgl. § 127 Abs. 4 ZPO).

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